IZPR: Gerichtsstand des
Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 b EuGVO beim Versendungskauf; Verhältnis
von Leistungs- und Feststellungsklage; Prioritätsprinzip nach Art. 27 EuGVO;
IPR/Einheitsrecht: Anwendbarkeit des CISG, externe Lücke: Aufrechnung
BGH, Urteil vom 23. Juni
2010 - VIII ZR 135/08
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Bei einem grenzüberschreitenden
Versendungskauf ist für die Bestimmung des Erfüllungsortes im Sinne von Art.
5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich
EuGVVO an den Ort anzuknüpfen, an dem die mit dem Kaufvertrag
erstrebte Übertragung der Sachen vom Verkäufer an den Käufer durch deren
Ankunft an ihrem endgültigen Bestimmungsort vollständig abgeschlossen ist
und der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Waren erlangt hat
oder hätte erlangen müssen (Anschluss an EuGH, NJW 2010, 1059).
b) Ein nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich
EuGVVO bestehender besonderer
Gerichtsstand des Erfüllungsortes erfasst sämtliche Klagen aus ein und
demselben Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen und nicht nur
diejenige aus der Lieferverpflichtung an sich. Das gilt ungeachtet der
jeweils gewählten Klageart oder Rechtsschutzform.
Zentrale Probleme:
Eine sehr lehrreiche Entscheidung zur Internationalen
Erfüllungsortzuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1
EuGVVO. Im Mittelpunkt steht die autonome Bestimmung des Erfüllungsortes
ohne Rückgriff auf das auf den Vertrag anwendbare Recht (lex causae). Da das
hier anwendbare CISG keine Regelung der Aufrechnung enthält, war nach Art. 4
CISG auf das nach IPR zu ermittelnde Vertragsstatut zurückzugreifen (sog.
externe Lücke im Gegensatz zur "internen" Lücke i.S.v. Art. 7 II CISG, bei
welcher das Vertragsstatut nur subsidiär herangezogen wird. Das war hier aus
intertemporalen Gründen nach den intertemporal noch anwendbaren Art. 32 Abs.
1 Nr. 4, Art. 28 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EGBGB italienisches Recht. Gleiches
ergäbe sich aus Art. 4 I lit. a i.V.m. Art. 17 der
Rom I-VO. S. dazu auch
BGH v. 14.5.2014 - VIII ZR 266/13.
S. zur Gesamtproblematik auch Rauscher NJW 2010, 2251 ff.
S. auch EuGH Rs. C-87/10, NJW 2011, 3018 (Electrosteel).
©sl 2010
Tatbestand:
1 Der in Deutschland ansässige Kläger war für die in Italien
ansässige Beklagte, die Holzwaren nach Deutschland importiert, in
langjähriger Geschäftsbeziehung als Handelsvertreter tätig. Dieses
Handelsvertreterverhältnis kündigte er aus Altersgründen zum 31. August
2006. Daneben bezog er auf eigene Rechnung von der Beklagten Holzwaren. Aus
diesen Lieferungen sind noch zwei Kaufpreisforderungen in Höhe von
unstreitig insgesamt 43.141,42 € für Waren offen, welche die Beklagte auf
der Grundlage der dabei verwendeten Klausel "Resa: Franco Partenza" aus
Italien an den Geschäftssitz des Klägers in Deutschland versandt hatte.
Insoweit hat die Beklagte nach Rechtshängigkeit der vorliegenden Klage
ihrerseits gegen den Kläger bei dem für ihren Sitz zuständigen italienischen
Gericht Klage auf Zahlung erhoben.
2 Der Kläger hält die Kaufpreisforderungen aufgrund einer von ihm erklärten
Aufrechnung mit Gegenforderungen in Höhe von insgesamt 49.007,11 € für
erloschen. Diese Gegenforderungen leitet er aus offenen
Handelsvertreterprovisionen, einem von ihm beanspruchten
Handelsvertreterausgleich sowie einer von ihm ferner beanspruchten Vergütung
für weitere in Deutschland erbrachte Dienstleistungen her. Der von ihm
hierauf gestützten negativen Feststellungsklage, dass er der Beklagten aus
den beiden Warenlieferungen nichts mehr schulde, ist die Beklagte in beiden
Rechtszügen in erster Linie mit der Rüge der fehlenden örtlichen und
internationalen Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen Landgerichts
München I entgegengetreten; hilfsweise hat sie sich gegen den Bestand der
zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen sowie die Zulässigkeit einer
Aufrechnung gewandt.
3 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf
die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die
Klage (als unzulässig) abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat Erfolg.
I.
5 Das Berufungsgericht (OLG München, IPRax 2009, 69) hat, soweit für das
Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt:
6 Zur Entscheidung über die erhobene Klage sei entgegen der Auffassung des
Landgerichts eine internationale Zuständigkeit des angerufenen deutschen
Gerichts nicht gegeben. Eine vertragliche Regelung zum Erfüllungsort hätten
die Parteien nicht getroffen. Die Klausel "Resa: Franco Partenza", was mit
"Lieferung frei Absendung" zu übersetzen sei, betreffe nur die Frage der
Frachtkosten, enthalte jedoch keine Regelung zum Erfüllungsort. Soweit der
Kläger erstmals im Berufungsrechtszug die Vereinbarung einer Bringschuld
beziehungsweise die Bestellung auf der Grundlage einer Ankunftsklausel
behauptet habe, sei dieser Vortrag wegen Verspätung nicht zu berücksichtigen
und widerspreche im Übrigen auch den vorgelegten Transportdokumenten, welche
die Vereinbarung eines Erfüllungsortes widerlegten. Keinen Einfluss auf den
Erfüllungsort des den Gegenstand der Feststellungsklage bildenden
Kaufpreisanspruchs habe weiter der Umstand, dass es dem Kläger im Ergebnis
um eine Durchsetzung seiner zur Aufrechnung gestellten eigenen
Gegenforderungen gehe. Ebenso wenig ergebe sich ein inländischer
Erfüllungsort aus Art. 6 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom
22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG
Nr. L 12 S. 1 - EuGVVO), da diese
Vorschrift keine Anwendung finde, wenn eine Forderung als bloßes
Verteidigungsmittel in das Verfahren eingeführt werde.
7 Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich entgegen
der Auffassung des Landgerichts auch nicht aus der
Erfüllungsortzuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. b
EuGVVO. Im Sinne dieser Bestimmung sei
als Ort, an dem nach dem Vertrag geliefert worden ist, der Ort der Übergabe
an das (selbständige) Transportunternehmen und damit der Absendeort zu
verstehen. Zwar ließen die Textfassungen einzelner Amtssprachen auch eine
Auslegung zu, nach der eine Zuständigkeitsanknüpfung an den Ort der Ankunft
der Ware bei dem Käufer möglich sei. Insgesamt spreche ein Fassungsvergleich
aber deutlich für eine Anknüpfung an den Ort der Absendung. Dieses
Auslegungsergebnis sei deshalb aus Gründen der Rechtsklarheit vorzugswürdig,
zumal dem für eine Anknüpfung an den Ankunftsort angeführten Argument der
Sach- und Beweisnähe längst nicht in allen Fällen eine hinreichende
Bedeutung zukomme.
II.
8 Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit
der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Zulässigkeit der
Klage nicht verneint werden.
9 1. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht von einem Fehlen der
internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die auch unter der
Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in jedem Verfahrensabschnitt von Amts wegen zu
prüfen ist (BGHZ 153, 82, 84 ff.; Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 -
VIII ZR 119/08, NZM 2010, 251, Tz. 8 m.w.N.), ausgegangen.
10 Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte beurteilt sich,
da die Parteien ihren Sitz jeweils im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates
haben und die in Italien ansässige Beklagte abweichend von Art. 2
EuGVVO vor den Gerichten eines anderen
Mitgliedsstaates, nämlich in Deutschland, verklagt wird, gemäß Art. 1
Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 60 Abs. 1
EuGVVO nach Maßgabe der Art. 5 bis 24
EuGVVO. Die Beklagte hat das Fehlen
einer internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte in beiden Rechtszügen
von Anfang an gerügt und in zulässiger Weise lediglich vorsorglich für den
Fall, dass das angerufene deutsche Gericht den Gerichtsstaat nach dem
maßgeblichen Zuständigkeitsrecht für international zuständig halten sollte,
auch Ausführungen zur Hauptsache gemacht, so dass es an einer
zuständigkeitsbegründenden Einlassung auf das Verfahren im Sinne von Art. 23
EuGVVO fehlt (vgl. Geimer/Schütze/Geimer,
Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., A. 1 Art. 24 Rdnr. 46 m.w.N.).
Jedoch ist eine Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Maßgabe von Art. 5
Nr. 1 Buchst. a und b EuGVVO
gegeben, weil der Erfüllungsort für die den Streitgegenstand bildende
Verpflichtung des Klägers zur Kaufpreiszahlung entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts am Sitz des Klägers in Deutschland anzusiedeln ist.
11 a) Nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. a
EuGVVO kann eine Person, die ihren (Wohn-)Sitz (Art. 59 f.
EuGVVO) im Hoheitsgebiet eines
Mitgliedsstaates hat, vor dem Gericht desjenigen Ortes, an dem die
Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, verklagt werden,
wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des
Verfahrens bilden. Für den Verkauf beweglicher Sachen wird diese Bestimmung
in Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich
EuGVVO dahin ergänzt, dass im Sinne
dieser Vorschrift und sofern nichts anderes vereinbart worden ist, der
Erfüllungsort der Verpflichtung der Ort in einem Mitgliedsstaat ist, an dem
die Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert
werden müssen.
12 aa) In der Rechtsprechung und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist
für den Verkauf beweglicher Sachen umstritten, an welchen Ort bei Fehlen
einer bestimmten Vereinbarung der Vertragsparteien im Falle einer Versendung
der Sachen für die Zuständigkeitsbestimmung anzuknüpfen ist. Teilweise wird
angenommen, dies bestimme sich nach dem zugrunde liegenden materiellen
Recht, hier vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelungen nach Art. 31
Buchst. a des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den
internationalen Warenkauf vom 5. Juli 1989 (BGBl. II S. 588 - CISG), der
gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. a CISG auf die Vertragsbeziehungen Anwendung
findet und wonach die Lieferpflicht des Verkäufers darin besteht, die Ware
dem ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer zu übergeben. Nach
anderer Auffassung hat die Bestimmung nach rein tatsächlichen Kriterien ohne
Rückgriff auf die jeweils zur Anwendung kommenden materiell-rechtlichen
Regelungen autonom zu erfolgen, hier nach dem Ort, an dem der Käufer die
Ware als vertragsgemäße Lieferung tatsächlich abnimmt (zum Meinungsstand
Senatsbeschluss vom 9. Juli 2008 - VIII ZR 184/07, IHR 2008, 189, Tz. 18
ff.).
13 bb) Auf Vorlagebeschluss des Senats vom 9. Juli 2008 (aaO) hat der
Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 25. Februar 2010 (Rs.
C-381/08, NJW 2010, 1059 - Car Trim GmbH / KeySafety Systems Srl) die Frage
wie folgt beantwortet:
"Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr.
44/2001 ist dahin auszulegen, dass bei Versendungskäufen der Ort, an dem die
beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten
geliefert werden müssen, auf der Grundlage der Bestimmungen dieses Vertrags
zu bestimmen sind. Lässt sich der Lieferort auf dieser Grundlage ohne
Bezugnahme auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht nicht
bestimmen, ist dieser Ort derjenige der körperlichen Übergabe der Waren,
durch die der Käufer am endgültigen Bestimmungsort des Verkaufsvorgangs die
tatsächliche Verfügungsgewalt über die Waren erlangt hat oder hätte erlangen
müssen."
14 Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausführt, dass sich
bei einem Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen der in der Verordnung
autonom definierte Lieferort der Waren in erster Linie nach dem Willen der
Vertragsparteien bestimme, so dass zunächst zu prüfen sei, ob der Lieferort
aus den Vertragsbestimmungen hervorgehe. Könne so der Lieferort ermittelt
werden, ohne auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht Bezug zu
nehmen, sei dieser Ort als der Ort anzusehen, an dem im Sinne von Art. 5 Nr.
1 Buchst. b erster Gedankenstrich EuGVVO
geliefert worden sei oder hätte geliefert werden müssen (Rdnr. 55 f).
Enthalte der Vertrag dagegen keine Bestimmungen, die den Willen der
Parteien hinsichtlich des Lieferortes der Waren ohne Rückgriff auf das
anwendbare materielle Recht erkennen ließen, sei nach Entstehungsgeschichte
und Systematik der Verordnung der Lieferort nicht dort anzusiedeln, wo die
Waren an den ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer übergeben
werden, sondern am endgültigen Bestimmungsort, an dem die Ware dem Käufer
körperlich übergeben worden sei oder hätte übergeben werden müssen (Rdnr. 59
f.).
15 b) Hiernach hätte das Berufungsgericht eine internationale Zuständigkeit
des angerufenen deutschen Gerichts zur Entscheidung über die vom Kläger
erhobene negative Feststellungsklage nicht verneinen dürfen.
16 aa) Allerdings hat das Berufungsgericht in der zwischen den Parteien
verwendeten Lieferklausel "Resa: Franco Partenza" ohne Rechtsfehler keine
Vereinbarung eines Erfüllungsortes, sondern nur eine Regelung zur
Kostentragung gesehen. Diese Auslegung ist möglich (vgl. BGHZ 134, 201, 206
ff.). Sie wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Ebenso wenig
beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht eine abweichende
Liefervereinbarung insbesondere aufgrund der vorgelegten Transportdokumente
für widerlegt erachtet hat.
17 bb) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht ferner davon abgesehen, die
zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen aus dem
Handelsvertreterverhältnis der Parteien unter Anwendung des Art. 6 Nr. 3
EuGVVO zur Bestimmung des Erfüllungsortes heranzuziehen. Denn Gegenstand des
Rechtsstreits sind allein die Kaufpreisforderungen der Beklagten, deren
Fortbestand der Kläger verneint (vgl. Senatsurteil vom 4. Dezember 1991 -
VIII ZR 32/91, WM 1992, 627, unter II 2 a). Demgegenüber stellt die
Aufrechnung mit den erhobenen Gegenforderungen lediglich ein
Verteidigungsmittel dar, auf das Art. 6 Nr. 3 EuGVVO keine Anwendung findet
(EuGH, Urteil vom 13. Juli 1995 - Rs. C-341/93, WM 1995, 2161, Rdnr. 12
ff. - Danvaern Production A/S / Schuhfabriken Otterbeck GmbH & Co.) und das
auch sonst nicht geeignet ist, eine Erfüllungsortzuständigkeit für die den
Streitgegenstand bildenden Kaufpreisforderungen zu begründen.
18 cc) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht dagegen, soweit es
für eine Bestimmung des Erfüllungsortes im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b
erster Spiegelstrich EuGVVO auf den Absendeort als den Übergabeort an den
Beförderer abgestellt hat.
19 (1) Allerdings hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass eine
dem Erfüllungsort folgende Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO
auch die Verpflichtung des Klägers zur Kaufpreiszahlung (Art. 53 CISG)
selbst dann erfasst, wenn diese nach Art. 57 Abs. 1 Buchst. b CISG am Ort
der italienischen Niederlassung der Beklagten zu leisten ist. Denn der
nach dieser Vorschrift bestehende besondere Gerichtsstand erfasst sämtliche
Klagen aus ein und demselben Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen und
nicht nur diejenige aus der Lieferverpflichtung an sich (EuGH, Urteil
vom 25. Februar 2010, aaO, Rdnr. 50 m.w.N.). Das gilt ungeachtet der
jeweils gewählten Klageart oder Rechtsschutzform, also nicht nur für
Leistungsklagen, sondern auch für Klagen auf Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens eines durch den Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses im
Ganzen oder einer bestimmten Vertragspflicht, hier eines Fortbestandes der
Pflicht zur Kaufpreiszahlung (OLG München, RIW 1996, 1035; MünchKommZPO/Gottwald,
3. Aufl., Art. 5 EuGVO Rdnr. 9; Dauses/Kreuzer/Wagner, Handbuch des
EU-Wirtschaftsrechts (2010), Rdnr. Q 433; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl. Anh.
I Art. 5 EuGVVO Rdnr. 15; Geimer/Schütze/Geimer, aaO, A. 1 Art. 5 Rdnr. 55
ff. m.w.N.).
20 (2) Für die Bestimmung des Ortes in einem Mitgliedsstaat, an dem die
verkauften beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder
hätten geliefert werden müssen, ist ohne Rückgriff auf das hier nach Art. 31
Buchst. b CISG zum italienischen Sitz der Beklagten weisende materielle
Recht für den autonom zu bestimmenden Begriff des Lieferortes im Sinne von
Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO nach der
Entstehungsgeschichte, den Zielen und der Systematik der Verordnung aus
Gründen seiner Vorhersehbarkeit und der räumlichen Sachnähe zu dem zur
Entscheidung berufenen Gericht an den Ort anzuknüpfen, an dem die mit dem
Kaufvertrag erstrebte Übertragung der Sachen vom Verkäufer an den Käufer
durch deren Ankunft an ihrem endgültigen Bestimmungsort vollständig
abgeschlossen ist und der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die
Waren erlangt hat oder hätte erlangen müssen (EuGH, Urteil vom 25.
Februar 2010, aaO, Rdnr. 60 ff.). Das war nach den insoweit unter Bezugnahme
auf die jeweiligen Transportdokumente getroffenen Feststellungen des
Berufungsgerichts der Sitz des Klägers in Deutschland.
21 2. Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus einem
anderen Grunde als richtig dar. Zwar entfällt das Feststellungsinteresse für
eine negative Feststellungsklage im Regelfall, wenn eine auf die
Durchsetzung desselben Anspruchs gerichtete Leistungsklage erhoben wird und
diese einseitig - durch den Anspruchsteller - nicht mehr zurückgenommen
werden kann (BGHZ 134, 201, 208 f.; 165, 301, 309; jeweils m.w.N.). Es
kann dahin stehen, ob diese Voraussetzungen nach dem insoweit maßgeblichen
italienischen Prozessrecht für die Zahlungsklage gegeben sind, welche die
Beklagte wegen der im Streit stehenden Kaufpreisforderungen nach
Rechtshängigkeit in dieser Sache ihrerseits vor dem für ihren Sitz
zuständigen italienischen Gericht gegen den Kläger erhoben hat. Denn ein
Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung besteht trotz dieser
Zahlungsklage schon deshalb fort, weil er nicht davon ausgehen kann, dass
über das Bestehen der Kaufpreisansprüche der Beklagten im Rahmen des in
Italien anhängigen Verfahrens entschieden wird.
22 Nach Art. 27 EuGVVO hat das später angerufene Gericht, vorliegend das
Gericht in Italien, das bei ihm anhängige Verfahren von Amts wegen
auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen deutschen Gerichts
feststeht, und sich für unzuständig zu erklären, sobald diese Zuständigkeit
feststeht. Da der hier normierte Grundsatz der zeitlichen Priorität auch
dann eingreift, wenn einerseits eine negative Feststellungsklage und
andererseits eine Leistungsklage erhoben worden sind, würde das
Rechtsschutzinteresse des Klägers für seine negative Feststellungsklage
deshalb selbst dann nicht entfallen, wenn die Beklagte ihre Zahlungsklage
nicht mehr einseitig zurücknehmen könnte. Denn das mit der Zahlungsklage
befasste italienische Gericht ist bei der von ihm zu erwartenden Befolgung
des Art. 27 EuGVVO nicht in der Lage, eine für einen Vorrang der
Leistungsklage erforderliche Sachentscheidung zu treffen (so schon zum
gleichlautenden Art. 21 EuGVÜ BGHZ 134, 201, 209 ff.; Senatsurteil vom 6.
Februar 2002 - VIII ZR 106/01, WM 2002, 1725, unter II 1; jeweils m.w.N.).
III.
23 Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben;
es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache
nicht selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht - vor dem Hintergrund
der von ihm vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen
zum Bestand der vom Kläger zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen sowie
zu den Voraussetzungen einer Aufrechnung getroffen hat. Die Sache ist daher
zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
24 Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das
Berufungsgericht, dessen internationale Zuständigkeit zur Entscheidung über
die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen sich vorliegend jedenfalls
aus Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich EuGVVO ergeben dürfte
(vgl. EuGH, Urteil vom 11. März 2010 - Rs. C-19/09, NJW 2010, 1189, Rdnr. 33
ff. - Wood Floor Solutions Andreas Domberger GmbH / Silva Trade SA; Geimer/Schütze/Geimer,
aaO, A. 1 Art. 5 Rdnr. 90 m.w.N.), auch zu prüfen haben wird, ob die
Voraussetzungen, das Zustandekommen und die Wirkungen der Aufrechnung im
Gegensatz zu der von ihm in der Berufungsverhandlung gebilligten Sichtweise
des Landgerichts, das die Aufrechnung ersichtlich nach deutschem Recht als
der lex fori beurteilt hatte, nicht stattdessen nach unvereinheitlichtem
italienischem Recht zu beurteilen sein werden. Denn die Aufrechnung
unterliegt nach dem hier noch anwendbaren Art. 32 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB (vgl.
Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des internationalen
Privatrechts an die Verordnung [EG] Nr. 593/2008 vom 25. Juni 2009 [BGBl. I
S. 1574]) der für die Hauptforderung maßgeblichen Rechtsordnung; das
Vertragsstatut der Hauptforderung entscheidet deshalb auch über die
Voraussetzungen, das Zustandekommen und die Wirkungen der Aufrechnung (BGHZ
38, 254, 256; BGH, Urteil vom 25. November 1993 - IX ZR 32/93, WM 1994, 394
unter B V 2, insoweit in BGHZ 124, 237 nicht abgedruckt; MünchKommBGB/Spellenberg,
4. Aufl., Art. 32 EGBGB Rdnr. 65; Erman/Hohloch, BGB, 12. Aufl., Art. 32
EGBGB Rdnr. 13; jeweils m.w.N.). Da jedoch das auf die Hauptforderungen
anwendbare Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den
internationalen Warenkauf jedenfalls nicht die Aufrechenbarkeit solcher
Ansprüche regelt, die sich - wie hier - nicht lediglich aus einem dem
Übereinkommen unterliegenden Vertragsverhältnis ergeben, bestimmt sich das
zur Beurteilung der Aufrechnung berufene Recht vorliegend gemäß Art. 32 Abs.
1 Nr. 4, Art. 28 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EGBGB nach dem gemäß Art. 4 Satz 1 CISG
sonst zur Anwendung kommenden unvereinheitlichten italienischen Recht
(vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Kommentar zum Einheitlichen
UN-Kaufrecht, 5. Aufl., Art. 4 Rdnr. 39; Staudinger/Magnus, BGB (2005), Art.
4 CISG Rdnr. 46; jeweils m.w.N.). |