Widerrufsfolgen beim
verbraucherschützenden Widerruf (§§ 357, 346 BGB): Keine Abwälzung der
Kosten für den Erstversand auf den Verbraucher; Auslegung der
Fernabsatzrichtlinie (Antwort
auf
BGH v. 1.10.2008 - VIII ZR 268/07)
EuGH, Urteil v. 15.4.2010,
Rs. C-511/08 (Heinrich Heine)
Fundstelle:
NJW 2010, 1941
JuS 2010, 640 (Faust)
Tenor:
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im
Fernabsatz ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung
entgegensteht, nach der der Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen
Vertrag dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware auferlegen darf,
wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
BGH v. 1.10.2008 - VIII ZR 268/07 sowie
BGH NJW 2010, 2651.
©sl 2010
Urteil:
.1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144, S. 19).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der
Handelsgesellschaft Heinrich Heine GmbH (im Folgenden: Handelsgesellschaft
Heinrich Heine) und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V. (im
Folgenden: Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen) über die in
Fernabsatzverträgen im Fall eines Widerrufs vorgesehene Belastung der
Verbraucher mit den Kosten der Zusendung der Ware.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 lautet:
„Mit der Einführung neuer Technologien erhalten die Verbraucher einen immer
besseren Überblick über das Angebot in der ganzen Gemeinschaft und
zahlreiche neue Möglichkeiten, Bestellungen zu tätigen. Einige
Mitgliedstaaten haben bereits unterschiedliche oder abweichende
Verbraucherschutzbestimmungen für den Fernabsatz erlassen, was negative
Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen den Unternehmen im Binnenmarkt zur
Folge hat. Es ist daher geboten, auf Gemeinschaftsebene eine Mindestzahl
gemeinsamer Regeln in diesem Bereich einzuführen.“
4 Der 14. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet:
„Der Verbraucher hat in der Praxis keine Möglichkeit, vor Abschluss des
Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im
Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Daher sollte ein Widerrufsrecht bestehen,
sofern in dieser Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt ist. Damit es sich
um mehr als ein bloß formales Recht handelt, müssen die Kosten, die, wenn
überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen
werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt
werden. Das Widerrufsrecht berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht
vorgesehenen Rechte des Verbrauchers, insbesondere bei Erhalt von
beschädigten Erzeugnissen oder unzulänglichen Dienstleistungen oder
Erzeugnissen und Dienstleistungen, die mit der entsprechenden Beschreibung
in der Aufforderung nicht übereinstimmen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten,
weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des
Widerrufsrechts festzulegen.“
5 Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/7 bestimmt unter der Überschrift
„Vorherige Unterrichtung“:
„Der Verbraucher muss rechtzeitig vor Abschluss eines Vertrags im Fernabsatz
über folgende Informationen verfügen:
…
c) Preis der Ware oder Dienstleistung einschließlich aller Steuern;
d) gegebenenfalls Lieferkosten;
…“
6 Art. 6 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt unter der Überschrift
„Widerrufsrecht“:
„(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb
einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne
Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge
der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die
unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
…
(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so
hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu
erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung
seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren
Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich in
jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen.“
7 Art. 14 („Mindestklauseln“) dieser Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich
mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder
aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher
sicherzustellen. Durch solche Bestimmungen können sie im Interesse der
Allgemeinheit den Vertrieb im Fernabsatz für bestimmte Waren und
Dienstleistungen, insbesondere Arzneimittel, in ihrem Hoheitsgebiet unter
Beachtung des EG-Vertrags verbieten.“
Nationales Recht
8 § 2 des Gesetzes über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und
anderen Verstößen sieht vor:
„(1) Wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von
Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz
der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze), kann im Interesse des
Verbraucherschutzes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Werden die
Zuwiderhandlungen in einem geschäftlichen Betrieb von einem Angestellten
oder einem Beauftragten begangen, so ist der Unterlassungsanspruch auch
gegen den Inhaber des Betriebs begründet.
(2) Verbraucherschutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift sind insbesondere
1. die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die für …
Fernabsatzverträge … zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher gelten
…
…“
9 § 312d Abs. 1 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB)
sieht unter der Überschrift „Widerrufs- und Rückgaberecht bei
Fernabsatzverträgen“ vor:
„Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach §
355 zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über
die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden.“
10 Art. 346 BGB („Wirkungen des Rücktritts“) lautet:
„(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder
steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des
Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen
Nutzungen herauszugeben.
(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu
leisten, soweit
1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten
ausgeschlossen ist,
2. er den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet,
verarbeitet oder umgestaltet hat,
3. der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist;
jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene
Verschlechterung außer Betracht.
Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung des
Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den Gebrauchsvorteil
eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden, dass der Wert des
Gebrauchsvorteils niedriger war.
(3) Die Pflicht zum Wertersatz entfällt,
1. wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der
Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat,
2. soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten
hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre,
3. wenn im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Verschlechterung
oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser
diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten
anzuwenden pflegt.
Eine verbleibende Bereicherung ist herauszugeben.“
11 § 347 Abs. 2 BGB sieht unter der Überschrift „Nutzungen und Verwendungen
nach Rücktritt“ vor:
„Gibt der Schuldner den Gegenstand zurück, leistet er Wertersatz oder ist
seine Wertersatzpflicht gemäß § 346 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 ausgeschlossen, so
sind ihm notwendige Verwendungen zu ersetzen. Andere Aufwendungen sind zu
ersetzen, soweit der Gläubiger durch diese bereichert wird.“
12 § 355 Abs. 1 BGB bestimmt unter der Überschrift „Widerrufsrecht bei
Verbraucherverträgen“:
„Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser
Vorschrift eingeräumt, so ist er an seine auf den Abschluss des Vertrags
gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht
widerrufen hat. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in
Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen
gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die
rechtzeitige Absendung.“
13 § 356 Abs. 1 BGB sieht unter der Überschrift „Rückgaberecht bei
Verbraucherverträgen“ vor:
„Das Widerrufsrecht nach § 355 kann, soweit dies ausdrücklich durch Gesetz
zugelassen ist, beim Vertragsschluss auf Grund eines Verkaufsprospekts im
Vertrag durch ein uneingeschränktes Rückgaberecht ersetzt werden.
Voraussetzung ist, dass
1. im Verkaufsprospekt eine deutlich gestaltete Belehrung über das
Rückgaberecht enthalten ist,
2. der Verbraucher den Verkaufsprospekt in Abwesenheit des Unternehmers
eingehend zur Kenntnis nehmen konnte und
3. dem Verbraucher das Rückgaberecht in Textform eingeräumt wird.“
14 § 357 BGB („Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe“) legt fest:
„(1) Auf das Widerrufs- und das Rückgaberecht finden, soweit nicht ein
anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt
entsprechende Anwendung. § 286 Abs. 3 gilt für die Verpflichtung zur
Erstattung von Zahlungen nach dieser Vorschrift entsprechend; die dort
bestimmte Frist beginnt mit der Widerrufs- oder Rückgabeerklärung des
Verbrauchers. Dabei beginnt die Frist im Hinblick auf eine
Erstattungsverpflichtung des Verbrauchers mit Abgabe dieser Erklärung, im
Hinblick auf eine Erstattungsverpflichtung des Unternehmers mit deren
Zugang.
…
(3) Der Verbraucher hat abweichend von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Wertersatz
für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene
Verschlechterung zu leisten, wenn er spätestens bei Vertragsschluss in
Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist,
sie zu vermeiden. Dies gilt nicht, wenn die Verschlechterung ausschließlich
auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
findet keine Anwendung, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht
ordnungsgemäß belehrt worden ist oder hiervon anderweitig Kenntnis erlangt
hat.
(4) Weitergehende Ansprüche bestehen nicht.“
15 § 448 Abs. 1 BGB sieht unter der Überschrift „Kosten der Übergabe und
vergleichbare Kosten“ vor:
„Der Verkäufer trägt die Kosten der Übergabe der Sache, der Käufer die
Kosten der Abnahme und der Versendung der Sache nach einem anderen Ort als
dem Erfüllungsort.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
16 Die Handelsgesellschaft Heinrich Heine ist eine im Versandhandel tätige
Gesellschaft. Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen sehen vor, dass der
Verbraucher einen pauschalen Versandkostenanteil von 4,95 Euro trägt. Diesen
Betrag hat das Versandunternehmen im Fall eines Widerrufs nicht zu
erstatten.
17 Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, ein Verbraucherverein nach
deutschem Recht, erhob gegen die Handelsgesellschaft Heinrich Heine Klage
auf Unterlassung, den Verbrauchern im Fall des Widerrufs die Kosten der
Zusendung der Waren aufzuerlegen.
18 Das erstinstanzliche Gericht gab dem Antrag der Verbraucherzentrale
Nordrhein-Westfalen statt.
19 Die von der Handelsgesellschaft Heinrich Heine gegen dieses Urteil
eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgericht Karlsruhe zurückgewiesen.
20 Auf die hiergegen eingelegte Revision der Handelsgesellschaft Heinrich
Heine stellte der Bundesgerichtshof fest, dass das deutsche Recht dem
Verbraucher nicht ausdrücklich einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der
Zusendung der bestellten Ware gewähre.
21 Wenn aber die Richtlinie 97/7 dahin auszulegen sei, dass sie der
Belastung des Verbrauchers, der sein Widerrufsrecht ausübe, mit den Kosten
der Zusendung der Waren entgegenstehe, müssten die einschlägigen
Bestimmungen des BGB richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass diese
Kosten dem Verbraucher zu erstatten seien.
22 Nach Meinung des vorlegenden Gerichts lässt sich jedoch nicht mit der
gebotenen Eindeutigkeit feststellen, wie diese Richtlinie, insbesondere ihr
Art. 6 Abs. 1 und 2, auszulegen ist.
23 In diesem Zusammenhang führt der Bundesgerichtshof mehrere Argumente an,
die dafür sprechen könnten, dass die Richtlinie einer Regelung wie der im
Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehe.
24 Erstens könne die Formulierung „infolge der Ausübung seines
Widerrufsrechts“ in der deutschen Fassung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz
2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7 nahelegen, dass diese Bestimmungen
nur die durch den Widerruf verursachten Kosten beträfen, nicht dagegen die
Kosten der Zusendung der Ware, die zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits
angefallen seien. Eine solche Auslegung lasse sich auf andere
Sprachfassungen der Richtlinie, insbesondere die englische und die
französische Fassung, stützen.
25 Zweitens schließe Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 nicht aus,
dass der Unternehmer im Fall des Widerrufs Wertersatz für Leistungen
erhalte, die der Verbraucher in Anspruch genommen habe, ihrer Natur nach
aber nicht zurückgewähren könne. Die Annahme, dass es sich bei der Lieferung
der Ware um eine Leistung handele, für die der Verbraucher dem Unternehmen
den Wertersatz in Höhe der Kosten der Zusendung schulde, und sich dessen
Rückzahlungsverpflichtung daher entsprechend verringere, sei also mit dieser
Vorschrift vereinbar.
26 Drittens sei nicht sicher, dass der vor allem im 14. Erwägungsgrund der
Richtlinie 97/7 zum Ausdruck gebrachte Verbraucherschutzzweck die Erstattung
der Kosten der Zusendung der Ware gebiete. Bei einem gewöhnlichen Kauf trage
nämlich der Verbraucher die Kosten für das Aufsuchen der Geschäftsräume und
müsse zudem die dafür erforderliche Zeit aufwenden.
27 Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das
Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur
Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der
Richtlinie 97/7 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung
entgegenstehen, nach der die Kosten der Zusendung der Waren auch dann dem
Verbraucher auferlegt werden können, wenn er den Vertrag widerrufen hat?
Zur Vorlagefrage
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
28 Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die spanische, die
österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission der
Europäischen Gemeinschaften sind der Auffassung, die Bestimmungen des Art. 6
der Richtlinie 97/7 stünden einer nationalen Regelung entgegen, nach der dem
Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware auferlegt werden könnten, wenn
er sein Widerrufsrecht ausübe.
29 Zunächst sei die Formulierung „die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen“
in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 weit auszulegen, so dass sie
sämtliche finanziellen Leistungen erfasse, die der Verbraucher dem Lieferer
im Rahmen der Durchführung des Vertrags erbracht habe, einschließlich der
Kosten der Zusendung der Waren.
30 Ferner sehe Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie vor, dass dem Verbraucher,
der sein Widerrufsrecht ausübe, nur die unmittelbaren Kosten der Rücksendung
der Waren auferlegt werden könnten. Die übrigen Kosten, insbesondere die
Kosten der Zusendung der Waren, könnten ihm daher nicht in Rechnung gestellt
werden.
31 Um schließlich den Verbraucher vor den Risiken zu schützen, die sich
daraus ergäben, dass er vor Abschluss des Kaufvertrags im Fernabsatz keine
Möglichkeit habe, die Ware zu sehen, seien ihm die Kosten zu erstatten, die
er für eine Nebenleistung des Versandunternehmens, wie die Versendung der
Waren, erbracht habe, an der sein Interesse nach dem Widerruf weggefallen
sei.
32 Nach Auffassung der deutschen Regierung sind dagegen die Bestimmungen des
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin
auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, wonach
die Kosten der Zusendung der Waren dem Verbraucher auch dann auferlegt
werden können, wenn er den Vertrag widerrufen hat.
33 Die deutsche Regierung macht im Wesentlichen geltend, die Richtlinie 97/7
habe zur Frage der Erhebung von Zusendungskosten nach Widerruf des Vertrags
durch den Verbraucher keine Regelung getroffen. Daher gehöre die Erhebung
dieser Kosten zu den „weitere[n] Bedingungen und Einzelheiten für den Fall
der Ausübung des Widerrufsrechts“, deren Festlegung, wie im 14.
Erwägungsgrund dieser Richtlinie vorgesehen, Sache der Mitgliedstaaten sei.
34 Die Erstattung der vom Verbraucher „geleisteten Zahlungen“ im Sinne des
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 dieser Richtlinie betreffe nur die Hauptleistungen, vor
allem den vom Verbraucher gezahlten Preis.
35 Die Richtlinie 97/7 unterscheide zwischen den Kosten, die dem Verbraucher
„infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts“ auferlegt werden könnten, also
den Folgekosten des Widerrufs, und anderen Kosten, die im Zusammenhang mit
dem Abschluss oder der Durchführung des Vertrags anfielen. Art. 6 Abs. 2
Satz 2 der Richtlinie betreffe nur die Folgekosten des Widerrufs, während
die Richtlinie die Regelung der anderen Vertragskosten nicht harmonisiere.
Die Kosten der Zusendung fielen jedoch vor Ausübung des Widerrufsrechts und
unabhängig davon an. Ihre Erhebung bestimme sich daher nach dem
innerstaatlichen Recht des jeweiligen Mitgliedstaats.
36 Zu den Zielen des Art. 6 der Richtlinie 97/7 macht die deutsche Regierung
geltend, diese Bestimmung solle den Nachteil ausgleichen, dass dem
Verbraucher die Möglichkeit fehle, die Ware vor Vertragsschluss zu prüfen.
Dagegen fänden sich in dieser Zielsetzung keine Hinweise für eine
vollständige Umgestaltung des Vertragsverhältnisses.
37 Im Übrigen könne die Tragung der Zusendungskosten durch den Verbraucher
diesen nicht an der Ausübung seines Widerrufsrechts hindern. Zum einen werde
er nämlich vor Vertragsschluss über die Höhe dieser Kosten unterrichtet. Zum
anderen sei die Entscheidung, den Vertrag zu widerrufen, von diesen Kosten
unabhängig, da diese bereits angefallen seien.
Antwort des Gerichtshofs
Vorbemerkungen
38 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 97/7, wie sich ihrem
vierten Erwägungsgrund entnehmen lässt, auf der Ebene der Europäischen Union
eine Mindestzahl gemeinsamer Regeln im Bereich der Vertragsabschlüsse im
Fernabsatz einführen soll.
39 Insbesondere gewährt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie
dem Verbraucher ein Widerrufsrecht, das er innerhalb einer bestimmten Frist
ohne Strafzahlung und ohne Angabe von Gründen ausüben kann.
40 Zu den Rechtsfolgen des Widerrufs sieht Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 der
Richtlinie 97/7 vor, dass „der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten
Zahlungen kostenlos zu erstatten [hat]. Die einzigen Kosten, die dem
Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden
können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.“
41 Aus dem 14. Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt sich jedoch, dass die
Rechtsfolgen des Widerrufs nicht vollständig harmonisiert sind und es daher
Sache der Mitgliedstaaten ist, „weitere Bedingungen und Einzelheiten für den
Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen“.
Zur Auslegung der Wendung „vom Verbraucher geleistete Zahlungen“
42 In der Rechtssache des Ausgangsverfahrens stellt sich die Frage, ob die
Auferlegung der Kosten der Zusendung der Waren im Fall des Widerrufs durch
den Verbraucher unter Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 97/7 fällt oder
vielmehr Sache der Mitgliedstaaten ist.
43 Hierzu ist festzustellen, dass der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1
der Richtlinie 97/7 dem Lieferer im Fall des Widerrufs des Verbrauchers eine
allgemeine Erstattungspflicht auferlegt, die sich auf sämtliche vom
Verbraucher anlässlich des Vertrags geleisteten Zahlungen unabhängig von
deren Grund bezieht.
44 Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung folgt weder aus dem
Wortlaut noch aus der allgemeinen Systematik der Bestimmungen des Art. 6 der
Richtlinie 97/7, dass der Begriff „geleistete Zahlungen“ so auszulegen ist,
dass er nur den vom Verbraucher gezahlten Preis unter Ausschluss der diesem
entstandenen Kosten bezeichnet.
45 Gemäß Art. 4 der Richtlinie 97/7 unterscheidet diese nämlich nur im
Hinblick auf die dem Verbraucher vor Vertragsabschluss vom Lieferer zur
Verfügung zu stellenden Informationen zwischen dem Preis der Ware und den
Lieferkosten. Im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Widerrufs trifft die
Richtlinie dagegen keine derartige Unterscheidung, sondern bezieht sich auf
sämtliche vom Verbraucher an den Lieferer geleisteten Zahlungen.
46 Diese Auslegung wird auch durch die in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der
Richtlinie zur Bezeichnung der „unmittelbaren Kosten der Rücksendung der
Waren“ gebrauchte Wendung „[d]ie einzigen Kosten, die dem Verbraucher …
auferlegt werden können“ bestätigt. Wie der Generalanwalt in Nr. 32 seiner
Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt der Ausdruck „die einzigen Kosten“
eine enge Auslegung und macht diese Ausnahme zur einzigen.
47 Daher erfasst der Ausdruck „geleistete Zahlungen“ in Art. 6 Abs. 2 Satz 1
der Richtlinie 97/7 vorbehaltlich der Auslegung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2
dieser Richtlinie alle vom Verbraucher im Zusammenhang mit dem Vertrag
geleisteten Zahlungen.
Zur Auslegung der Wendung „infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts“
48 Wie vorstehend in Randnr. 35 ausgeführt, macht die deutsche Regierung
auch geltend, die Wendung „infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts“ in
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7
betreffe nicht sämtliche zulasten des Verbrauchers gehenden Kosten, sondern
nur die mit der Ausübung des Widerrufsrechts im Zusammenhang stehenden
Kosten. Daher seien in diesen Bestimmungen nur die durch den Widerruf
verursachten Kosten geregelt.
49 Vorab ist festzustellen, dass der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1
Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7 in bestimmten Sprachfassungen
entweder dahin ausgelegt werden kann, dass er sich nur auf die durch den
Widerruf verursachten Folgekosten bezieht, oder dahin, dass er sämtliche
Kosten im Zusammenhang mit dem Abschluss, der Durchführung oder der
Beendigung des Vertrags erfasst, die im Fall des Widerrufs zulasten des
Verbrauchers gehen können.
50 Selbst wenn die deutsche, die englische und die französische Fassung der
Richtlinie 97/7 die Begriffe „infolge“, „because of“ und „en raison de“
verwenden, enthalten, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge
ausgeführt hat, andere Sprachfassungen der Richtlinie, vor allem die
italienische und die spanische, keine entsprechende Wendung, sondern
beziehen sich einfach auf den Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausübt.
51 Nach ständiger Rechtsprechung darf der Text einer Bestimmung wegen der
Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der Gemeinschaftsrichtlinien im
Zweifelsfall nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss unter
Berücksichtigung der Fassungen in den anderen Amtssprachen ausgelegt werden
(vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. April 1998, EMU Tabac u. a.,
C‑296/95, Slg. 1998, I‑1605, Randnr. 36, vom 17. Juni 1998, Mecklenburg,
C‑321/96, Slg. 1998, I‑3809, Randnr. 29, vom 20. November 2008, Heuschen &
Schrouff Oriëntal Foods Trading, C‑375/07, Slg. 2008, I‑8691, Randnr. 46,
und vom 10. September 2009, Eschig, C‑199/08, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 54). Weichen im Übrigen die
verschiedenen Sprachfassungen eines Unionstextes voneinander ab, muss die
fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der
Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. Urteile vom 9. März
2000, EKW und Wein & Co, C‑437/97, Slg. 2000, I‑1157, Randnr. 42, vom 4.
Oktober 2007, Schutzverband der Spirituosen-Industrie, C‑457/05, Slg. 2007,
I‑8075, Randnr. 18, und vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a., C‑239/07,
Slg. 2008, I‑7523, Randnr. 39).
52 Die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der
Richtlinie 97/7, wonach diese Bestimmungen sämtliche Kosten im Zusammenhang
mit dem Abschluss, der Durchführung oder der Beendigung des Vertrags
erfassen, die im Fall des Widerrufs zulasten des Verbrauchers gehen können,
entspricht der allgemeinen Systematik und dem Zweck dieser Richtlinie.
53 Für diese Auslegung spricht nämlich zum einen die Tatsache, dass im 14.
Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 selbst in den Sprachfassungen, die in
Art. 6 den Ausdruck „infolge“ oder eine ähnliche Formulierung verwenden, die
Kosten genannt werden, die vom Verbraucher „im Fall der Ausübung des
Widerrufsrechts“ getragen werden. Entgegen dem Vorbringen der deutschen
Regierung bezieht sich Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2
dieser Richtlinie daher auf sämtliche im Rahmen des Vertrags angefallenen
Kosten und nicht nur auf die durch den Widerruf verursachten Folgekosten.
54 Zum anderen ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 in
Bezug auf die Zielsetzung von Art. 6, dass mit dem Verbot, dem Verbraucher
im Fall seines Widerrufs die durch den Vertrag entstandenen Kosten
aufzuerlegen, gewährleistet werden soll, dass das in dieser Richtlinie
festgelegte Widerrufsrecht „mehr als ein bloß formales Recht“ ist (vgl. dazu
Urteil vom 3. September 2009, Messner, C‑489/07, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19). Da mit Art. 6 daher eindeutig das Ziel
verfolgt wird, den Verbraucher nicht von der Ausübung seines Widerrufsrechts
abzuhalten, liefe eine Auslegung, nach der es den Mitgliedstaaten erlaubt
wäre, eine Regelung vorzusehen, die dem Verbraucher im Fall eines solchen
Widerrufs die Kosten der Zusendung in Rechnung stellt, diesem Ziel zuwider.
55 Wie bereits dargelegt, gestattet es Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie dem Lieferer nur, dem Verbraucher im Fall
des Widerrufs die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren
aufzuerlegen.
56 Sollten dem Verbraucher auch die Kosten der Zusendung in Rechnung
gestellt werden, liefe eine solche Belastung, die zwangsläufig geeignet ist,
ihn von der Ausübung des Widerrufsrechts abzuhalten, der Zielsetzung von
Art. 6 der Richtlinie zuwider, auf die bereits vorstehend in Randnr. 54
hingewiesen worden ist.
57 Im Übrigen stünde eine solche Belastung einer ausgewogenen
Risikoverteilung bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz entgegen, indem dem
Verbraucher sämtliche im Zusammenhang mit der Beförderung der Waren
stehenden Kosten auferlegt würden.
58 Zudem kann die abschreckende Wirkung, die es auf die Ausübung des
Widerrufsrechts durch den Verbraucher hätte, wenn ihm diese Kosten auferlegt
würden, nicht dadurch beseitigt werden, dass er vor Vertragsschluss über die
Höhe der Zusendungskosten unterrichtet worden ist.
59 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1
Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen ist, dass
er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Lieferer in einem
im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die Kosten der
Zusendung der Ware auferlegen darf, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
60 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz ist dahin
auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der
Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die
Kosten der Zusendung der Ware auferlegen darf, wenn dieser sein
Widerrufsrecht ausübt. |