Anwendung der Grundsätze
der schadensrechtlichen Vorteilsausgleichung (§ 242 BGB) bei
Gewährleistungsansprüchen in der werkvertraglichen Leistungskette.
BGH, Urteil vom 28. Juni
2007 - VII ZR 81/06
Fundstelle:
NJW 2007, 2695
BGHZ 173, 83
Amtl. Leitsatz:
Steht im Rahmen einer
werkvertraglichen Leistungskette fest, dass der Nachunternehmer von seinem
Auftraggeber wegen Mängeln am Werk nicht mehr in Anspruch genommen wird, so
kann er nach dem Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung gehindert sein,
seinerseits Ansprüche wegen dieser Mängel gegen seinen Auftragnehmer geltend
zu machen (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 24. März 1977 - VII ZR 319/75, BauR
1977, 277).
Zentrale Probleme:
Es geht um folgendes Problem: Ein Nachunternehmer wurde
vom Hauptunternehmer mit dem Einbau von Fenstern beauftragt. Diese Fenster
bezog er von dem beklagten Hersteller (nach neuem Recht wäre gem. § 651 BGB
von einem Werklieferungsvertrag auszugehen). Diese Fenster waren mangelhaft,
jedoch hatte dies für den Nachunternehmer keine Folgen, weil er seinerseits
nicht in Anspruch genommen wurde und wegen der Verjährung der gegen ihn
gerichteten Ansprüche auch nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Zwar
ist der Schaden hier bereits durch die Lieferung der mangelhaften Fenster
eingetreten und fällt nicht nachträglich weg, jedoch wendet der BGH In der
sehr sorgsam begründeten Entscheidung insoweit die auf § 242 BGB basierenden
Grundsätze der Vorteilsausgleichung an. Der Fall ist noch unter altem
Werkvertragsrecht zu entscheiden, die Rechtslage ist aber nach neuem Recht
nicht anders. Zur Vorteilsausgleichung s. auch die Anm. zu
BGH NJW 2001, 1274 sowie
BGH v. 12.3.2009 - VII ZR 88/08
und die Anm. zu BGH v.
1.8.2013 - VII ZR 75/11.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht Schadensersatz wegen
Lieferung mangelhafter Fenster.
2 Der Zedent B. war Inhaber einer Einzelfirma für Fenstermontage und wurde
von der ARGE Ba. (im Folgenden: Generalunternehmer) im Juli 1996 mit der
Durchführung sämtlicher Fensterarbeiten an einem Bauvorhaben in L.
beauftragt. Auftraggeber für den Generalunternehmer war die Firma T. (im
Folgenden: Bauherr). B. (im Folgenden: Nachunternehmer) hatte den Auftrag
zur Beschaffung und zum Einbau sämtlicher Fenster für insgesamt 315
Wohnungen in mehreren Mehrfamilienhäusern. Er bestellte aufgrund des
Leistungsverzeichnisses des Generalunternehmers sämtliche Fenster bei der
Beklagten, einer Fensterbaufirma, für 1,1 Mio. DM. Die 1.620 Fensterteile
wurden von der Beklagten auf Abruf direkt an das Bauvorhaben in L. geliefert
und vom Nachunternehmer bis September 1997 eingebaut.
3 Anlässlich eines anderen gemeinsamen Bauvorhabens der Parteien stellte
sich im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens Mangelhaftigkeit der
dort gelieferten Fensterteile heraus. Dies nahm der Nachunternehmer zum
Anlass, auch für die in L. eingebauten Fensterteile im Jahr 2001 ein
selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagte einzuleiten. Das dort
erstattete Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Rahmeneckverbindungen der
untersuchten Fensterteile teilweise nicht vollflächig verklebt waren, was zu
vereinzelten Undichtigkeiten in Form von offenen Fugenbereichen führte. Dies
stellt nach dem Ergebnis der Begutachtung im selbständigen Beweisverfahren
einen Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik dar.
4 Der Bauherr machte ebenso wenig wie der Generalunternehmer Mängelansprüche
wegen der Fenster geltend. Gewährleistungsansprüche gegen den
Nachunternehmer sind mittlerweile ebenso verjährt wie solche gegen den
Generalunternehmer.
5 1998 meldete der Nachunternehmer seine Einzelfirma ab. Am 5. Oktober 2004
trat er sämtliche ihm gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche an die
Klägerin, deren Komplementär-Geschäftsführer sein Sohn ist, ab. Die Klägerin
forderte die Beklagte unter Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung mehrfach
vergeblich auf, die Mängel zu beseitigen. Mit der Klage begehrt sie
Schadensersatz in Höhe der geschätzten Mängelbeseitigungskosten von
368.698,54 €.
6 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
7 Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin
ihre ursprünglichen Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
8 Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht
abgewiesen.
9 Das für die Beurteilung maßgebliche Recht richtet sich nach den bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
10 Das Berufungsgericht führt aus, es könne dahinstehen, ob an der
Werkleistung der Beklagten Mängel in dem von der Klägerin behaupteten Umfang
vorhanden seien. Der Klägerin sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
verwehrt, den ihr nach § 635 BGB grundsätzlich zustehenden
Schadensersatzanspruch geltend zu machen, weil der Nachunternehmer und
Zedent nicht mehr von seinem Auftraggeber in Anspruch genommen werden könne,
ebenso wenig wie diese vom Bauherrn oder den Erwerbern der Wohnungen, weil
alle Ansprüche verjährt seien. Generalunternehmer, Bauherr und
Wohnungserwerber hätten zu keiner Zeit Mängelbeseitigungsansprüche geltend
gemacht. Die Klägerin wolle den Schadensersatz nicht an die eigentlich
Geschädigten weitergeben, sondern zu ihrem eigenen Vorteil selbst behalten;
das sei nicht zu billigen.
II.
11 Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
12 Im Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass die Beklagte mangelhafte
Fenster geliefert hat und dass die Kosten der Mängelbeseitigung 368.698,54 €
betragen. Die Beklagte kann im Rahmen des § 635 BGB ihren
Schadensersatzanspruch nach diesen Kosten berechnen. Ob der Anspruch in Höhe
der gesamten Mängelbeseitigungskosten besteht oder ob sich die Klägerin die
Vorteile, die daraus resultieren, dass der Nachunternehmer wegen der
mangelhaften Fenster nicht in Anspruch genommen wird und dies auch nicht
mehr werden kann, anrechnen lassen muss, richtet sich nach dem
Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung.
13 1. Die Klägerin kann grundsätzlich ihren Schadensersatzanspruch nach den
Kosten berechnen, die für eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung erforderlich
sind (BGH, Urteil vom 10. März 2005 - VII ZR 321/03, BauR 2005, 1014 = NZBau
2005, 390 = ZfBR 2005, 461; st. Rspr.).
14 2. Dieser Schadensersatzanspruch der Klägerin ist in Höhe der gesamten
Mängelbeseitigungskosten entstanden.
15 a) Die Beklagte hat ihre Werkleistung im Vertragsverhältnis zum
Nachunternehmer erbracht, was grundsätzlich unabhängig vom
Vertragsverhältnis zwischen Nachunternehmer und Generalunternehmer zu
beurteilen ist. Der von der Beklagten in ihrem Vertragsverhältnis zum
Nachunternehmer schuldhaft verursachte Mangel selbst ist bereits der bei
diesem eingetretene Schaden. Abweichend von § 249 Satz 1 BGB wird dieser
Schaden durch den zur Mängelbeseitigung erforderlichen Betrag abgegolten
(BGH, Urteil vom 10. April 2003 - VII ZR 251/02, BauR 2003, 1211 = NZBau
2003, 375 = ZfBR 2003, 462).
Dass der Nachunternehmer weder vom Generalunternehmer noch vom Bauherrn
auf Mängelbeseitigung in Anspruch genommen wurde, berührt seinen
mangelbedingten Schaden zunächst nicht.
16 b) Dass bei der Schadensberechnung auf diesen Schaden in Höhe der
Mängelbeseitigungskosten abzustellen ist, steht in Einklang mit der
Dispositionsbefugnis des geschädigten Bestellers. Ihm steht der volle
Schadensbetrag unabhängig davon zu, ob und in welchem Umfang er den Mangel
tatsächlich beseitigen lässt. Er ist weder zu einer Nachbesserung noch zu
einer Abrechnung verpflichtet und kann den Schadensbetrag anderweitig
verwenden (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 - VII ZR 251/02 aaO; st.
Rspr.). Sein Anspruch wird auch nicht dadurch berührt, dass er das
mangelhafte Werk veräußert (BGH, Urteil vom 22. Juli 2004 - VII ZR
275/03, BauR 2004, 1617 = ZfBR 2005, 50; Urteil vom 6. November 1986 - VII
ZR 97/85, BGHZ 99, 81).
17 3. Jedoch hat sich bei dem Nachunternehmer und der Klägerin
wirtschaftlich gesehen infolge des Mangels im Endergebnis keine finanzielle
Einbuße verwirklicht, da inzwischen feststeht, dass er seinerseits nicht
wegen des Mangels in Anspruch genommen wird. Ob diese spätere Verminderung
oder der Wegfall der Vermögenseinbuße schadensersatzrechtlich zu
berücksichtigen ist, ist nach dem Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung zu
beurteilen.
18 a) Die im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätze der
Vorteilsausgleichung beruhen auf dem Gedanken, dass dem Geschädigten in
gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen sind, die ihm in adäquatem
Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter
Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen
herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf nicht besser gestellt werden, als
er ohne das schädigende Ereignis stünde; dem steht das aus der strikten
Anwendung der Differenzhypothese folgende schadensersatzrechtliche
Bereicherungsverbot entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1959 - VI ZR
90/58, BGHZ 30, 29; Urteil vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312;
Urteil vom 6. Juli 2000 - IX ZR 198/99, NJW 2001, 673 = ZIP 2000, 1584;
Münch-KommBGB/Oetker, 4. Aufl., § 249 Rdn. 18; Staudinger/Schiemann (2005),
§ 249 Rdn. 2). Andererseits sind nicht alle durch das Schadensereignis
bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, sondern nur
solche, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs
übereinstimmt, d.h. dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht
unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender
Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein.
Letztlich folgt der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung aus dem in § 242
BGB festgelegten Grundsatz von Treu und Glauben (BGH, Urteil vom 7.
November 1996 - VII ZR 23/95, BauR 1997, 335 = ZfBR 1997, 145; Urteil vom
17. Mai 1984 - VII ZR 169/82, BGHZ 91, 206).
19 b) Allerdings hat das Reichsgericht in einem Fall, der mit dem Streitfall
vergleichbar ist, eine Vorteilsausgleichung mit der Begründung abgelehnt,
Schaden und Vorteil seien nicht durch dasselbe Ereignis verursacht worden
(Urteil vom 30. Mai 1919, JW 1919, 932). Unter Bezugnahme hierauf hat der
Senat in einem ähnlich gelagerten Fall eine Vorteilsausgleichung verneint
(Urteil vom 24. März 1977 - VII ZR 319/75, BauR 1977, 277 = NJW 1977, 1819).
Der IX. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich dem in einem durch
insolvenzrechtliche Besonderheiten geprägten Fall für das Verhältnis
zwischen Erwerber, Bauträger und Architekt angeschlossen (Urteil vom 16.
September 1993 - IX ZR 255/92, NJW 1994, 49). In der Literatur hat diese
Rechtsprechung teilweise Zustimmung erfahren (BGB-RGRK/Glanzmann, BGB, 12.
Aufl., § 635 Rdn. 11; MünchKommBGB/Busche, 4. Aufl., § 634 Rdn. 46;
Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 635 Rdn. 41; Werner/Pastor, Der
Bauprozess, 11. Aufl., Rdn. 1057; Locher, NJW 1979, 2235). Andere
befürworten in dieser Fallkonstellation die Vorteilsausgleichung (Kniffka,
IBR-online-Kommentar, Stand 12. Juni 2007, § 636 Rdn. 64; ders. ZfBR 2000,
232; Staudinger/Peters (2003), § 634 Rdn. 133 f.; Schubert, ZfBR 2005, 219
unter Verweis auf den Gedanken der Entsprechung in § 641 Abs. 2 BGB n.F.;
Schulze, NJW 1987, 3097; vgl. auch Ingenstau/Korbion/Wirth, 16. Aufl., § 13
Nr. 7 VOB/B Rdn. 101 und Koeble, Rechtshandbuch Immobilien Band I, Kap. 48,
Rdn. 95). Dem hat sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main angeschlossen
(Urteil vom 28. März 2001 - 17 U 88/99).
20 c) Der Senat hält an seiner dargestellten Rechtsprechung nicht
uneingeschränkt fest. In einer Fallkonstellation, wie sie hier gegeben ist,
kann der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung herangezogen werden, wenn
feststeht, dass derjenige, der Schadensersatz wegen eines Mangels gegen
seinen nachgeschalteten Vertragspartner geltend macht, seinerseits nicht
mehr wegen dieses Mangels von einem vorgeschalteten Vertragspartner in
Anspruch genommen werden kann.
21 Wirtschaftlich betrachtet ist der Nachunternehmer lediglich
Zwischenstation innerhalb der werkvertraglichen Leistungskette vom
Werklieferanten über den Nachunternehmer und den Generalunternehmer zum
Bauherrn. Der Nachunternehmer erbringt seine Leistung regelmäßig am
Bauvorhaben des Bauherrn. Diesem kommt im wirtschaftlichen Ergebnis die
Leistung zugute, er ist von dem Mangel des Werks des Lieferanten betroffen.
Der Nachunternehmer dagegen wird mit der Mangelfrage nur wegen der
besonderen durch die Leistungskette gekennzeichneten Vertragsgestaltung
befasst, da zwischen dem Lieferanten und dem Bauherrn keine vertraglichen
Beziehungen bestehen. Auch im Gewährleistungsfall ist der Nachunternehmer
nur Zwischenstation. Die finanzielle Einbuße, die er durch den vom
Lieferanten verursachten Mangel erleidet, richtet sich wirtschaftlich
gesehen danach, in welchem Umfang er vom Generalunternehmer oder Bauherrn in
Anspruch genommen wird. Erlangt er dabei durch den ihm zustehenden
Schadensersatzanspruch einen Vorteil, weil trotz Mängeln am Werk
Generalunternehmer und Bauherr endgültig keine Ansprüche gegen ihn erheben
können, erscheint es nach Treu und Glauben angemessen, den Rechtsgedanken
der Vorteilsausgleichung heranzuziehen und zu überprüfen, ob er diesen
Vorteil an den Lieferanten weitergeben muss. Wie diese Frage im Einzelfall
zu entscheiden ist, muss anhand einer Wertung beurteilt werden, die sich an
den auch im Übrigen maßgeblichen Zurechnungskriterien der
Vorteilsausgleichung ausrichtet.
22 Diesen Grundsätzen steht die erwähnte Rechtsprechung des IX. Zivilsenats
des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 16. September 1993 - IX ZR 255/92, NJW
1994, 49) nicht entgegen. Der dort entschiedene Fall war maßgeblich durch
eine besondere insolvenzrechtliche Konstellation und Interessenlage geprägt,
in der weder von den dargestellten Voraussetzungen für die Heranziehung des
Rechtsgedankens der Vorteilsausgleichung auszugehen war noch eine Wertung
nahe lag, die einen Ausgleich zu Lasten des der Insolvenzmasse zustehenden
Schadensersatzanspruchs hätte gerechtfertigt erscheinen lassen.
23 d) Der Kläger muss sich daher eine Vorteilsausgleichung gefallen lassen.
Der Nachunternehmer wurde weder vom Generalunternehmer noch vom Bauherrn
wegen der mangelhaften Fenster in Anspruch genommen; dies beruht darauf,
dass zu keiner Zeit Bedenken gegen die Funktionstüchtigkeit der Fenster
aufgetreten sind. Inzwischen sind alle diesbezüglichen Ansprüche gegen ihn
ebenso verjährt wie Gewährleistungsansprüche des Bauherrn oder der
Wohnungserwerber gegen den Generalunternehmer; der Nachunternehmer wäre
gegebenenfalls zwecks Minderung des Schadens zur Erhebung der
Verjährungseinrede gehalten (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1984 - II ZR
82/83, VersR 1984, 580, 581). Dann erscheint es nach den Grundsätzen von
Treu und Glauben geboten, diesen Vorteil an den Lieferanten weiterzugeben. |