Allgemeines
Persönlichkeitsrecht bei Bildveröffentlichungen Prominenter - Pressefreiheit
(Art. 5 I GG) und allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG);
"abgestuftes Schutzkonzept" der §§ 22, 23 KUG ("Oliver Kahn")
BGH, Urteil vom 3. Juli
2007 - VI ZR 164/06
Fundstelle:
NJW 2008, 749
Amtl. Leitsatz:
Zum abgestuften
Schutzkonzept der §§ 22, 23 KunstUrhG bei Bildveröffentlichungen von
Prominenten.
Zentrale Probleme:
S. dazu die Anm zu BGH
BGH NJW 2007, 1981.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Kläger ist ein international bekannter Berufsfußballspieler. Die
Beklagte verlegt die Zeitschrift "Frau im Spiegel". In der Ausgabe Nr.
30/2005 vom 21. Juli 2005 wurde eine Fotografie veröffentlicht, die den
Kläger bei einem Spaziergang in Begleitung seiner Freundin V. K. auf der
Promenade von St. Tropez zeigt. Im hierzu gehörigen Begleittext wird
berichtet, dass der Kläger mit seiner Freundin verliebte Blicke tausche.
Eine Woche vorher habe bei ihm der Familienurlaub auf dem Programm
gestanden. Er habe sich mit seiner Noch-Ehefrau und den Kindern auf
Sardinien entspannt.
2 Der Kläger verlangt von der Beklagten, es zu unterlassen, die Aufnahme
erneut zu veröffentlichen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die
Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Abweisung der
Klage.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt, es könne offen bleiben, ob der Kläger eine sog.
absolute Person der Zeitgeschichte sei und ob das Bild einen Artikel über
ein zeitgeschichtliches Ereignis illustriere. Jedenfalls verletze die
Veröffentlichung rechtswidrig ein berechtigtes Interesse des Klägers im
Sinne des § 23 Abs. 2 KUG, nämlich seine schutzwürdige Privatsphäre. Nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die das Berufungsgericht
nach § 31 BVerfGG binde, wäre die Veröffentlichung nur zulässig, wenn die
Aufnahme an einem Ort zustande gekommen wäre, an dem sich der Einzelne unter
vielen Menschen befunden habe und infolgedessen die Voraussetzungen des
Privatsphären-schutzes nicht erfüllt wären. Davon sei jedoch im Streitfall
nicht auszugehen. Das Interesse, das bei den Lesern der von der Beklagten
verlegten Zeitschrift an Bildinformationen über das Leben des Klägers bis
hin zu seiner Urlaubsgestaltung bestehe, sei reines Unterhaltungsinteresse
und müsse hinter dem wirksamen Schutz des Privatlebens des Klägers
zurücktreten. Gerade die Personen, die besonders häufig für eine
Berichterstattung in den Medien fotografiert würden, hätten ein besonderes
Interesse daran, im Urlaub von derartigen Belästigungen verschont zu
bleiben. Die Beachtung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
(künftig: EGMR) in der Entscheidung vom 24. Juni 2004 aufgestellten
Kriterien führe ebenfalls zu dem Ergebnis, dass mit der Veröffentlichung des
Fotos rechtswidrig in das durch die §§ 22, 23 Abs. 2 KUG geschützte Recht
des Klägers am eigenen Bild eingegriffen werde.
II.
4 Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
5 1. Zwar kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht
darauf an, ob der Kläger mit seiner Begleiterin unter vielen Personen an
einer jedermann zugänglichen Örtlichkeit fotografiert worden ist. Soweit das
Berufungsgericht hierauf abgestellt hat, hat der erkennende Senat den vom
EGMR geäußerten Bedenken gegen das im Senatsurteil BGHZ 131, 332 ff.
aufgestellte Kriterium erkennbarer örtlicher Abgeschiedenheit (vgl. EGMR vom
24. Juni 2004 - von Hannover gegen Deutschland - NJW 2004, 2647 ff.) in
mehreren Urteilen Rechnung getragen (vgl. Urteile vom 19. Oktober 2004 - VI
ZR 292/03 -VersR 2005, 84 ff.; vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - VersR
2006, 274 ff.; vom 6. März 2007 - VI ZR 13/06 -
VersR 2007, 697, 698 f. = NJW 2007, 1981 f. und -
VI ZR 52/06 - NJW 2007, 1977 ff.). Der Kläger
kann jedoch auch nach den dort entwickelten Kriterien der Beklagten die
Veröffentlichung der beanstandeten Fotografie untersagen.
6 2. a) Nach § 22 Satz 1 KUG dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur
mit deren Einwilligung verbreitet werden; hiervon besteht nach § 23 Abs. 1
KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der
Zeitgeschichte handelt (so schon Senatsurteile BGHZ 158, 218, 222 f.; vom
19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - aaO und vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06
-aaO, 1978 ff. sowie BGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 - I ZR 182/04 - BGHZ
169, 340, 345). Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch
die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2
KUG). Auch bei Personen, die unter dem Blickwinkel des zeitgeschichtlichen
Ereignisses im Sinn des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG an sich ohne ihre Einwilligung
die Verbreitung ihres Bildnisses dulden müssten, ist eine Verbreitung der
Abbildung unabhängig davon, ob sie sich an Orten der Abgeschiedenheit
aufgehalten haben, nicht zulässig, wenn hierdurch berechtigte Interessen des
Abgebildeten verletzt werden, § 23 Abs. 2 KUG (vgl. zu diesem abgestuften
Schutzkonzept Senat, Urteile vom 6. März 2007 - VI ZR 13/06 - aaO, 698 und -
VI ZR 51/06 -aaO, 1978).
7 b) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der
Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser Begriff
darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf
der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer
Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von
allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der
Öffentlichkeit bestimmt. Auch durch unterhaltende Beiträge kann
Meinungsbildung stattfinden; solche Beiträge können die Meinungsbildung
unter Umständen sogar nachhaltiger anregen und beeinflussen als sachbezogene
Informationen (vgl. Senat, Urteile vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02 -
VersR 2004, 522, 523 - mit Anmerkung v. Gerlach JZ 2004, 625 - und vom 6.
März 2007 - VI ZR 51/06 - aaO, 1978; BVerfGE 101, 361, 389 f.; BVerfG, NJW
2006, 2836, 2837). Auch besteht das Informationsinteresse nicht
schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des
Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass
eine Berichterstattung keineswegs immer zulässig ist. Wo konkret die Grenze
für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der
aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter
Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles entscheiden.
8 c) Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört, dass die
Presse in den gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt,
innerhalb dessen sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann,
was sie des öffentlichen Interesses für wert hält, und dass sich im
Mei-nungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von
öffentlichem Interesse ist (BVerfGE 101, 361, 392; Senat, Urteil vom 15.
November 2005 - VI ZR 286/04 - aaO, 275; vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06 -
aaO, 1979 f.; EGMR NJW 2006, 591, 592 f., Rn. 38 ff.). Auch in der
Entscheidung des EGMR vom 24. Juni 2004 (NJW 2004, 2647, 2649 f., Rn. 58,
60, 63) wird die Bedeutung der Pressefreiheit unter Hinweis auf Art. 10 EMRK
hervorgehoben, wenn dort ausgeführt wird, dass die Presse in einer
demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle spiele und es ihre
Aufgabe sei, Informationen und Ideen zu allen Fragen von Allgemeininteresse
weiterzugeben, was letztlich mit dem oben dargelegten Begriff der
Zeitgeschichte in Einklang steht. Soweit der Gerichtshof der Presse dieses
Recht nur in "bestimmten Grenzen" (EGMR NJW 2004, 2647, 2649, Rn. 58)
zugesteht, betrifft diese Einschränkung ersichtlich die Abwägung zwischen
Pressefreiheit und Informationsrecht der Öffentlichkeit einerseits und dem
Schutz der Privatsphäre andererseits, mithin eine Abwägung, wie sie auch
nach dem oben dargestellten Schutzkonzept geboten ist. Auch wenn die Presse
zur Wahrung der Pressefreiheit und zur Vermeidung einer vom Grundgesetz
untersagten Zensur selbst nach publizistischen Kriterien entscheiden darf,
worüber sie berichten will, kann sie sich damit nicht der Abwägung mit der
geschützten Privatsphäre derjenigen entziehen, über die sie berichten will.
9 d) Deshalb muss eine Interessenabwägung stattfinden und zwar zwischen dem
Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und dem Interesse des
Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre andererseits. Die Bedeutung
des Informationswerts für die Interessenabwägung hat der erkennende Senat
schon in früheren Entscheidungen hervorgehoben (Senat, BGHZ 151, 26, 30;
Urteil vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02 - VersR 2004, 522, 523 m.w.N. und
vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06 - aaO, 1979). Je größer der Informationswert
für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen,
über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit
zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des
Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die
Allgemeinheit ist. Das Interesse der Leser an bloßer Unterhaltung hat
gegenüber dem Schutz der Privatsphäre regelmäßig ein geringeres Gewicht und
ist nicht schützenswert (vgl. BVerfG 34, 269, 283; 101, 361, 392; Senat,
BGHZ 131, 332, 342 f. m.w.N.). Dies hat das Bundesverfassungsgericht im
Beschluss vom 21. August 2006 (NJW 2006, 3406, 3407) bestätigt, wobei es
nach Lage des Falles nicht zu entscheiden brauchte, ob dies auch für
Personen von hohem Bekanntheitsgrad gilt. Nach Auffassung des erkennenden
Senats ist diese Frage unter Berücksichtigung des Urteils des EGMR vom 24.
Juni 2004 im Grundsatz zu bejahen. Auch bei den bisher sog. Personen der
Zeitgeschichte kann nicht außer Betracht bleiben, ob die Berichterstattung
zu einer Debatte mit einem Sachgehalt beiträgt, der über die Befriedigung
bloßer Neugier hinausgeht. Das schließt es freilich nicht aus, dass je nach
Lage des Falles für den Informationswert einer Berichterstattung auch der
Bekanntheitsgrad des Betroffenen von Bedeutung sein kann. In jedem Fall ist
bei der Beurteilung des Informationswerts bzw. der Frage, ob es sich um ein
zeitgeschichtliches Ereignis im Sinn des allgemein interessierenden
Zeitgeschehens handelt, ein weites Verständnis geboten, damit die Presse
ihren meinungsbildenden Aufgaben gerecht werden kann, die nach wie vor von
größter Bedeutung sind. Eine solche Gewichtung bei der Interessenabwägung
trägt nach Ansicht des erkennenden Senats den Anforderungen des Gerichtshofs
(EGMR, NJW 2004, 2647, 2651 Rn. 76) an einen wirksamen Schutz der
Privatsphäre ebenso Rechnung wie dem Schutz der Grundrechte aus Art. 5 GG.
Ihr steht - anders als das Berufungsgericht meint - auch die Bindungswirkung
des § 31 BVerfGG nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die
eingangs zitierte Entscheidung des erkennenden Senats (BGHZ 131, 332 ff.)
insoweit bestätigt, als dort der Schutz der Privatsphäre gegen unerwünschte
Aufnahmen auf die Fälle erkennbarer räumlicher Abgeschiedenheit beschränkt
worden ist. Das schließt es jedoch nicht aus, bei der erforderlichen
Interessenabwägung zwischen Pressefreiheit und Schutz der Privatsphäre den
Informationswert für die Öffentlichkeit stärker zu berücksichtigen. Im
Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, NJW 2006, 2835) eine
diesen Grundsätzen entsprechende Interessenabwägung im Urteil des
erkennenden Senats vom 15. November 2005 (- VI ZR 286/04 - aaO) gebilligt.
10 e) Kommt es mithin für die Abwägung maßgeblich auf den Informationswert
der Abbildung an, kann, wenn - wie im Streitfall - die beanstandete
Abbildung im Zusammenhang mit einer Wortberichterstattung verbreitet worden
ist, bei der Beurteilung die zugehörige Wortberichterstattung nicht
unberücksichtigt bleiben (so auch EGMR, NJW 2004, 2647, 2650 Rn. 64). Dies
entspricht gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BGHZ 158,
218, 223, Urteile vom 30. September 2003 - VI ZR 89/02 - VersR 2004, 205,
206; vom 28. September 2004 - VI ZR 305/03 - VersR 2005, 83 f.; vom 19.
Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - aaO jeweils m.w.N. und vom 6. März 2007 - VI
ZR 13/06 -aaO und - VI ZR 51/06 - aaO, 1980).
11 2. Im Streitfall führen diese Grundsätze zu folgender Abwägung:
12 Das beanstandete Bild ist Teil eines Berichts über "Leute aktuell", in
dem jeweils unter Beifügung von Fotografien über die Anwesenheit sog.
Prominenter zur Urlaubszeit in St. Tropez berichtet wurde. Auch wenn die
Presse grundsätzlich selbst darüber bestimmen darf, was sie für
berichtenswert hält, spielt eine entscheidende Rolle, ob die Presse eine
neue und wahre Information von allgemeinem Interesse für die öffentliche
Meinungsbildung mitteilt oder ob der Informationswert für die Öffentlichkeit
- wie hier - wesentlich in der Unterhaltung ohne gesellschaftliche Relevanz
besteht (vgl. BVerfG, BVerfGE 34, 269, 283 f.; 101, 361, 390 f.; Senat, BGHZ
131, 332, 342 f.). Im letzten Fall besteht kein berücksichtigungswertes
Informationsinteresse der Öffentlichkeit, das eine Bildveröffentlichung
entgegen dem Willen des Abgebildeten erlaubte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG); die
abgebildete Person muss die in einer Bildveröffentlichung ohne ihre
Einwilligung regelmäßig liegende Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre und
damit ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht hinnehmen (§ 22 KUG).
13 Vorliegend betrifft die Wortberichterstattung über den Aufenthalt des
Klägers und seiner Begleiterin in St. Tropez selbst bei Anlegung eines
großzügigen Maßstabs keinen Vorgang von allgemeinem Interesse (EGMR, NJW
2004, 2647, 2649 f. Rn. 60 ff.) und kein zeitgeschichtliches Ereignis.
Ebenso verhält es sich mit der beanstandeten Abbildung. Die Aufnahme zeigt
den Kläger und seine Begleiterin unstreitig im Urlaub, der grundsätzlich
auch bei "Prominenten" zum regelmäßig geschützten Kernbereich der
Privatsphäre gehört. Handelt es sich demzufolge bei der Veröffentlichung
nicht um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, muss die
abgebildete Person - mithin der Kläger - die in der Bildveröffentlichung
ohne seine Einwilligung liegende Beeinträchtigung seines
Persönlichkeitsrechts nicht hinnehmen.
14 3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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