Schadensersatzanspruch
des Mieters wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs (§ 573 II Nr. 2 BGB) des
Vermieters
BGH, Urteil vom 8. April
2009 - VIII ZR 231/07
Fundstelle:
NJW 2009, 2059
Amtl. Leitsatz:
a) Einem Mieter, der auf eine
Kündigung wegen eines vorgetäuschten Eigenbedarfs hin auszieht, stehen
Schadensersatzansprüche wegen unberechtigter Kündigung auch dann zu, wenn
die Kündigung zwar formell unwirksam ist, der Vermieter ihm den Eigenbedarf
aber schlüssig dargetan und er keine Veranlassung hatte, die Angaben des
Vermieters in Zweifel zu ziehen.
b) Darf der Mieter das Räumungsverlangen des Vermieters materiell für
berechtigt halten, wird sein Schadensersatzanspruch nicht dadurch
ausgeschlossen, dass er - in der Vorstellung, zur Räumung des Mietobjekts
verpflichtet zu sein - sich mit dem Vermieter auf eine einvernehmliche
Beendigung des Mietverhältnisses einigt.
Zentrale Probleme:
Eine
interessante Entscheidung zum Mietrecht. Es ist anerkannt, dass der
Vermieter, der den gem. § 573 II Nr. 2 BGB zu einer ordentlichen Kündigung
u.a. erforderlichen Eigenbedarf vortäuscht, nach §§ 280 I, 241 II BGB auf
Eigenbedarf haftet. Im vorliegenden Fall wurde aber unter dem Eindruck einer
(wegen der fehlenden Begründung schon "formell unwirksamen" Kündigung, s.- §
573 III S. 1 BGB), eine Aufhebungsvereinbarung getroffen (und anschließend
nach § 123 I BGB angefochten). Der Senat bejaht auch hier eine Haftung, s.
dazu auch BGH v. 10.6.2015 -
VIII ZR 99/14.
Zum nachträglichen Wegfall des Eigenbedarfs s.
BGH NJW 2006, 220. "Formell
unwirksam" bedeutet hier übrigens nicht "Formunwirksamkeit": Es geht um das
Fehlen der Angabe der Gründe (§ 573 III BGB), also um eine sog. materielle
Präklusion: Die Kündigung wäre wegen des Fehlens eines
berücksichtungsfähigen rechtfertigenden Grundes materiell unwirksam gewesen.
Für das geltend gemachte Schmerzensgeld gibt es wohl keine Rechtsgrundlage
(s. § 253 BGB). Zur Abgrenzung s. BGH v.
15.12.2010 - VIII ZR 9/10.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Die Klägerin bewohnte als Mieterin seit 1977 ein im Eigentum der Beklagten
stehendes Hausgrundstück in B. . Nachdem die Beklagten seit Juni 2001
mehrfach durch Anwaltsschreiben Kündigungen wegen Eigenbedarfs ausgesprochen
hatten, zog die Klägerin entsprechend einer Vereinbarung der Parteien vom 4.
Oktober 2002 am 16. Oktober 2002 aus.
2 Die seit mehreren Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten von Amerika
lebenden Beklagten hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass sie
mittlerweile pensioniert seien, dauerhaft nach Deutschland zurückkehren und
in dem an die Klägerin vermieteten Haus wohnen wollten, ferner, dass sie
beabsichtigten, die in der Nähe lebende pflegebedürftige Mutter der
Beklagten zu 1 zu betreuen. Für den Fall, dass die Klägerin das gemietete
Wohnhaus nicht rechtzeitig räume, drohten die Beklagten die gerichtliche
Durchsetzung der Kündigung sowie die Geltendmachung von
Schadensersatzansprüchen (Hotelkosten) an.
3 Das streitgegenständliche Hausgrundstück wurde am 9. November 2002 über
einen Makler zum Verkauf angeboten. Die Klägerin erklärte daraufhin mit
Schreiben vom 26. November 2002 die Anfechtung des Aufhebungsvertrages vom
4. Oktober 2002 wegen arglistiger Täuschung und Irrtums. Ein Verkauf des
Hauses fand nicht statt.
4 Mit der Klage fordert die Klägerin, das Hausgrundstück - hilfsweise
jedenfalls, soweit nicht neu vermietet - an sie zurückzugeben, außerdem die
Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der
Ersatzpflicht der Beklagten für künftige weitere Schäden.
5 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete
Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom
Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen
Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
6 Die Revision hat Erfolg.
I.
7 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
8 Die Klägerin könne weder Rückgabe der Mietsache noch Schadensersatz oder
Schmerzensgeld verlangen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits komme es
nicht darauf an, ob die Beklagten einen Eigenbedarf an dem von der Klägerin
angemieteten Hausgrundstück nur vorgetäuscht hätten. Denn durch die
ausgesprochenen Kündigungen sei das Mietverhältnis nicht beendet worden, so
dass die Klägerin zur Räumung nicht verpflichtet gewesen sei. Die von den
Beklagten ausgesprochenen Kündigungen seien unwirksam, weil die
Kündigungsschreiben entgegen § 564b Abs. 3 BGB aF bzw. § 573 Abs. 3 Satz 1
BGB nF keinerlei Angaben zum berechtigten Interesse der Beklagten an der
ausgesprochenen Kündigung enthielten.
9 Das von der Klägerin unterbreitete Angebot vom 4. Oktober 2002 auf
Vertragsaufhebung sei deshalb ohne "Notwendigkeit", - ohne dass die Klägerin
zur Räumung verpflichtet gewesen sei -, erfolgt. In entsprechender Anwendung
des Rechtsgedankens aus § 254 BGB sei daher davon auszugehen, dass der
Abschluss der Aufhebungsvereinbarung vom 4. Oktober 2002 allein auf den -
freiwilligen - Entschluss der Klägerin zurückzuführen sei und nicht auf eine
arglistige Täuschung seitens der Beklagten. Hinzu komme, dass die Klägerin
den Mietaufhebungsvertrag erst nach Zustandekommen des Mietvertrags über
ihre neue Wohnung abgeschlossen habe. Damit sei der Aufhebungsvertrag nach
wie vor wirksam.
II.
10 Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der
vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können Ansprüche der Klägerin auf
Rückgabe des Mietobjekts aufgrund wirksamer Anfechtung der
Aufhebungsvereinbarung, auf Schadensersatz und auf Feststellung der
Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden nicht verneint werden.
11 1. Ein Vermieter, der schuldhaft eine Kündigung wegen Eigenbedarfs
ausspricht, der in Wahrheit nicht besteht, ist dem Mieter grundsätzlich zum
Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (BGHZ 89, 296, 302;
Senatsurteil vom 18. Mai 2005 - VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395, unter II 1
m.w.N.). Davon geht auch das Berufungsgericht aus.
12 2. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts,
Ansprüche der Klägerin seien "in entsprechender Anwendung des
Rechtsgedankens aus § 254 BGB" zu verneinen, weil die von den Beklagten
ausgesprochenen Eigenbedarfskündigungen bereits aus formalen Gründen
unwirksam gewesen seien, so dass für die Klägerin objektiv kein Anlass
bestanden habe, den Beklagten die einvernehmliche Aufhebung des
Mietverhältnisses anzubieten und das Mietobjekt zu räumen. Die
Aufhebungsvereinbarung vom 4. Oktober 2002 stünde den mit der Klage
verfolgten Ansprüchen der Klägerin nur dann entgegen, wenn sie auf einem
freien Willensentschluss der Klägerin beruhen würde, für den der von den
Beklagten geltend gemachte, nach der Darstellung der Klägerin nur
vorgetäuschte Eigenbedarf nicht (mehr) ursächlich gewesen wäre. Derartiges
hat das Berufungsgericht indessen nicht festgestellt; es hat den
entscheidenden Gesichtspunkt vielmehr darin gesehen, dass mangels formal
wirksamer Eigenbedarfskündigung der Beklagten für die Klägerin keine
Räumungsverpflichtung und damit auch keine Notwendigkeit bestanden habe,
sich mit den Beklagten auf eine Aufhebung des Mietverhältnisses zu einigen.
Das ist nicht richtig.
13 a) Einem Mieter, der auf eine Kündigung wegen eines in Wahrheit nicht
bestehenden Eigenbedarfs hin auszieht, stehen Schadensersatzansprüche wegen
unberechtigter Kündigung auch dann zu, wenn der Eigenbedarf - wie das
Berufungsgericht hier annimmt - zwar entgegen § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB (§
564a Abs. 3 BGB aF) nicht im Kündigungsschreiben als berechtigtes Interesse
des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses angegeben und die
Kündigung deshalb unwirksam ist, der Vermieter dem Mieter den Eigenbedarf
aber schlüssig dargetan und der Mieter keine Veranlassung hatte, die Angaben
des Vermieters in Zweifel zu ziehen. So verhält es sich nach dem
revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag der Klägerin hier. Die
Beklagten hatten die Klägerin wiederholt und nachdrücklich mit der
Begründung zur Räumung des vermieteten Wohnhauses aufgefordert, sie
beabsichtigten, nach Deutschland zurückzukehren und das vermietete Anwesen
selbst zu bewohnen, auch um die in der Nähe lebende pflegebedürftige Mutter
der Beklagten zu 1 zu betreuen. Dass die Klägerin Anlass gehabt hätte,
diesen Angaben zu misstrauen, ist weder den Feststellungen des
Berufungsgerichts noch dem Sachvortrag der Klägerin zu entnehmen.
14 b) Der Kausalzusammenhang zwischen der von den Beklagten geltend
gemachten, nach Darstellung der Klägerin vorgetäuschten Eigennutzungsabsicht
und dem Schaden der Klägerin ist auch nicht dadurch unterbrochen worden,
dass die Klägerin sich am 4. Oktober 2002 mit den Beklagten auf eine
einvernehmliche Beendigung des Mietverhältnisses geeinigt hat, obwohl sie zu
diesem Zeitpunkt mangels ordnungsgemäß begründeter Kündigungserklärungen -
noch - nicht zur Räumung des Mietobjekts verpflichtet war (vgl. OLG
Karlsruhe, NJW 1982, 54, 55; BayObLG NJW 1982, 2003, 2004; Münch-KommBGB/Häublein,
5. Aufl., § 573 Rdnr. 108; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., §
573 BGB Rdnr. 79). Entscheidend ist nicht, ob der Mieter bereits zur
Räumung verpflichtet ist, sondern allein, ob er das Räumungsverlangen
materiell für berechtigt halten darf, weil er keinen Anlass hat, an der
Richtigkeit der Angaben des Vermieters zu dem geltend gemachten Eigenbedarf
zu zweifeln. Auch wenn der Mieter sich unter dem Eindruck des als bestehend
angenommenen Eigenbedarfs zu einer einvernehmlichen Beendigung des
Mietverhältnisses bereit findet und das Mietobjekt freigibt, ohne auf die
formale Wirksamkeit der Kündigungserklärung des Vermieters abzustellen,
räumt er die Mietwohnung nicht aus freien Stücken, sondern in der
Vorstellung, dazu jedenfalls materiell verpflichtet zu sein. Eine unter
diesen, nach der Darstellung der Klägerin hier gegebenen Umständen zustande
gekommene Mietaufhebungsvereinbarung unterbricht mithin den
Ursachenzusammenhang zwischen der Vortäuschung des Eigenbedarfs und der
Räumung nicht. Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn die
Mietvertragsparteien die Beendigung des Mietverhältnisses im Wege eines
Vergleichs vereinbaren, durch den der Streit über den vom Vermieter
behaupteten, vom Mieter in Abrede gestellten Eigenbedarf beigelegt wird
(vgl. dazu OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1995, 145, 146), bedarf hier
keiner Entscheidung.
15 c) Unerheblich ist schließlich, ob der Mieter - wie hier die Klägerin -
bei Abschluss des Aufhebungsvertrags bereits eine neue Wohnung angemietet
hat. Steht die Anmietung der neuen Wohnung unter dem Eindruck der scheinbar
materiell gerechtfertigten Eigenbedarfskündigung, ist auch insoweit die
arglistige Täuschung des Vermieters ursächlich für den hieraus entstehenden
Schaden des Mieters (OLG Karlsruhe, aaO, 56).
III.
16 Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur
Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu
getroffen hat, ob der von den Beklagten mit der Kündigung geltend gemachte
Eigenbedarf vorgeschoben war und ob die Klägerin die Aufhebungsvereinbarung
vom 4. Oktober 2002 auch dann abgeschlossen hätte, wenn ihr dies bewusst
gewesen wäre. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird sich das
Berufungsgericht auch mit dem weiteren Einwand der Beklagten zu befassen
haben, Eigenbedarf sei von ihnen von vorneherein nur an der Erdgeschoss- und
Dachgeschosswohnung geltend gemacht worden und der Klägerin sei der
Abschluss eines neuen Mietvertrags für die von ihr selbst bewohnte Wohnung
im Obergeschoss angeboten worden. |