Kein Ersatz fiktiver
Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert eines Kfz bei nicht
fachgerechter Reparatur
BGH, Urteil
vom 15. Februar 2005 - VI ZR 172/04
Fundstelle:
NJW 2005, 1110
BGHZ 162, 70
Amtl. Leitsatz:
Übersteigt der Kraftfahrzeugschaden den
Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs, können dem Geschädigten
Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs
liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten
konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in
einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt.
Anderenfalls ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den
Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.
Zentrale Probleme:
s. die Anm. zu BGH,
Urteil vom 15. Februar 2005 - VI ZR 70/04
sowie insbes. BGH NJW 2009, 910.
©sl 2005
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Ersatz
restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall, für den die Beklagten in
vollem Umfang einzustehen haben.
Die für die fachgerechte und vollständige Reparatur des Fahrzeugs des
Klägers erforderlichen Kosten schätzte der Kfz-Sachverständige auf 6.044,41
€ ohne Mehrwertsteuer. Zum Ausgleich des Wertunterschiedes "neu für alt" bei
den Ersatzteilen sah der Sachverständige einen Abzug von 185,79 € vor. Für
die voraussichtliche Reparaturdauer ging er von neun bis zehn Arbeitstagen
aus. Den Wiederbeschaffungswert schätzte er auf 5.450 € inklusive
Mehrwertsteuer, den Restwert des Fahrzeugs auf 1.000 €. Der Kläger ließ das
Fahrzeug in einen verkehrssicheren und fahrbereiten Zustand versetzen. Dafür
wendete er 1.800 € zuzüglich 288 € Mehrwertsteuer auf.
Der Kläger begehrte von den Beklagten die Reparaturkosten in Höhe von
5.858,62 € ohne Mehrwertsteuer gemäß Gutachten unter Berücksichtigung des
Abzugs "neu für alt" (6.044,41 € minus 185,79 €), die von ihm für die
durchgeführte Reparatur bezahlte Mehrwertsteuer in Höhe von 288 € sowie
weitere Kosten, die nicht mehr im Streit sind.
Der Kläger ist der Ansicht, daß ihm die geschätzten Reparaturkosten zu
erstatten seien, da diese 130% des Wiederbeschaffungswerts nicht überstiegen
und er sein Fahrzeug tatsächlich repariert habe. Eine vollständige Reparatur
des Fahrzeugs sei nicht erforderlich. Die Mehrwertsteuer sei zu erstatten,
da sie tatsächlich angefallen sei.
Das Amtsgericht hat einen Ersatzanspruch in Höhe des
Wiederbeschaffungsaufwands (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) des
Fahrzeugs bejaht und dem Kläger weitere 752,73 € zuzüglich 5% Zinsen seit
dem 21. Januar 2004 (dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) zugesprochen.
Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das
Landgericht das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich des Zinsbeginns auf 26.
Juli 2003 abgeändert und im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anspruch auf Ersatz der
geschätzten Reparaturkosten und der für die durchgeführte Reparatur
gezahlten Mehrwertsteuer weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat dem Kläger nur den
Wiederbeschaffungsaufwand zuerkannt, weil die erforderlichen Reparaturkosten
für eine ordnungsgemäße Instandsetzung des Fahrzeugs über dem
Wiederbeschaffungswert lägen und der Kläger weder vollständig noch
fachgerecht repariert habe. Dies sei Voraussetzung für die Abrechnung von
Reparaturkosten bis zu 130% des Wiederbeschaffungswerts. In Umkehrung der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsurteil BGHZ 115, 375 ff.),
daß die Reparatur nicht in einen sinnvollen und einen nicht sinnvollen Teil
aufgespalten werden könne, müsse bei einer nicht in vollem Umfang und nicht
ordnungsgemäß durchgeführten Reparatur der Grundsatz gelten, daß der
Geschädigte einen Integritätszuschlag nur für eine insgesamt wirtschaftlich
sinnvolle, vollständig sach- und fachgerecht durchgeführte Reparatur
verlangen könne. Der Kläger könne deshalb lediglich nach dem
Wiederbeschaffungsaufwand abrechnen, denn der Restwert bleibe nur bei einer
Abrechnung von Reparaturkosten bis zum Wiederbeschaffungswert außer Acht.
Allerdings könne der Kläger die in dem vom Sachverständigen geschätzten
Wiederbeschaffungsaufwand enthaltene Mehrwertsteuer gemäß § 249 Abs. 2 Satz
2 BGB ersetzt verlangen. Diese werde zwar vom Sachverständigen mit 16% in
Höhe von 613,79 € berechnet. Erwerbe der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug von
einem Privatmann, der keine Mehrwertsteuer bezahle, sei deshalb der
Wiederbeschaffungsaufwand um diesen Betrag zu kürzen. Da der Kläger kein
neues Fahrzeug erworben habe, könne aber auf der Grundlage der
Differenzbesteuerung des § 25a UStG die Mehrwertsteuer pauschal mit 2% des
Wiederbeschaffungswerts auf 90 € angesetzt werden. In dieser Höhe sei
Umsatzsteuer für die Kosten der Teilreparatur vom Kläger tatsächlich gezahlt
worden. Deshalb könne er den Wiederbeschaffungsaufwand einschließlich der
Mehrwertsteuer ersetzt verlangen. Darüber hinausgehende für die
Teilreparatur aufgewendete Mehrwertsteuer könne er hingegen nicht verlangen,
da die Grenze seines Ersatzanspruches der Wiederbeschaffungsaufwand sei.
II. Die Revision des Klägers bleibt erfolglos.
1. Mit Urteil vom heutigen Tag hat der erkennende Senat in der Sache VI ZR
70/04 entschieden, daß der Geschädigte Ersatz eines den
Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturaufwands nur dann verlangen
kann, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt
werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung
gemacht hat. Davon geht das Berufungsgericht zutreffend aus. Auch seine
weitere Auffassung, daß der Kläger bei fiktiver Schadensberechnung lediglich
Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands - also abzüglich des
Restwerts - verlangen könne, trifft im Ergebnis zu.
a) Bei der Frage, welchen Aufwand der Geschädigte für die Reparatur seines
Fahrzeugs ersetzt verlangen kann, ist - wie der Senat im Urteil - VI ZR
70/04 - vom heutigen Tag (vorges. zur Veröff. in BGHZ) ausgeführt hat - zum
einen das Verhältnis der Reparaturkosten zum Wiederbeschaffungswert des
Fahrzeugs zu berücksichtigen (Senatsurteil, BGHZ 115, 364, 367); zum anderen
ist zu bedenken, daß regelmäßig nur die Reparatur des dem Geschädigten
vertrauten Fahrzeugs sein Integritätsinteresse befriedigt (vgl.
Senatsurteile BGHZ 115, 364, 371; vom 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - VersR
1999, 245 f. und vom 17. März 1992 - VI ZR 226/91 - VersR 1992, 710; OLG
Hamm, NZV 1991, 351, 352 = DAR 1991, 333, 334; Medicus, Jus 1973, 211, 212;
Weber, DAR 1991, 11). Deshalb steht es mit den Grundsätzen des
Schadensrechts im Einklang, daß dem Geschädigten, der eine Reparatur
nachweislich durchführt, die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten
zuerkannt werden können, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30%
übersteigen (Senatsurteil, BGHZ 115, aaO). Allerdings kann ein solcher
Integritätszuschlag bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs
nur verlangt werden, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang
durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner
Kostenschätzung gemacht hat.
b) Repariert der Geschädigte - wie im Streitfall - sein Fahrzeug nicht
fachgerecht oder nur unvollständig, beweist er zwar durch die Weiternutzung
des unvollständig reparierten Fahrzeugs sein Interesse an der Mobilität.
Dieses kann aber im allgemeinen durch die Beschaffung eines gleichwertigen
Ersatzfahrzeugs in vergleichbarer Weise befriedigt werden. Hingegen kommt in
einem solchen Fall dem für den fraglichen Zuschlag maßgeblichen
Gesichtspunkt, daß der Geschädigte besonderen Wert auf das vertraute
Fahrzeug lege, weil dieses zuverlässig und gut gewartet sei, was er im Falle
eines Gebrauchtwagenkaufs unter Umständen missen müßte (vgl. Senatsurteil
vom 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - aaO), keine entscheidende Bedeutung
mehr zu. Übersteigt der erforderliche Reparaturaufwand den Fahrzeugwert,
kann deshalb - nach den im Senatsurteil vom heutigen Tag (VI ZR 70/04)
dargelegten Grundsätzen - Ersatz dieses Reparaturaufwands nur verlangt
werden, wenn der Geschädigte durch eine qualifizierte Reparatur der oben
beschriebenen Art sein Integritätsinteresse nachweist. Entspricht die
Reparatur diesen Anforderungen nicht, kann eine fiktive Schadensabrechnung
auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nur bis zur Höhe des
Wiederbeschaffungsaufwands erfolgen. Ein darüber hinausgehender
Schadensausgleich ließe das Gebot der Wirtschaftlichkeit und das Verbot der
Bereicherung außer Acht.
aa) Insofern liegt der Sachverhalt in einem entscheidenden Punkt anders als
im Senatsurteil vom 29. April 2003 - VI ZR 393/02 - BGHZ 154, 395 ff.. Dort
hat der Senat entschieden, daß Qualität und Umfang der Reparatur jedenfalls
so lange keine Rolle spielen, als die geschätzten Reparaturkosten zwar den
Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert), nicht
aber den Wiederbeschaffungswert übersteigen. In einem solchen Fall kann der
Geschädigte nämlich grundsätzlich nach den zur Schadensbehebung
erforderlichen Kosten abrechnen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren
läßt und weiter nutzt. Dann ist auch der Restwert nicht abzuziehen, weil er
sich - wie in den Senatsurteilen BGHZ 154, 395 ff. und 115, 364, 371 ff.
dargelegt -im Rahmen einer solchen Schadensberechnung lediglich als
hypothetischer Rechnungsposten darstellt.
bb) Demgegenüber ist eine grundlegend andere Betrachtungsweise in Fällen wie
dem vorliegenden geboten, in dem die für eine Schadensbehebung
erforderlichen Kosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs übersteigen.
Zwar steht es dem Geschädigten auch in solchen Fällen frei, in welcher Weise
er den Schaden beseitigen will. Doch können dem Geschädigten Reparaturkosten,
die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich
nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen
sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang
repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Anderenfalls
ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand
beschränkt.
Hiernach hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht dem Kläger nur den
Wiederbeschaffungsaufwand zuerkannt.
2. Da der Kläger keine tatsächliche Ersatzbeschaffung vorgenommen hat,
besteht gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auch kein Anspruch auf die von ihm
geltend gemachte Mehrwertsteuer. Die Mehrwertsteuer ist - entgegen der
Auffassung der Revision - nur zu ersetzen, wenn sie bei einer
Wiederbeschaffung tatsächlich angefallen wäre. Ohne Durchführung der
Ersatzbeschaffung hat der Geschädigte hingegen nur einen Anspruch auf den
Netto-Wiederbeschaffungsaufwand.
Auch der Meinung des Berufungsgerichts, daß dem Kläger ein Anspruch
jedenfalls zustehe, soweit die gezahlte Mehrwertsteuer dem als Kosten der
Ersatzbeschaffung geschätzten Mehrwertsteuersatz entspreche, ist nicht zu
folgen. Da nur der Kläger Revision eingelegt hat, wirkt sich die Auffassung
des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall allerdings nicht aus. Sie steht
aber in Widerspruch zu § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach die Umsatzsteuer nur
zu ersetzen ist, soweit sie tatsächlich angefallen ist, wobei eine
Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung nicht zulässig ist
(vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02 - DAR 2003, 554).
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich nichts anderes aus dem
Senatsurteil vom 20. April 2004 - VI ZR 109/03 - VersR 2004, 876. In diesem
Urteil hat der Senat klargestellt, daß auch im Falle des wirtschaftlichen
Totalschadens die Naturalrestitution in Form der Ersatzbeschaffung in Frage
kommt und nicht nur die Kompensation gemäß § 251 Abs. 1 BGB. § 249 Abs. 2
Satz 2 BGB bleibt im Fall der Kompensation außer Betracht, findet aber
grundsätzlich Anwendung im Fall der Naturalrestitution durch
Ersatzbeschaffung (vgl. Luckey, VersR 2004, 1525, 1526).
3. Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
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