Haftung für falsches (tierärztliches) Gutachten
aus §§ § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB
(Werkvertrag); Haftungsausfüllung
BGH, Urteil vom 26. Januar 2012 - VII
ZR 164/11
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Ein Tierarzt, der seine
Pflichten aus einem Vertrag über die Ankaufsuntersuchung eines Pferdes
verletzt und deshalb einen unzutreffenden Befund erstellt hat, haftet
unabhängig von einer etwaigen Haftung des Verkäufers seinem Vertragspartner
auf Ersatz des Schadens, der diesem dadurch entstanden ist, dass er das
Pferd aufgrund des fehlerhaften Befundes erworben hat (Bestätigung von BGH,
Urteile vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 7/11, zur
Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, und VII ZR
136/11, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Zentrale Probleme:
Eine ganz ähnliche
Fallkonstellation wie BGH v. 22.12.2011 - VII ZR 7/11,
s. deshalb die dortige Anm. Hier ging es jetzt um Kosten, die der Käufer auf
das Pferd aufgewendet hatte. Bei einem Rücktritt ergibt sich hier eine
Ersatzpflicht nur über den Verwendungsersatz (§ 347 II BGB), d.h.
Verwendungen sind nur ersetzbar, wenn sie entweder notwendig sind oder der
Verkäufer hierdurch bereichert ist. Hat allerdings der Tierarzt wegen seines
falschen Gutachtens Schadensersatz zu leisten, gilt § 249 I BGB: Der Käufer
ist so zu stellen, wie er stünde, wenn das Gutachten des Tierarztes richtig
gewesen wäre. Dann hätte er das Pferd nicht gekauft und auch die Ausgaben
nicht gehabt. Auf den - relativ engen - Begriff der Verwendungen und auf
deren Notwendigkeit bzw. Bereicherung kommt es dann nicht mehr an. Eine
Minderung des Ersatzanspruchs kommt dann aber - wie hier - über § 254 II in
Betracht.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Der Kläger begehrt von dem
Beklagten, einem Tierarzt, wegen einer mangelhaft durchgeführten
Ankaufsuntersuchung eines Pferdes Schadensersatz.
2 Der Kläger kaufte am 25. Februar 2008 von dem Streithelfer des Beklagten
den Hengst C. Der Beklagte hatte zuvor am 22. Februar 2008 im Auftrag des
Klägers eine Ankaufsuntersuchung durchgeführt, wobei ausdrücklich auch das
Röntgen des Kniegelenks links und rechts vereinbart war. Das Röntgenergebnis
hatte er als "ohne besonderen Befund" angegeben. Tatsächlich befanden sich
mehrere Chips im Kniegelenk des Hengstes, die auf den Röntgenaufnahmen
ersichtlich waren. Hiervon erfuhr der Kläger anlässlich einer
Körungsvorauswahl in K. am 2. September 2008, spätestens aber Ende
November/Anfang Dezember 2008.
3 Mit Schreiben vom 16. Januar 2009 erklärte er gegenüber dem Streithelfer
den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte von ihm Kostenerstattung. Dieser
verwies ihn an den Beklagten, dessen Haftpflichtversicherer mit Schreiben
vom 3. April 2009 erklärte, es würden keine Einwände gegen den
Anspruchsgrund geltend gemacht und Ansprüche bezüglich Kaufpreis und Zinsen
anerkannt. Dementsprechend erfolgte die Herausgabe des Pferdes an den
Beklagten Zug um Zug gegen Kaufpreiserstattung durch dessen
Haftpflichtversicherer.
4 Der Kläger macht mit der Behauptung, bei ordnungsgemäß
mitgeteiltem Befund der Ankaufsuntersuchung hätte er das Pferd von dem
Streithelfer nicht gekauft, weil er es als Zuchtpferd habe weiterveräußern
wollen, was nun nicht mehr möglich gewesen sei, weitere Aufwendungen
geltend, die ihm ab dem Zeitpunkt des Erwerbs des Pferdes bis zu dessen
Rückgabe entstanden seien.
5 Der Kläger hat in erster Instanz beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
an ihn 10.391,48 € sowie weitere 961,28 € für vorgerichtliche Anwaltskosten,
jeweils zuzüglich Zinsen zu zahlen. Das Landgericht hat unter Abweisung der
weitergehenden Klage den Beklagten verurteilt, an den Kläger 9.115,58 €
sowie weitere 755,08 € nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung des
Beklagten hat das Berufungsgericht den Betrag der Verurteilung auf 1.871,70
€ sowie weitere 229,55 € nebst Zinsen ermäßigt. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision möchte der Kläger die Zurückweisung der Berufung
erreichen. Der Beklagte hat seine Anschlussrevision, mit der er sein
Begehren auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt hat, vor
Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Entscheidungsgründe:
6 Die Revision hat überwiegend Erfolg.
I.
7 Das Berufungsgericht hat sich der Auffassung des Landgerichts
angeschlossen, dass dem Kläger ein werkvertraglicher
Schadensersatzanspruch nach § 634 Nr. 4, § 280 BGB zustehe. Bei
einer Ankaufsuntersuchung bestehe nicht nur die Pflicht des Tierarztes, die
Untersuchung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er müsse auch das Ergebnis
der Untersuchung auswerten und dem Auftraggeber mitteilen. Lägen
Auffälligkeiten vor, so habe er darauf hinzuweisen, ob eine weitere
differenzierende Untersuchungsdiagnostik erforderlich sei oder ob dieser
Befund für eine hinreichend klare Aussage ausreiche. Da der Beklagte die
Chips im Kniegelenk bei der Auswertung der vorgenommenen Röntgenaufnahmen
übersehen habe, habe er hiernach eine Pflichtverletzung begangen, die ihn
grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichte.
8 Allerdings sei die hieraus resultierende Haftung des Tierarztes
gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung des Verkäufers mangels
Gleichstufigkeit grundsätzlich nachrangig. Denn das Vorhandensein
der Chips im Kniegelenk stelle vorliegend einen Sachmangel dar. Die Annahme
einer Gesamtschuld scheitere an der notwendigen, hier aber fehlenden
rechtlichen Zweckgemeinschaft bzw. Gleichstufigkeit der Verpflichtungen der
beiden Schuldner. Hieran fehle es wegen der unterschiedlichen
Hauptleistungspflichten, einerseits der zur mangelfreien Lieferung,
andererseits der zur Erstellung eines fehlerfreien Gutachtens. Außerdem sei
die Haftung des Tierarztes gegenüber der des Verkäufers auch nach § 254 Abs.
2 Satz 1, § 242 BGB nachrangig. Denn der Verkäufer sei näher am
Schadensgeschehen. Deshalb sei es sachnäher, in geeigneten Fällen
zunächst die Nacherfüllung nach § 439 BGB, also die schonendere
Verfahrensweise zu ermöglichen bzw. die Rückabwicklung des Kaufvertrages zu
betreiben und damit den Vermögensschaden von dem Käufer abzuwenden.
9 Ansprüche gegen den Beklagten bestünden deshalb nur insoweit, als das von
dem Tierarzt geschuldete negative Interesse das von dem Verkäufer
auszugleichende positive Interesse übersteige. Wegen § 347 Abs. 2
BGB, wonach der Kläger von dem Verkäufer Ersatz nur der notwendigen
Verwendungen und nur in beschränktem Maße der nützlichen Verwendungen
beanspruchen könne, sei das hier teilweise der Fall. Hinsichtlich
der auf Wunsch des Klägers vorgenommenen Zusatzfütterung und der
Ausbildungskosten bestehe keine Ersatzpflicht des Verkäufers, weil
er insoweit durch diese nützlichen Verwendungen bei der Rückgabe des Pferdes
nicht bereichert sei, § 347 Abs. 2 Satz 2 BGB. Denn im Hinblick auf
die Beeinträchtigung durch die Chips sei eine auf einen Zuchthengst
ausgerichtete Ausbildung ohne Wert. Gleiches gelte für die nützlichen
Verwendungen im Zusammenhang mit der Körungsvorauswahl in K. Für diese
Schadenspositionen habe der Beklagte deshalb einzustehen, weil der Kläger in
Kenntnis der Chips, also bei ordnungsgemäßer Ankaufsuntersuchung, das Pferd
nicht erworben hätte und ihm die entsprechenden Kosten nicht entstanden
wären.
10 Die geltend gemachten Ausbildungs- und Zusatzfutterkosten seien vom
Beklagten jedoch nur bis einschließlich August 2008, also lediglich für
sechs Monate zu ersetzen, weil das Pferd Ende August 2008 bereits bei der
Veranstaltung in K. gescheitert war, und es dem Kläger nach § 254 BGB nun
oblegen hätte, die Gründe des Scheiterns zu eruieren und bis zur Ermittlung
der Gründe von weiteren Sonderaufwendungen abzusehen.
II.
11 Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten zum überwiegenden Teil der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
12 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der
Tierarzt bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes nicht nur verpflichtet
ist, die Untersuchung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er seinem
Auftraggeber auch deren Ergebnis, insbesondere Auffälligkeiten des Tieres,
mitzuteilen hat. Der mit der Ankaufsuntersuchung beauftragte Tierarzt
schuldet einen fehlerfreien Befund. Erfüllt er insoweit seine Pflichten
nicht, haftet er, weil der Vertrag als Werkvertrag einzuordnen ist
(vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1983 - VII ZR 174/81, BGHZ 87, 239), gemäß §
634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz des Schadens, der bei dem
Vertragspartner dadurch entstanden ist, dass er das Pferd aufgrund des
fehlerhaften Befundes erworben hat (vgl. Senatsurteile vom
22. Dezember 2011 - VII ZR 7/11, zur Veröffentlichung in
BGHZ bestimmt, und VII ZR 136/11,
zur Veröffentlichung vorgesehen).
13 2. Das Berufungsgericht nimmt hinsichtlich derjenigen Aufwendungen, deren
Ersatz der Kläger auch vom Streithelfer des Beklagten verlangen könne, an,
dass der Beklagte dem Kläger deshalb nicht zum Schadensersatz verpflichtet
sei, weil seine Haftung gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung des
Verkäufers nachrangig sei und eine gesamtschuldnerische Haftung beider daher
nicht in Betracht komme.
14 a) Das ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil der Beklagte dem
Kläger auch dann auf Schadensersatz haften würde, wenn eine Gesamtschuld
nicht vorläge. In diesem Fall würde sich allenfalls die Frage
stellen, ob der Beklagte gemäß § 255 BGB die Abtretung der Ansprüche gegen
den Verkäufer verlangen könnte. Im Übrigen geht das Berufungsgericht
auch rechtsirrtümlich davon aus, dass zwischen dem Beklagten und dem
Streithelfer keine Gesamtschuld besteht. Dies hat der Senat nach
Erlass des angefochtenen Urteils in zwei vergleichbaren Fällen entschieden.
Auf die dortige Begründung wird Bezug genommen (BGH, Urteile vom
22. Dezember 2011 - VII ZR 7/11,
zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, und
VII ZR 136/11, zur Veröffentlichung vorgesehen).
15 b) Das Urteil des Berufungsgerichts wird schließlich auch nicht von der
Erwägung getragen, der Kläger müsse gemäß §§ 242, 254 Abs. 2 Satz 1 BGB
zunächst den Streithelfer des Beklagten in Anspruch nehmen. Dem
Gläubiger steht es frei, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt.
Ihm kann deshalb grundsätzlich nicht als Verschulden bei der
Obliegenheit zur Schadensminderung angelastet werden, den Schuldner seiner
Wahl in Anspruch genommen zu haben. Inwieweit es im Einzelfall
ausnahmsweise gleichwohl nach den Maßstäben von Treu und Glauben geboten
sein kann, zunächst den Verkäufer auf Rückabwicklung des Vertrages in
Anspruch zu nehmen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom
22. Dezember 2011 - VII ZR 136/11),
kann offenbleiben. Denn jedenfalls wäre hierfür Voraussetzung, dass
die Rückabwicklung der einfachere und jedenfalls nicht aufwändigere Weg der
Schadloshaltung wäre. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Der Streithelfer ist nicht bereit, dem Kläger die geltend gemachten
Aufwendungen und Schäden zu ersetzen. Zu einer gerichtlichen
Geltendmachung seiner Ansprüche ist der Kläger vor einer Inanspruchnahme des
Beklagten gemäß § 242 BGB jedenfalls nicht verpflichtet.
16 c) Auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Differenzierung danach,
welche der geltend gemachten und vom Landgericht zuerkannten Ansprüche des
Klägers auch vom Streithelfer des Beklagten zu ersetzen wären, kommt es
deshalb nicht an. Die Berufung des Beklagten führt unter diesem
Gesichtspunkt zu keiner Abänderung des landgerichtlichen Urteils.
17 3. Demgegenüber hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger dadurch gegen
seine Schadensminderungspflicht verstoßen hat, dass er weiterhin
Ausbildungskosten aufgewandt hat, nachdem ihm bereits Ende August 2008
ernsthafte Zweifel hätten kommen müssen, ob das Pferd zur Zucht geeignet
war. Die nach August 2008 insoweit nur im Hinblick auf einen
beabsichtigten Einsatz als Zuchtpferd getätigten Aufwendungen sind daher
gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht mehr ersatzpflichtig. Dies wird von der
Revision auch nicht angegriffen.
18 Der vom Landgericht zuerkannte Anspruch ist damit um Ausbildungskosten
für neun Monate zu jeweils 270,45 €, das sind insgesamt 2.434,05 €, zu
kürzen. Eine weitere Kürzung um 99 € wegen Kosten für das Zusatzfutter
(Müsli) kommt nicht in Betracht, da dieser Betrag mit der Klage nicht
geltend gemacht und auch vom Landgericht nicht zugesprochen worden ist.
19 Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten bemisst sich
damit nur nach einem berechtigterweise geltend zu machenden Gegenstandswert
von 6.681,53 € und beträgt mithin insgesamt 603,93 €.
III.
20 Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1,
§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
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