Arzthaftung: Haftungsbegründende und haftungsausfüllende
Kausalität; Zurechnung mittelbarer Schadensfolgen; Adäquanz und Schutzzweck
der Norm; Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens (Beweislast)
BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - VI ZR
157/11
Fundstelle:
NJW 2012, 2024
Amtl. Leitsatz:
Zur Einstandspflicht des
Arztes für die Folgen eines Zweiteingriffs durch einen nachbehandelnden
Arzt, der erforderlich wird, weil dem vorbehandelnden Arzt beim Ersteingriff
ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.
Zentrale Probleme:
Eine sehr lehrreiche, weil
teilweise lehrbuchartig geschriebene Entscheidung zu den §§ 249 ff BGB: Ein Arzt führt eine Operation
pflichtwidrig unvollständig aus mit der Folge, dass eine weitere Operation
notwendig wird. Bei der zweiten Operation verwirklichen sich bestimmte
typische Risiken in Form von Wundheilungsstörungen. Der Senat legt
vollkommen zutreffend dar, dass der Beklagte auch hierfür haftet: Die Folgen
sind in Bezug auf die Pflichtverletzung äquivalent und adäquat kausal und
auch im Schutzbereich der verletzten Handlungspflicht. Zur
Haftungsbegründung: Der behandelnde Arzt (Bekl. zu 1) haftet wegen einer
Schlechterfüllung des ärztlichen Behandlungsvertrags (Dienstvertrag nach §
611 BGB) aus § 280 I BGB sowie aus § 823 I BGB. Der Bekl. zu 2. ist das
Krankenhaus. Bei einem sog. "totalen Krankenhausvertrag" schuldet auch das
Krankenhaus die ärztliche Behandlung der Arzt ist damit Erfüllungsgehilfe
nach § 278 I BGB, so dass der Krankenhausträger für dessen Handeln auf
vertraglicher Basis ebenfalls nach § 280 I BGB einzustehen hat. Deliktisch
haftet das Krankenhaus nach § 831 BGB, da der behandelnde Arzt wegen seiner
Weisungsgebundenheit auch Verrichtungsgehilfe nach § 831 BGB ist. Anders
wäre das bei einem "gespaltenen Krankenhausvertrag", bei welchem die
Behandlung nur vom (Beleg-)Arzt geschuldet wird, der Krankenhausträger nur
die übrigen Leistungen (Pflege, Unterbringung etc.) schuldet. Dann würde der
Krankenhausträger weder nach § 278 BGB für Behandlungsfehler haften (weil
der Arzt nicht Erfüllungsgehilfe ist), noch bestünde eine Haftung nach § 831
BGB, da mangels Weisungsunterworfenheit der Arzt auch nicht
Verrichtungsgehilfe des Krankenhausträgers ist, s. dazu Medicus/Lorenz
SchuldR BT, 12. Aufl. 2012, Rn. 681 ff.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher
Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
2 Am 15. Dezember 2004 wurden bei der Klägerin im Rahmen einer Koloskopie
ein ca. 5 cm großer Tumor am Übergang zum Sigma sowie weiter proximal ein kleiner gestielter Polyp festgestellt. Der Polyp wurde abgetragen.
Von dem Tumor wurden Proben entnommen. Ausweislich des histopathologischen
Befundberichts vom 17. Dezember 2004 wiesen die entnommenen Proben Anteile
eines invasiven, mäßig differenzierten Adenokarzinoms auf. Am 17. Januar
2005 nahm der Beklagte zu 2 in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen
Klinikum bei der Klägerin eine Rektumresektion vor. Er entfernte die Basis
des bei der Koloskopie abgetragenen Polypen, nicht hingegen den tiefer
gelegenen Tumor. Nachdem im Rahmen einer Kontrollendoskopie vom 19. Oktober
2005 festgestellt worden war, dass der Tumor nicht entfernt worden war,
unterzog sich die Klägerin am 28. Oktober 2005 einem erneuten Eingriff im
Klinikum G., bei dem der vom Tumor betroffene Darmabschnitt entfernt und ein
künstlicher Darmausgang gelegt wurde. In der Folge stellte sich eine
Wundheilungsstörung im Bereich der Bauchdecke sowie eine Anastomoseinsuffizienz im Bereich der Darmnaht ein. Der weitere
Heilungsverlauf war äußerst komplikationsbehaftet.
3 Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe
von mindestens 50.000 € sowie Ersatz materiellen Schadens in Höhe von
25.193,03 € verlangt. Das Landgericht hat der Klägerin ein Schmerzensgeld in
Höhe von 5.000 € zuerkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die
Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil
teilweise abgeändert und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an
die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € sowie materiellen
Schadensersatz in Höhe von 14.369,52 € zu zahlen. Es hat darüber hinaus
festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der
Klägerin alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen,
die ihr aus und in Zusammenhang mit ihrer Behandlung im Krankenhaus der
Beklagten zu 1 noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder
übergehen werden. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der
vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf
Zurückweisung der Berufung weiter. Die Klägerin erstrebt mit ihrer
Anschlussrevision eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer
3.231,83 €.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2011, 1012 veröffentlicht
ist, hat aufgrund der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass die
Beklagten den Operationsauftrag grob fehlerhaft nicht ausgeführt hätten.
Es
sei schlichtweg unverständlich, dass sich der Beklagte zu 2 vor Durchführung
der Operation nicht vergewissert habe, welche Darmteile zu entfernen seien.
Wenn der Beklagte zu 2 nicht nur die Basis des Polypen, sondern auch den
Tumor entfernt hätte, wäre der zweite Eingriff nicht erforderlich geworden.
Der zweite Eingriff stelle den Primärschaden dar. Die eingetretene
Nahtinsuffizienz und die sich daraus ergebenden Komplikationen seien kausal
auf die Nachoperation zurückzuführen und deshalb als Sekundärschäden zu
bewerten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der
Zurechnungszusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler, der Nachoperation
und den infolge der Nachoperation eingetretenen Komplikationen nicht zu
verneinen. Zwar habe sich bei dem zweiten Eingriff ein operationsimmanentes
Risiko verwirklicht, das durch den vorangegangenen fehlerhaft durchgeführten
Eingriff nicht erhöht worden sei. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
habe die Erstoperation kein erhöhtes Nahtinsuffizienzrisiko bei der
Nachoperation bewirkt. Dieser Umstand führe aber nicht zu einer
Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs. Denn die im Streitfall
eingetretenen Schäden fielen nach Art und Entstehungsweise unter den
Schutzzweck der verletzten Norm. Die Beklagten hätten durch die Verletzung ihrer Verpflichtung, den bei der Klägerin festgestellten Tumor zu
entfernen, die Notwendigkeit einer Nachoperation herbeigeführt und die
Klägerin damit dem Risiko des Eintritts operationsimmanenter Risiken durch
eine zweite Operation ausgesetzt. Es sei völlig offen, ob sich die Risiken
auch bei der ersten Operation verwirklicht hätten. Darüber hinaus sei zu
berücksichtigen, dass die Nachoperation in derselben Körperregion mit
gleicher Schnittführung - auch wenn sie das Risiko einer Nahtinsuffizienz
nicht erhöht habe - nach den Ausführungen des Sachverständigen grundsätzlich
risikobehafteter als ein Ersteingriff gewesen sei. Das Ergebnis sei nicht
unbillig, da die Beklagten die Gefahr der Risikoverwirklichung herbeigeführt
hätten und ihnen der Nachweis offenstehe, dass der Schaden auch bei
pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Diesen Nachweis hätten sie
allerdings nicht erbracht. Die Klägerin könne daher ein Schmerzensgeld in
Höhe von insgesamt 40.000 € beanspruchen.
5 Darüber hinaus sei ihr ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von
13.207,02 € zuzusprechen. Zur Bemessung des Schadens könne auf die
Berechnungstabellen von Schulz-Borck, 6. Aufl., zurückgegriffen werden. Sie
böten eine ausreichende Grundlage, um den Arbeitsaufwand für die
Haushaltsführung nach § 287 ZPO zu schätzen. Für den Haushalt der Klägerin
sei Anspruchsstufe 3 (43 Wochenstunden) anzusetzen. Allerdings sei
hinsichtlich des Umfangs der Gartenarbeiten ein Zuschlag von 0,3 Stunden pro
Quadratmeter, d.h. von 1,15 Wochenstunden zu machen. Gemäß Tabelle 8 liege
der Anteil der Klägerin an der Haushaltsführung bei 62,3 %, so dass von
einem Arbeitsaufwand von 27,4 Wochenstunden für die volle Haushaltsführung
und 18,4 Wochenstunden für die reduzierte Haushaltsführung auszugehen sei.
Die Zeiten für die reduzierte Haushaltsführung ergäben sich aus den von der
Klägerin angegebenen und durch Vorlage der Auszüge aus den Krankenakten
belegten stationären Aufenthalten in den Kliniken. Von dem danach
errechneten Haushaltsführungsschaden sei der hypothetische
Haushaltsführungsschaden abzuziehen, der bei einer ordnungsgemäßen ersten Operation entstanden wäre. Der
Senat gehe in ständiger Rechtsprechung von einem Stundensatz in Höhe von
8,50 € aus.
II.
6 Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision, nicht hingegen denen
der Anschlussrevision stand.
7 1. Die zulässige Revision der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin von den
Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung Ersatz der ihr infolge
der Nachoperation entstandenen materiellen und immateriellen Schäden
verlangen kann (§ 280 Abs. 1, §§ 278, 823 Abs. 1, §§ 831, 253 Abs. 2 BGB).
8 a) Die Revision wendet sich nicht gegen die Beurteilung des
Berufungsgerichts, den Beklagten sei ein (grober) Behandlungsfehler
vorzuwerfen, weil der bei der Beklagten zu 1 beschäftigte Beklagte zu 2 im
Rahmen der von ihm durchgeführten Rektumresektion den vom Tumor betroffenen
Darmabschnitt der Klägerin nicht mit entfernt hat. Die Revision stellt auch
die Annahme des Berufungsgerichts nicht in Frage, dass sich die Klägerin
aufgrund dieses Behandlungsfehlers einem zusätzlichen Eingriff unterziehen
musste, der ihr bei korrektem medizinischem Vorgehen erspart geblieben wäre.
Diese Erwägungen des Berufungsgerichts lassen Rechtsfehler nicht erkennen.
9 b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des
Berufungsgerichts, die Einstandspflicht der Beklagten beschränke sich nicht
auf die unmittelbar mit dem Zweiteingriff verbundenen gesundheitlichen
Belastungen der Klägerin, sondern umfasse auch die im Zusammenhang mit
diesem Eingriff aufgetretenen Komplikationen (Nahtinsuffizienz, Fistelbildung, misslungene Stomarückverlagerung). Die Revision macht in diesem Zusammenhang ohne Erfolg
geltend, es fehle an dem erforderlichen Kausal- und am
Zurechnungszusammenhang, weil die Erstoperation mangels Erhöhung des Risikos
einer Nahtinsuffizienz keinen primären Schaden hervorgerufen habe; die im
Streitfall eingetretenen Komplikationen hätten schon bei der ersten
Operation eintreten können.
10 aa) Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs ist zwischen der
haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu
unterscheiden. Die haftungsbegründende Kausalität betrifft den Zusammenhang
zwischen dem Behandlungsfehler und der Rechtsgutsverletzung, d.h. dem ersten
Verletzungserfolg im Sinne einer Belastung der gesundheitlichen
Befindlichkeit des Patienten (Primärschaden). Hingegen bezieht sich die
haftungsausfüllende Kausalität auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen
der Rechtsgutsverletzung und weiteren Gesundheitsschäden des Patienten
(vgl.
Senatsurteile vom 24. Juni 1986 - VI ZR 21/85, VersR 1986, 1121, 1122 f.;
vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98, VersR 1998, 1153, 1154; vom 16. November
2004 - VI ZR
328/03, VersR 2005, 228, 230; vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR
2008, 644 Rn. 10, 13).
11 bb) Das Berufungsgericht hat den haftungsbegründenden Primärschaden zu
Recht in den unmittelbar mit dem Zweiteingriff verbundenen gesundheitlichen
Belastungen der Klägerin (Bauchschnitt, Darmresektion mit der Notwendigkeit
des Legens weiterer Anastomosen) gesehen und die in der Folgezeit
eingetretenen Komplikationen (Nahtinsuffizienz, Fistelbildung, misslungene Stomarückverlagerung) der haftungsausfüllenden Kausalität zugeordnet.
Nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts wären diese Folgeschäden in ihrer
konkreten Ausprägung ohne den zweiten Eingriff nicht eingetreten. Seine Beurteilung, die Folgeschäden seien adäquat kausal auf die Primärschädigung
zurückzuführen, begegnet keinen Bedenken.
12 cc) Der Umstand, dass bei korrektem medizinischen Vorgehen, d.h. bei
Entfernung des vom Tumor betroffenen Darmabschnitts der Klägerin bereits im
Rahmen des ersten Eingriffs, möglicherweise ebenfalls eine Nahtinsuffizienz
mit vergleichbaren Folgen aufgetreten wäre, stellt die haftungsausfüllende
Kausalität nicht in Frage. Ob und welche Risiken sich im Falle der Vornahme
nur eines Eingriffs realisiert hätten, betrifft nicht die Kausalität der
tatsächlich durchgeführten Behandlung für den eingetretenen Schaden, sondern
einen hypothetischen Kausalverlauf bei rechtmäßigem Alternativverhalten, für
den der Beklagte beweispflichtig ist (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2005 -
VI ZR
313/03, VersR 2005, 836, 837; vom 9. Dezember 2008 - VI ZR 277/07, BGHZ
179, 115 Rn. 11 mwN). Steht - wie hier - fest, dass ein Arzt dem Patienten
durch fehlerhaftes und rechtswidriges Handeln einen Schaden zugefügt hat, so
muss der Arzt beweisen, dass der Patient den gleichen Schaden auch bei
rechtmäßigem und fehlerfreiem ärztlichem Handeln erlitten hätte (vgl. Senat,
Urteil vom 5. April 2005 - VI ZR 216/03, VersR 2005, 942 mwN; Geiß/Greiner,
Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Rn. B 230, C 151 mwN). Dass das
Berufungsgericht diesen den Beklagten obliegenden Nachweis als nicht geführt
angesehen hat, weil es völlig offen ist, ob sich die Risiken auch bei
Entfernung des Tumors im Rahmen der ersten Operation verwirklicht hätten,
ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
13 dd) Entgegen der Auffassung der Revision ist der haftungsrechtliche
Zurechnungszusammenhang zwischen der vom Beklagten zu 2 verursachten
Rechtsgutsverletzung und den von der Klägerin geltend gemachten
Gesundheitsschäden auch nicht aufgrund des Schutzzwecks der
haftungsbegründenden Norm zu verneinen.
14 (1) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es anerkannt, dass
die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Eine
Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten
Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung
die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen
wurde (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn.
24; vom 11. Januar 2005 - X ZR 163/02, NJW 2005, 1420 f.; Palandt/
Grüneberg, BGB, 71. Aufl., vor § 249 Rn. 29 f. mwN). Der geltend gemachte
Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger
geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein "äußerlicher", gleichsam "zufälliger"
Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten
(vgl. Senatsurteile vom 20. September 1988 - VI ZR 37/88, VersR 1988, 1273,
1274; vom 6. Mai 2003 - VI ZR 259/02, VersR 2003, 1128, 1130; BGH, Urteil
vom 14. März 1985 - IX ZR 26/84, NJW 1986, 1329, 1332, jeweils mwN).
15 (2) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn nach einem Behandlungsfehler
durch den erstbehandelnden Arzt Folgeschäden aus einer Behandlung durch
einen nachbehandelnden Arzt zu beurteilen sind. In solchen Fällen kann es an
dem erforderlichen inneren Zusammenhang fehlen, wenn das Schadensrisiko der
Erstbehandlung im Zeitpunkt der Weiterbehandlung schon gänzlich abgeklungen
war, sich der Behandlungsfehler des Erstbehandelnden auf den weiteren
Krankheitsverlauf also nicht mehr ausgewirkt hat (vgl. Senatsurteile vom 28.
Januar 1986 - VI ZR 83/85, VersR 1986, 601, 602; vom 20. September 1988 - VI
ZR 37/88, aaO; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl.,
Rn. 73). Gleiches gilt, wenn es um die Behandlung einer Krankheit geht, die
mit dem Anlass für die Erstbehandlung in keiner Beziehung steht, oder wenn
der die Zweitschädigung herbeiführende Arzt in außergewöhnlich hohem Maße
die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen
außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln
haftungsrechtlich-wertend allein zugeordnet werden muss (Senatsurteile vom
20. September
1988 - VI ZR 37/88, aaO; vom 6. Mai 2003 - VI ZR 259/02, aaO).
16 (3) Nach diesen Grundsätzen kommt eine Begrenzung der Einstandspflicht
der Beklagten aufgrund des Schutzzwecks der Norm nicht in Betracht. Die im
Streitfall eingetretenen Schäden fallen nach Art und Entstehungsweise unter
den Schutzzweck der verletzten Norm. Die die Beklagten treffende
Verpflichtung zu einer den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden
Versorgung der Klägerin diente u.a. dem Zweck, sie vor einem an sich nicht
erforderlichen Zweiteingriff und den damit einhergehenden Folgen zu
bewahren. Die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsschäden stehen
auch in einem inneren Zusammenhang mit der durch die Beklagten geschaffenen
Gefahrenlage. Der den Beklagten vorzuwerfende Behandlungsfehler hat den
weiteren Krankheitsverlauf entscheidend geprägt, zumal den nachbehandelnden
Ärzten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kein Behandlungsfehler
vorzuwerfen ist. Durch den Behandlungsfehler des Beklagten zu 2 ist die
Nachoperation der Klägerin veranlasst worden. Die Klägerin musste sich nur
deshalb einer zweiten Darmoperation unterziehen, weil dieser im Rahmen der
von ihm vorgenommenen Darmresektion den von dem Tumor betroffenen
Darmabschnitt (grob) fehlerhaft nicht mit entfernt hatte. Die eingetretenen
Folgeschäden beruhen auf diesem zusätzlichen Eingriff, der der Klägerin bei
korrektem medizinischem Vorgehen erspart geblieben wäre.
17 2. Die Anschlussrevision der Klägerin ist zulässig.
18 a) Es kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht die Zulassung der
Revision trotz der insoweit uneingeschränkten Fassung des Urteilstenors nur
zugunsten der Beklagten ausgesprochen oder - wie die Revision meint - auf
den
Grund des Anspruchs beschränkt hat (vgl. zum Grundurteil über die
haftungsausfüllende Kausalität: BGH, Urteil vom 26. September 1996 - VII ZR
142/95, NJW-RR 1997, 188). Denn gemäß § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der Fassung
des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S.
1887) setzt die Statthaftigkeit der Anschließung abweichend von dem bis
dahin geltenden Recht nicht mehr voraus, dass auch für den
Anschlussrevisionskläger die Revision zugelassen worden ist. Daher kann
eine Anschlussrevision bei beschränkter Zulassung der Revision auch dann
wirksam eingelegt werden, wenn die Anschlussrevision nicht den Streitstoff
betrifft, auf den sich die Zulassung bezieht (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni
2003 - KZR 32/02, NJW
2003, 2525; vom 26. Juli 2004 - VIII ZR 281/03, NJW 2004, 3174, 3176; vom
22. November 2007 - I ZR 74/05, BGHZ 174, 244 Rn. 39).
19 b) Auch nach neuem Recht erfordert die Statthaftigkeit der Anschließung
allerdings, dass zwischen dem Streitgegenstand der Anschlussrevision und dem
der Revision ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang besteht
(BGH, Urteil vom 22. November 2007 - I ZR 74/05, aaO Rn. 40). Diese
Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Revision und Anschlussrevision
betreffen jedenfalls zum Teil denselben Anspruch, nämlich die Forderung der
Klägerin auf Ersatz des ihr entstandenen Haushaltsführungsschadens, der ihr
infolge der im Zusammenhang mit dem Zweiteingriff aufgetretenen
Komplikationen (Nahtinsuffizienz, Fistelbildung, misslungene
Stomarückverlagerung) entstanden ist.
20 3. Die Anschlussrevision hat auch in der Sache Erfolg. Sie wendet sich
mit Erfolg gegen die Schätzung des der Klägerin schadensbedingt entstandenen
Haushaltsführungsschadens.
21 a) Die Anschlussrevision beanstandet allerdings nicht, dass sich das
Berufungsgericht bei der Bemessung des der Klägerin entstandenen Haushaltsführungsschadens an dem Tabellenwerk von Schulz-Borck (Schadenersatz bei
Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 6. Aufl.) orientiert hat.
Die Anschlussrevision nimmt auch hin, dass das Berufungsgericht den objektiv
erforderlichen Zeitaufwand für die Aufrechterhaltung der Haushaltsführung
nach dem bisherigen Standard auf dieser Grundlage auf 1.553,76 Stunden
geschätzt hat. Die diesbezüglichen Erwägungen des Berufungsgerichts lassen
Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. zur Berücksichtigung anerkannter
Tabellenwerke bei der Schätzung: Senatsurteil vom 3. Februar 2009 - VI ZR
183/08, VersR 2009, 515).
22 b) Die Anschlussrevision beanstandet aber mit Erfolg, dass das
Berufungsgericht bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens die
Vergütung einer fiktiven Ersatzkraft mit 8,50 € pro Stunde bemessen hat.
23 aa) Zwar ist die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs in erster
Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie
ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter
Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche
Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige
Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 3. Februar 2009 - VI ZR
183/08, VersR 2009, 515 Rn. 5; vom 12. Juli 2011 - VI ZR 214/10, AfP 2011,
362 Rn. 15; vom 27. März 2012 - VI ZR 40/10, juris Rn. 6). Zur Ermöglichung
der Überprüfung muss der Tatrichter aber die tatsächlichen Grundlagen der
Schätzung und ihrer Auswertung darlegen (BGH, Urteile vom 30. April 1952 -
III ZR 198/51, BGHZ 6, 62, 63; vom 26. März 2003 - XII ZR 167/01, NJW-RR
2003, 873, 874; Musielak/Foerste, ZPO, 9. Aufl., § 287 Rn. 10).
24 bb) Hieran fehlt es vorliegend. Das Berufungsgericht hat die Höhe der
Vergütung einer fiktiven Ersatzkraft pauschal auf 8,50 € pro Stunde
geschätzt.
Die Anschlussrevision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht nicht
zu erkennen gegeben hat, wie es auf diesen Betrag gekommen ist. Den
Entscheidungsgründen ist nicht zu entnehmen, welche Erwägungen für die
getroffene Entscheidung insoweit maßgebend waren.
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