Widerrufsfolgen bei
Fernabsatzgeschäften: Rückerstattungspflicht der Versandkosten; richtlinienkonforme Auslegung von §§ 357, 346 BGB
BGH, Urteil vom 7. Juli
2010 - VIII ZR 268/07
Fundstelle:
NJW 2010, 2651
Amtl. Leitsatz:
Im Fall des Widerrufs eines
Fernabsatzvertrages sind die Kosten der Hinsendung der Ware vom Unternehmer
zu tragen.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu BGH
NJW 2009, 66 sowie
EuGH, Urteil v. 15.4.2010, Rs. C-511/08
(Heinrich Heine).
©sl 2010
Tatbestand:
1 Der Kläger ist ein Verbraucherverband, der in die gemäß § 4
des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) beim Bundesverwaltungsamt geführte
Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen ist. Die Beklagte betreibt
ein Versandhandelsunternehmen. Sie stellt ihren Kunden für die Zusendung der
Ware einen Versandkostenanteil von pauschal 4,95 € in Rechnung. Mit der
Klage erstrebt der Kläger die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen,
im Geschäftsverkehr künftig Verbrauchern bei Fernabsatzgeschäften nach
Ausübung des Widerrufs- beziehungsweise Rückgaberechts (§§ 355, 356 BGB) die
Kosten für die Hinsendung der Ware (Versandkostenpauschale) in Rechnung zu
stellen oder im Falle der bereits erfolgten Zahlung diese Kosten nicht zu
erstatten.
2 Das Landgericht (LG Karlsruhe, MMR 2006, 245) hat der Klage stattgegeben.
Das Oberlandesgericht (OLG Karlsruhe, WM 2008, 419 = MMR 2008, 46) hat die
Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag
weiter.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
5 Der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei begründet.
Indem sie Versandkosten für die Hinsendung der Ware erhebe, handele die
Beklagte verbraucherschützenden Vorschriften im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1
UKlaG zuwider. Denn aus § 312d Abs. 1 Satz 2, § 356 Abs. 1, § 357 Abs. 1
Satz 1, § 346 BGB ergebe sich bei richtlinienkonformer Auslegung ein
Anspruch des Verbrauchers auf Rückerstattung verauslagter Hinsendekosten.
6 Die Kosten der Zusendung im Fall des Widerrufs seien im deutschen
bürgerlichen Recht im Gegensatz zu den Kosten der Rücksendung nicht
ausdrücklich geregelt. Insbesondere seien die Versandkosten nicht Teil der
in § 346 Abs. 1 BGB normierten Rückgewährpflicht. Auch über den
Verwendungsersatzanspruch des § 347 Abs. 2 Satz 2 BGB sei eine Erstattung
nicht möglich.
7 Die Richtlinie 97/7/EG vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei
Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatzrichtlinie)
gebiete jedoch, den Verbraucher bei einem Fernabsatzgeschäft im Falle der
Ausübung des Widerrufs-/Rückgaberechts (§§ 355, 356 BGB) von den Kosten der
Zusendung freizustellen. Über den Umfang der vom Verbraucher zu tragenden
Kosten äußere sich die Fernabsatzrichtlinie in Art. 6 Abs. 1 und 2 sowie in
den Erwägungsgründen. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Fernabsatzrichtlinie normiere ein
umfassendes und freies Widerrufsrecht des Verbrauchers bei
Fernabsatzverträgen. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie führe aus, dass die
einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines
Widerrufsrechts auferlegt werden könnten, die unmittelbaren Kosten der
Rücksendung der Waren seien. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Fernabsatzrichtlinie gebe
dem Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausgeübt habe, einen Anspruch auf
kostenlose Erstattung der geleisteten Zahlungen. Satz 2 wiederhole die
Regelung von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Fernabsatzrichtlinie. Die ausdrückliche
Erwähnung der Rücksendekosten als einzige vom Verbraucher zu tragende Kosten
sowie die uneingeschränkte Rückerstattungspflicht der geleisteten Zahlungen
belegten ihrem Wortlaut nach eindeutig, dass die Kosten für den Versand der
Ware zum Verbraucher im Umkehrschluss vom Lieferer zu tragen seien oder von
ihm zurückerstattet werden müssten, wenn der Verbraucher von seinem
Widerrufs- oder Rückgaberecht Gebrauch mache.
II.
8 Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand, so dass die
Revision zurückzuweisen ist. Der von der Klägerin geltend gemachte
Unterlassungsanspruch ist begründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht
angenommen, dass die Beklagte verbraucherschützenden Vorschriften
zuwiderhandelt, indem sie Kosten für die Zusendung der Ware auch im Falle
des Widerrufs eines Fernabsatzgeschäftes oder der Rückgabe der Waren durch
den Verbraucher erhebt. § 312d Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 357 Abs. 1
Satz 1 und § 346 Abs. 1 BGB ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass
vom Verbraucher an den Verkäufer gezahlte Zusendekosten nach dem Widerruf
eines Fernabsatzgeschäftes zurückzugewähren sind.
9 1. Im deutschen Recht ist allerdings bei der Rückabwicklung eines
Kaufvertrages ein Anspruch des Käufers auf Erstattung geleisteter
Hinsendekosten nicht ausdrücklich vorgesehen. Von der Rückgewährpflicht des
§ 346 Abs. 1 BGB werden die Kosten der Hinsendung grundsätzlich nicht
erfasst, denn es handelt sich um Vertragskosten, die als Schadensposition
nicht im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufvertrages, sondern nur aufgrund
eines Schadensersatz- oder Aufwendungsersatzanspruchs ausgeglichen werden
können (Vorlagebeschluss
des Senats vom 1. Oktober 2008, NJW 2009, 66, Tz. 9
m.w.N.).
10 a) In der Literatur ist streitig, ob für den Fall des Widerrufs eines
Fernabsatzvertrages im Hinblick auf die Bestimmungen der
Fernabsatzrichtlinie etwas anderes gilt und aufgrund einer
richtlinienkonformen Auslegung des deutschen nationalen Rechts die Kosten
der Hinsendung von dem Unternehmer zu tragen sind (so Erman/Saenger, BGB,
12. Aufl., § 357 Rdnr. 2; Braun, ZGS 2008, 129, 132 f.; Brönneke, MMR 2004,
127, 129; Eichelberger, VuR 2008, 167, 168 f.; Hansen, ZGS 2006, 14, 18;
Jansen/Latta, JuS 2007, 550, 553 f.; Junker in: ju-risPK-BGB, 4. Aufl., §
312f BGB Rdnr. 33 f.; Kaestner/Tews, WRP 2005, 1335, 1339 f.; Kazemi, MMR
2006, 246; Würdinger/Ringshandl, MMR 2008, 49, 50; aA Pfeiffer, ZGS 2008,
48, 50 ff.; Wenn, juris PR-ITR 13/2007, Anm. C 4).
11 b) Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (jetzt:
Gerichtshof der Europäischen Union) mit Beschluss vom 1. Oktober 2008
folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie
97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz dahin auszulegen,
dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Kosten der
Zusendung der Waren auch dann dem Verbraucher auferlegt werden können, wenn
er den Vertrag widerrufen hat?"
12 Der Gerichtshof hat die Frage mit
Urteil vom 15. April 2010 (Rs. C-511/08, NJW 2010, 1941 -
Handelsgesellschaft Heinrich Heine GmbH/Verbraucherzentrale
Nordrhein-Westfalen e.V.) wie folgt beantwortet:
"Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz ist dahin
auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der
Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die
Kosten der Zusendung der Ware auferlegen darf, wenn dieser sein
Widerrufsrecht ausübt."
13 Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt (aaO, Rdnr.
52-58):
"Die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der
Richtlinie 97/7, wonach diese Bestimmungen sämtliche Kosten im Zusammenhang
mit dem Abschluss, der Durchführung oder der Beendigung des Vertrags
erfassen, die im Fall des Widerrufs zulasten des Verbrauchers gehen können,
entspricht der allgemeinen Systematik und dem Zweck dieser Richtlinie.
Für diese Auslegung spricht nämlich zum einen die Tatsache, dass im 14.
Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 selbst in den Sprachfassungen, die in
Art. 6 den Ausdruck "infolge" oder eine ähnliche Formulierung verwenden, die
Kosten genannt werden, die vom Verbraucher "im Fall der Ausübung des
Widerrufsrechts" getragen werden. Entgegen dem Vorbringen der deutschen
Regierung bezieht sich Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2
dieser Richtlinie daher auf sämtliche im Rahmen des Vertrags angefallenen
Kosten und nicht nur auf die durch den Widerruf verursachten Folgekosten.
Zum anderen ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 in
Bezug auf die Zielsetzung von Art. 6, dass mit dem Verbot, dem Verbraucher
im Fall seines Widerrufs die durch den Vertrag entstandenen Kosten
aufzuerlegen, gewährleistet werden soll, dass das in dieser Richtlinie
festgelegte Widerrufsrecht "mehr als ein bloß formales Recht" ist (vgl. dazu
Urteil vom 3. September 2009, Messner, C-489/07, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19). Da mit Art. 6 daher eindeutig das Ziel
verfolgt wird, den Verbraucher nicht von der Ausübung seines Widerrufsrechts
abzuhalten, liefe eine Auslegung, nach der es den Mitgliedstaaten erlaubt
wäre, eine Regelung vorzusehen, die dem Verbraucher im Fall eines solchen
Widerrufs die Kosten der Zusendung in Rechnung stellt, diesem Ziel zuwider.
Wie bereits dargelegt, gestattet es Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie dem Lieferer nur, dem Verbraucher im Fall
des Widerrufs die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren
aufzuerlegen.
Sollten dem Verbraucher auch die Kosten der Zusendung in Rechnung gestellt
werden, liefe eine solche Belastung, die zwangsläufig geeignet ist, ihn von
der Ausübung des Widerrufsrechts abzuhalten, der Zielsetzung von Art. 6 der
Richtlinie zuwider, auf die bereits vorstehend in Randnr. 54 hingewiesen
worden ist.
Im Übrigen stünde eine solche Belastung einer ausgewogenen Risikoverteilung
bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz entgegen, indem dem Verbraucher
sämtliche im Zusammenhang mit der Beförderung der Waren stehenden Kosten
auferlegt würden.
Zudem kann die abschreckende Wirkung, die es auf die Ausübung des
Widerrufsrechts durch den Verbraucher hätte, wenn ihm diese Kosten auferlegt
würden, nicht dadurch beseitigt werden, dass er vor Vertragsschluss über die
Höhe der Zusendungskosten unterrichtet worden ist."
14 Da dem Verbraucher mithin nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs.
2 der Richtlinie im Falle des Widerrufs eines Fernabsatzvertrages die
Hinsendekosten der Ware nicht auferlegt werden dürfen, sind § 346 Abs. 1
BGB in Verbindung mit §§ 312d, 355 BGB - richtlinienkonform - dahin
auszulegen, dass dem Verbraucher nach dem Widerruf eines Fernabsatzvertrages
ein Anspruch auf Rückgewähr geleisteter Hinsendekosten zusteht.
Dementsprechend ist es der Beklagten verwehrt, in ihren Allgemeinen
Geschäftsbedingungen Verbrauchern die Kosten für die Hinsendung der von ihr
vertriebenen Waren auch dann aufzuerlegen, wenn diese von ihrem Widerrufs-
oder Rückgaberecht nach §§ 355, 356 BGB Gebrauch machen. |