Aufrechnungsverbot gegen
eine Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (§ 393 BGB) gegen eine
Forderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung
BGH v. 15.9.2009 - VI ZA
13/09
Fundstelle:
NJW 2009, 3508
Amtl. Leitsatz:
Das Verbot der Aufrechnung gegen eine
Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gilt auch
dann, wenn sich zwei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung
gegenüber stehen, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis resultieren.
Zentrale Probleme:
Nach § 393 kann gegen eine Forderung aus
einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht aufgerechnet werden.
Das soll insbesondere eine Art Privatrache an einem zahlungsunfähigen
Schuldner verhindern: Der Gläubiger der uneinbringlichen Forderung soll
nicht gegen seinen Schuldner Delikte begehen (z. B. diesen verprügeln) und
dann gegen den hieraus entstandenen Ersatzanspruch des Schuldners mit der
uneinbringlichen Forderung aufrechnen dürfen. Umgekehrt kann der Verprügelte
natürlich aufrechnen! Str. ist, ob das Aufrechnungsverbot auch gilt, wenn
die Forderung des Aufrechnenden gleichfalls aus einem vorsätzlich begangenen
Delikt stammt. Der Senat bejaht das hier mit zutreffenden Gründen (s.
bereits RGZ 123, 6 sowie
OLG Celle NJW 1981, 766;
s. auch Köhler/Lorenz, PdW Schuldrecht I Fall 155).
Verboten ist die Aufrechnung auch für eine juristische Person, die für die
vorsätzlich unerlaubte Handlung eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters
nach § 31 haftet (BGHZ 172, 169). Dagegen
betrifft § 393 nicht Forderungen aus vorsätzlicher Vertragsverletzung, die
nicht zugleich eine unerlaubte Handlung darstellt (BGH NJW 1975, 1119).
©sl 2009
Gründe:
I.
1 Zwischen den Parteien kam es am 27. Juni 2003 zu einer tätlichen
Auseinandersetzung, wobei der Kläger einen Kieferbruch und der Beklagte u.a.
eine Gehirnerschütterung erlitt. Der Kläger hat ein Schmerzensgeld und die
Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich zukünftiger
materieller und immaterieller Schäden begehrt. Der Beklagte hat
Klageabweisung beantragt und hilfsweise die Aufrechnung mit Ansprüchen auf
Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Höhe von insgesamt 5.849,60
€ erklärt. Das Landgericht hat unter Klageabweisung im Übrigen den Beklagten
zur Zahlung von 2.350,00 € verurteilt und dem Feststellungsantrag mit einer
Quote von ¾ stattgegeben, wobei es ein Mitverschulden des Klägers zu 25 %
berücksichtigt hat. Auf dessen Berufung hat das Oberlandesgericht, das ein
Mitverschulden des Klägers verneint hat, den Beklagten zur Zahlung eines
Schmerzensgeldes von insgesamt 5.000,00 € verurteilt und dem
Feststellungsbegehren in vollem Umfang entsprochen. Die Berufung des
Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Hilfsaufrechnung des
Beklagten hat es wegen des in § 393 BGB geregelten Aufrechnungsverbots nicht
durchgreifen lassen. Da in Literatur und Rechtsprechung umstritten sei, ob
diese Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut jedenfalls dann nicht anzuwenden
sei, wenn sich zwei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung
gegenüber stehen, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis resultierten,
wie es hier der Fall sei, hat das Oberlandesgericht die Revision zugelassen,
soweit sich der Beklagte durch die Aufrechnung mit einer Gegenforderung
verteidigt.
2 Der Beklagte beantragt Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Revision.
II.
3 Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet (§ 114 Satz 1 ZPO).
4 1. Zwar ist die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche
hinreichende Erfolgsaussicht einer Revision in aller Regel dann zu bejahen,
wenn eine schwierige, bislang ungeklärte Frage des materiellen Rechts zu
entscheiden ist und Grundsätze für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung zu
entwickeln sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2003 - III ZB 7/03 -
NJW-RR 2003, 1438). Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung des § 393 BGB ist die Aufrechnung
gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
nicht zulässig (RG, Urteil vom 6. Dezember 1928 - VI 229/28 - RGZ 123, 6).
Dieses gesetzliche Aufrechnungsverbot gilt auch dann, wenn - wie im
Streitfall - auf beiden Seiten Forderungen aus vorsätzlichen unerlaubten
Handlungen gegeben sind, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis
resultieren. Soweit in Literatur und Rechtsprechung dazu teilweise eine
andere Auffassung vertreten wird, vermag der Senat dem nicht zu folgen,
zumal der Gesetzgeber die in der Literatur geäußerten Korrekturvorschläge
weder bei der Schaffung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom
26. November 2001 (BGBl. I, S. 3138) noch bei Erlass des am 1. August 2002
in Kraft getretenen Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher
Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2674) aufgegriffen hat.
5 2. Die in der Literatur zum Teil vertretene Auffassung, wonach ein
Aufrechnungsverbot zu verneinen sei, wenn auf beiden Seiten Forderungen aus
vorsätzlichen unerlaubten Handlungen gegeben sind (Larenz, Lehrbuch des
Schuldrechts, 14. Aufl., Bd. I, § 18 VI b; Fikentscher/Heinemann,
Schuldrecht, 10. Aufl., Rn. 339; Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4.
Aufl., § 40 VI 2 a; Staudinger/Bittner, BGB [2009], § 273, Rn. 111; Erman/Wagner,
BGB, 12. Aufl., § 393, Rn. 2; Kropholler, Studienkommentar BGB, 10. Aufl.,
Vor § 387, Rn. 10; Jauernig/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 393, Rn. 1; Lüke/Huppert,
JuS 1971, 165, 167), ist mit dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht
vereinbar. Im Hinblick darauf wird teilweise eine eingeschränkte
Nichtanwendbarkeit des Aufrechnungsverbots nur für solche Fälle, in denen
die gegenseitigen Ansprüche auf einem einheitlichen Lebensverhältnis - wie
etwa einer Prügelei - beruhen, befürwortet (LG Stade, MDR 1958, 99; Soergel/Zeiss,
aaO; Deutsch, NJW 1981, 735; BGB-RGRK/Weber, 12. Aufl., § 393, Rn. 7; AnwK/Wermeckes,
§ 393, Rn. 2; Bamberger/Roth/Denhardt, BGB, § 393, Rn. 7; HK-BGB/Schulze, 4.
Aufl., Rn. 1; Jauernig/Stürner, aaO; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht,
33. Aufl., § 393, Rn. 15). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die
Vorschrift einem kalkulierten Missbrauch des Aufrechnungsrechts zum Zwecke
der Privatrache gegenüber einem zahlungsunfähigen Erstschädiger vorbeugen
wolle. Diese Gefahr bestehe aber dann nicht, wenn das Zweitdelikt innerhalb
desselben Raufhandels begangen sei oder jedenfalls einen spontanen Racheakt
in unmittelbarem Anschluss an das erste Delikt darstelle (so etwa Soergel/Zeiss,
aaO). Eine andere Auffassung hält eine Korrektur des § 393 BGB nach dem
Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB je nach den Umständen des
konkreten Falles für geboten (Glötzner, MDR 1975, 718, 720 f.). Wiederum
andere sprechen sich schließlich dafür aus, § 393 BGB nur dann anzuwenden,
wenn der Schuldner zum Zwecke der Selbsthilfe gehandelt hat (Pielemeier, Das
Aufrechnungsverbot des § 393 BGB: seine Entstehungsgeschichte und seine
Bedeutung im geltenden Recht, 1988, S. 116 und Tamblé, Privilegien im
Aufrechnungs- und Pfändungsrecht, insbesondere in ihrer Kollision, 1966, S.
94 ff., 97).
6 3. Eine eingeschränkte Nichtanwendbarkeit des Aufrechnungsverbots nur für
solche Fälle, in denen die gegenseitigen Ansprüche auf einem einheitlichen
Lebensverhältnis beruhen, ist jedoch abzulehnen. Sie würde zu einer nicht
hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen, weil dann in jedem Einzelfall
geprüft werden müsste, ob die Voraussetzung eines einheitlichen
Lebensvorgangs gegeben ist. Nach wohl herrschender Meinung gilt das
Aufrechnungsverbot deshalb uneingeschränkt (vgl. RGZ, aaO;
OLG Celle NJW 1981, 766;
Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 393, Rn. 31; Enneccerus/Lehmann, Lehrbuch
des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 15. Aufl., § 73 II 2; v. Feldmann, JuS 1983,
357, 361, Fn. 58; Gerhardt, in: Athenäum-Zivilrecht, I, 731 f.; Haase, JR
1972, 137, 139; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 18. Aufl., Rn. 313; Planck/Siber,
BGB, Bd. II, Anm. 4; Staudinger/Kaduk, BGB, 12. Aufl., § 393, Rn. 35;
MünchKomm-BGB/Schlüter, 5. Aufl., § 393, Rn. 5; Soergel/Zeiss, BGB, 12.
Aufl., § 393, Rn. 5; jurisPK-BGB/Rüßmann, 4. Aufl., § 393, Rn. 5; Pfeiffer
in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 4. Aufl., § 393, Rn. 5).
7 4. Da es mithin dabei zu bleiben hat, dass die Aufrechnung gegen eine
Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung entsprechend
dem Gesetzeswortlaut generell unzulässig ist, hat das Berufungsgericht die
Hilfsaufrechnung des Beklagten gegen die mit der Klage geltend gemachte
Forderung des Klägers aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
zu Recht nicht durchgreifen lassen. |