Ersatz fiktiver
Reparaturkosten (§ 249 II BGB) auch bei späterer Zerstörung des beschädigten Gegenstandes
durch einen Dritten; schadensrechtliche Vorteilsausgleichung
BGH, Urteil vom 12.3.2009 -
VII ZR 88/08
Fundstelle:
NJW-RR 2009, 1030
Amtl. Leitsatz:
Der Geschädigte kann vom
Schädiger die fiktiven Kosten der Reparatur seines Pkw auch dann verlangen,
wenn das Fahrzeug bei einem späteren Unfall am gleichen Karosserieteil
zusätzlich beschädigt worden ist, die Reparatur des Zweitschadens
zwangsläufig zur Beseitigung des Erstschadens geführt hat und der
Kaskoversicherer des Geschädigten aufgrund seiner Einstandspflicht für den
späteren Schaden die Reparaturkosten vollständig erstattet hat.
Zentrale Probleme:
Eine lehrreiche Entscheidung zum Schadensrecht: Der
Schädiger, der im Falle einer Sachbeschädigung nach § 249 II BGB den zur
Herstellung erforderlichen Geldbetrag schuldet, wird nicht dadurch
entlastet, daß der Gegenstand später von einem Dritten vollständig zerstört
wird und der Dritte (hier ein Kaskoversicherer) vollständigen Schadensersatz
leistet. Vielmehr schuldet der Dritte nur Ersatz des von ihm verursachten
weiteren Schadens. Zahlt er dennoch (weil der Geschädigte den Vorschaden
verschweigt - § 263 StGB!), entlastet dies den Erstschädiger weder nach den
Grundsätzen der Gesamtschuld (Gesamtwirkung der Erfüllung nach § 422 I S. 1
BGB) noch nach denjenigen der Vorteilsausgleichung. Der Zweitschädiger bzw.
die Versicherung hat, da mangels entsprechender Tilgungsbestimmung auch eine
Drittleistung nach § 267 BGB ausscheidet, insoweit schlicht ohne Rechtsgrund
gezahlt und kann den geleisteten Schadensersatz nach § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB
(Leistungskondiktion) zurückfordern. Daß der Schaden jetzt nicht mehr
repariert werden kann, entlastet den nach § 249 II BGB zur Erstattung
fiktiver Reparaturkosten verpflichteten Schädiger nicht. Der Senat weist zum
wiederholten Male darauf hin, daß es dem Geschädigten aufgrund seiner
Dispositionsfreiheit grundsätzlich freisteht, ob er den zur
Wiederherstellung erforderlichen Betrag nach dessen Zahlung wirklich diesem
Zweck zuführen oder anderweitig verwenden will. Selbst wenn er von
vornherein nicht die Absicht hat, die der Berechnung seines Anspruchs
zugrunde gelegte Wiederherstellung zu veranlassen, sondern sich anderweit
behelfen oder die Entschädigungszahlung überhaupt einem sachfremden Zweck
zuführen will, kann der Geschädigte Ersatz der zur Behebung des Schadens
erforderlichen Reparaturkosten verlangen.
Zur Vorteilsausgleichung s. die Anm. zu
BGH
NJW 2001, 1274 sowie BGH NJW 2007, 2695
(=
BGHZ 173, 83) und BGH v. 15.1.2009 - III ZR 28/08.
Zum Ersatz fiktiver Reparaturkosten s. BGH NJW 2005, 1108
und BGH NJW 2005, 1110. Zu fiktiven
Operationskosten s.
BGHZ 97,
14.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Der Kläger begehrt von der Beklagten Ersatz
eines Schadens, der an seinem Pkw in der Waschanlage der Beklagten
entstanden sein soll.
2 Am 10. Juni 2006 ließ der Kläger seinen Pkw in der Waschanlage der
Beklagten waschen. Nach Ende des Waschvorgangs zeigte er dem
Bedienungspersonal der Waschanlage an, dass die Frontschürze vorne links vom
vorderen Kotflügel ca. 10 cm abgerissen, im 90°-Winkel abgeknickt und
eingerissen sei. Ob dieser Schaden von der Waschanlage verursacht wurde, ist
zwischen den Parteien streitig.
3 Der Kläger begehrt Ersatz des Schadens, den er nach einem
Kostenvoranschlag inklusive Kostenpauschale mit insgesamt 1.148,35 € netto
beziffert. Nach Klageerhebung verursachte die Ehefrau des Klägers am 28.
Dezember 2006 mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug einen Auffahrunfall,
durch den die Frontschürze vollständig funktionsunfähig wurde. Der Kläger
ließ die Frontschürze erneuern, wodurch auch die bereits vorhandene
Beschädigung ohne Mehrkosten behoben wurde. Die Kosten der Reparatur
erhielt der Kläger von seinem Vollkaskoversicherer erstattet, den er über
den Vorschaden an der Frontschürze nicht informierte.
4 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist
erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger seinen Anspruch in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6 Das Berufungsgericht lässt offen, ob ein Schadensersatzanspruch des
Klägers gegen die Beklagte entstanden ist. Ein solcher Anspruch auf Ersatz
der fiktiven Reparaturkosten sei zwar nicht durch den Unfall vom 28.
Dezember 2006 untergegangen. Der Kläger habe jedoch seinen Anspruch durch
die Leistung seiner Vollkaskoversicherung verloren. Obwohl die Versicherung
nicht wegen des ersten, sondern wegen des zweiten Schadensereignisses
gezahlt habe, habe diese Leistung Tilgungswirkung auch für die Beklagte. Der
Zweitschaden umfasse der Höhe nach vollständig den Erstschaden. Die zu
seiner Beseitigung durchgeführten Arbeiten seien auch für die Reparatur des
Erstschadens erforderlich gewesen. Es könne dahinstehen, ob die Beklagte und
die Kaskoversicherung echte oder unechte Gesamtschuldner seien. Jedenfalls
bestehe zwischen ihnen Leistungsidentität.
II.
7 Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte ist von
einer Pflicht, dem Kläger den möglicherweise am 10. Juni 2006 entstandenen
Schaden zu ersetzen, nicht frei geworden.
8 1. Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass dem Kläger wegen
der Beschädigung seines Pkw in der Waschanlage ein Schadensersatzanspruch in
Höhe der fiktiven Reparaturkosten gegen die Beklagte erwachsen ist.
9 2. Der Kläger hat diesen Anspruch nicht nachträglich verloren.
10 a) Das gilt zunächst für den vom Berufungsgericht angenommenen Fall, dass
der Unfall vom 28. Dezember 2006 den in der Waschanlage entstandenen Schaden
erweitert hat und der Kaskoversicherer für den gesamten Schaden
eintrittspflichtig ist.
11 aa) Die Leistung des Kaskoversicherers hat den Anspruch des Klägers gegen
die Beklagte nicht getilgt.
12 (1) Eine Erfüllungswirkung nach § 422 Abs. 1 BGB ist nicht eingetreten.
Der Kaskoversicherer des Klägers und die Beklagte sind keine Gesamtschuldner
im Sinne von § 421 BGB. Zwischen ihnen besteht schon keine gleichstufige
Verbundenheit hinsichtlich ihrer Verpflichtung zum Schadensausgleich, die zu
einer gesamtschuldnerischen Haftung führen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 26.
Juni 2003 - VII ZR 126/02, BGHZ 155, 265, 268). Die Beklagte haftet als
Schädiger. Der Versicherer ist aus dem mit dem Kläger geschlossenen
Versicherungsvertrag einstandspflichtig.
13 (2) Eine Befreiung der Beklagten von ihrer Verpflichtung gegenüber dem
Kläger könnte daher durch die Leistung des Versicherers nur eingetreten
sein, wenn, wie die Revisionserwiderung mit dem Amtsgericht meint, der
Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte nach dem
Versicherungsvertragsgesetz, das nach Art. 1 Abs. 2 EGVVG auf bis zum 31.
Dezember 2008 eingetretene Versicherungsfälle in der bis zum 31. Dezember
2007 geltenden Fassung anzuwenden ist, auf den Kaskoversicherer übergegangen
wäre. Dies ist indes nicht der Fall.
14 Auf den Versicherer gehen nach § 67 Abs. 1 VVG a.F. diejenigen Ansprüche
über, die den durch den Versicherungsfall eingetretenen wirtschaftlichen
Schaden ersetzen sollen (BGH, Urteil vom 24. November 1971 - IV ZR 71/70,
VersR 1972, 194, 195 f.; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 67 Rdn.
3). Der Versicherungsfall, aufgrund dessen der Versicherer Leistungen an den
Kläger erbracht hat, betrifft nicht die Beschädigung des Fahrzeugs des
Klägers in der Waschanlage der Beklagten.
15 Nach § 7 Nr. 1 Abs. 1 AKB, von deren Geltung zwischen dem Kläger und dem
Versicherer der Senat mangels Feststellungen zugunsten des Klägers ausgeht,
ist unter Versicherungsfall das Ereignis zu verstehen, das einen unter die
Versicherung fallenden Schaden verursacht. Mehrere Schadensereignisse können
als ein Versicherungsfall angesehen werden, wenn sie sich als Teil eines
einheitlichen Vorgangs oder eines einheitlichen Geschehensablaufs
darstellen. Ob dies der Fall ist, ist nach der Verkehrsauffassung bei
natürlicher Betrachtungsweise zu entscheiden (BGH, Urteil vom 9. November
2005 - IV ZR 146/04, NJW 2006, 292, 294; Urteil vom 6. Juni 1966 - II ZR
22/64, VersR 1966, 745).
16 Nach diesen Grundsätzen stellt der Unfall vom 28. Dezember 2006 einen
Versicherungsfall dar, der von der Beschädigung des Fahrzeugs in der
Waschanlage der Beklagten aufgrund der zeitlichen und räumlichen Distanz
abzugrenzen ist. Fällt der Erstschaden ebenfalls unter die Kaskoversicherung
des Klägers, liegt insoweit ein selbständiger Versicherungsfall vor.
17 Die Leistung des Versicherers bezog sich nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts ausschließlich auf das Ereignis vom 28. Dezember 2006 und
den dabei verursachten Schaden. Ein Wille der Versicherung, Leistungen auch
für die vom Kläger ihr gegenüber nicht geltend gemachte, ihr nicht einmal
bekannte Beschädigung durch die Waschanlage der Beklagten zu erbringen, ist
nicht ersichtlich und kann nicht daraus abgeleitet werden, dass dieser
Schaden faktisch beseitigt wurde. Auch der Kläger hat die
Versicherungsleistung nicht als Ersatz des in der Waschanlage entstandenen
Schadens verstanden. Eine Regulierung des ersten Schadensfalls durch den
Versicherer ist mithin nicht erfolgt.
18 (3) Für die Annahme des Berufungsgerichts, das offenbar einen
Forderungsübergang nach § 67 VVG nicht annehmen will, die Zahlung der
Kaskoversicherung habe Tilgungswirkung wegen der Leistungsidentität zwischen
den Schuldnern gehabt, bleibt nach allem kein Raum.
19 Dass der Versicherer als Dritter im Sinne von § 267 BGB geleistet hat -
was das Berufungsgericht auch nicht annimmt - scheidet ersichtlich aus.
20 bb) Der Kläger muss sich auf seinen Anspruch die Leistung des
Versicherers nicht nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung anrechnen
lassen.
21 Diese Grundsätze beruhen auf dem Gedanken, dass dem Geschädigten in
gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen sind, die ihm in adäquatem
Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Dabei sind nicht alle durch
das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch
anzurechnen, sondern nur solche, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck
des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d.h. dem Geschädigten zumutbar ist und
den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGH, Urteil vom 14. September
2004 - VI ZR 97/04, NJW 2004, 3557; Urteil vom 28. Juni 2007 - VII ZR 81/06,
BGHZ 173, 83, 87). Die Versicherungsleistung, die der Kläger wegen des
Unfalls vom 28. Dezember 2006 erhalten hat, ist ihm zum einen nicht im
Zusammenhang mit dem Schadensereignis vom 10. Juni 2006 zugeflossen. Zum
anderen hat er sie durch die Zahlung der Versicherungsprämien selbst
"erkauft", was dem Schädiger nicht zugute kommen kann (vgl. BGH, Urteil vom
19. Dezember 1978 - VI ZR 218/76, BGHZ 73, 109, 113 f.).
22 cc) Der Anspruch des Klägers auf Ersatz der fiktiven Herstellungskosten
nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist weder durch die zusätzliche Beschädigung
bei dem Unfall am 28. Dezember 2006 noch durch die anschließende Reparatur
untergegangen. Der Hinweis der Revisionserwiderung, der Anspruch sei deshalb
entfallen, weil die Herstellung nunmehr unmöglich sei und der Schaden auf
Kosten eines Dritten ohne jede Belastung des Geschädigten beseitigt worden
sei, geht fehl. Diese Umstände können den einmal entstandenen
Schadensersatzanspruch nicht nachträglich beseitigen und so den Schädiger
entlasten.
23 Dem Geschädigten steht es aufgrund seiner Dispositionsfreiheit
grundsätzlich frei, ob er den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag
nach dessen Zahlung wirklich diesem Zweck zuführen oder anderweitig
verwenden will. Selbst wenn er von vornherein nicht die Absicht hat, die der
Berechnung seines Anspruchs zugrunde gelegte Wiederherstellung zu
veranlassen, sondern sich anderweit behelfen oder die Entschädigungszahlung
überhaupt einem sachfremden Zweck zuführen will, kann der Geschädigte Ersatz
der zur Behebung des Schadens erforderlichen Reparaturkosten verlangen (BGH,
Urteil vom 23. Mai 2006 - VI ZR 192/05, BGHZ 168, 43, 47).
24 Lässt der Geschädigte die Sache reparieren und werden die Kosten hierfür
von einem Dritten übernommen, dessen Leistung nicht zugleich die Schuld des
Schädigers erfüllt, kann jedenfalls dann nichts anderes gelten, wenn die
Leistung des Dritten aus einer Versicherung erfolgt, die der Geschädigte mit
seinen Beiträgen finanziert hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die
Reparatur vor oder nach Erhalt des Schadensersatzes durchgeführt wird. Zwar
ist grundsätzlich die Schadensentwicklung bis zum Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 23. März 1976 -
VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241 f.; Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR
249/02, NJW 2004, 444, 445). Es kann dem Geschädigten jedoch nicht zum
Nachteil gereichen, wenn er von seiner Dispositionsbefugnis Gebrauch macht,
bevor der Ersatzpflichtige geleistet hat (BGH, Urteil vom 23. März 1976 - VI
ZR 41/74, aaO, S. 244).
25 b) Geht man entgegen dem Ansatz des Berufungsgerichts davon aus, dass der
Unfall vom 28. Dezember 2006 den in der Waschanlage entstandenen Schaden
nicht (nur) erweitert hat, sondern dass (auch) ein neuer, eigenständiger und
abtrennbarer Schaden unabhängig von dem Erstschaden entstanden ist, wäre
nicht anders zu entscheiden. Der Versicherer wäre nur für die durch den
Unfall vom 28. Dezember 2006 verursachte Erhöhung der Reparaturkosten
einstandspflichtig. Die Haftung der Beklagten für den Erstschaden würde
dadurch in keiner Weise tangiert. Ein Gesamtschuldverhältnis käme von
vornherein mangels einer Leistungspflicht des Versicherers für den
Erstschaden nicht in Betracht. Soweit die Leistungen des Versicherers auch
durch den Erstschaden verursachte Kosten abdecken, wäre der Kläger einem
Rückforderungsanspruch des Versicherers ausgesetzt.
26 § 67 Abs. 1 VVG a.F. wäre ebenso wenig anwendbar. Die von der
Revisionserwiderung herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass
ein Forderungsübergang auch stattfindet, wenn der Versicherer irrtümlich
Leistungen aufgrund eines Schadensereignisses erbringt, obwohl er für dieses
nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (BGH, Urteil vom 23. November
1988 - IVa ZR 143/87, NJW-RR 1989, 922, 923), betrifft einen anderen
Sachverhalt. Dort ging es um die Ausgleichspflicht zwischen zwei
Versicherern, von denen der irrtümlich Leistende nur subsidiär nach dem
anderen einstandspflichtig war.
III.
27 Der Senat kann nicht in der Sache entscheiden, da das Berufungsgericht
keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Erstschaden durch die
Waschanlage verursacht wurde und von der Beklagten zu verantworten ist. Die
Sache war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die
erforderlichen Feststellungen getroffen werden können. |