IPR/IZPR: Internationale
Zuständigkeit der Gerichte Deliktsorts (Art. 5 Nr. 3 EuGVO) bei
Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet; anwendbares Recht;
kollisionsrechtlicher Charakter von Art. 3 I, II e-commerce Richtlinie
(Herkunftslandprinzip)?: Vorlagebeschluss an den EuGH
BGH, Beschluss vom 10. November 2009 -
VI ZR 217/08
Fundstelle:
NJW 2010, 1232
Amtl. Leitsatz:
Dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts
gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Wendung "Ort, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht"
in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember
2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachfolgend:
EuGVVO) bei (drohenden) Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf
einer Internet-Website dahingehend auszulegen, dass der Betroffene eine
Unterlassungsklage gegen den Betreiber der Website unabhängig davon, in
welchem Mitgliedstaat der Betreiber niedergelassen ist, auch bei den
Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben kann, in dem die Website abgerufen
werden kann, setzt die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, in
dem der Betreiber der Website nicht niedergelassen ist, voraus, dass ein
über die technisch mögliche Abrufbarkeit hinausgehender besonderer Bezug der
angegriffenen Inhalte oder der Website zum Gerichtsstaat (Inlandsbezug)
besteht?
2. Wenn ein solcher besonderer Inlandsbezug erforderlich ist: Nach welchen
Kriterien bestimmt sich dieser Bezug?
oder
Kommt es darauf an, ob sich die angegriffene Website gemäß der Bestimmung
des Betreibers zielgerichtet (auch) an die Internetnutzer im Gerichtsstaat
richtet oder genügt es, dass die auf der Website abrufbaren Informationen
objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine
Kollision der widerstreitenden Interessen - Interesse des Klägers an der
Achtung seines Persönlichkeitsrechts und Interesse des Betreibers an der
Gestaltung seiner Website und an der Berichterstattung - nach den Umständen
des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten
Website, im Gerichtsstaat tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten
kann?
Kommt es für die Feststellung des besonderen Inlandsbezugs maßgeblich auf
die Anzahl der Abrufe der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus an?
3. Wenn es für die Bejahung der Zuständigkeit keines besonderen
Inlandsbezugs bedarf oder wenn es für die Annahme eines solchen genügt, dass
die beanstandeten Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in
dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen im
Gerichtsstaat nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund
des Inhalts der beanstandeten Website, tatsächlich eingetreten sein kann
oder eintreten kann, und die Annahme eines besonderen Inlandsbezugs nicht
die Feststellung einer Mindestanzahl von Abrufen der beanstandeten Website
vom Gerichtsstaat aus voraussetzt:
Ist Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte
der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen
Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (nachfolgend: e-commerce-Richtlinie)
dahingehend auszulegen, dass diesen Bestimmungen ein kollisionsrechtlicher
Charakter in dem Sinne beizumessen ist, dass sie auch für den Bereich des
Zivilrechts unter Verdrängung der nationalen Kollisionsnormen die alleinige
Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts anordnen,
oder
handelt es sich bei diesen Vorschriften um ein Korrektiv auf
materiell-rechtlicher Ebene, durch das das sachlich-rechtliche Ergebnis des
nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts
inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslandes
reduziert wird?
Für den Fall, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie
kollisionsrechtlichen Charakter hat:
Ordnen die genannten Bestimmungen lediglich die alleinige Anwendung des im
Herkunftsland geltenden Sachrechts oder auch die Anwendung der dort
geltenden Kollisionsnormen an mit der Folge, dass ein renvoi des Rechts des
Herkunftslands auf das Recht des Bestimmungslands möglich bleibt?
Zentrale Probleme:
Ein sehr spannender Vorlagebeschluß: Art. 3 II der
"e-commerce
Richtlinie" enthält das
sog. "Herkunftslandprinzip":
"Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten
der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus
Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.
Die Bedeutung dieser Norm ist streitig. Wenn sie besagt, daß ein
e-commerce-Anbieter alles tun darf, was er in
dem Land seines Sitzes darf, kann die Norm entweder kollisionsrechtlichen
oder sachrechtlichen Charakter haben. Die Richtlinie selbst behauptet in der
Begründungserwägung Nr. 23, keine Kollisionsnormen zu enthalten. Das ist
nunmehr zu klären! Zum deliktischen Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO
s. auch BGH v. 13.7.2010 - XI ZR 57/08.
Jetzt liegen auch die Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil v. 25.10.2011 - verb. Rs. C-509/09 und
C-161/10 (eDate Advertising GmbH und Martinez) sowie die
Endentscheidung des BGH vor, s.
BGH v. 8.5.2012 - VI ZR 217/08.
©sl 2009
Gründe:
I.
1 1. Der in Deutschland wohnhafte Kläger wurde im Jahr 1993 zusammen mit
seinem Bruder wegen Mordes an dem bekannten Schauspieler Walter Sedlmayr von
einem deutschen Gericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im
Januar 2008 wurde er auf Bewährung entlassen. Die in der Republik Österreich
niedergelassene Beklagte betreibt unter der Adresse www.rainbow.at ein
Internetportal, das sich laut Impressum als "liberales und politisch
unabhängiges Medium" an "Schwule, Bisexuelle und Transgender" richtet. In
der Rubrik Info-News hielt sie bis zum 18. Juni 2007 auf den für
Altmeldungen vorgesehenen Seiten eine auf den 23. August 1999 datierte
Meldung zum Abruf bereit. Darin wurde unter Nennung des Namens des Klägers
sowie seines Bruders mitgeteilt, die beiden hätten beim
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde gegen ihre Verurteilung
eingelegt. Neben einer kurzen Beschreibung der im Jahre 1990 begangenen Tat
wird der von den Verurteilten beauftragte Anwalt mit den Worten zitiert, sie
wollten beweisen, dass mehrere Hauptbelastungszeugen im Prozess nicht die
Wahrheit gesagt hätten.
2 Mit Anwaltsschreiben vom 5. Juni 2007 forderte der Kläger die Beklagte zur
Unterlassung der Berichterstattung sowie zur Abgabe einer
Unterlassungs-verpflichtungserklärung auf. Die Beklagte antwortete auf
dieses Schreiben nicht, entfernte aber die beanstandete Meldung am 18. Juni
2007 aus ihrem Internetauftritt.
3 Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von der Beklagten, es zu
unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit der Tat unter voller Namensnennung
zu berichten. Die Beklagte hat in erster Linie die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt. Die Klage hatte in beiden
Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
4 2. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt: Die deutschen Gerichte seien zur Entscheidung des
Rechtsstreits nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständig. Das schädigende Ereignis
drohe in Deutschland einzutreten, da der Internetauftritt der Beklagten hier
abgerufen werden könne. Im Internet frei abrufbare Äußerungen seien zur
Kenntnisnahme durch jeden Internetnutzer bestimmt, jedenfalls aber für jeden
Nutzer, der die Sprache, in der der Internetauftritt gehalten sei, verstehe.
Deutschsprachige Meldungen, die zudem Vorgänge behandelten, die unter
Beteiligung von deutschen Staatsangehörigen in Deutschland stattgefunden
hätten, könnten nicht anders als auch für Internetnutzer in Deutschland
bestimmt angesehen werden. Da es für die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO
ausreichend sei, dass die Rechtsverletzung drohe, komme es nicht darauf an,
ob außer dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auch andere Nutzer aus
Deutschland die Meldung abgerufen hätten. Denn da diese über
deutschsprachige Suchmaschinen auffindbar gewesen sei, hätte jedenfalls ihre
Kenntnisnahme in Deutschland gedroht.
5 Gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB sei deutsches Recht anwendbar.
Der Internetauftritt der Beklagten sei bestimmungsgemäß auch in Deutschland
abrufbar gewesen. Aus § 3 Abs. 2 TMG folge nichts anderes, da diese Norm so
zu verstehen sei, dass auch danach prinzipiell das Recht des Staates
anzuwenden sei, in dem der Internetauftritt abgerufen werden könne, und der
Betreiber des Internetauftritts dadurch geschützt werde, dass er nicht
hafte, wenn er nach dem Recht seines Staates, in dem er ansässig sei, von
der Verantwortung frei sei. In der Verbreitung der beanstandeten Meldung
liege eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers, die
einen Unterlassungsanspruch aus den §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog in
Verbindung mit Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG begründe. Der Kläger habe sich zu
der Zeit, zu der die Meldung noch abrufbar gewesen sei, kurz vor seiner
Entlassung aus der Strafhaft unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung
befunden. Das deswegen besonders schutzwürdige Interesse des Klägers, nicht
weiter öffentlich mit der Tat konfrontiert zu werden, überwiege das
Interesse an der weiteren Verbreitung der Meldung. Der Umstand, dass
Meldungen im Internet häufig dauerhaft abrufbar gehalten würden und anhand
ihres Datums als ältere Meldung erkennbar seien, rechtfertige keine andere
Beurteilung.
6 Aus dem Herkunftslandprinzip des § 3 Abs. 2 TMG folge nichts
anderes, da das weitere Zugänglichhalten der Meldung unter Namensnennung
auch nach österreichischem Recht unzulässig gewesen sei. Nach
österreichischem Recht stehe dem Kläger ein Unterlassungsanspruch aus § 1330
Abs. 1 des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches in
Verbindung mit § 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Österreichischen Mediengesetzes
zu. Die große Bedeutung, die das österreichische Recht dem Schutz der
Resozialisierung eines aus der Strafhaft entlassenen verurteilten
Straftäters beimesse, komme in § 113 des Österreichischen Strafgesetzbuches
zum Ausdruck.
II.
7 Der Erfolg der Revision der Beklagten ist davon abhängig, ob die
Vorinstanzen ihre gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO (ABl. L 12/01 S. 1 ff.)
nach Maßgabe dieser Verordnung zu beurteilende internationale Zuständigkeit
zur Entscheidung des Rechtsstreits zu Recht bejaht haben. Ob dies der Fall
ist, hängt von der Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ab. Andere
Gerichtsstände sind nicht gegeben. Die Beklagte hat ihren gemäß Artt. 2, 60
EuGVVO zuständigkeitsbegründenden Geschäftssitz in Österreich. In
Deutschland besteht auch weder eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art.
22 EuGVVO noch ist eine Zuständigkeit nach Art. 23 f. EuGVVO vereinbart oder
gilt als vereinbart. Mithin sind deutsche Gerichte für die erhobene
Unterlassungsklage international nur dann zuständig, wenn die vom Kläger
behauptete Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die beanstandete
Meldung auf der Website der Beklagten in Deutschland eingetreten ist bzw.
einzutreten droht.
8 1. Gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz in
dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht desjenigen
Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten
droht, verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung,
die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus
einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Der Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: Gerichtshof) legt den Begriff
der "unerlaubten Handlung" und der "Handlung, die einer unerlaubten Handlung
gleichgestellt ist" autonom und sehr weit aus. In diesem Gerichtsstand sind
alle Klagen zulässig, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird,
die nicht an einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft
(vgl. zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ: EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - Rs.
C-167/00, NJW 2002, 3617 Tz. 36 - Henkel - m.w.N.). Abzugrenzen ist die
unerlaubte Handlung ebenso wie die ihr gleichgestellte Handlung von einem
Vertrag, d.h. von einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung. Unter den
Begriff der unerlaubten Handlung fallen daher auch Persönlichkeitsrechts-
oder Ehrverletzungen (vgl. EuGH, Urteil vom 7. März 1995 - Rs. C 68/93 - NJW
1995, 1881, 1882 - Shevill; Schlussanträge des Generalanwalts M. Darmon vom
14. Juli 1994 in der Rechtssache C-68/93, Rn. 9, 90 m.w.N.; Schlussanträge
des Generalanwalts P. Léger vom 10. Januar 1995 in der Rechtssache C-68/93,
Rn. 4; Pichler in Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Stand Oktober
2008, Kap. 25 Rn. 178; Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher
Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, S. 149; Kubis,
Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und
Immaterialgüterrechtsverletzungen, S. 104, 111). Erfasst werden neben
Ansprüchen auf Geldersatz auch Unterlassungsansprüche (EuGH, Urteil vom 1.
Oktober 2002 - Rs. C-167/00, aaO, Tz. 44 ff. - Henkel; BGH, Urteil vom 24.
Oktober 2005 - II ZR 329/03 - VersR 2006, 566; Gottwald in MünchKomm-ZPO, 3.
Aufl., Art. 5 EuGVVO, Rn. 56; Roth, aaO, S. 146, 149; Kubis, aaO, S. 111
ff.). Auf den Eintritt eines Schadens kommt es nicht an. Ausweislich des
Wortlauts des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO fallen auch vorbeugende Klagen in den
Anwendungsbereich der Bestimmung (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 -
Rs. C-167/00 - aaO, Tz. 50; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2005 - II ZR 329/03
- aaO).
9 2. Der Gerichtshof hat noch nicht entschieden, welche Anknüpfungskriterien
für die Bestimmung und Abgrenzung des Ortes, an dem das schädigende Ereignis
einzutreten droht, maßgeblich sind, wenn die behauptete Schädigung durch auf
einer Internet-Website eingestellte Inhalte eintritt oder einzutreten droht.
Die richtige Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in diesen Fällen ist auch
nicht offenkundig (so auch Tribunal de grande instance de Paris,
Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht am 16. Juli 2009, Rs. C-278/09, ABl.
C 220 vom 12. September 2009 in einem Verfahren auf Zahlung von
Schadensersatz wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch
Internet-Veröffentlichungen; vgl. auch Cour d'appel de Liège,
Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht am 29. Dezember 2008, Rs. C-584/08,
ABl. C 55 vom 7. März 2009 in einem Verfahren auf Zahlung von Schadensersatz
im Zusammenhang mit auf Internetseiten angebotenen Wetten).
10 a) Unter der Geltung des Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler EWG-Übereinkommens
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968
(nachfolgend: EuGVÜ, BGBl. 1972 II S. 774) hat der Gerichtshof zu einer
Schadensersatzklage wegen ehrverletzender Äußerungen in einem Druckerzeugnis
entschieden, dass der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist,
auch dort gelegen ist, wo die Veröffentlichung verbreitet worden ist und wo
das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist
(EuGH, Urteil vom 7. März 1995 - Rs. C-68/93 - aaO). Denn dort habe sich der
Schadenserfolg verwirklicht (ebenda). Der Gerichtshof hatte in dieser
Entscheidung keine Veranlassung, den Begriff des Verbreitens näher zu
definieren.
11 b) Zu der Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ im Wesentlichen gleichgelagerten, auch für
die internationale Zuständigkeit maßgeblichen Bestimmung des § 32 ZPO hat
der erkennende Senat entschieden, dass eine auf Äußerungen in einem
Presseerzeugnis beruhende Persönlichkeitsrechtsverletzung u.a. an dem Ort
begangen werde, an dem das Erzeugnis verbreitet werde (Senatsurteil vom 3.
Mai 1977 - VI ZR 24/75 - NJW 1977, 1590). Von einem Verbreiten könne
allerdings nur dann die Rede sein, wenn der Inhalt des Presseerzeugnisses
dritten Personen bestimmungsgemäß und nicht bloß zufällig zur Kenntnis
gebracht werde. Es könne nicht ausreichen, dass nur hier und da einmal durch
Dritte ein oder mehrere Exemplare in ein Gebiet gelangten, das von der
Betriebsorganisation des Verlegers oder Herausgebers nicht erfasst und in
das das Druckerzeugnis nicht regelmäßig geliefert werde (ebenda).
12 Die vom Senat zu § 32 ZPO entwickelte Beschränkung des Erfolgsortes auf
bestimmungsgemäße Verbreitungsorte ist aufgrund der parallelen ratio beider
Vorschriften in der deutschen Rechtsprechung auf Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ
übertragen worden (vgl. OLG München NJW-RR 1994, 190).
13 c) Die genannten Entscheidungen können auf Internet-Delikte allerdings
nicht ohne weiteres übertragen werden. Internet-Inhalte werden regelmäßig
nicht "verbreitet", sondern zum Abruf bereit gehalten (vgl. Pichler in
Hoeren/ Sieber, aaO, Rn. 210; vgl. auch die Formulierung in § 7 Abs. 1 TMG:
Informationen, die Diensteanbieter "zur Nutzung bereit halten"). Im
Gegensatz zu Druckerzeugnissen lässt sich im Internet auch ein räumlich
abgegrenztes Verbreitungsgebiet einer Website nur schwer bestimmen (vgl.
Roth, aaO, S. 254 f.). Dementsprechend ist die Übertragbarkeit der vom Senat
entwickelten Einschränkung auf Delikte im Internet ebenso umstritten wie im
Falle der grundsätzlichen Bejahung eines Erfordernisses der
bestimmungsgemäßen "Verbreitung" dessen Konkretisierung (vgl. zum
Meinungsstand Roth, aaO, S. 232 ff.).
14 aa) Ein Teil der deutschen Instanzgerichte und der deutschen Literatur
hält im Hinblick auf den Charakter des World-Wide-Web eine bloße
Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte im Gerichtsstaat ohne weiteres
für zuständigkeitsbegründend mit der Folge, dass sich regelmäßig eine
Zuständigkeit in jedem Mitgliedstaat ergibt (vgl. Damm/Rehbock, Widerruf,
Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl. Rn. 831;
Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 67. Aufl. Art. 5 EuGVVO Rn. 23;
Bachmann, IPrax 1998, 179, 184; Schack MMR 2000, 135, 138 f.; zum
Kennzeichenrecht: OLG Karlsruhe, MMR 2002, 814, 815; OLG Hamburg, MMR 2002,
822, 823; OLG Hamburg, IPrax 2004, 125, 126; zum Namensrecht: OLG München,
MMR 2002, 166, 167; zum Persönlichkeitsrecht: KG AfP 2006, 258, 259).
15 bb) Andere nehmen einen Erfolgsort bei Internet-Delikten sowohl im Rahmen
des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ/EuGVVO als auch des § 32 ZPO nur dort an, wo der
Internetauftritt gemäß der zielgerichteten Bestimmung des Betreibers
abrufbar ist (vgl. Pichler in Hoeren/Sieber, aaO, Rn. 207 ff. m.w.N.). So
hält der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bei
Wettbewerbsverletzungen nur dann für gegeben, wenn sich der beanstandete
Internetauftritt bestimmungsgemäß im Inland auswirken soll bzw. sich
bestimmungsgemäß auch an deutsche Internetnutzer richtet (vgl. BGHZ 167, 91,
98 f.). Diese Grundsätze haben verschiedene Instanzgerichte zur Vermeidung
einer uferlosen Gerichtspflichtig-keit des Beklagten auf
Urheberrechtsverletzungen (OLG Köln, GRUR-RR 2008, 71),
Namensrechtsverletzungen (KG, NJW 1997, 3321), Kennzeichenverletzungen (LG
Düsseldorf, NJW-RR 1998, 979, 980), Eingriffe in den eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb (LG Krefeld, AfP 2008, 99, 100) und auf
Persönlichkeitsrechtsverletzungen (OLG Celle, OLGR 2003, 47; OLG Düsseldorf,
AfP 2009, 159; AG Charlottenburg, MMR 2006, 254, 255) übertragen.
16 cc) Das Tribunal de grande instance de Paris hält die Anzahl der Abrufe
der rechtsverletzenden Inhalte vom Gerichtsstaat für ein maßgebliches
Abgrenzungskriterium (vgl. Ordonnance du Juge de la Mise en Etat, rendue le
27 Avril 2009, 17. Ch. Presse-Civile, Nr. Rg. 08/15331 sowie Ordonnance du
Juge de la Mise en Etat, rendue le 6 Juillet 2009, 17. Ch. Presse-Civile,
Nr. Rg. 08/15331 = Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-278/09).
17 dd) Für Kennzeichenverletzungen neigt der I. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs zu einer Begrenzung der Gerichtsstände auf diejenigen, in
deren Zuständigkeitsbereich eine Interessenkollision tatsächlich eingetreten
sein kann (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2004 - I ZR 163/02 - NJW 2005, 1435,
1436; ähnlich Roth, aaO, S. 277; von Hinden,
Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, S. 80 ff., 88). Ähnliche
Erwägungen liegen der Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs
vom 12. Dezember 2000 (BGHSt 46, 212) zugrunde. Danach tritt dann, wenn ein
Ausländer von ihm verfasste Äußerungen, die den Tatbestand der
Volksverhetzung erfüllen, auf einem ausländischen Server in das Internet
einstellt, der Internetnutzern in Deutschland zugänglich ist, ein zum
Tatbestand gehörender Erfolg im Inland ein, wenn die Äußerung konkret zur
Friedensstörung im Inland geeignet ist (ebenda).
18 d) Der Senat neigt dazu, die internationale Zuständigkeit für
Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Internet-Veröffentlichungen
entsprechend der zuletzt genannten Auffassung zu bestimmen. Die Ansicht, die
die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte für
zuständigkeitsbegründend hält, widerspricht dem Sinn und Zweck des Art. 5
Nr. 3 EuGVVO. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die
besonderen Zuständigkeitsregeln der Art. 5 und 6 EuGVVO eng auszulegen. Denn
sie stellen Ausnahmen von dem Grundsatz dar, dass der Beklagte vor den
Gerichten seines Wohnsitzstaats zu verklagen ist (EuGH, Urteil vom 27.
September 1988 - Rs. 189/87 -Slg. 1988, 5565, Tz. 19 - Kalfelis; vom 10.
Juni 2004 - Rs. C-168/02 - NJW 2004, 2441, 2442 - Kronhofer). Die
besondere Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO beruht darauf, dass eine
besonders enge Beziehung zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als
denen des Ortes des Beklagtenwohnsitzes besteht, die aus Gründen einer
geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses
eine Zuständigkeit dieser anderen Gerichte rechtfertigt (EuGH, Urteil
vom 10. Juni 2004 - C-168/02 - aaO). Eine besondere Beziehung zu einem
bestimmten Forum wird durch die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden
Inhalte allein jedoch nicht begründet. Denn die Abrufbarkeit einer Website
ist infolge der technischen Rahmenbedingungen in jedem Staat gegeben.
Ließe man die bloße Abrufbarkeit genügen, so käme es zu einer uferlosen
Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten, die den
zuständigkeitsrechtlichen Leitprinzipien der Vermeidung beziehungsarmer
Gerichtsstände, der Reduzierung konkurrierender Zuständigkeiten und der
Vorhersehbarkeit und präventiven Steuerbarkeit der potentiellen
Gerichtspflichtigkeit eklatant zuwiderliefe (vgl. Pichler in Hoeren/Sieber,
aaO, Rn. 198).
19 Um das zu vermeiden, ist nach Auffassung des Senats ein über die bloße
Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte hinausgehender Inlandsbezug zu
fordern. Ein derartiger Bezug kann jedenfalls bei
Persönlichkeitsrechtsverletzungen aber nicht voraussetzen, dass sich die
beanstandete Website "gezielt" oder "bestimmungsgemäß" auch an deutsche
Internetnutzer richten soll. Dieses Einschränkungskriterium, das bei
marktbezogenen Delikten wie Wettbewerbsverletzungen seine Berechtigung hat,
ist für die erforderliche Begrenzung der ansonsten bestehenden Vielzahl von
Gerichtsständen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht geeignet. Eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung setzt keine Marktbeeinflussung voraus,
sondern tritt unabhängig von den Intentionen des Verletzers mit der
Kenntnisnahme des rechtsverletzenden Inhalts durch Dritte ein (vgl. Pichler
in Hoeren/Sieber, aaO, Rn. 229, 251; von Hinden, aaO, S. 83).
20 Der Senat misst auch der Anzahl der Abrufe der rechtsverletzenden Inhalte
vom Gerichtsstaat aus jedenfalls bei Unterlassungsansprüchen keine über ein
bloßes Indiz hinausgehende Bedeutung für die Bestimmung des erforderlichen
Inlandsbezugs zu. Denn zum einen ist die Anzahl der erfolgten Abrufe nicht
immer zuverlässig feststellbar; zum anderen ist sie dem insoweit darlegungs-
und beweisbelasteten Kläger schon aus Datenschutzgründen nicht
uneingeschränkt zugänglich (vgl. Roth, aaO, S. 232 ff.). Abgesehen davon ist
der Unterlassungsanspruch in die Zukunft gerichtet und setzt keine bereits
eingetretene Rechtsgutsverletzung voraus.
21 Nach Auffassung des Senats ist es vielmehr entscheidend, ob die im
Internet abrufbaren Informationen objektiv einen Bezug zum Inland in dem
Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen -
Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts bzw.
Interesse der Beklagten an der Gestaltung ihres Internetauftritts und an
einer Berichterstattung -nach den Umständen des konkreten Falls,
insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Inland
tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann.
22 3. Die Frage, wie Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in der vorliegenden
Fallkonstellation auszulegen ist, ist entscheidungserheblich. Von ihr hängt
die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ab. Kann der
Betroffene vor den Gerichten eines Mitgliedstaats, in dem der Betreiber der
Website nicht niedergelassen ist, nur dann eine Unterlassungsklage wegen
einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Inhalte auf einer
Internet-Website erheben, wenn sich der beanstandete Internetauftritt gemäß
der Bestimmung des Betreibers zielgerichtet auch an die Internetnutzer im
Gerichtsstaat richtet, wäre eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu
verneinen. Denn nach den Intentionen des Betreibers der
streitgegenständlichen Internetplattform ist diese allein auf Österreich
ausgerichtet. Dies ergibt sich aus der gewählten Top-Level-Domain der
Website "at" als so genanntem Country-Code für Österreich, insbesondere aber
dem Umstand, dass ausschließlich Veranstaltungen und Adressen in Österreich
mitgeteilt werden und der Betreiber auf der Website unter "Mediadaten"
mitteilt, er könne die reichweitenstärkste Cross-Media-Kampagne für die "lesBiSchwule
Community in Österreich" anbieten.
23 Wenn es maßgeblich auf die Anzahl der Abrufe der rechtsverletzenden
Inhalte von Deutschland aus ankommen sollte, wären die deutschen Gerichte
ebenfalls nicht zuständig. Denn nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu
legenden Vortrag der Beklagten ist die beanstandete Meldung lediglich einmal
von Deutschland aus - und zwar vom Anwalt des Klägers - abgerufen worden.
24 Dagegen wäre die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu
bejahen, wenn zuständigkeitsbegründend bereits die bloße Abrufbarkeit der
rechtsverletzenden Inhalte im Gerichtsstaat oder ein objektiver Inlandsbezug
in dem Sinne wäre, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen nach
den Umständen des konkreten Falles, insbesondere aufgrund des Inhalts der
beanstandeten Meldung, im Forumstaat tatsächlich eingetreten sein kann oder
eintreten kann. Nach den Umständen des Streitfalles lag eine Kenntnisnahme
der beanstandeten Meldung in Deutschland erheblich näher als in den anderen
Mitgliedstaaten. Die Meldung war auf deutsch abgefasst und hatte die
Verurteilung des in Deutschland wohnhaften Klägers wegen Mordes an einem
bekannten deutschen Schauspieler durch ein deutsches Gericht zum Gegenstand,
wobei sowohl die Tat als auch das Gerichtsverfahren in Deutschland
erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatten. Durch die Kenntnisnahme
von dieser Meldung in Deutschland kann die Resozialisierung des Klägers in
Deutschland erschwert werden.
III.
25 1. Ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben,
so hängt der Erfolg der Revision von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 und 2
e-commerce-Richtlinie ab. Die Auslegung dieser Bestimmungen ist maßgebend
dafür, ob deutsches oder österreichisches Recht zur Anwendung berufen ist.
Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (nachfolgend:
Rom II-Verordnung)
ist im Streitfall nicht anwendbar, da gemäß deren Art. 1 Abs. 2 lit. g
außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der
Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind.
26 a) Artikel 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie lauten wie folgt:
27 (1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der
Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet
niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem
Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in
den koordinierten Bereich fallen.
28 (2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der
Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen
einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.
29 Artikel 3 e-commerce-Richtlinie wurde durch Neufassung des § 4 TDG mit
Wirkung ab 21. Dezember 2001 in nationales Recht umgesetzt. Mit Wirkung vom
1. März 2007 wurden die Bestimmungen des § 4 TDG und § 5 MDStV inhaltlich
unverändert in § 3 TMG übernommen (vgl. BT-Drucks. 16/3078, S. 14). Der
mit dem Begriff "Herkunftslandprinzip" überschriebene § 3 TMG regelt in
seinem Absatz 1, dass in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassene
Diensteanbieter und ihre Telemedien den Anforderungen des deutschen Rechts
auch dann unterliegen, wenn die Telemedien in einem anderen Staat innerhalb
des Geltungsbereichs der e-commerce-Richtlinie geschäftsmäßig angeboten oder
erbracht werden. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 TMG wird der freie
Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die in der Bundesrepublik Deutschland
von Diensteanbietern geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden, die in
einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereichs der e-commerce-Richtlinie
niedergelassen sind, nicht eingeschränkt.
30 b) Der Gesetzgeber wollte, was die Ausführungen in der Gesetzesbegründung
belegen, eine richtlinienkonforme Regelung schaffen. Wegen der im
parlamentarischen Verfahren aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten über die
dogmatische Einordnung des in Art. 3 der e-commerce-Richtlinie angeordneten
Herkunftslandprinzips hat er dessen Rechtsnatur und Reichweite bewusst offen
gelassen und sich darauf beschränkt, Art. 1 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 und 2
e-commerce-Richtlinie weitestgehend wörtlich zu übernehmen. Er war der
Auffassung, dass die schwierige Umsetzung des Herkunftslandprinzips am
besten bewerkstelligt werden könne, indem man sich möglichst eng an dem
Wortlaut der einschlägigen Richtlinienbestimmungen orientiere
(BT-Drucks. 14/7345, S. 31; vgl. auch Nickels, Der Betrieb 2001, 1919, 1923;
ders., CR 2002, 302, 304; Brunner in Manssen, Telekommunikations- und
Multimediarecht, § 4 TDG Rn. 8 m.w.N.).
31 c) Rechtsnatur und Reichweite des in Art. 3 Abs. 1 und 2
e-commerceRichtlinie bzw. § 3 Abs. 1 und 2 Satz 1 TMG angeordneten
Herkunftslandprinzips sind in der deutschen Rechtsprechung und Literatur
umstritten.
32 aa) Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Frage in seinen
Entscheidungen zu § 4 Abs. 2 Satz 1 TDG offen gelassen (vgl. BGHZ 167, 91,
101 f. - Arzneimittelwerbung im Internet; Urteil vom 5. Oktober 2006 - I ZR
229/03 - MMR 2007, 104, 105 - Pietra di Soln). Das Oberlandesgericht Hamburg
hat § 4 Abs. 2 Satz 1 TDG - allerdings ohne dies zu begründen - als
kollisionsrechtliche Norm aufgefasst und in der Sache ausschließlich
niederländisches Recht angewendet (OLG Hamburg GRUR 2004, 880, 881). Das
Kammergericht hat das in § 5 Abs. 2 und 5 MDStV enthaltene
Herkunftslandprinzip kollisionsrechtlich qualifiziert und den ihm
unterbreiteten Fall nach österreichischem Sachrecht entschieden (KG AfP
2006, 258, 259). Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Hamburg in der
angefochtenen Entscheidung und im Urteil vom 24. Juli 2007 (ZUM 2008, 63) §
3 Abs. 2 TMG unter Hinweis auf die ausdrückliche Regelung in Art. 1 Abs. 4
der e-commerce-Richtlinie und die entsprechende Bestimmung in § 1 Abs. 5 TMG
als rein sachrechtlich wirkende Rechtsanwendungsschranke angesehen, aufgrund
derer das deutsche allgemeine Deliktsrecht lediglich in der Weise
modifiziert wird, dass eine Haftung nach deutschem Recht ausgeschlossen ist,
wenn nach dem Recht des Herkunftslandes keine Haftung bestände.
33 bb) In der Literatur bietet sich ein uneinheitliches Bild.
34 (1) Nach einer Auffassung stellt das in Art. 3 e-commerce-Richtlinie bzw.
§ 3 TMG verankerte Herkunftslandprinzip ein Korrektiv auf
materiell-rechtlicher Ebene dar. Danach wird das sachlich-rechtliche
Ergebnis des nach den Kollisionsregeln des Gerichtsstaats für anwendbar
erklärten Rechts im konkreten Fall gegebenenfalls inhaltlich modifiziert und
auf die weniger strengen Anforderungen des Herkunftslandrechts reduziert
(vgl. Wagner, Einflüsse der Dienstleistungsfreiheit auf das nationale und
internationale Arzthaftungsrecht, S. 188 ff. m.w.N.; Höder, Die
kollisionsrechtliche Behandlung unteilbarer Multistate-Verstöße, S. 187 ff.,
200; Fezer/Koos, IPrax 2000, 349 ff.; Gounalakis/Rhode,
Persönlichkeitsschutz im Internet, Rn. 28; Halfmeier, ZEuP 2001, 837, 841
ff.; ähnlich Martiny in MünchKomm-BGB, 4. Aufl., Art. 34 EGBGB Anh. III Rn.
36 f.). Nach dieser Deutung ließe das Herkunftslandprinzip die nationalen
Kollisionsregeln des Forumstaates unberührt und käme - wie die
Grundfreiheiten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(nachfolgend: EGV) - erst im Rahmen eines konkreten Günstigkeitsvergleichs
auf materiellrechtlicher Ebene zum Einsatz (vgl. Wagner, aaO, S. 188
m.w.N.).
35 Die Vertreter dieser Auffassung berufen sich auf den klaren Wortlaut
des Art. 1 Abs. 4 e-commerce-Richtlinie bzw. des § 1 Abs. 5 TMG sowie auf
die in Erwägungsgrund 23 der Richtlinie erklärte Zielrichtung des
Normgebers, das in den Mitgliedstaaten geltende Internationale Privatrecht
nicht antasten zu wollen (vgl. Wagner, aaO, S. 189; Fezer/Koos, aaO, S.
352; Höder, aaO, S. 187 f.; Martiny in MünchKomm-BGB, aaO, Rn. 26). Art.
3 Abs. 2 e-commerceRichtlinie enthalte keine Verweisung auf das
Herkunftsland, sondern nur das von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu
den Grundfreiheiten als materiellrechtliches Korrektiv bekannte
Diskriminierungsverbot (Höder, aaO, S. 192). Abgesehen davon ergebe
sich angesichts der noch bestehenden Abweichungen der mitgliedstaatlichen
Rechtsordnungen die Gefahr, dass Diensteanbieter in die Mitgliedstaaten mit
den geringsten rechtlichen Anforderungen abwanderten und es zu einem
"Wettbewerb der Rechtsordnungen" komme (Wagner, a-aO, S. 189 f.; Fezer/Koos,
aaO, S. 354).
36 (2) Nach anderer Auffassung sollte durch Art. 3 e-commerce-Richtlinie und
§ 3 TMG ein allgemeines kollisionsrechtliches Prinzip etabliert werden, das
unter Verdrängung der nationalen kollisionsrechtlichen Regelungen zur
alleinigen Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts führt (vgl.
Brunner in Manssen, aaO, Rn. 12; Thünken, Das kollisionsrechtliche
Herkunftslandprinzip, S. 84 f.; Naskret, Das Verhältnis zwischen
Herkunftslandprinzip und Internationalem Privatrecht in der Richtlinie zum
elektronischen Geschäftsverkehr, S. 114; Leible/Spickhoff, Die Bedeutung des
IPR im Zeitalter der neuen Medien, S. 89, 117 ff. m.w.N. zum Streitstand;
Fallenböck, Internet und Internationales Privatrecht, S. 188 ff., 202;
Dethloff, JZ 2000, 179, 181; Mankowski, IPrax 2002, 257, 262; Lurger/Vallant,
RIW 2002, 188, 196). Hierbei ist jedoch umstritten, ob es sich bei der
Anknüpfung an das Herkunftsland des Anbieters um eine reine
Sachnormverweisung oder eine Gesamtverweisung handelt, die einen renvoi auf
das Sachrecht des Bestimmungsstaates zuließe (vgl. zum Meinungsstand die
Darstellung bei Wagner, aaO, S. 186 f.).
37 Die Vertreter der kollisionsrechtlichen Auffassung verweisen darauf,
dass die Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip kollisionsrechtlicher Natur
seien (Thünken, aaO, S. 72; Mankowski, aaO, S. 258; Fallenböck, aaO, S.
201). Dies gelte beispielsweise für die im Anhang zu Art. 3
e-commerce-Richtlinie aufgeführte Ausnahme der freien Rechtswahl (§ 3 Abs. 3
Nr. 1 TMG) sowie für Art. 27 der Rom II-Verordnung in Verbindung mit deren
Erwägungsgrund 35 Satz 4. Nach der zuletzt genannten Bestimmung lässt die
Verordnung solche in Gemeinschaftsrechtsakten enthaltene Vorschriften
unberührt, die für besondere Gegenstände Kollisionsnormen für
außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten (vgl. Thünken, Das
kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 72; Spickhoff in BeckOK,
Stand: 1. Januar 2008, EGBGB Art. 42, Rn. 145; Pa-landt/Thorn, BGB, 68.
Aufl., Art. 6 Rom II Rn. 3, 15 sowie Art. 27 Rom II Rn. 2; s. auch Hamburg
Group for Private International Law, RabelsZ 67, 1, 45 f.). Diese eindeutig
kollisionsrechtlichen Ausnahmen seien überflüssig, wenn nicht bereits das
Prinzip kollisionsrechtlicher Natur wäre (vgl. Mankowski, aaO, S. 258
m.w.N.). Die Vertreter der kollisionsrechtlichen Auffassung berufen sich
ferner auf Erwägungsgrund 22 Satz 4 der Richtlinie, wonach die Dienste der
Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen
Mitgliedstaats unterworfen werden sollen, in dem der Anbieter niedergelassen
ist, sowie Erwägungsgrund 5 Satz 2, wonach die bestehende Rechtsunsicherheit
hinsichtlich der auf die Dienste der Informationsgesellschaft jeweils
anzuwendenden nationalen Regelungen beseitigt werden sollen (Thünken, aaO,
S. 72; Naskret, aaO, S. 61). Nicht die in Art. 1 Abs. 4
e-commerce-Richtlinie bzw. § 1 Abs. 5 TMG enthaltene Absichtserklärung des
Normgebers, sondern der tatsächliche Gehalt einer Norm sei für ihre
rechtliche Einordnung maßgeblich. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2
e-commerce-Richtlinie seien als Einheit zu sehen (vgl. Fallenböck, aaO, S.
200; Thünken, aaO, S. 78; Naskret, aaO, S. 54; Mankowski, aaO, S. 258). Aus
ihrem Zusammenspiel ergebe sich, dass das Recht des Staates maßgeblich sein
solle, in dem der Diensteanbieter seine Niederlassung habe (Fallenböck, aaO,
S. 200). Schließlich machen sie geltend, dass Vorbild für das
Herkunftslandprinzip in der e-commerce-Richtlinie das Herkunftslandprinzip
in Art. 2 Fernsehrichtlinie sei; diese Bestimmung sei aber als
Kollisionsnorm anerkannt (vgl. Mankowski, aaO, S. 259 m.w.N.).
38 cc) Österreich, Frankreich und Luxemburg haben Artikel 3 der
e-commerce-Richtlinie als kollisionsrechtliches Prinzip umgesetzt. Gemäß
§ 20 Abs. 1 des österreichischen e-commerce-Gesetzes richten sich im
koordinierten Bereich die rechtlichen Anforderungen an einen in einem
Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats.
Der OGH sieht in dem Herkunftslandprinzip dementsprechend eine die
allgemeine Bestimmung des § 48 Abs. 2 des österreichischen Gesetzes über das
Internationale Privatrecht verdrängende Kollisionsnorm (vgl. OGH, Urteil vom
21. November 2006 - 4 Ob 62/06 f - MMR 2007, 360 - go-limited.de; so auch
Zankl, e-commerceGesetz, § 20 Rn. 306, 314 f., 321; ders., Bürgerliches
Recht, 4. Aufl., S. 180 f.).
39 Der französische Gesetzgeber hat die Bestimmungen über das
Herkunftslandprinzip in Art. 17 Loi pour la confiance dans l'économie
numerique (LCEN) umgesetzt und dort normiert, dass jeder, der einen
elektronischen Handel i.S.d. Art. 14 LCEN betreibt, im Hinblick auf diese
Tätigkeit dem Recht ... jenes Mitgliedstaats unterliegt, in dem er
niedergelassen ist. Art. 17 LCEN lautet: L'activité définie à l'article 14
est soumise à la loi de l'Etat membre sur le territoire duquel la personne
qui l'exerce est établie, sous reserve de la commune intention de cette
personne et de celle à qui sont destinés les biens ou services.
40 Artikel 2 Abs. 4 des luxemburgischen Loi relative au commerce
électronique enthält eine vergleichbare Bestimmung. Sie lautet: La loi du
lieu d' établissement du prestataire de services de la société de
l'information s'applique aux prestataires et aux services qu' ils prestent,
sans préjudice de la liberté des parties de choisir le droit applicable à
leur contrat.
41 d) Die Frage der Rechtsnatur und Reichweite des in Art. 3
e-commerceRichtlinie verankerten Herkunftslandprinzips ist in der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht entschieden.
42 2. Die Frage, wie Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie und
dementsprechend § 3 Abs. 1 und 2 Satz 1 TMG auszulegen sind, ist auch
entscheidungserheblich. Sieht man das in diesen Bestimmungen verankerte
Herkunftslandprinzip als sachlich-rechtliche Rechtsanwendungsschranke, so
wäre deutsches Internationales Privatrecht anwendbar und gemäß Art. 40 Abs.
1 Satz 2 EGBGB deutsches Sachrecht als Recht des Erfolgsortes berufen. Die
angefochtene Entscheidung wäre dann auf die Revision der Beklagten
aufzuheben und die Klage endgültig abzuweisen, da ein Unterlassungsanspruch
des Klägers nach deutschem Recht zu verneinen wäre. Misst man dem
Herkunftslandprinzip dagegen kollisionsrechtlichen Charakter bei, so wäre
der Unterlassungsanspruch des Klägers nach österreichischem Recht zu
beurteilen. Gemäß der Bestimmung des § 545 Abs. 1 ZPO in der hier
maßgeblichen Fassung vom 5. Dezember 2005, die die Revisibilität
ausländischen Rechts ausschließt, wären entweder die Feststellungen des
Berufungsgerichts zugrunde zu legen, wonach nach österreichischem Recht ein
Unterlassungsanspruch besteht, und die Revision der Beklagten zurückzuweisen
oder das angefochtene Urteil wegen unzureichender Ermittlung des
österreichischen Rechts aufzuheben und die Sache - mit offenem Ergebnis - an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen. |