Subjektiver und objektiver Fehlerbegriff im
Mietrecht - Anforderungen an eine (konkludente) Beschaffenheitsvereinbarung
("ruhige Lage")
BGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 -
VIII ZR 152/12
Fundstelle:
NJW 2013, 680
Amtl. Leitsatz:
a) Zu den Voraussetzungen einer konkludenten
Beschaffenheitsvereinbarung in Bezug auf die Mietsache (im Anschluss an BGH,
Urteil vom 23. September 2009 - VIII ZR 300/08, NJW 2010, 1133).
b) Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, bestimmt sich der zum
vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand der Mietsache nach der
Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks
und des Grundsatzes von Treu und Glauben.
c) Eine vorübergehende erhöhte Verkehrslärmbelastung aufgrund von
Straßenbauarbeiten stellt unabhängig von ihrer zeitlichen Dauer jedenfalls
dann, wenn sie sich innerhalb der in Innenstadtlagen üblichen Grenzen hält,
keinen zur Minderung berechtigenden Mangel der vermieteten Wohnung dar.
Zentrale Probleme:
Es geht um den Fehlerbegriff im Mietrecht (§ 535 I S.
2 BGB). Kernaussage: Aus der bloßen Tatsache, dass der Mieter bestimmte
günstige Eigenschaften der Mietsache bei Vertragsschluss zur Kenntnis nimmt
(hier: ruhige Verkehrslage), ergibt sich nicht ohne weiteres eine
entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung, s. dazu bereits
BGH NJW 2010, 1133 sowie
BGH v. 29.4.2015 - VIII ZR
197/14.
©sl 2013
Tatbestand:
1 Die Beklagten sind seit dem Jahr
2004 Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Das Mietshaus befindet
sich in der S. , die zu Mietbeginn keine unmittelbare Verbindung mit der
davor liegenden P. S. hatte. Von Juni 2009 bis November 2010 wurde der
stadteinwärts fahrende Verkehr, den bis dahin die P. S. aufgenommen hatte,
über die S. geleitet, die zu diesem Zweck als Einbahnstraße und mit einem
direkten Zugang zur P. S. ausgestattet wurde. Der Grund für die geänderte
Verkehrsführung lag in (vorübergehenden) umfangreichen Straßenbauarbeiten
auf der gesamten Länge der P. S. . Die Beklagten minderten wegen der
gestiegenen Lärmbelastung die Miete ab Oktober 2009.
2 Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagten auf Zahlung rückständiger
Miete von Oktober 2009 bis November 2010 in Höhe von insgesamt 1.386,19 €
nebst Zinsen in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf
die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil
abgeändert und die Verurteilung der Beklagten - unter Klageabweisung im
Übrigen - auf 553,22 € nebst Zinsen ermäßigt. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des
amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
5 Die von den Beklagten zu zahlende Miete sei ab 1. Dezember 2009 gemäß §
536 Abs. 1 Satz 2 BGB um 10 % gemindert, weil die Lärmbelästigung durch die
umgeleiteten Verkehrsströme erheblich über dem bei Vertragsschluss
stillschweigend vereinbarten Zustand liege. Für die Monate Oktober und
November 2009 stehe den Beklagten dagegen kein Recht auf Minderung zu.
6 Zwar sei es anerkannt, dass Beeinträchtigungen des vertragsgemäßen
Gebrauchs durch Baulärm, auch von Straßenbaustellen, zu einer Mietminderung
führen könnten. Die Kammer halte es jedoch in Anlehnung an vorangegangene
Instanzrechtsprechung (AG Fürth, WuM 2007, 317; AG Frankfurt/ Oder, ZMR
2003, 268) für angemessen, mittelbare Beeinträchtigungen durch hoheitliche
Straßenbaumaßnahmen - wie hier die erhöhte Lärmbelastung aufgrund der
temporären Umleitung von Verkehrsströmen - grundsätzlich als das allgemeine
Lebensrisiko eines jeden Bürgers einzuordnen, dessen Folgen ihn nicht zur
Minderung der Miete berechtigten. Dies finde jedoch dort seine Grenze, wo
die Beeinträchtigungen den zeitlichen Umfang dessen überschritten, womit ein
Mieter als allgemeines Lebensrisiko rechnen müsse. Diese Grenze sei bei
straßenbaubedingten Lärmbelästigungen nach Ablauf von sechs Monaten ab
Beginn der erhöhten Lärmbelastung zu ziehen.
II.
7 Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht
in allen Punkten stand. Den Beklagten steht entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts hinsichtlich des gesamten streitgegenständlichen
Zeitraums kein Recht auf Minderung der vereinbarten Miete zu.
8 1. Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist die vereinbarte Miete kraft Gesetzes
gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen
Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt
oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit
entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche
Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht.
Der vertraglich geschuldete Zustand bestimmt sich in erster Linie
nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien
(Senatsurteile vom 23.
September 2009 - VIII ZR 300/08, NJW 2010, 1133 Rn. 11;
vom 17. Juni 2009 - VIII ZR 131/08, NJW 2009, 2442 Rn. 9; vom 6. Oktober
2004 - VIII ZR 355/03, NJW 2005, 218 unter II 1), die auch durch
schlüssiges Verhalten (konkludent) getroffen werden können (Senatsurteil
vom 23. September 2009 - VIII ZR 300/08, aaO Rn. 14; Senatsbeschluss vom
2. November 2006 - VIII ZR 52/05, WuM 2005, 774 Rn. 2). Gegenstand
einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die von
außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken (sog. Umweltfehler;
vgl. zu diesem Begriff: MünchKommBGB/Häublein, 6. Aufl., § 536 Rn. 14 f.;
Bamberger/Roth/Ehlert, BGB, 3. Aufl., § 536 Rn. 29a; Staudinger/Emmerich,
BGB, Neubearb. 2011, § 536 Rn. 26 ff.; Soergel/ Heintzmann, BGB, 13. Aufl.,
§ 536 Rn. 8 ff.), wie etwa Immissionen, denen die Mietsache
ausgesetzt ist (vgl. Senatsurteil vom
23. September 2009 - VIII ZR 300/08, aaO Rn. 12 ff:, BGH, Urteil vom 21.
September 2005 - XII ZR 66/03, NJW 2006, 899 Rn. 19). Soweit
Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum
vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des
vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242
BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt (vgl. Senatsurteil vom
23. September 2009 - VIII ZR 300/08, aaO;
BGH, Urteil vom 10. Mai 2006 - XII ZR 23/04, NZM 2006, 582 Rn. 10).
9 2. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben begegnet die Auffassung des
Berufungsgerichts, die gegenüber dem Zustand bei Vertragsschluss in der
Wohnung vernehmbare erhöhte Lärmbelastung stelle jedenfalls ab dem siebten
Monat seit dem Entstehen der erhöhten Lärmwerte einen zur Minderung
berechtigenden Mangel der Mietsache dar, durchgreifenden Bedenken.
10 a) Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die vom Berufungsgericht
nicht näher begründete Annahme, die Parteien hätten bei Abschluss des
Mietvertrages hinsichtlich zukünftiger, von Dritten verursachter
Lärmbelästigungen den zur Zeit des Vertragsschlusses bestehenden Zustand für
die gesamte Dauer des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrags als
unverändert bestehend bleibend "stillschweigend vereinbart". Auch
eine konkludente Vereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen
voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich eines
sogenannten Umweltfehlers reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei
Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache einwirkenden Umstand - wie
hier den in der Wohnung zu vernehmenden Straßenlärm - in einer für ihn
vorteilhaften Weise wahrnimmt (etwa: "ruhige Lage") und er sich
(möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung
anzumieten. Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird
dieser Umstand vielmehr nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des
Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157
BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei
Vertragsschluss bestehenden Umstands über die unbestimmte Dauer des
Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen
Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt.
Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die
Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn
sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der
Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert (vgl.
Senatsurteil vom 23. September 2009 - VIII ZR
300/08, aaO Rn. 14). Die Voraussetzungen, unter denen hiernach eine
konkludente Beschaffenheitsvereinbarung angenommen werden kann, ergeben sich
weder aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen noch aus den
sonstigen Umständen.
11 b) Auch die Bestimmung des zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten
Zustands nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des vereinbarten
Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) führt
nicht dazu, dass in der durch die straßenbaubedingte Umleitung des Verkehrs
verursachten erhöhten Lärmbelastung ein Mangel zu sehen wäre, der die
Beklagten in dem streitgegenständlichen Zeitraum zur Minderung berechtigte.
12 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts, auf die das
Berufungsgericht in seinem Urteil Bezug nimmt, stellen die von den Beklagten
vorgetragenen (gegenüber den Verhältnissen bei Vertragsschluss erhöhten)
Lärmwerte, ausgehend von der im Berliner Mietspiegel 2009 aufgestellten
Grenze der Verkehrslärmbelastung, keine hohe Belastung dar. Unter
Berücksichtigung dessen, dass sich die vermietete Wohnung in der Berliner
Innenstadt befindet, mithin in einer Lage, bei der jederzeit mit
Straßenbauarbeiten größeren Umfangs und längerer Dauer zu rechnen ist, haben
die Beklagten diese (erhöhte) Lärmbelastung redlicherweise hinzunehmen.
Davon ist im Ansatz auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Für
seine Annahme, die vereinbarte Miete sei ab dem siebten Monat nach Eintreten
der erhöhten Lärmbelastung gemindert, ist ein sachlicher Grund nicht
erkennbar. Denn eine vorübergehende erhöhte Lärmbelastung stellt unabhängig
von ihrer zeitlichen Dauer jedenfalls dann, wenn sie sich - wie hier -
innerhalb der in Berliner Innenstadtlagen üblichen Grenzen hält, keinen zur
Minderung berechtigenden Mangel dar.
III.
13 Nach alledem kann das Berufungsurteil, soweit die Klage abgewiesen worden
ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1
ZPO). Da weitere tatrichterliche Feststellungen nicht zu treffen sind und
der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache
selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Wiederherstellung
des die Klage im vollen Umfang zusprechenden amtsgerichtlichen Urteils durch
Zurückweisung der Berufung.
|