Mangelfolgeschaden im Werkvertragsrecht: Pflichtverletzung bei mangelhafter Werkleistung vor und nach der Schuldrechtsreform


BGH, Urteil vom 12. Dezember 2001 - X ZR 39/00 - OLG Hamm - LG Arnsberg


Fundstelle:

NJW 2002, 816


Amtl. Leitsatz:

Auch ein Schaden, der durch Verletzung einer Hauptleistungspflicht entsteht, kann als entfernter Mangelfolgeschaden den Regeln der positiven Vertragsverletzung unterliegen.


Zentrale Probleme:

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage der Haftung für Mangelfolgeschäden im Werkvertragsrecht (s. dazu auch die Anm. zu BGH NJW-RR 2003, 1285). Diese waren bisher dann nach den (bis dato ungeschriebenen Regelungen) der pVV mit der Regelverjährung des § 194 BGB ersetzbar, wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung vorlag und der Mangelfolgeschaden ein "entfernterer" war, der nicht unmittelbar mit der mangelhaften Werkleistung eintrat, sondern erst durch das Hinzutreten weiterer Ereignisse. Ein sog. "näherer" Mangelfolgeschaden war hingegen nach § 635 BGB a.F. ersetzbar mit der Folge, daß er der kurzen Verjährung des § 638 I BGB unterlag (vgl. dazu  BGHZ 115, 32, BGHZ 133, 155 sowie BGH NJW 1993, 923).
Nach der Neuregelung des Schuldrechts ist diese Unterscheidung für die Anspruchsbegründung irrelevant: Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Schäden, die der Besteller infolge der Mangelhaftigkeit an seinen sonstigen Rechtsgütern erleidet (Mangelfolgeschäden), ist nunmehr auch im Werkvertragsrecht einheitlich § 280 I BGB, es kommt also zu einer Haftung für vermutetes Verschulden. Da der auf den Ersatz von Mangelfolgeschäden gerichtete Anspruch kein Schadensersatz "wegen Verzögerung der Leistung" i.S.v. § 280 II BGB oder "statt der Leistung" i.S.v. § 280 III  BGB ist, bestehen für den Ersatz dieses Schadens keine weitere Tatbestandsvoraussetzungen nach §§ 281 - 283, 286 BGB. Die bisherige, nie überzeugend gelungene Abgrenzung zwischen "näheren" und "entfernten" Mangelfolgeschäden ist damit verschwunden. Durch die Verweisung von § 634 Nr. 4 BGB auf § 280 BGB wird klargestellt, daß der Besteller, wenn die Pflichtverletzung des Werkunternehmers in der Mangelhaftigkeit des Werkes besteht und von ihm zu vertreten ist, nach § 280 Ersatz jedes Schadens verlangen kann, der unmittelbar oder mittelbar mit dem Werkmangel zusammenhängt. Für die Verjährung gilt aber einheitlich § 634a BGB, weil diese Regelung u.a. an Ansprüche aus § 634 Nr. 4 BGB, d.h. Schadensersatzansprüche wegen eines Werkmangels, anknüpft. 
Freilich setzt sich die ratio der Differenzierung auf der Ebene der Verjährung fort: § 634a BGB unterscheidet nunmehr körperlich-gegenständliche und rein-geistige Werkleistungen (vgl. dazu Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 656).
Im vorliegenden Fall gälte nach neuem Recht einheitlich eine 2-jährige Verjährungsfrist nach § 634a I Nr. 1 BGB n.F.

Neben der in der mangelhaften Werkleistung liegenden Pflichtverletzung kommt daneben freilich, wie auch der BGH hier (zum alten Recht) darlegt, eine Nebenpflichtverletzung (nunmehr: § 241 II BGB n.F.) in Betracht. Dies ist freilich verjährungsrechtlich irrelevant, sofern nur der Schaden auf die mangelhafte Werkleistung zurückgeht, es sich also um einen der "in § 634 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Ansprüche" (s. den Wortlaut von § 634a BGB), d.h. um einen Schaden handelt, der auf eine mangelhafte Werkleistung zurückgeht. Wichtig ist dies allerdings auch nach neuem Recht dann, wenn eine mangelunabhängige Nebenpflicht verletzt wird, der eingetretene Schaden also nicht Folge der Mangelhaftigkeit der Werkleistung ist: Beschädigt also etwa der Werkunternehmer bei seiner Tätigkeit Eigentum des Bestellers oder verletzt er ihn, ohne daß dies mit einem Mangel der Werkleistung zusammenhängt (Bsp.: Der Maler beschädigt mit seiner Leiter Mobiliar des Bestellers), so verletzt er eine Pflicht nach § 241 II und haftet gem. § 280 I auf Schadensersatz, wobei - wie bisher - sein Vertretenmüssen vermutet wird. Dieser Anspruch unterliegt der Regelverjährung des § 195. Die überaus unbefriedigende Unterscheidung zwischen Mangelschaden bzw. Mangelfolgeschaden und sonstigen Schäden ist damit lediglich hinsichtlich der Anspruchsgrundlage obsolet. Eine einheitliche Verjährungsregel besteht aber nur in Bezug auf Mangelschäden und Mangelfolgeschäden. Die damit weiter bestehende Problematik der Abgrenzung von mangelabhängigen und mangelunabhängigen Nebenpflichtverletzungen hätte der Gesetzgeber hier ebenso wie im Kaufrecht vermeiden können, wenn er - wie vorgschlagen wurde - die verschuldensabhängige Haftung des Werkunternehmers insgesamt oder zumindest in Bezug auf Mangelfolgeschäden der regelmäßigen Verjährungsfrist unterstellt hätte (vgl. dazu Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 666).

© sl 2002


Tatbestand:

Der Kläger macht als Haftpflichtversicherer der Gemeinde L. (nachfolgend: Gemeinde) aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung eines Werkvertrags geltend. Die Gemeinde beabsichtigte, im Baugebiet G. die Mischwasserkanäle zu sanieren und dabei eine alte, im Kanalbestandsplan nicht verzeichnete Kanalstrecke zu verfüllen. Hierzu beauftragte sie die Beklagte mit einer Untersuchung dieser Kanäle mit einer Kamera, insbesondere zur Erfassung der bestehenden Anschlüsse. Dies umfaßte auch die Strecke zwischen den Schächten 4 und 5. Die Beklagte führte die Untersuchung durch, brach sie jedoch nach 16,9 m bei einem Sturzgefälle ab; ihr schriftlicher Bericht vermerkt hier: "Abbruch. Gegenmessung nicht erforderlich" (GA 17). In dem Bereich zwischen der Abbruchstelle und Schacht 5 mündete der Anschluß des Anwesens G. 9, was bei der Untersuchung unbemerkt blieb. Beim Verfüllen durch die Streitverkündete entstand über diesen Anschluß an dem Haus Schaden, für den der Kläger als Haftpflichtversicherer der Gemeinde einzustehen hat und den er gegenüber der Beklagten in Höhe von 109.822,12 DM geltend macht.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Forderung weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem zugleich die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.

I.

Das Berufungsgericht ist zum Ergebnis gekommen, daß die Beklagte auch das Kanalstück zwischen den Schächten 4 und 5 zu untersuchen hatte. Dies hat sie unstreitig nur teilweise getan. Damit hat die Beklagte die von ihr nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes werkvertraglich geschuldete Hauptleistung nur teilweise erbracht. Dies war, wovon jedenfalls mangels gegenteiliger Feststellungen für das Revisionsverfahren auszugehen ist, auch ursächlich für den am Eigentum der Anlieger bei der Verfüllung eingetretenen Schaden, der reguliert wurde und für den Ausgleich begehrt wird. Im übrigen stände es entgegen der Auffassung der Beklagten der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden nicht entgegen, daß sich dieser erst durch die Verfüllung verwirklicht hat; nach der Lebenserfahrung ist nämlich davon auszugehen, daß bei Kenntnis des Anschlusses geeignete Vorkehrungen getroffen worden wären, die es verhindert hätten, daß es durch die Verfüllung zu Schäden an dem Anwesen gekommen wäre.

II.

1. Das Berufungsgericht meint, Ansprüche kämen allein auf der Grundlage positiver Vertragsverletzung wegen Verletzung einer Hinweispflicht in Betracht. Auf die teilweise Nichterfüllung des Vertrags könne der Schadensersatzanspruch nicht gestützt werden, weil sich aus dem Untersuchungsbericht eindeutig ergebe, daß die Beklagte ihre Ermittlungen nicht vollständig ausgeführt habe. Zwar hätte dies die Gemeinde berechtigt, von der Beklagten die weitere Ausmessung nach § 631 BGB zu verlangen. Um einen solchen Anspruch gehe es hier aber nicht.

2. Dies greift die Revision mit Erfolg an. Sie verweist darauf, daß der Besteller nicht auf den Erfüllungsanspruch beschränkt sei. Auch die Haftung für Mangelfolgeschäden knüpfe an eine Schlechterfüllung der Hauptleistung und nicht an eine Verletzung von Nebenpflichten an, die allerdings daneben in Betracht komme.

3. Dem ist beizutreten. Auch ein Schaden, der durch Verletzung einer Hauptleistungspflicht entsteht, kann als entfernter Mangelfolgeschaden den Regeln der positiven Vertragsverletzung unterliegen (BGHZ 11, 80, 83; s. die ausführliche Kasuistik im Sen.Urt. v. 26.3.1996 - X ZR 100/94, WM 1996, 1785 ff., Gründe unter III. 2. b). In solchen Fällen wird zudem das Vorliegen eines Mangels vielfach erst dann bemerkt werden, wenn sich der Mangelfolgeschaden verwirklicht. Auch aus diesem Grund verbietet es sich, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für solche Schäden an die strengen Voraussetzungen der §§ 633 ff., 635 oder 325, 326 BGB zu knüpfen, wie dies die Beklagte annimmt. Damit kommen aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes Schadensersatzansprüche nicht nur wegen der Verletzung von Hinweispflichten, die das Berufungsgericht verneint hat, sondern auch wegen der Verletzung von werkvertraglichen Leistungspflichten in Betracht. Für das Revisionsverfahren ist mangels gegenteiliger Feststellungen im Berufungsurteil weiter davon auszugehen, daß die Beklagte schuldhaft gehandelt hat. Eine eigene Bewertung eines Mitverschuldens ist dem Senat nicht möglich, sie muß dem Tatrichter überlassen bleiben. Soweit das erstinstanzliche Urteil entsprechende Überlegungen enthält, worauf die Revisionserwiderung hinweist, hat sich das Berufungsgericht diese nicht zu eigen gemacht.

III.

Das Berufungsgericht wird sich mit der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobenen Rüge auseinanderzusetzen haben, daß die Überprüfung der Strecke zwischen den Schächten 4 und 5 nicht geschuldet gewesen sei.