Haftung für falsches (tierärztliches) Gutachten
aus §§ § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB
(Werkvertrag); Haftungsausfüllung; gesamtschuldnerische Haftung mit dem
Verkäufer
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 -
VII ZR 136/11
Fundstelle:
NJW
2012, 1070
Amtl. Leitsatz:
Haftet der wegen eines
Fehlers bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes zum Schadensersatz
verpflichtete Tierarzt neben dem Verkäufer als Gesamtschuldner, trifft den
Käufer grundsätzlich nicht die Obliegenheit, zur Schadensminderung zunächst
seine Ansprüche gegen den Verkäufer gerichtlich geltend zu machen.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
BGH v. 22.12.2011 - VII ZR 7/11
sowie BGH v. 26.1.2012 - VII ZR 164/11.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt von dem
Beklagten, einem Tierarzt, Schadensersatz wegen einer mangelhaft
durchgeführten Ankaufsuntersuchung.
2 Die Klägerin erwarb im September 2008 die Stute L. zum Kaufpreis von 2.000
€, nachdem der Beklagte zuvor in ihrem Auftrag eine Ankaufsuntersuchung
durchgeführt hatte. In dem Untersuchungsprotokoll ist vermerkt: "Verhalten:
lebhaft; Atemruhefrequenz: 18/Minute; Palpation des Rückens: erhöhte
Drucksensibilität BWS/LWS; Bewegungsapparat/Ruheuntersuchung/Sehnen/Muskeln:
verändert, schwach bemuskelt."
3 Einige Wochen nach Abschluss des Kaufvertrags stellte eine Tierärztin eine
geringgradige Lahmheit hinten rechts, eine Taktunsauberkeit vorne links und
eine auf Druck schmerzhafte arthrotische Rückenmuskulatur fest. Im Mai 2009
bescheinigte ein weiterer Tierarzt eine spontane Lahmheit vorne rechts und
typische Symptome einer RAO (recurrent airway obstruction).
4 Die Klägerin leitete zunächst ein selbständiges Beweisverfahren gegen die
Verkäuferin ein, machte aber anschließend gegen diese keine
Gewährleistungsansprüche geltend.
5 Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe die bereits zum Zeitpunkt der
Ankaufsuntersuchung vorliegenden gesundheitlichen Probleme des Pferdes nicht
erkannt. Er habe sie daher so zu stellen, als hätte sie den Kaufvertrag
nicht abgeschlossen.
6 Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, den Beklagten zu
verurteilen, an sie 8.225,77 € (Kaufpreis, Aufwendungen für
Eigentumsumschreibung, Haftpflichtversicherung, Beritt, Hufschmied,
tierärztliche Behandlungen, Futter und Unterbringung, Gerichts- und
Anwaltskosten für das selbständige Beweisverfahren) nebst Zinsen Zug um Zug
gegen Übertragung des Eigentums an dem Pferd zu zahlen. Darüber hinaus hat
sie beantragt festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Abnahme der
Stute in Annahmeverzug befinde und er bis zur Übergabe des Pferdes
verpflichtet sei, die Futter- und Unterhaltskosten zu zahlen. Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist
erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
7 Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
8 Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in RdL 2011, 208 abgedruckt ist,
vertritt die Auffassung, der Klägerin stehe ein werkvertraglicher
Schadensersatz nach § 634 Nr. 4, § 280 BGB nicht zu.
9 Es könne dahinstehen, ob der Beklagte gegen seine Pflichten bei der
Ankaufsuntersuchung verstoßen habe. Denn eine eventuelle Haftung des
Beklagten sei gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung der Verkäuferin
nachrangig. Verkäuferin und Tierarzt hafteten nicht gesamtschuldnerisch,
weil es an der Gleichstufigkeit ihrer Verpflichtungen fehle. Denn die
Klägerin könne von der Verkäuferin Schadensersatz in Höhe des positiven
Interesses verlangen, während der beklagte Tierarzt Ersatz des
Vertrauensschadens schulde. Darüber hinaus stünden sich aus
Gläubigerperspektive im Außenverhältnis die Schuldner nicht gleichwertig
gegenüber. Denn Verkäuferin und Tierarzt stünden bezogen auf das
Kaufgeschäft nicht im selben Lager und verfolgten kein gemeinsames
Interesse.
10 Unabhängig davon sei die Haftung des Beklagten auch gemäß § 254 Abs. 2
Satz 1, § 242 BGB gegenüber derjenigen der Verkäuferin nachrangig. Diese sei
näher am Schadensgeschehen. Das Schwergewicht der Vertragsverhältnisse liege
bei dem Kaufvertrag, während dem Werkvertrag nur eine Beratungsfunktion
zukomme. Der untersuchende Tierarzt habe an dem Vorliegen des bereits zuvor
in der Sphäre der Verkäuferin entstandenen Mangels keinen Anteil. Es sei
daher sachnäher, zunächst die Rückabwicklung des Kaufvertrags zu betreiben
und damit den Vermögensschaden von der Käuferin abzuwenden. Betrachte man
das Verhältnis zwischen dem geltend gemachten Schaden und den Kosten der
Ankaufsuntersuchung in Höhe von 110 €, sei der Klägerin unter dem
Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm abzuverlangen, zunächst
Gewährleistungsansprüche gegen die Verkäuferin geltend zu machen. Ansprüche
gegen den Tierarzt könnten deshalb nur bestehen, soweit das von ihm
geschuldete negative Interesse das von der Verkäuferin auszugleichende
positive Interesse übersteige. Dies sei hier nicht der Fall.
II.
11 Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Abweisung der Klage
durch das Landgericht bestätigt hat, halten der rechtlichen Nachprüfung
nicht stand.
12 1. Für das Revisionsverfahren ist mangels gegenteiliger Feststellungen
des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass der Beklagte
entsprechend dem Vortrag der Klägerin seine Pflichten aus dem Vertrag über
die Ankaufsuntersuchung verletzt, insbesondere das Pferd mangelhaft
untersucht und deshalb die bei ihm vorliegenden erheblichen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen nicht festgestellt hat.
13 2. Bei diesem unterstellten Sachverhalt hat das Berufungsgericht
rechtsfehlerhaft einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den
Beklagten verneint.
14 a) Noch zutreffend stellt das Berufungsgericht fest, dass der Tierarzt
bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes nicht nur verpflichtet
ist, die Untersuchung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er seinem
Auftraggeber auch deren Ergebnis, insbesondere Auffälligkeiten des Tieres,
mitzuteilen hat. Der mit der Ankaufsuntersuchung beauftragte Tierarzt
schuldet einen fehlerfreien Befund. Erfüllt er insoweit seine Pflichten
nicht, haftet er, weil der Vertrag als Werkvertrag einzuordnen ist
(vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1983 - VII ZR 174/81, BGHZ 87, 239),
gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz des Schadens, der bei dem
Vertragspartner dadurch entstanden ist, dass er das Pferd aufgrund des
fehlerhaften Befundes erworben hat. In der Revision ist zu
unterstellen, dass der für das Pferd gezahlte Kaufpreis und die weiteren
infolge des Kaufvertrags von der Klägerin getätigten Aufwendungen
ersatzfähige Schäden sind.
15 b) Das Berufungsgericht nimmt an, dass der Beklagte der Klägerin deshalb
nicht zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil die eventuelle Haftung des
Tierarztes gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung der Verkäuferin
nachrangig sei und eine gesamtschuldnerische Haftung beider daher nicht in
Betracht komme.
16 aa) Das ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil der Beklagte der
Klägerin auch dann auf Schadensersatz haften würde, wenn eine Gesamtschuld
nicht vorläge. In diesem Fall würde sich allenfalls die Frage stellen, ob
der Beklagte gemäß § 255 BGB die Abtretung der Ansprüche gegen den Verkäufer
verlangen könnte.
17 bb) Im Übrigen geht das Berufungsgericht auch rechtsirrtümlich davon aus,
dass zwischen dem Beklagten und der Verkäuferin keine Gesamtschuld besteht.
18 Die Verpflichtungen der Verkäuferin auf Rückabwicklung des
Kaufvertrags und des beklagten Tierarztes auf Ersatz des der Klägerin
infolge des Abschlusses des Kaufvertrags entstandenen Vermögensschadens
stehen gleichstufig nebeneinander. Die Gleichstufigkeit der Verpflichtungen
ergibt sich daraus, dass sowohl die Verkäuferin als auch der Beklagte für
den infolge der Kaufpreiszahlung entstandenen Vermögensnachteil aufzukommen
haben und auch die Kosten für den Unterhalt des Pferdes mit einer
Geldzahlung ersetzen müssen, ohne dass einer der Schuldner nur subsidiär
oder vorläufig für die andere Verpflichtung einstehen muss (vgl.
BGH, Urteil vom 28. November 2006 - VI ZR 136/05, NJW 2007, 1208).
Auf die Einordnung als Rückzahlung gemäß § 346 BGB beziehungsweise als
Verwendungsersatz gemäß § 347 Abs. 2 BGB oder als Schadensersatz kommt es
ebenso wenig an wie auf die Frage, ob ein Anspruch auf Ersatz des negativen
Interesses oder des positiven Interesses geltend gemacht wird. Auch
ist unerheblich, dass die Verkäuferin möglicherweise trotz fehlenden
Verschuldens haftet, während die Haftung des Beklagten Verschulden
voraussetzt. Gleiches gilt für den Umstand, dass Verkäuferin und Tierarzt,
bezogen auf das Kaufgeschäft, nicht im selben Lager stehen und kein
gemeinsames Interesse verfolgen. Ohne Belang ist auch, dass beide
unterschiedliche Hauptleistungspflichten zu erfüllen haben.
Entscheidend ist allein, dass sowohl die Verkäuferin als auch der beklagte
Tierarzt verpflichtet sind, die entsprechenden Aufwendungen zu ersetzen und
damit ein inhaltsgleiches Gläubigerinteresse zu befriedigen. Beide haben für
die Beseitigung des gleichartigen Vermögensnachteils einzustehen, den die
Klägerin dadurch erlitten hat, dass jeder von ihnen seine vertraglichen
Pflichten nicht erfüllt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar
1965 - GSZ 1/64, BGHZ 43, 227, 230; Urteil vom 19. Dezember 1968 - VII ZR
23/66, BGHZ 51, 275, 277). Daran ändern auch die Erwägungen nichts, mit
denen das Berufungsgericht eine größere Sachnähe der Verkäuferin begründen
will. Diese Erwägungen lassen im Übrigen unberücksichtigt, dass der Tierarzt
mit einem fehlerhaften Befund zur Ankaufsuntersuchung die eigentliche
Ursache für den Ankauf gesetzt haben kann und bagatellisieren damit zu
Unrecht die Aufklärungsfunktion der Ankaufsuntersuchung.
19 c) Das Urteil des Berufungsgerichts wird schließlich auch nicht
von der Erwägung getragen, die Klägerin müsse gemäß §§ 242, 254 Abs. 2 Satz
1 BGB zunächst die Verkäuferin in Anspruch nehmen. Dem Gläubiger steht es
frei, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt. Ihm kann deshalb
grundsätzlich nicht als Verschulden bei der Obliegenheit zur
Schadensminderung angelastet werden, den Schuldner seiner Wahl in Anspruch
genommen zu haben. Allerdings darf der Gläubiger bei seiner
Entscheidung, gegen welchen Schuldner er vorgeht, nicht jede Rücksichtnahme
vermissen lassen. Er hat vielmehr seine Rechte nach Treu und Glauben
auszuüben, § 242 BGB. So kann der Auftraggeber ausnahmsweise
gehindert sein, einen Architekten wegen eines Bauaufsichtsfehlers in
Anspruch zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere
billigere Weise von dem Unternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen
kann (BGH, Urteil vom 2. Mai 1963 - VII ZR 171/61, BGHZ 39, 261,
264). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt auch dann vor, wenn
der Gläubiger sich nur deswegen an einen von mehreren Gesamtschuldnern
halten und ihm das Regressrisiko aufbürden würde, weil er aus
missbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesen Schuldner zu
belasten (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - VII ZR 5/06, BauR 2007,
1875 = NZBau 2007, 721 = ZfBR 2007, 784).
20 Der Senat muss abschließend nicht entscheiden, inwieweit es auch
unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Pferd letztlich an den
Verkäufer zurückzugeben sein dürfte, geboten sein kann, den Verkäufer
zunächst auf Rückabwicklung des Vertrages in Anspruch zu nehmen. Das wäre
jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn die Rückabwicklung der einfachere und
jedenfalls nicht aufwändigere Weg der Schadloshaltung wäre (vgl.
Staudinger/Noack,BGB, 2005, § 427 Rn. 29). Diese Voraussetzungen
sind hier nicht gegeben. Die Verkäuferin ist nicht bereit, Zug um Zug gegen
Rückübereignung des Pferdes den Kaufpreis zurückzuzahlen und der Klägerin
die notwendigen Verwendungen auf das Tier zu ersetzen. Zu einer
gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die Verkäuferin ist die
Klägerin vor einer Inanspruchnahme des Beklagten gemäß § 242 BGB nicht
verpflichtet. Unerheblich ist der Umstand, dass die Klägerin gegen
die Verkäuferin ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet hat. Es ist
nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie die gerichtliche Auseinandersetzung mit
der Verkäuferin meidet und diese mit dem Beklagten sucht. Welche Kosten die
Ankaufsuntersuchung verursacht hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.
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