Kauf auf Probe und
Beginn der Widerrufsfrist nach §§ 312d, 355 II BGB
BGH, Versäumnisurteil vom
17. März 2004 - VIII ZR 265/03
Fundstelle:
NJW-RR 2004, 1058
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, wann bei einem Kauf auf
Probe (§§ 454 ff BGB), der als Fernabsatzgeschäft zusätzlich einem
Widerrufsrecht nach §§ 312d, 355 BGB unterlag, die Widerrufsfrist beginnt.
Da der Kaufvertrag unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung durch
den Käufer steht, kommen als maßgebliche Zeitpunkte der Vertragsschluß
selbst bzw. der Eingang der Waren beim Käufer (so die in § 312d II
enthaltene Modifikation von § 355 II) oder aber der Zeitpunkt der Billigung
bzw. der Ablauf der Billigungsfrist (Schweigen kann hier Zustimmung
bedeuten, s. § 455 S. 2 BGB!) in Betracht. Der BGH entscheidet sich dabei
mit m.E. dogmatisch wie rechtspolitisch zumindest zweifelhafter
Argumentation für den zweiten Zeitpunkt und "kombiniert" damit die
Billigungsfrist und die Widerrufsfrist. Über diese Frage hinaus ist die
Entscheidung lehrreich, weil es bzgl. des Kauf auf Probe wenig Judikatur
gibt und der BGH sich darüber hinaus über den Charakter des Widerrufsrechts
äußert, das er als "besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht" versteht.
Zur offen gelassenen Frage, ob ein Widerrufsrecht einen wirksamen Vertrag
voraussetzt s. nunmehr BGH v. 25.11. 2009 - VIII ZR 318/08
sowie BGH v. 23.9.2010 - VII ZR 6/10
©sl 2004
Amtl. Leitsatz:
Bei einem Kauf auf Probe beginnt die Widerrufsfrist des
Verbrauchers nach § 312 d BGB nicht vor dem Zeitpunkt, in dem der
Kaufvertrag durch Billigung für diesen bindend geworden ist.
Zum
Sachverhalt:
Der Beklagte bestellte
bei der Klägerin, die einen Kunstversand betreibt, am 29. Oktober 2002
telefonisch eine aus sechs Bildern bestehende Kunstgrafikmappe "O. " zum
Preis von 1.194,12 € einschließlich Mehrwertsteuer, wobei ein Kauf auf Probe
vereinbart wurde. Die Ware wurde an den Beklagten am 5. November 2002
ausgeliefert. In dem beigefügten Schreiben mit der Überschrift "Auftrag-Nr.
..., Rechnung-Nr. ... und Lieferschein" heißt es wie folgt:
"Wir danken für den
Abschluß des Kaufs auf Probe vom 29.10.02 und übersenden anbei die
bestellte Kunstgrafikmappe. Bei einem Kauf auf Probe steht die Billigung
der gekauften Grafikmappe in Ihrem Belieben. Der Kauf ist unter der
aufschiebenden Bedingung der Billigung geschlossen. Die Billigungsfrist
beträgt zwei Wochen ab Eingang der Ware bei Ihnen. Ihr Schweigen gilt
als Billigung (§ 454, 455). Billigen Sie nicht, sind Sie verpflichtet,
auf meine Gefahr und meine Kosten die Kunstgrafikmappe zuzusenden."
In einem weiteren Abschnitt des Schreibens heißt es:
"W i c h t i g
Widerrufsbelehrung:
Sie können den auf Probe geschlossenen Kaufvertrag innerhalb von zwei
Wochen ohne Angabe von Gründen widerrufen, anderenfalls der Kauf auf
Probe rechtsverbindlich wird. Die Frist zum Widerruf beginnt mit dem
Erhalt der Bilder durch Zustellung bei Ihnen. Zur Fristwahrung genügt
die rechtzeitige Absendung des Widerrufs an die Firma E. ... (Klägerin).
Widerrufen Sie, sind Sie verpflichtet, die erhaltenen Bilder auf meine
Gefahr und meine Kosten zurückzusenden. Zur Ausübung Ihres Widerrufs
genügt es auch, wenn Sie die Bilder innerhalb von zwei Wochen an den
Widerrufsempfänger zurückschicken. Die Zwei-Wochen-Frist beginnt mit dem
Erhalt der Bilder durch Zustellung bei Ihnen. Zur Fristwahrung genügt
die rechtzeitige Absendung.
..."
Am 20. November 2002
gab der Beklagte die Ware durch Aufgabe zur Post an die Klägerin zurück.
Mit ihrer Klage nimmt
die Klägerin den Beklagten auf Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen
Lieferung der Grafikmappe in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage
stattgegeben, das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des
Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom Landgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Zur Begründung hat
das Landgericht ausgeführt, die Parteien hätten einen wirksamen Kauf auf
Probe abgeschlossen, der nach Ablauf der Billigungsfrist durch Eintritt der
aufschiebenden Bedingung wirksam geworden sei. Der Beklagte habe kein
Widerrufsrecht gemäß § 312 d BGB mehr, weil die Klägerin alle
Verpflichtungen nach den Vorschriften über Fernabsatzverträge erfüllt habe
und die Widerrufsfrist abgelaufen sei. Die zweiwöchige Frist habe am 19.
November 2002 geendet, nachdem die Klägerin unter dem 5. November 2002 dem
Beklagten die Ware und die Belehrung zugestellt habe. Den
Informationspflichten gemäß der Verordnung über Informations- und
Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-InfoV) sei die Klägerin
nachgekommen. Erfolglos wende sich der Beklagte gegen die "Kombination" der
Billigungsfrist des Kaufs auf Probe und der Widerrufsfrist bei
Fernabsatzverträgen. Zwar werde der Kauf auf Probe erst bei Eintritt der
aufschiebenden Bedingung und damit erst nach Ablauf der Billigungsfrist
wirksam. Der Eintritt der Bedingung sei jedoch nicht Voraussetzung für den
Beginn der Widerrufsfrist. Der Gesetzgeber habe dem Verbraucher mit der
Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen Gelegenheit zur Prüfung geben wollen,
ob er an den Vertrag gebunden sein wolle. Eine ähnliche Überlegung werde der
Käufer anstellen, der sich zu einem Kauf auf Probe entschließe. In beiden
Fällen werde er nach Erhalt der Ware zu prüfen haben, ob es bei dem Vertrag
bleiben solle. Die Verdoppelung der Billigungsfrist bei einer solchen
Konstellation benachteilige die Interessen des Verkäufers unangemessen; denn
je länger die Ware bei dem Käufer verbleibe, um so mehr bestehe die Gefahr
ihrer Beeinträchtigung. Der Käufer könne sich binnen zwei Wochen
entscheiden, wobei diese Frist ausreiche.
II. Diese Ausführungen
halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, so daß der Revision der
Erfolg nicht zu versagen war. …
1. Zwischen den Parteien ist aufgrund der Bestellung des Beklagten vom 29.
Oktober 2002, wie die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei und unangegriffen
festgestellt haben, ein Kauf auf Probe im Sinne des § 454 BGB geschlossen
worden, der unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung durch den
Beklagten stand. Die vereinbarte Billigungsfrist von zwei Wochen begann mit
Eingang der Grafikmappe bei dem Beklagten am 5. November 2002 und endete am
19. November 2002, so daß die Rücksendung der Ware am 20. November 2002
verspätet erfolgte und das Schweigen des Beklagten während der vereinbarten
Frist als Billigung des Kaufvertrages anzusehen ist (§ 455 Satz 2 BGB).
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte den
Kaufvertrag jedoch mit Rücksendung der Ware am 20. November 2002 gemäß §§
312 d Abs. 1 Satz 1, 355 BGB wirksam widerrufen.
a) Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Kaufvertrag am 29. Oktober
2002 telefonisch und damit als Fernabsatzvertrag im Sinne des §§ 312 b Abs.
1 und 2 BGB geschlossen worden ist, so daß dem Beklagten gemäß §§ 312 d Abs.
1 Satz 1, 355 BGB ein Widerrufsrecht zusteht.
b) Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 BGB, der § 361 a Abs. 1 Satz 1 BGB in der
Fassung des Gesetzes vom 27. Juni 2000 (BGBl. I 897) entspricht, ist der
Verbraucher, dem durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift
eingeräumt ist, "an seine auf den Abschluß des Vertrags gerichtete
Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen
hat". Obwohl nach dem Gesetzeswortlaut nicht der Vertrag als Ganzes,
sondern nur die auf den Vertragsschluß zielende Willenserklärung des
Verbrauchers zu widerrufen ist, wird das Widerrufsrecht überwiegend als
besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht verstanden, das den zunächst
wirksam zustande gekommenen Vertrag durch Widerruf der Willenserklärung des
Verbrauchers in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet (vgl. Palandt/Heinrichs,
BGB, 63. Aufl., § 355 Rdnr. 3; Ring in Anwaltskommentar Schuldrecht, § 312 d
Rdnr. 6; ders. § 355 Rdnr. 2; Reich, EuZW 1997, 581, 585; Bülow, ZIP 1999,
1293, 1295; Fuchs, ZIP 2000, 1273, 1281; siehe auch Staudinger/Kaiser, BGB,
2001, § 361 a Rdnr. 17). Dies entspricht Art. 6 der Richtlinie 97/7/EG über
den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vom 20. Mai 1997
(ABl. EG Nr. L 114 vom 4. Juni 1997 = NJW 1998, 212), der dem Verbraucher
das Recht einräumt, "jeden Vertragsschluß im Fernabsatz innerhalb einer
Frist von mindestens sechs Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne
Strafzahlung (zu) widerrufen". Nach dieser Auffassung konnte das
Widerrufsrecht des Beklagten frühestens mit dem Wirksamwerden des
geschlossenen Kaufvertrages, somit erst nach Ablauf der Billigungsfrist am
19. November 2002 entstehen.
c) Soweit die Entstehung des Widerrufsrechts bereits für den Zeitpunkt
angenommen wird, in dem die auf Abschluß des Fernabsatzvertrages gerichtete
Willenserklärung des Verbrauchers wirksam wird, ohne daß es darauf ankommen
soll, ob die Willenserklärung bzw. der Vertrag ansonsten wirksam ist oder
nicht (MünchKommBGB/Wendehorst, 4. Aufl., Bd. 2 a, § 312 d Rdnr. 18 f.;
MünchKommBGB/Ulmer aaO, § 355 Rdnr. 21), führt dies nicht zu einer
anderen Beurteilung. Auch wenn bereits mit Abschluß des Vertrages vom
29. Oktober 2002 von einem aufschiebend bedingten Kaufvertrag
ausgegangen wird (vgl. RGZ 94, 285, 287; 137, 297, 298; Metzger in BGB-RGRK,
12. Aufl., § 495 Rdnr. 1; Staudinger/Mader, BGB, 1995, § 495 Rdnr. 2; a.A.
Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 2 1. Halbband, 13. Aufl., S. 144 f.),
bedarf es noch einer weiteren Voraussetzung zum Vertragsschluß. Durch
diesen Vertrag ist bis zum Ablauf der Billigungsfrist lediglich der
Verkäufer gebunden, während die Entscheidung über die Billigung oder
Mißbilligung im freien Belieben des Käufers steht (RG JW 1923, 605;
Metzger aaO; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 495 Rdnr. 1; MünchKommBGB/H.P.
Westermann, 3. Aufl., § 495 Rdnr. 1 f.). Da erst die Billigung der für
den eigentlichen Vertragsabschluß entscheidende Zeitpunkt ist, geht die
Gefahr des zufälligen Untergangs noch nicht während der Schwebezeit, sondern
erst mit der Billigung auf den Käufer über (Senatsurteil vom 19. Februar
1975 - VIII ZR 175/73, DB 1975, 589 unter II 3; Metzger aaO Rdnr. 7;
Staudinger/Mader aaO, § 495 Rdnr. 21; Soergel/Huber aaO, § 495 Rdnr. 10);
für den Verlust der Gewährleistungsrechte nach § 460 BGB a.F. (§ 442 BGB n.F.)
ist ebenfalls erst der Zeitpunkt der Billigung und nicht der Abschluß des
aufschiebend bedingten Kaufvertrages maßgebend (RGZ 94, 285, 287;
MünchKommBGB/H.P. Westermann aaO, § 495 Rdnr. 9; Soergel/Huber aaO § 495
Rdnr. 11). Mit Rücksicht darauf, daß somit erst die Billigung des Käufers
den zunächst auf Probe abgeschlossenen Kaufvertrag voll wirksam macht und
den Käufer vertraglich bindet, erscheint es gerechtfertigt, die Billigung
als den nach § 355 Abs. 1 Satz 1 BGB maßgeblichen Zeitpunkt anzusehen, von
dem an die Widerrufsfrist für die auf den Abschluß des Verbrauchervertrages
gerichtete Willenserklärung des Käufers zu laufen beginnt.
d) Auch die mit der Billigungsfrist des § 455 BGB einerseits und des
Widerrufsrechts nach § 312 d BGB andererseits verfolgten unterschiedlichen
Ziele stehen einem Parallellauf beider Fristen entgegen. Während mit der
Übergabe der Sache beim Kauf auf Probe der mit der Billigungsfrist verfolgte
Zweck in erster Linie darin besteht, dem Käufer Gelegenheit zur Prüfung der
Tauglichkeit der Sache zu geben (BGHZ 119, 35, 39; Staudinger/Mader aaO, §
495 Rdnr. 5), will das nunmehr in den §§ 312 b bis 312 d BGB geregelte
Fernabsatzrecht vor den spezifischen Gefahren von Verträgen schützen, bei
denen der Verbraucher regelmäßig die Ware oder Dienstleistung sowie die
Person seines Geschäftspartners vor Vertragsschluß nicht zu sehen bekommt.
Für den Verbraucher besteht in einem solchen Fall die Gefahr, daß er die
nötigen Informationen über die Ware oder Dienstleistung und die Person des
Vertragspartners infolge verringerter Rückfragemöglichkeiten entweder
überhaupt nicht oder jedenfalls nur in "flüchtiger" Form erhält. Abgesehen
davon, daß der Verbraucher die Eigenschaften der zu erwerbenden Ware oder
Dienstleistung mangels unmittelbarer Möglichkeit der Inaugenscheinnahme und
Untersuchung nicht zur Kenntnis nehmen kann, besteht für ihn vielfach auch
keine Möglichkeit, von der Seriosität seines Vertragspartners selbst einen
Eindruck zu gewinnen und insbesondere in Erfahrung zu bringen, an wen er
sich wegen möglicher Gewährleistungsrechte zu wenden hat (MünchKommBGB/Wendehorst
aaO, Vor § 312 b Rdnr. 4 unter Hinweis auf die Erwägungsgründe 11, 13 und 14
der Richtlinie 97/7/EG vom 20. Mai 1997; siehe auch Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch,
BGB, 2003, Einf. Vor § 312 b Rdnr. 1; Fuchs aaO).
Damit stehen aber der Regelungszweck des Fernabsatzrechts als
Verbraucherschutzrecht und der mit dem Kauf auf Probe verfolgte Zweck
nebeneinander. Sind dem Käufer, der einen Kaufvertrag auf Probe
abgeschlossen hat, sowohl die vertragliche Billigungsfrist des § 455 BGB wie
das gesetzliche Widerrufsrecht gemäß §§ 312 d, 355 BGB eingeräumt worden,
müssen ihm die genannten Fristen auch in vollem Umfang erhalten bleiben.
3. Die mit Ablauf der zweiwöchigen Billigungsfrist erst beginnende
Widerrufsfrist wäre danach nicht abgelaufen, als der Beklagte am 20.
November 2002 die Grafikmappe durch Aufgabe zur Post an die Klägerin
zurückgegeben und damit sein Widerrufsrecht ausgeübt hat (§§ 312 d Abs. 1
Satz 1, 355 Abs. 1 Satz 2 BGB). Da die Klägerin den Beklagten entgegen ihrer
Informationspflicht gemäß § 312 c Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 3
Nr. 1 BGB-InfoV nicht zutreffend über den Beginn der Widerrufsfrist
unterrichtet hat, wäre zudem das Widerrufsrecht des Beklagten gemäß § 355
Abs. 3 Satz 3 BGB ohnehin nicht erloschen. Mangels Vorliegens eines
wirksamen Kaufvertrages ist daher der mit der Klage verfolgte
Kaufpreisanspruch der Klägerin nicht begründet, so daß die Klage unter
Aufhebung des Urteils des Landgerichts sowie Abänderung des
amtsgerichtlichen Urteils abzuweisen ist.
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