Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung im Werkvertragsrecht - Schadensersatzanspruch bei Nichtvornahme der Nacherfüllung

BGH, Urteil vom 27. März 2003 - VII ZR 443/01 - OLG Celle - LG Lüneburg


Fundstelle:

NJW-RR 2003, 1021
BGHZ 154, 301


Zentrale Probleme:

Der Fall betrifft noch das "alte" Werkvertragsrecht i.d.F. vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung am 1.1.2002, jedoch ergeben sich keine wesentlichen Änderungen zum neuen Recht, das im Werkvertragsrecht materiell ohnehin nur wenig (insbesondere in Bezug auf die Verjährung), hauptsächlich aber systematisch modifiziert wurde (Anknüpfung an das allg. Leistungsstörungsrecht nach dem Modell des neuen Kaufrechts).
Der Schadensersatzanspruch der Beklagten würde sich nunmehr aus §§ 280 I, III, 281 BGB ergeben (so auch auch
BGH v. 11.10.2012 - VII ZR 179/11). Dabei wäre es irrelevant, ob die Kl. den ursprünglichen Mangel i.S.v. § 276 zu vertreten hat, solange nur das Unterbleiben der Nacherfüllung zu vertreten ist. Hinsichtlich der Frage des Rechts zur Verweigerung der Nacherfüllung gilt nunmehr § 635 III BGB (bisher § 633 II 3 BGB a.F.). Wird ein solches Recht geltend gemacht, ist die Fristsetzung für den Schadensersatzanspruch nach § 636 BGB entbehrlich, ein Schadensersatzanspruch "statt der Leistung" (zur Haftung für Mangelfolgeschäden s. die Anm. zu BGH NJW 2002, 816) würde dann voraussetzen, dass die ursprünglich mangelhafte Leistung i.S.v. § 276 BGB zu vertreten ist. Betrachtet man § 635 III BGB (ebenso wie § 439 III BGB) als "besondere Ausprägung des Rechtsgedankens von § 275 II, III BGB" (so die Begr. des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/6040 S. 232), ergibt sich der Schadensersatzanspruch dann aus §§ 280 I, III, 283 BGB (die Anordnung der Entbehrlichkeit der Fristsetzung in §§ 440, 636 BGB hätte dann nur deklaratorischen Charakter). Die besseren dogmatischen Gründe sprechen angesichts der Regelung des § 636 wohl für §§ 280 I, III, 281 BGB, im ergebnis ist die Frage irrelevant (s. auch die Anm. zu BGH v. 11.10.2012 - VII ZR 179/11). Für die Frage der Verhältnismäßigkeit der aufgewendeten Kosten im Rahmen des Schadensersatzanspruches gilt weiter § 251 II BGB, auch die Fragen des Prognoserisikos sind nach der Neuregelung nicht anders zu beantworten (s. dazu jetzt auch BGH v. 11.10.2012 - VII ZR 179/11).
Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs kommt als (vom Vertretenmüssen unabhängige!) Anspruchsgrundlage auch § 637 I BGB in Betracht. Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Aufwendungen sowie des Prognoserisikos stellt sich dabei im Rahmen der "Erforderlichkeit" der Aufwendungen.

©sl 2003


Amtl. Leitsätze:

a) Der Schadensersatzanspruch umfasst alle Aufwendungen, die für die ordnungsgemäße Herstellung des vom Unternehmer vertraglich geschuldeten Werks erforderlich sind.
b) Er beschränkt sich nicht auf die geringeren Kosten einer Ersatzlösung, die den vertraglich geschuldeten Erfolg nicht herbeiführt.
c) Der Besteller muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass der durch eine nicht vertragsgemäße Nachbesserung verbleibende Minderwert durch einen Minderungsbetrag abgegolten wird.
d) Zu den zu ersetzenden notwendigen Aufwendungen für die Mängelbeseitigung gehören diejenigen Kosten, die der Besteller bei verständiger Würdigung für erforderlich halten durfte.
e) Ob Aufwendungen für die Mängelbeseitigung unverhältnismäßig sind, beurteilt sich nach den Grundsätzen des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB. Unverhältnismäßigkeit kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.


Tatbestand:

Die Klägerin, ein Dachdeckerunternehmen, verlangt Werklohn für erbrachte Leistungen. Die Parteien streiten um einen Gegenanspruch der Beklagten wegen Mängeln, den diese im Wege der Aufrechnung und Widerklage geltend macht.

Die Beklagte erteilte im Zuge der Renovierung einer Scheune der Klägerin im Herbst 1996 den Auftrag, Dachunterschalung und Dach neu zu erstellen. Nach Ausführung der Arbeiten verweigerte sie wegen Mängeln Abnahme und Bezahlung des Werklohns. In der Revision ist nur von Interesse, daß die Klägerin für die Dachunterschalung zu feuchtes Holz verwendet hatte. Dadurch war es zu erheblicher Fäulnis- und Schimmelbildung sowie beim Austrocknen zu Farbveränderungen und Schwundfugen zwischen den Brettern gekommen. Mit Schreiben vom 9. Juli 1997 setzte die Beklagte der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung bis 28. Juli 1997 und kündigte an, nach Fristablauf andere Firmen mit der Nachbesserung zu beauftragen. Die Klägerin erklärte sich mit Schreiben vom 23. Juli 1997 bereit, den Schimmelbefall an den sichtbaren Hölzern durch Abwaschen oder Abbürsten zu beseitigen, und forderte die Beklagte auf, bis 5. August 1997 einen Termin hierfür zu benennen. Ab 4. August 1997 ließ die Beklagte die schadhaften Schalungsbretter durch eine Drittfirma austauschen. Dazu mußte das gesamte Dach abgebaut und wieder neu erstellt werden. Zwei von der Beklagten zuvor eingeschaltete öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für das Dachdeckerhandwerk bzw. für Holzschutz und Holzschäden waren zu dem Ergebnis gekommen, daß ein Austausch der Schalungsbretter zur Mängelbeseitigung erforderlich sei.

Die Klägerin hat 109.838,77 DM eingeklagt, die Beklagte bezifferte in den Tatsacheninstanzen ihren Anspruch auf insgesamt 139.027,22 DM. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 109.000 DM stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht den Verurteilungsbetrag auf 70.172,18 DM ermäßigt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Anspruch noch in Höhe von 125.346,21 DM weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Beurteilung richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 EGBGB).

I. Das Berufungsgericht führt aus, das Werk der Klägerin sei mangelhaft. Die Ankündigung der Beklagten, sie werde die Mängelbeseitigungsarbeiten anderweitig vergeben, stelle eine Kündigung des Vertrags dar. Zwar sei ein Unternehmer grundsätzlich auch nach Kündigung noch zur Nachbesserung berechtigt. Eine Mängelbeseitigung durch die Klägerin sei jedoch für die Beklagte nicht zumutbar gewesen. Deshalb verringere sich die Vergütung der Klägerin um angemessene Fremdnachbesserungskosten. Die Neuerstellung des Daches sei jedoch nicht angemessen gewesen. Es hätte ausgereicht, die Dachunterschalung abzubürsten und mit einem Bläueschutz zu versehen. Die dann noch verbliebenen optischen Mängel hätten durch eine Profilholzvertäfelung und seitliche Leisten verdeckt werden können. Der geringfügige Raumverlust wäre durch die verbesserte Wärmedämmung kompensiert worden. Die Beeinträchtigung des von der Beklagten angestrebten rustikalen Bildes des Dachbodens könne durch eine Minderung ausgeglichen werden. Fahrt- und Übernachtungskosten könne die Beklagte nicht geltend machen, da diese durch die Neuerstellung des Daches verursacht worden seien. Der Anspruch der Klägerin verringere sich insgesamt um 39.666,59 DM.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht übersieht, daß der Beklagten ein Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB zusteht. Sie kann danach alle Aufwendungen ersetzt verlangen, die ihr durch den Austausch der schadhaften Schalungsbretter und die damit verbundene Neuerstellung des Daches entstanden sind.

1. Die Voraussetzungen des § 635 BGB liegen nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes vor. Die von der Klägerin erstellte Dachunterschalung war mangelhaft. In anderem Zusammenhang weist das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, daß die Klägerin die Mängel zu vertreten hatte. Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung war entbehrlich. Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, daß eine Mängelbeseitigung durch die Klägerin für die Beklagte unzumutbar war.

2. Der Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB umfaßt alle Aufwendungen, die für die ordnungsgemäße Herstellung des vom Unternehmer vertraglich geschuldeten Werks erforderlich sind. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, hierzu zählten die Kosten für die Neuerstellung der Dachunterschalung und damit auch des Daches nicht, die Beklagte hätte sich mit weniger aufwendigen Maßnahmen verbunden mit einer Minderung begnügen müssen, trifft nicht zu.

a) Maßgeblich für den Umfang der Mängelbeseitigung ist das vertraglich geschuldete Werk. Diesen Zustand hat der Unternehmer herzustellen. Eine Mängelbeseitigung, die nicht den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführt, muß der Besteller grundsätzlich nicht akzeptieren. Der Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB beschränkt sich nicht auf die geringeren Kosten einer Ersatzlösung, die den vertraglich geschuldeten Erfolg nicht herbeiführt. Der Besteller muß sich auch nicht darauf verweisen lassen, daß der durch eine nicht vertragsgemäße Nachbesserung verbleibende Minderwert durch einen Minderungsbetrag abgegolten wird (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1997 - VII ZR 110/96, BauR 1997, 638, 639 = ZfBR 1997, 249, 250).

Nach der Vereinbarung der Parteien sollte die von der Klägerin zu erstellende Dachunterschalung sichtbar bleiben. Dadurch sollte nach den getroffenen Feststellungen dem Dachboden der Scheune ein rustikaler Charakter verliehen werden. Die Klägerin schuldet die für die Herstellung dieses Zustands erforderlichen Kosten. Auf die zwar billigere, aber im Vertrag nicht vorgesehene Vertäfelung muß sich die Beklagte nicht einlassen. Auf die Unverhältnismäßigkeit der Kosten kann sich die Klägerin nicht berufen (vgl. unten 3.).

b) Zu den nach § 635 BGB zu ersetzenden notwendigen Aufwendungen für die Mängelbeseitigung gehören auch diejenigen Kosten, die der Besteller bei verständiger Würdigung für erforderlich halten durfte. Das mit dieser Beurteilung verbundene Risiko trägt der Unternehmer (BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 - VII ZR 63/90, BauR 1991, 329 = ZfBR 1991, 104).

Die Beklagte hatte, bevor sie den Austausch der Schalungsbretter und die damit verbundene Neuerstellung des Daches in Auftrag gab, Gutachten zweier öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger vom Fach eingeholt. Beide hatten sich für diese Art der Nachbesserung ausgesprochen. Die Beklagte konnte auf die Richtigkeit dieser Gutachten vertrauen. Das im selbständigen Beweisverfahren erstattete Sachverständigengutachten, auf das das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt, wurde erst nach Abschluß der Mängelbeseitigungsarbeiten erstellt.

3. Die Klägerin kann der Beklagten nicht entgegenhalten, die von ihr gewählte Art der Mängelbeseitigung sei unverhältnismäßig gewesen.

Ob bei einem Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB Aufwendungen für die Mängelbeseitigung unverhältnismäßig sind, beurteilt sich nach den Grundsätzen des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB. Unverhältnismäßig sind die Aufwendungen ausnahmsweise dann, wenn der in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwands steht. Es muß für den Unternehmer unzumutbar sein, die vom Besteller in nicht sinnvoller Weise gemachten Aufwendungen tragen zu müssen (BGH, Urteile vom 26. Oktober 1972 - VII ZR 181/71, BGHZ 59, 365 und vom 6. Juni 1991 - VII ZR 372/89, BGHZ 114, 383).

Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf das grobe Verschulden der Klägerin beim Einbau des zu feuchten Holzes und die berechtigten Befürchtungen der Beklagten einer fortbestehenden Gesundheitsgefahr ersichtlich nicht vor.

III.

Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Da die Klägerin die von der Beklagten geltend gemachten Aufwendungen auch der Höhe nach bestritten hat, war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.