IPR/IZPR: Internationale
Zuständigkeit der Gerichte Deliktsorts (Art. 5 Nr. 3 EuGVO) bei
Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet; anwendbares Recht;
kein kollisionsrechtlicher Charakter von § 3 TMG (Herkunftslandprinzip)?
Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Internet-Archive, Rechtswidrigkeit von
Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ("Sedlmayr-Mörder")
BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - VI ZR
217/08
Fundstelle:
NJW 2012, 2197
Amtl. Leitsatz:
a) Die deutschen Gerichte sind zur Entscheidung
über Klagen wegen Persönlichkeitsbeeinträchtigungen durch im Internet
abrufbare Veröffentlichungen eines in einem anderen Mitgliedstaat der
Europäischen Union niedergelassenen Anbieters jedenfalls dann international
zuständig, wenn die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, den
Mittelpunkt ihrer Interessen in Deutschland hat.
b) § 3 TMG enthält keine Kollisionsnorm, sondern ein sachrechtliches
Beschränkungsverbot.
c) Zur Zulässigkeit des Bereithaltens nicht mehr aktueller Beiträge in dem
für Altmeldungen vorgesehenen Teil eines Internetportals (Online-Archiv), in
denen ein verurteilter Straftäter namentlich genannt wird.
Zentrale Probleme:
Es geht um die zentrale Frage,
ob § 3 TMG, der Art. 3 II der
"e-commerce
Richtlinie" in deutsches Recht umsetzt,
eine Kollisionsnorm
darstellt. Der BGH hatte diese Frage im gleichen Verfahren in Bezug auf Art.
3 II der e-commerce-Rl. dem EuGH
vorgelegt (s.
BGH v. 10.11.2009 - VI ZR 217/08), der sie durch
Urteil v. 25.10.2011 - verb. Rs. C-509/09 und
C-161/10 (eDate Advertising GmbH und Martinez) entschieden hat
(zum Gegenstand des Verfahrens und den einzelnen Probleme s. die Anm.
zu
EuGH a.a.O.). Der BGH
entscheidet nun zur Sache und weist die Klage ab. Auf materiellrechtlicher
Ebene sind dabei insbesondere die Ausführungen ab
Tz. 33 zur (bei Verletzung
des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht indizierten) Rechtswidrigkeit
von Interesse (s. dazu etwa auch
BGH NJW 2009,
3576 - "Kanniable von Rotenburg" sowie die im Urteil genannten
Entscheidungen). Auf die vom EuGH dargelegte Auslegung der
e-commerce Richtlinie
(und damit von § 3 TMG) kam es nicht mehr an. Das wäre nur dann relevant gewesen, wenn die
Veröffentlichung nach deutschem Recht unzulässig, nach österreichischem
Recht aber zulässig wäre, s. dazu die Anm. zu
EuGH a.a.O.).S. dazu auch
BGH v. 25.10.2016 - VI ZR
678/15.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Der Kläger nimmt die Beklagte auf
Unterlassung der individualisierenden Berichterstattung über eine Straftat
in Anspruch.
2 Der in Deutschland wohnhafte Kläger wurde im Jahr 1993 zusammen mit seinem
Bruder wegen Mordes an dem bekannten Schauspieler Walter Sedlmayr zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Tat hatte erhebliches Aufsehen
erregt. Der Kläger stellte mehrfach, zuletzt im Jahr 2004, Anträge auf
Wiederaufnahme des Verfahrens, vor deren Bescheidung er sich an die Presse
wandte. Sein letzter Wiederaufnahmeantrag wurde im Jahr 2005 verworfen. Im
Januar 2008 wurde der Kläger auf Bewährung aus der Strafhaft entlassen. Die
in der Republik Österreich niedergelassene Beklagte betreibt das
Internetportal
www.rainbow.at. Dort hielt sie auf den für Altmeldungen
vorgesehenen Seiten bis zum 18. Juni 2007 eine auf den 23. August 1999
datierte Meldung mit dem Titel "Wird der Sedlmayr-Mord neu verhandelt?" zum
freien Abruf durch die Öffentlichkeit bereit. Darin heißt es unter voller
Namensnennung der Betroffenen u.a.:
3 "W. und L. wollen beide ihre Unschuld nachweisen ...
4 ...Neun Jahre nach dem Mord an dem bayerischen Volksschauspieler Walter
Sedlmayr wollen die beiden Verurteilten eine Neuauflage des Prozesses
erzwingen. Der zu lebenslanger Haft verurteilte W. (44) reichte vor dem
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde gegen das Urteil ein. Sein
Halbbruder L. (46) ... will im September ebenfalls vor das
Verfassungsgericht gehen. ... Sedlmayr war am 15. Juli 1990 tot im
Schlafzimmer seiner Wohnung gefunden worden. Er hatte schwere
Schädelverletzungen durch Hammerschläge und Stichwunden. W. und L. wurden
1993 in einem aufwendigen Indizienprozess nach 53 Verhandlungstagen
verurteilt. Die beiden Brüder beauftragten mit der Verfassungsbeschwerde den
Frankfurter Rechtsanwalt W. "Wir wollen beweisen, dass mehrere
Hauptbelastungszeugen beim Prozess nicht die Wahrheit gesagt haben. Damit
wären die Grundlagen für das Urteil erschüttert. Meine Mandanten sind
unschuldig." . "
5 Der Kläger sieht in dem Bereithalten der seinen Namen enthaltenden
Altmeldung zum Abruf im Internet eine Verletzung seines allgemeinen
Persönlichkeitsrechts. Mit der Klage verlangt er von der Beklagten,
es zu unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit der Tat unter voller
Namensnennung zu berichten. Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen
Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die
Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
6 Der erkennende Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom
10. November 2009 (VersR 2010, 226) ausgesetzt
und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend:
Gerichtshof) gemäß Art. 234 EG um eine Vorabentscheidung zur Auslegung von
Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1 ff.,
nachfolgend: EuGVVO) und von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte
rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere
des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. L 178, S. 1,
nachfolgend: e-commerce-Richtlinie) ersucht. Der Gerichtshof hat hierüber
durch Urteil vom 25. Oktober 2011 (Rs.
C-509/09, AfP 2011, 565 - eDate Advertising) entschieden.
Entscheidungsgründe:
I.
7 Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der
deutschen Gerichte nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bejaht. Das schädigende
Ereignis drohe in Deutschland einzutreten, da der Internetauftritt der
Beklagten bestimmungsgemäß hier abgerufen werden könne.
Dementsprechend sei der vom Kläger geltend gemachte Anspruch gemäß Art. 40
Abs. 1 Satz 2 EGBGB nach deutschem Recht zu beurteilen. Aus § 3
Abs. 2 TMG folge nichts anderes, da diese Norm keinen kollisionsrechtlicher
Charakter habe. In dem Bereithalten der den Kläger identifizierenden Meldung
zum Abruf im Internet liege eine Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts des Klägers, die einen Unterlassungsanspruch aus den §
823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2
Abs. 1 GG begründe. Der Kläger habe sich Mitte des Jahres 2006, als die
Meldung noch abrufbar gewesen sei, kurz vor der Entlassung aus der Strafhaft
unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung befunden, weshalb eine
Konstellation gegeben gewesen sei, wie sie der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juni 1973 (BVerfGE 35, 202 ff. - Lebach I)
zugrunde gelegen habe. Das im Hinblick auf seine bevorstehende
Wiedereingliederung in die Gesellschaft besonders schutzwürdige Interesse
des Klägers, nicht weiterhin öffentlich mit der Tat konfrontiert zu werden,
überwiege das Interesse der Beklagten an der weiteren Verbreitung der
Meldung umso mehr, als die Einschränkungen, die dem Verbreiter solcher
Meldungen auferlegt würden, denkbar gering seien. Diesem werde nämlich nicht
die Berichterstattung über die Tat, sondern nur die Nennung der Namen der
Täter untersagt.
8 Der Umstand, dass - wie auch im Streitfall - Meldungen im Internet häufig
dauerhaft abrufbar gehalten würden und als ältere Meldungen erkennbar seien,
rechtfertige keine andere Beurteilung. Es mache keinen Unterschied, ob die
Identität des Betroffenen in einer neuen oder in einer älteren Meldung
preisgegeben werde. Es komme auch nicht darauf an, ob die beanstandete
Meldung mittels Suchmaschinen oder Querverweisen über ein auf die Tat
bezogenes Schlagwort oder über den Namen des Täters auffindbar sei. Auch der
Umstand, dass über das Internet verbreiteten Meldungen in der Regel ein
geringerer Verbreitungsgrad zukomme als Meldungen, die über die Tagespresse,
Rundfunk oder Fernsehen verbreitet würden, lasse nicht die Anlegung anderer
als der vom Bundesverfassungsgericht für die Massenmedien entwickelten
Maßstäbe zu.
9 Die Beklagte sei hinsichtlich der Rechtsbeeinträchtigung auch Störer. Ihre
Störereigenschaft könne insbesondere nicht im Hinblick darauf verneint
werden, dass es sich bei dem Teil des Internetauftritts, in dem die
beanstandete Meldung zum Abruf bereitgehalten worden sei, um ein
privilegiertes Internetarchiv handle. Denn eine über das Internet allgemein
zugängliche, in die Rubrik "Archiv" eingestellte Äußerung werde ebenso
verbreitet wie jede andere Äußerung auch. Der Rubrik, in der die
beanstandete Meldung zum Abruf bereitgehalten werde, komme auch unter dem
Gesichtspunkt der Zumutbarkeit einer Kontrolle über den eigenen
Internetauftritt keine Bedeutung zu. Ferner sei unerheblich, ob bereits die
erstmalige Veröffentlichung der beanstandeten Inhalte rechtswidrig oder ob
die Verbreitung der Meldung ursprünglich rechtmäßig gewesen sei.
-
10 Aus dem Herkunftslandprinzip des § 3 Abs. 2 TMG folge nichts
anderes, da das weitere Zugänglichhalten der Meldung unter Namensnennung
auch nach österreichischem Recht unzulässig gewesen sei. Nach
österreichischem Recht stehe dem Kläger ein Unterlassungsanspruch aus § 1330
Abs. 1 des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches in
Verbindung mit § 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Österreichischen Mediengesetzes
zu. Die große Bedeutung, die das österreichische Recht dem Schutz der
Resozialisierung eines aus der Strafhaft entlassenen verurteilten
Straftäters beimesse, komme in § 113 des Österreichischen Strafgesetzbuches
zum Ausdruck.
II.
11 Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht stand. Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte
aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art.
2 Abs. 1 GG zu.
12 1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht, die auch unter der Geltung des
§ 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz zu prüfen ist (vgl. Senatsurteile
vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10, VersR 2012, 114 Rn. 10 - Blog-Eintrag;
vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 Rn. 16, jeweils mwN).
Sie ergibt sich, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen
hat, aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Nach dieser Bestimmung kann eine Person, die
ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem
Gericht desjenigen Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist
oder einzutreten droht, verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder
eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn
Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden.
13 a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die
Begriffe "unerlaubte Handlung" und "Handlung, die einer unerlaubten Handlung
gleichgestellt ist" in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO autonom und weit auszulegen. In
diesem Gerichtsstand sind alle Klagen zulässig, mit denen eine
Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne
des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft (vgl.
EuGH, Urteile vom 25. Oktober 2011 - Rs. C-509/09, AfP 2011, 565 Rn. 38 -
eDate Advertising; zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ: EuGH, Urteil vom 1. Oktober
2002 - Rs. C-167/00, NJW 2002, 3617 Rn. 36 - Henkel, jeweils mwN).
Abzugrenzen ist die unerlaubte Handlung ebenso wie die ihr gleichgestellte
Handlung von einem Vertrag, d.h. von einer freiwillig eingegangenen
Verpflichtung. Unter den Begriff der unerlaubten Handlung fallen daher auch
Persönlichkeitsrechts- oder Ehrverletzungen (vgl.
EuGH, Urteile vom 25. Oktober 2011 - Rs.
C-509/09, aaO Rn. 42 ff. - eDate Advertising; vom 7. März 1995 - Rs.
C-68/93 - Slg. 1995, I-415 Rn. 17 ff. - Shevill). Erfasst werden
neben Ansprüchen auf Geldersatz auch Unterlassungsansprüche. Auf den
Eintritt eines Schadens kommt es nicht an. Ausweislich des Wortlauts des
Art. 5 Nr. 3 EuGVVO fallen auch vorbeugende Klagen in den Anwendungsbereich
der Bestimmung (vgl. EuGH,
Urteile vom 25. Oktober 2011 - Rs. C-509/09, aaO Rn. 35 - eDate Advertising;
vom 1. Oktober 2002 - Rs. C-167/00, aaO Rn. 44 ff. - Henkel; BGH, Urteil vom
24. Oktober 2005 - II ZR 329/03, VersR 2006, 566; MünchKommZPO/Gottwald, 3.
Aufl., Art. 5 EuGVVO, Rn. 56, 59).
14 b) Die Frage, wie das Tatbestandsmerkmal "Ort, an dem das schädigende
Ereignis einzutreten droht" in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bei (drohenden)
Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf einer Internet-Website
auszulegen ist, hat der Senat dem Gerichtshof mit
Beschluss vom 10. November 2009 gemäß Art. 234 EGV (jetzt: Art. 267
AEUV) zur Vorabentscheidung vorgelegt (VersR 2010, 226). Der Gerichtshof hat
die Frage mit Urteil vom 25. Oktober 2011
(Rs. C-509/09, aaO - eDate Advertising) wie folgt beantwortet:
15 "Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.
Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin
auszulegen, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von
Persönlichkeitsrechten durch Inhalte, die auf einer Website veröffentlicht
worden sind, die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die
Möglichkeit hat, entweder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der
Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des
Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine
Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben.
Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens
kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats
erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt
zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den
Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen
Gerichts verursacht worden ist."
16 Zur Begründung hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die von ihm
für Schadensersatzklagen wegen ehrverletzender Äußerungen in einem
Druckerzeugnis entwickelten Kriterien (vgl. Urteil vom 7. März 1995,
C-68/93, aaO, - Shevill) für Internetsachverhalte fortzuschreiben seien.
Die Auswirkungen eines im Internet veröffentlichten Inhalts auf die
Persönlichkeitsrechte einer Person könnten am besten von dem Gericht
des Ortes beurteilt werden, an dem das mutmaßliche Opfer den Mittelpunkt
seiner Interessen habe. Der Ort, an dem eine Person den Mittelpunkt ihrer
Interessen habe, entspreche im Allgemeinen ihrem gewöhnlichen Aufenthalt.
Allerdings könne eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen auch in einem
anderen Mitgliedstaat haben, in dem sie sich gewöhnlich nicht aufhalte,
sofern andere Indizien wie die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit einen
besonders engen Bezug zu diesem Staat herstellten (vgl. EuGH,
Urteil vom 25. Oktober 2011 - Rs. C-509/09, aaO Rn. 48 f. - eDate
Advertising).
17 Diese Grundsätze gelten auch für Unterlassungsklagen
(vgl. EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 -
Rs. C-509/09, aaO Rn. 35 - eDate Advertising; Hess, JZ 2012, 189, 191).
18 c) Danach ist die internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte vorliegend gegeben. Der Mittelpunkt der Interessen des Klägers
befand und befindet sich in Deutschland. Hier hat er seinen gewöhnlichen
Aufenthalt und Lebensmittelpunkt. Hier wohnt er und ist sozial und familiär
eingebunden (zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts vgl. Hess, JZ
2012, 189, 191 f.; Mankowski, EWiR 2011, 743 f.). Hier wirkt sich eine
Verletzung seines Achtungsanspruchs aus.
19 2. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Entgegen der Auffassung der
Revision ist der Klageantrag hinreichend bestimmt. Er ist dahingehend
auszulegen, dass der Beklagten untersagt werden soll, auf ihrer
Internetseite nicht mehr aktuelle Meldungen zum Abruf bereit zu halten, in
denen im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr der Name des Klägers
genannt wird. Der Klageantrag ist dagegen nicht auf Unterlassung jedweder
künftigen Berichterstattung gerichtet. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der
Klagebegründung, die zur Ermittlung des Klagebegehrens heranzuziehen ist
(vgl. Senatsurteile vom 26. Mai 2009 - VI ZR 174/08 - VersR 2009, 1269 Rn.
13; vom 22. Februar 2011 - VI ZR 346/09, AfP 2011, 180 Rn. 8 -
Internetportal faz.net; BGH, Urteil
vom 12. Juli 2007 - I ZR 18/04, BGHZ 173, 188 Rn. 17 - jugendgefährdende
Medien bei e-Bay, jeweils mwN). Der Kläger hat schriftsätzlich deutlich
gemacht, dass er sich lediglich gegen das weitere Vorhalten ihn
identifizierender Altmeldungen wie der konkret angegriffenen zum Abruf im
Internet wendet. In diesem Sinne haben auch die Vorinstanzen das Begehren
des Klägers verstanden. Dieses Verständnis hat der Kläger auch in der
Revisionserwiderung bestätigt.
20 3. Die Klage ist aber nicht begründet.
21 a) Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass
der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nach deutschem Recht zu beurteilen
ist. Dieses Ergebnis folgt aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB.
22 aa) Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht (nachfolgend:
Rom II-Verordnung)
ist im Streitfall nicht anwendbar, da gemäß deren Art. 1 Abs. 2 lit. g
außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der
Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind.
23 bb) Art. 40 EGBGB wird auch nicht durch § 3 Abs. 2 TMG in der
hier noch maßgeblichen Fassung vom 26. Februar 2007 verdrängt. Denn diese
Bestimmung enthält keine Kollisionsnorm.
24 (1) Der mit dem Begriff "Herkunftslandprinzip" überschriebene § 3 TMG
regelt in seinem Absatz 1, dass in der Bundesrepublik Deutschland
niedergelassene Diensteanbieter und ihre Telemedien den Anforderungen des
deutschen Rechts auch dann unterliegen, wenn die Telemedien in einem anderen
Staat innerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/31/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte
rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere
des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (nachfolgend:
e-commerce Richtlinie)
geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 TMG
wird der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die in der
Bundesrepublik Deutschland von Diensteanbietern geschäftsmäßig angeboten
oder erbracht werden, die in einem anderen Staat innerhalb des
Geltungsbereichs der e-commerce-Richtlinie niedergelassen sind, nicht
eingeschränkt.
25 (2) Die Rechtsnatur und Reichweite des in § 3 TMG angeordneten
Herkunftslandprinzips sind im Einklang mit Art. 3 der e-commerce-Richtlinie
zu bestimmen, dessen Umsetzung die genannte nationale Vorschrift dient (vgl.
BT-Drucks. 14/7345, S. 31; 16/3078, S. 14; Vorlagebeschluss vom 10. November
2009, AfP 2010, 150; vgl. auch Nickels, Der Betrieb 2001, 1919, 1923; ders.,
CR 2002, 302, 304).
26 (a) Der Senat hat deshalb mit Beschluss vom 10. November 2009 dem
Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG (jetzt: Art.
267 AEUV) vorgelegt, ob die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 und 2 der e-commerce-Richtlinie
kollisionsrechtlichen Charakter in dem Sinne haben, dass sie auch für den
Bereich des Zivilrechts unter Verdrängung der nationalen Kollisionsnormen
die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts anordnen oder
ob es sich bei diesen Vorschriften um ein Korrektiv auf
materiell-rechtlicher Ebene handelt, durch das das sachlich-rechtliche
Ergebnis des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten
Rechts inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslandes
reduziert wird.
27 (b) Der Gerichtshof hat die Frage mit Urteil
vom 25. Oktober 2011 (C-509/09, aaO - eDate Advertising) wie folgt
beantwortet:
28 "Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs,
im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr") ist
dahin auszulegen, dass er keine Umsetzung in Form einer speziellen
Kollisionsregel verlangt. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch vorbehaltlich
der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie
2001/31 gestatteten Ausnahmen im koordinierten Bereich sicherstellen, dass
der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen
strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses
Anbieters geltende Sachrecht vorsieht."
29 Zur Begründung hat der Gerichtshof (aaO, Rn. 60 ff.) u.a. ausgeführt,
dass bei der Auslegung des Art. 3 der Richtlinie deren Art. 1 Abs. 4 zu
berücksichtigen sei, wonach die Richtlinie keine zusätzlichen Regeln im
Bereich des internationalen Privatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts
schaffe. Eine Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie dahin, dass sie zu
einer Anwendung des im Sitzmitgliedstaat geltenden Sachrechts führe, ziehe
nicht ihre Einordnung als Regel im Bereich des internationalen Privatrechts
nach sich. Dieser Absatz verpflichte die Mitgliedstaaten in erster Linie
dazu, dafür Sorge zu tragen, dass die Dienste der Informationsgesellschaft,
die von einem in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter
erbracht würden, den in diesen Mitgliedstaaten geltenden innerstaatlichen
Vorschriften entsprächen, die in den koordinierten Bereich fallen. Die
Auferlegung einer solchen Verpflichtung weise nicht die Merkmale einer
Kollisionsregel auf, die dazu bestimmt wäre, einen spezifischen Konflikt
zwischen mehreren zur Anwendung berufenen Rechtsordnungen zu lösen. Art. 3
Abs. 2 der Richtlinie untersage den Mitgliedstaaten, den freien Verkehr von
Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat aus
Gründen einzuschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. Aus Art. 1
Abs. 4 in Verbindung mit dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie folge
dagegen, dass es den Aufnahmemitgliedstaaten grundsätzlich freistehe, das
anwendbare Sachrecht anhand ihres internationalen Privatrechts zu bestimmen,
soweit sich daraus keine Einschränkung der Freiheit zur Erbringung von
Diensten des elektronischen Geschäftsverkehrs ergebe.
30 (c) Danach enthält auch die Bestimmung des § 3 TMG, die wie Art.
3 der e-commerce-Richtlinie auszulegen ist (BT-Drucks. 14/7345, S.
31; Nickels, Der Betrieb 2001, 1919, 1923; ders., CR 2002, 302, 304),
keine Kollisionsnorm, sondern ein sachrechtliches
Beschränkungsverbot (vgl. auch Sack, EWS 2011, 513 ff.; Hess, JZ
2012, 189, 192; Spindler, CR 2012, 176, 177; Brand, NJW 2012, 127, 130).
31 cc) Der nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB maßgebliche Erfolgsort
liegt in Deutschland. Hier wird die Achtung, die der in Deutschland
wohnhafte Kläger in seinem Lebenskreis in Deutschland genießt, gestört bzw.
gefährdet (vgl. zur Störung des Achtungsanspruchs am Wohnort des Betroffenen:
Senatsurteile vom 3. Mai 1977 - VI ZR 24/75, NJW 1977, 1590 f.; vom 2. März
2010 - VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 Rn. 23). Hier kollidiert sein Interesse an
der Unterlassung der sein Persönlichkeitsrecht berührenden Veröffentlichung
mit dem Interesse der Beklagten an der Gestaltung ihres Internetauftritts
und an einer Berichterstattung.
32 dd) Sein Bestimmungsrecht zugunsten deutschen Rechts gemäß Art. 40 Abs. 1
Satz 2 EGBGB hat der Kläger in der Klageschrift ausgeübt.
33 b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
steht dem Kläger aber kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus §
823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2
Abs. 1 GG zu.
34 aa) Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht angenommen,
dass das Bereithalten der den Kläger namentlich als wegen Mordes
Verurteilten bezeichnenden Meldung zum Abruf im Internet einen Eingriff in
das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellt. Denn die
Berichterstattung über eine Straftat unter namentlicher Nennung des
Straftäters beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner
Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens, weil sie sein Fehlverhalten
öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von
vornherein negativ qualifiziert (vgl. Senatsurteile vom
15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn.
10 - Online-Archiv I mit NA-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
6. Juli 2010 - 1 BvR 535/10; vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08 -
Online-Archiv II mit NA-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli
2010 - 1 BvR 923/10; vom 20. April 2010 - VI ZR 245/08, AfP 2010, 261 Rn. 11
mit NA-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2010 - 1 BvR
1316/10; vom 22. Februar 2011 - VI ZR 346/09, AfP 2011, 180 Rn. 10 -
Internetportal faz.net;
BVerfGE 35, 202, 226; BVerfG, NJW 2006, 2835 Rn. 10; AfP 2009, 365 Rn. 15).
Dies gilt nicht nur bei aktiver Informationsübermittlung durch die
Medien, wie es im Rahmen der herkömmlichen Berichterstattung in Tagespresse,
Rundfunk oder Fernsehen geschieht, sondern auch dann, wenn - wie im
Streitfall - den Täter identifizierende Inhalte lediglich auf einer passiven
Darstellungsplattform im Internet zum Abruf bereitgehalten werden
(vgl. BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 17). Diese Inhalte sind nämlich
grundsätzlich jedem interessierten Internetnutzer zugänglich (vgl.
Senatsurteile vom 15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08, aaO - Online-Archiv I;
vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, aaO - Online-Archiv II; vom 20. April
2010 - VI ZR 245/08, aaO; Verweyen/Schulz, AfP 2008, 133, 137).
35 bb) Im Ausgangspunkt zutreffend hat es das Berufungsgericht auch
für geboten erachtet, über den Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung
des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines
Privatlebens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem
in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf
Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. Die Beklagte als ausländische
juristische Person mit Sitz in der Europäischen Union kann sich in
europarechtskonformer Erweiterung des Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 3
GG im vorliegenden Zusammenhang auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG
berufen (vgl. BVerfG, NJW 2011, 3428 Rn. 69 ff.). Wegen der
Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine
Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der
widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der
die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte
und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention
interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des
Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt
(vgl. Senatsurteile vom 15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08, aaO Rn. 11 -
Online-Archiv I; vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, aaO Rn. 14 -
Online-Archiv II; vom 20. April 2010 - VI ZR 245/08, aaO; vom 22. Februar
2011 - VI ZR 346/09, AfP 2011, 180 Rn. 11 - Internetportal
faz.net, jeweils
mwN). Insoweit ist die Rechtslage anders als bei der Verletzung
absoluter Rechte wie beispielsweise des Urheberrechts, bei der der Eingriff
in das Recht die Rechtswidrigkeit regelmäßig indiziert (vgl. BGH,
Beschluss vom 4. März 1957 - GSZ 1/56, BGHZ 24, 21, 27 f.; Urteile vom 12.
Juli 1996 - V ZR 280/94, VersR 1997, 119; vom 5. Oktober 2010 - I ZR 127/09,
GRUR 2011, 335 Rn. 12, 24; Dauner-Lieb/Langen/Katzenmeier, BGB, 2. Aufl., §
823 Rn. 7 mwN).
36 cc) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass das
allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers durch das Bereithalten der
beanstandeten Inhalte zum Abruf im Internet in rechtswidriger Weise verletzt
worden sei. Das Berufungsgericht hat die besonderen Umstände des
Streitfalles nicht ausreichend berücksichtigt und das von der Beklagten
verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf freie
Meinungsäußerung mit einem zu geringen Gewicht in die Abwägung eingestellt.
37 (1) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind
verschiedene Kriterien entwickelt worden, die Leitlinien für den konkreten
Abwägungsvorgang vorgeben (vgl. BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 17; AfP
2009, 480 Rn. 61 f., jeweils mwN). Danach müssen wahre
Tatsachenbehauptungen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie
nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht. Allerdings kann
auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen
verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der
außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht.
Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen geeignet sind,
eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere
Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum
Anknüpfungspunkt für eine soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden
drohen (vgl. BVerfGE 97, 391, 404 f.; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn.
17).
38 Geht es um eine Berichterstattung über eine Straftat, so ist zu
berücksichtigen, dass eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehört, dessen
Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die
Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern,
die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem
vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der
Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso
stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der
gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Gewaltverbrechen ist in der
Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an
näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des
Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen (vgl.
BVerfGE 35, 202, 230 f.; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 18; vgl. auch
Senatsurteil vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 204).
39 Bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an
einer Berichterstattung mit der damit zwangsläufig verbundenen
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Täters verdient für die
aktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im
Allgemeinen den Vorrang. Denn wer den Rechtsfrieden bricht und durch diese
Tat und ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, muss sich nicht nur
den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss
auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der
Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird (vgl.
BVerfGE 35, 202, 231 f.; BVerfG, AfP 2009, 365
Rn. 19; vgl. auch Senatsurteile vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99, BGHZ
143, 199, 204; vom 28. Oktober 2008 - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 22 f.;
vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04, VersR 2006,
274 Rn. 14).
40 Mit zeitlicher Distanz zur Straftat gewinnt dagegen das Interesse
des Täters, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu
bleiben, zunehmende Bedeutung. Das Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor
einer zeitlich uneingeschränkten Befassung der Medien mit der Person des
Straftäters und seiner Privatsphäre (vgl. BVerfGE 35, 202, 233;
BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 21).
Hat die das öffentliche Interesse veranlassende Tat mit der Verfolgung und
Verurteilung die gebotene rechtliche Sanktion erfahren und ist die
Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden, lassen sich
wiederholte Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Täters im Hinblick auf
sein Interesse an der Wiedereingliederung in die Gemeinschaft nicht ohne
weiteres rechtfertigen. Hiermit ist allerdings keine vollständige
Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter
Geschehnisse gemeint. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt
Straftätern keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht
mehr mit ihrer Tat konfrontiert zu werden. Selbst die Verbüßung der
Strafhaft führt nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch
erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden". Maßgeblich ist vielmehr
stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des
Resozialisierungsinteresses des Straftäters von der Berichterstattung unter
den konkreten Umständen des Einzelfalls beeinträchtigt wird (vgl.
Senatsurteile vom 15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08,
aaO Rn. 16 - Online-Archiv I mit NA-Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2010 - 1 BvR 535/10; vom
9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, aaO Rn. 19 -
Online-Archiv II mit NA-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli
2010 - 1 BvR 923/10; vom 20. April 2010 - VI ZR 245/08, AfP 2010, 261 Rn. 17
mit NA-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2010 - 1 BvR
1316/10; vom 1. Februar 2011 - VI ZR 345/09, VersR 2011, 634 Rn. 17; BVerfG,
NJW 2000, 1859, 1860; AfP 2009, 365 Rn. 21; EGMR, Urteil vom 7. Dezember
2006 - Beschwerde Nr. 35841/02, - Österreichischer Rundfunk gegen
Österreich, Nr. 68, ÖJZ 2007, 472, 473, jeweils mwN). Für die
Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts kommt es auch auf
die Art und Weise der Darstellung, insbesondere auf den Grad der Verbreitung
des Mediums an. So stellt eine Fernsehberichterstattung in der Regel einen
weitaus stärkeren Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen dar als eine
Wortberichterstattung (vgl. BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860 und AfP
2009, 365 Rn. 21, jeweils mwN).
41 (2) Nach diesen Grundsätzen hat das Interesse des Klägers am
Schutz seiner Persönlichkeit und an der Achtung seines Privatlebens
vorliegend hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der
Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.
Zwar kommt dem Interesse des Klägers, von einer Reaktualisierung seiner
Verfehlung verschont zu bleiben, vorliegend erhöhtes Gewicht zu. Die von ihm
begangene Straftat und die Verurteilung liegen lange zurück; der Kläger ist
im Januar 2008 aus der Strafhaft entlassen worden. Andererseits
beeinträchtigt die beanstandete Meldung sein Persönlichkeitsrecht
einschließlich seines Resozialisierungsinteresses unter den besonderen
Umständen des Streitfalls nicht in erheblicher Weise. Sie ist insbesondere
nicht geeignet, den Kläger "ewig an den Pranger" zu stellen oder in einer
Weise "an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren", die ihn als Straftäter
(wieder) neu stigmatisieren könnte.
42 Die Meldung enthält wahrheitsgemäße Aussagen über ein Kapitalverbrechen
an einem bekannten Schauspieler, das erhebliches öffentliches Aufsehen
erregt hatte. In ihr werden die Umstände der Tat und das Strafverfahren
sachbezogen und objektiv dargestellt. Die den Kläger identifizierenden
Angaben in der Meldung waren unter Berücksichtigung der Schwere des
Verbrechens, der Bekanntheit des Opfers, des erheblichen Aufsehens, das die
Tat in der Öffentlichkeit erregt hatte, und des Umstands, dass sich der
Kläger noch im Jahr 2004 unter Inanspruchnahme aller denkbaren Rechtsbehelfe
um die Aufhebung seiner Verurteilung bemüht und sich zu diesem Zweck gezielt
an die Öffentlichkeit gewandt hatte, zum Zeitpunkt der Einstellung der
Meldung in den Internetauftritt der Beklagten zulässig. Der Kläger stand zu
diesem Zeitpunkt "im Licht der Öffentlichkeit"; durch die erstmalige
Veröffentlichung der streitgegenständlichen Meldung wurde er nicht in
unzulässiger Weise "erneut in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt" (vgl.
BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 30, 33).
43 In der Art und Weise, wie die Meldung in der Folgezeit zum Abruf
bereitgehalten wurde, kam ihr eine nur geringe Breitenwirkung zu.
Der Verbreitungsgrad des konkret gewählten Mediums war gering; eine
Fallgestaltung, wie sie der Lebach-I-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 35, 202) zugrunde lag, ist nicht gegeben.
Gegenstand dieser Entscheidung war eine Fernsehdokumentation zur besten
Sendezeit, die zu einem intensiven Nacherleben der Straftat unter Betonung
der emotionalen Komponente führte (vgl. BVerfGE 35, 202, 228 f.). Unter den
damaligen Fernsehbedingungen war gerade für eine solche Sendung mit einer
besonders hohen Einschaltquote zu rechnen (BVerfGE 35, 202, 227 f.).
Hingegen setzte eine Kenntnisnahme vom Inhalt der beanstandeten Meldung im
Streitfall eine gezielte Suche voraus. Die Meldung wurde nur auf einer als
passive Darstellungsplattform geschalteten Website angeboten, die
typischerweise nur von solchen Nutzern zur Kenntnis genommen wird, die sich
selbst aktiv informieren (vgl. BVerfG, NJW 2003, 2818, 2819; NJW 2008, 1298
Rn. 20; Feldmann, JurisPR-ITR 15/2009 Anm. 5). Sie war auch nicht (mehr) auf
den aktuellen Seiten des Internetauftritts der Beklagten zugänglich, wo sie
dem Nutzer unmittelbar nach Aufruf der Homepage der Beklagten ins Auge hätte
fallen können. Vielmehr war sie ausweislich der Feststellungen des
Landgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, nur noch auf
den für Altmeldungen vorgesehenen Seiten des Internetauftritts der Beklagten
zugänglich und ausdrücklich - und für den Nutzer ohne weiteres ersichtlich -
als Altmeldung gekennzeichnet. Sie war auch nicht in sonstiger Weise in
einen Kontext eingebettet, der ihr den Anschein der Aktualität oder den
Charakter einer erneuten Berichterstattung verlieh und die Annahme
rechtfertigen würde, die Beklagte habe sich erneut bzw. zeitlich
uneingeschränkt mit der Person des Straftäters befasst (vgl. dazu Hoecht,
AfP 2009, 342, 346 f.; von Petersdorff-Campen, ZUM 2008, 102, 107; Feldmann,
aaO; LG Düsseldorf, ZUM 2008, 156).
44 Zugunsten der Beklagten fällt darüber hinaus ins Gewicht, dass
ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der
Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit
besteht, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu recherchieren
(vgl. Senatsurteile vom 15. Dezember 2009 - VI ZR
227/08, aaO Rn. 20 - Online-Archiv I; vom 9.
Februar 2010 - VI ZR 243/08, aaO Rn. 23 - Online-Archiv II; vom 20.
April 2010 - VI ZR 245/08, aaO Rn. 21; vom 22. Februar 2011 - VI ZR 346/09,
AfP 2011, 180 Rn. 20 - Internetportal
faz.net; OLG
Köln, AfP 2007, 126, 127; KG, AfP 2006, 561, 563; OLG Frankfurt, ZUM 2007,
915, 917; AfP 2006, 568, 569; Hoecht, aaO, 345 ff.; Libertus, MMR 2007, 143,
148). Dementsprechend nehmen die Medien ihre Aufgabe, in Ausübung
der Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren und an der
demokratischen Willensbildung mitzuwirken, auch dadurch wahr, dass sie nicht
mehr aktuelle Veröffentlichungen für interessierte Mediennutzer verfügbar
halten. Ein generelles Verbot der Einsehbarkeit und Recherchierbarkeit bzw.
ein Gebot der Löschung aller früheren den Straftäter identifizierenden
Darstellungen in "Online-Archiven" würde dazu führen, dass Geschichte
getilgt und der Straftäter vollständig immunisiert würde (vgl.
Senatsurteile vom 15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08,
aaO - Online-Archiv I; vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, aaO -
Online-Archiv II; vom 20. April 2010 - VI ZR 245/08, aaO; vom 22. Februar
2011 - VI ZR 346/09, AfP 2011, 180 Rn. 20 - Internetportal faz.net; Hoecht,
aaO, S. 345 f.; Dreier, FS Loewenheim, 2009, S. 67, 68, 76 mwN).
Hierauf hat der Täter aber keinen Anspruch (vgl. BVerfG, NJW 2000,
1859, 1860; AfP 2009, 365 Rn. 21). Dies gilt insbesondere bei einem schweren
Kapitalverbrechen wie im vorliegenden Fall, das in der Öffentlichkeit
besondere Aufmerksamkeit erregt hat.
45 Weiterhin ist zu beachten, dass das vom Kläger begehrte Verbot einen
abschreckenden Effekt auf den Gebrauch der Meinungs- und Pressefreiheit
hätte, der den freien Informations- und Kommunikationsprozess einschnüren
würde (vgl. Senatsurteile vom 15. Dezember 2009 -
VI ZR 227/08, aaO Rn. 21 - Online-Archiv I; vom
9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, aaO Rn. 24 - Online-Archiv II; vom 20.
April 2010 - VI ZR 245/08, aaO Rn. 22; vom 1. Februar 2011 - VI ZR 345/09,
aaO Rn. 22; BVerfGE 93, 266, 292; 99, 185, 197; BVerfG AfP 2009, 480 Rn. 62;
vgl. ferner BGH, Urteil vom 1. April 2004 - I ZR 317/01, BGHZ 158, 343,
353). Die Beklagte könnte ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, in
Wahrnehmung der Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren, nicht
vollumfänglich erfüllen, wenn es ihr generell verwehrt wäre, dem
interessierten Nutzer den Zugriff auf frühere Veröffentlichungen zu
ermöglichen. Würde auch das weitere Bereithalten als solcher erkennbarer und
im Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung zulässiger Altmeldungen auf
für Altmeldungen vorgesehenen Seiten zum Abruf im Internet nach Ablauf einer
gewissen Zeit oder nach Veränderung der zugrunde liegenden Umstände ohne
weiteres unzulässig und wäre die Beklagte verpflichtet, sämtliche
archivierten Beiträge von sich aus immer wieder auf ihre Rechtmäßigkeit zu
kontrollieren, würde die Meinungs- und Medienfreiheit in unzulässiger Weise
eingeschränkt. Angesichts des mit einer derartigen Kontrolle verbundenen
personellen und zeitlichen Aufwands bestünde die erhebliche Gefahr, dass die
Beklagte entweder ganz von einer der Öffentlichkeit zugänglichen
Archivierung absehen oder bereits bei der erstmaligen Veröffentlichung die
Umstände ausklammern würde, die - wie vorliegend der Name des Straftäters -
das weitere Vorhalten des Beitrags später rechtswidrig werden lassen
könnten, an deren Mitteilung die Öffentlichkeit aber im Zeitpunkt der
erstmaligen Berichterstattung ein schützenswertes Interesse hat.
46 dd) Eine andere rechtliche Beurteilung ist auch nicht nach den
Grundsätzen des Datenschutzrechts geboten. Der Anwendungsbereich des
Bundesdatenschutzgesetzes ist im Streitfall nicht eröffnet. Selbst wenn es
sich bei dem Bereithalten der den Namen des Klägers enthaltenden Meldung zum
Abruf im Internet um ein "Verarbeiten" personenbezogener Daten im Sinne des
§ 3 Abs. 4 Satz 1 BDSG handelte, wäre die Anwendung des
Bundesdatenschutzgesetzes jedenfalls nach dessen § 1 Abs. 5 Satz 1
ausgeschlossen. Danach findet das Gesetz keine Anwendung, wenn eine in einem
anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen
Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum belegene
verantwortliche Stelle personenbezogene Daten im Inland erhebt, verarbeitet
oder nutzt, es sei denn, dies erfolgt durch eine Niederlassung im Inland
(vgl. auch BT-Drucks. 14/4329, S. 29; Jotzo, MMR 2009, 232, 233). Die
beanstandete Meldung wurde aber von der in Österreich - und damit in einem
Mitgliedstaat der Europäischen Union -ansässigen Beklagten zum Abruf im
Internet bereitgehalten.
47 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
|