NJW 1999, 1257 ff
vgl. auch BGH
NJW 1998, 2818 und BVerfG NJW 1993, 1125
Zu den Voraussetzungen eines auf §
826 BGB gegründeten Anspruchs auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung
aus einem Vollstreckungsbescheid.
Aus den Gründen:
1. Das BerGer. erachtet das Klagebegehren
auf der Grundlage des § 826 BGB für berechtigt. Zwar sei ein
auf diese Vorschrift gestützter Schadensersatzanspruch gegenüber
der Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel nur in besonders
schwerwiegenden und eng begrenzten Ausnahmefällen gegeben. Ein solcher
Fall liege jedoch hier vor.
Der Vollstreckungsbescheid sei sachlich
unrichtig; dem Bekl. stehe der titulierte Kaufpreisanspruch nicht zu. Da
der Zweck, auf den die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gerichtet
gewesen sei, nach dem abschlägigen Bescheid der Baubehörde auf
die Bauvoranfrage nicht mehr habe erreicht werden können, sei objektive
nachträgliche Unmöglichkeit der Erfüllung des Kaufvertrags
über den Gesellschaftsanteil nach § 323 I BGB eingetreten. Die
Abtretung des Anteils sei mangels Zahlung des Kaufpreises, den der Bekl.
nun nicht mehr verlangen könne, nicht wirksam erfolgt. Der Bekl. habe
auch die erforderliche Kenntnis von der Unrichtigkeit des Vollstreckungsbescheids.
Da er schon vor Einleitung des Mahnverfahrens habe erkennen können,
daß eine gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung zu einer Ablehnung
seines Klagebegehrens führen müßte, liege allein darin,
daß er sich des Mahnverfahrens bedient habe, ein besonderer Umstand,
der die Vollstreckung aus dem so erwirkten, materiell unrichtigen Titel
sittenwidrig mache. Zum subjektiven Tatbestand des § 826 BGB bedürfe
es hier nicht der Feststellung oder Vermutung, daß der Gläubiger
das Mahnverfahren bewußt mißbraucht habe. Als weitere die Sittenwidrigkeit
begründende Umstände seien der vollständige Wegfall des
Gesellschaftszwecks und der unwidersprochene Vortrag der Kl. zu berücksichtigen,
daß es der Bekl. gewesen sei, der beim Verkauf seines Gesellschaftsanteils
beteuert habe, es werde mit Sicherheit ein positiver Bauvorbescheid ergehen.
Auch habe der Bekl. nach dem Verkauf nichts unternommen, um noch auf eine
positive Entscheidung hinzuwirken. Bei dieser Sachlage rechtfertige es
einen Schadensersatzanspruch der Kl. nach § 826 BGB, wenn der Bekl.
die Vollstreckung aus dem Titel betreibe, von dem er jedenfalls mittlerweile
wisse, daß darin eine Forderung zuerkannt worden sei, auf die er
keinen Anspruch habe.
II. Das Berufungsurteil hält den
Angriffen der Revision nicht stand.
A. Da das BerGer. offen läßt,
ob der Vollstreckungsbescheid der Kl. wirksam zugestellt wurde, fehlt es
an den erforderlichen Feststellungen für die Rechtskraft des Titels,
die ihrerseits grundlegende Voraussetzung des hier geltend gemachten Schadensersatzanspruchs
ist. Damit wird zugleich - entgegen der Auffassung des BerGer. - das Rechtsschutzbedürfnis
der Kl. für die vorliegend erhobene Klage in Frage gestellt. Dennoch
kann der Senat hier in der Sache entscheiden, da die revisionsrechtliche
Prüfung auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die materiellrechtliche
Unbegründetheit der Klage ergibt und in einem solchen Fall die Prüfung
des Rechtsschutzbedürfnisses hintangestellt werden kann (vgl. BGHZ
130, 390 [400] = NJW 1996, 193 = LM H. 2/1996 § 22 GWB Nr. 24 m.w.
Nachw.).
B. Die Beurteilung des BerGer., der
Kl. stehe auf der Grundlage des § 826 BGB ein Anspruch auf Unterlassung
der Zwangsvollstreckung und Herausgabe des Titels zu, beruht - auch wenn
man vom Eintritt der Rechtskraft ausgeht - auf durchgreifenden Rechtsfehlern.
1. Das BerGer. geht allerdings zu
Recht davon aus, daß die Durchbrechung der Rechtskraft eines Vollstreckungstitels,
auch eines Vollstreckungsbescheides, auf der Grundlage eines Schadensersatzanspruchs
nach § 826 BGB. nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen
gewährt werden darf, weil sonst die Rechtskraft ausgehöhlt und
die Rechtssicherheit beeinträchtigt würde. Die Rechtskraft muß
nur dann zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin
unvereinbar wäre, daß der Titelgläubiger seine formelle
Rechtsstellung unter Mißachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten
des Schuldners ausnutzt (st. Rspr.; vgl. z.B. BGHZ 101, 380 [383] =
NJW 1987, 3256 = LM § 700 ZPO Nr. 5; BGHZ 103, 44 [46] = NJW 1988,
971 = LM § 826 [Fa] BGB Nr. 32; BGHZ 112, 54 [58] = NJW 1991, 30 =
LM § 607 BGB Nr. 124; Senat, NJW 1998, 2818 = VersR 1999, 78 [79]).
Die Anwendung des § 826 BGB in derartigen Fällen setzt nicht
nur die materielle Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und die Kenntnis
des Gläubigers hiervon voraus; hinzutreten müssen vielmehr besondere
Umstände, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der
beabsichtigten Vollstreckung ergeben und die das Vorgehen des Gläubigers
als sittenwidrig prägen, so daß es letzterem zugemutet werden
muß, die ihm unverdient zugefallene Rechtsposition aufzugeben.
2. Die Revision rügt zu Recht,
daß im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des BerGer. die
unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze zu fordernden
Anspruchsvoraussetzungen für die Kl. nicht gegeben sind:
a) Das BerGer. stützt seine Auffassung,
dem gegen die Kl. ergangenen Vollstreckungsbescheid liege materiellrechtlich
kein berechtigter Zahlungsanspruch des Bekl. zugrunde, im wesentlichen
auf die Überlegung, infolge endgültiger Verfehlung des Gesellschaftszwecks
sei die Kaufpreisforderung wegen objektiv nachträglicher Unmöglichkeit
der Erfüllung des Kaufvertrags gem. § 323 I BGB erloschen. Ob
dieser Beurteilung, die von der Revision mit Erwägungen angegriffen
wird, die nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind, letztlich zu
folgen ist, kann offen bleiben. Denn auch wenn der Vollstreckungsbescheid
mangels eines noch bestehenden Kaufpreisanspruchs des Bekl. in der Sache
als unrichtig anzusehen sein sollte, würde dies den hier geltend gemachten
Schadensersatzanspruch der Kl. aus § 826 BGB nicht rechtfertigen.
Zwar wäre dann die nötige Kenntnis des Titelgläubigers
von der Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels zu bejahen, da es hierfür
ausreicht, wenn dem Gläubiger diese Kenntnis erst während des
Rechtsstreits über den Anspruch aus § 826 BGB vermittelt wird
(vgl. BGHZ 101, 380 [385] = NJW 1987, 3256 = LM § 700 ZPO Nr. 5).
Jedoch fehlt es an den zusätzlich erforderlichen besonderen, die Sittenwidrigkeit
begründenden Umständen.
b) Die Überlegungen, mit denen
das BerGer. hier solche Umstände als gegeben erachtet hat, sind nicht
frei von Rechtsfehlern.
aa) Der festgestellte Sachverhalt rechtfertigt
nicht die Annahme, der Bekl. habe als Gläubiger das Mahnverfahren
bewußt mißbraucht, um für einen ihm nicht zustehenden
Anspruch einen Vollstreckungstitel zu erlangen. Davon will wohl auch das
BerGer. nicht ausgehen. Soweit im Berufungsurteil ausgeführt wird,
das Schreiben des Bekl. vom 14. 5. 1993 spreche dafür, daß er
schon vor Beantragung des Mahnbescheids gewußt habe, daß er
den Kaufpreis materiellrechtlich nicht fordern könne, wird diese Beurteilung
von den getroffenen Feststellungen nicht hinreichend getragen. Das BerGer.
hat das Schreiben vom 14. 5. 1993 selbst dahin ausgelegt, es könne
ihm eine (die Kaufpreisforderung zum Erlöschen bringende) Rücktrittserklärung
des Bekl., der damals noch von der wirtschaftlichen Werthaltigkeit der
Forderung ausgegangen sei, nicht entnommen werden.
bb) Der Beurteilung des BerGer., ein
besonderer, die Sittenwidrigkeit begründender Umstand sei darin zu
sehen, daß der Bekl. sich des Mahnverfahrens bedient habe, obwohl
er habe erkennen können, daß bereits die gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung
zu einer Abweisung seines Klagebegehrens führen müßte,
kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.
(a) Zum einen sind die Rechtsfragen,
die sich im Hinblick auf einen möglichen materiellrechtlichen Untergang
der im Vollstreckungsbescheid titulierten Kaufpreisforderung des Bekl.
stellen, keineswegs einfach gelagert und nicht ohne intensive rechtliche
Prüfung zu beantworten. Schon aus diesem Grunde kann es dem Bekl.,
der ersichtlich nicht über besondere Rechtskenntnisse verfügt,
nicht als sittenwidriges Vorgehen zur Last gelegt werden, daß er
eine erkennbar unschlüssige Forderung ohne Sachprüfung durch
das Gericht habe durchsetzen wollen.
(b) Zum anderen läßt sich
aus der Inanspruchnahme des Mahnverfahrens zur Titulierung eines Anspruchs,
dessen Unschlüssigkeit erkennbar gewesen wäre, nicht generell
ein besonderer, die Sittenwidrigkeit der Vollstreckung aus dem Titel begründender
Umstand herleiten. Soweit das BerGer. sich für seine abweichende
Auffassung auf die Überlegungen stützen will, die in der in BGHZ
101, 380ff. = NJW 1987, 3256 = LM § 700 ZPO Nr. 5, veröffentlichten
Entscheidung angestellt wurden, verkennt es, daß diese die besonderen
Verhältnisse im Bereich der Ratenkreditverträge betrafen, wie
der erkennende Senat bereits bei früherer Gelegenheit im einzelnen
dargelegt hat (vgl. BGHZ 103, 44 [48ff.] = NJW 1988, 971 = LM § 826
[Fa] BGB Nr. 32). In derartigen Fällen, in denen dem Gläubiger
typischerweise ein wirtschaftlich schwächerer und geschäftlich
unerfahrener Kreditnehmer gegenüber steht, dem die Vertragsbedingungen
gleichsam diktiert werden und der seine prozessualen Verteidigungsmöglichkeiten
häufig nicht zu nutzen weiß, vermag die Erwirkung eines Vollstreckungsbescheids
für eine erkennbar unschlüssige, in solchen Fällen auf einem
sittenwidrigen Darlehensgeschäft beruhende Forderung einen Sittenverstoß
zu begründen; auch dann ist jedoch nicht die Unschlüssigkeit
der Forderung als solche tragender Grund der Beurteilung, sondern die Schutzbedürftigkeit
des, typischerweise sowohl hinsichtlich der Ausgestaltung des Kreditvertrags
als auch der prozessualen Durchsetzung der hieraus hergeleiteten Ansprüche
unterlegenen Schuldners (vgl. Senatsurteil BGHZ 103, 44 [49] = N]W
1988, 971 = LM § 826 [Fa] BGB Nr. 32).
Abgesehen von Fallgestaltungen, in
denen der Gläubiger das Mahnverfahren bewußt zur Durchsetzung
rechtswidriger Ziele mißbraucht, muß die Durchbrechung der
Rechtskraft mit Hilfe des § 826 BGB nach Erwirkung eines rechtskräftigen
Titels über einen nicht schlüssigen Anspruch im Mahnverfahren
grundsätzlich auf Fälle beschränkt bleiben, die - wie dies
bei der erwähnten Fallgruppe der Ratenkreditverträge zu bejahen
ist - nach der Art der zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen eine klar umrissene
sittenwidrige Typik aufweisen und in denen ein besonderes Schutzbedürfnis
des mit dem Mahnverfahren überzogenen Schuldners hervortritt (vgl.
BGHZ 103, 44 [50] = NJW 1988, 971 = LM § 826 [Fa] BGB Nr. 32; Senat,
NJW 1998, 2818 = VersR 1999, 78 [79]).
cc) Der vorliegende Sachverhalt weist
keinerlei Merkmale einer typisch sittenwidrigen Fallgestaltung im dargelegten
Sinne auf. Hier geht es vielmehr um die Abwicklung rechtsgeschäftlicher
Vereinbarungen, die der Verwirklichung eines umfangreichen, einerseits
mit Gewinnerwartungen, andererseits aber auch mit wirtschaftlichen Risiken
verbundenen gewerblichen Vorhabens dienten, dessen Beteiligte sich gerade
nicht von vornherein in wirtschaftlicher und geschäftlicher Hinsicht
deutlich "ungleichgewichtig" gegenüber standen.
dd) Bei dieser Sachlage ist auch - gemessen
an den in der zitierten Rechtsprechung aufgestellten Kriterien - kein besonderes
Schutzbedürfnis der Kl. zu erkennen. Den getroffenen Feststellungen
sind insbesondere keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen,
daß sie im Hinblick auf eine - vom Bekl. ausgenutzte - geschäftliche
und rechtliche Unerfahrenheit ein Opfer des Mahnverfahrens geworden ist.
Der Bekl. konnte hier nicht damit rechnen, daß sich die Kl. weder
gegen den Mahn- noch gegen den Vollstreckungsbescheid mit den zulässigen
rechtlichen Mitteln wehren und ihre Einwendungen gegenüber der gegen
sie geltend gemachten Kaufpreisforderung nicht im Rechtsstreit zur Prüfung
stellen würde.
c) Auch die weiteren im Berufungsurteil
angeführten Gesichtspunkte vermögen entgegen der Auffassung des
BerGer. die Annahme besonderer, die Sittenwidrigkeit begründender
Umstände nicht zu rechtfertigen. Soweit das BerGer. darauf abstellt,
der Bekl. habe den Verkauf des Gesellschaftsanteils mit seinen Beteuerungen
herbeigeführt, daß mit Sicherheit ein positiver Bauvorbescheid
ergehen werde, vermag dies zur Bejahung eines Sittenverstoßes nichts
beizutragen, da aufgrund der getroffenen Feststellungen nichts dafür
spricht, daß der Bekl. seinerzeit an einem positiven Ausgang des
baurechtlichen Verfahrens gezweifelt hätte oder auch nur hätte
zweifeln müssen. Auch aus der im Berufungsurteil erörterten Frage,
ob der Bekl. nach Abschluß des Kaufvertrags seinen Pflichten gegenüber
der Gesellschaft nachgekommen ist oder nicht, lassen sich für die
hier wesentliche Frage eines sittenwidrigen Verhaltens keine Anhaltspunkte
entnehmen, die nunmehr im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs aus §
826 BGB zur Durchbrechung der Rechtskraft des Vollstreckungsbescheids führen
könnten.