Allgemeines
Persönlichkeitsrecht, Verletzung durch Presseberichterstattung
(Internet-Archiv) über eine Straftat ("Spiegel"-Dossier"); Abwägung mit der
Presse- und Informationsfreiheit, Recht am eigenen Bild nach § 22 KUG,
"abgestuftes Schutzkonzept"
BGH, Urteil vom 9. Februar
2010 - VI ZR 243/08
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Zur Zulässigkeit des Bereithaltens
von sogenannten Dossiers zum Abruf im Internet, in denen den Täter
identifizierende alte Wort- und Bildberichterstattungen über eine schwere
Straftat zusammengefasst sind.
Zentrale Probleme:
Eine sorgfältig abwägende Entscheidung zum Allgemeinen
Persönlichkeitsrecht, dem Recht am eigenen Bild nach dem KUG sowie der
Pressefreiheit. Zum sog. "abgestuften Schutzkonzept" s. insbes.
BGH NJW 2008, 749 sowie die Anm. zu
BGH NJW 2007, 1981. S. dazu auch die
Pressemitteilung des
BGH Nr. 30/1010. S. auch BGH NJW 2010,
757 sowie
BGH v. 8.5.2012 - VI ZR 217/08
(ebenfalls zum "Sedlmayr-Mörder)
©sl 2010
Tatbestand:
1 Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung der
individualisierenden Berichterstattung über eine Straftat in Anspruch.
2 Der Kläger wurde im Jahr 1993 zusammen mit seinem Bruder wegen Mordes an
dem bekannten Schauspieler Walter Sedlmayr zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt. Die Tat hatte erhebliches Aufsehen erregt. Im
Jahr 2004 stellte der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens,
vor dessen Zurückweisung er sich an die Presse wandte. Im Sommer 2007 wurde
der Kläger auf Bewährung aus der Strafhaft entlassen. Die Beklagte betreibt
das Internetportal www.spiegel.de. Dort hielt sie in der Rubrik "Dossiers"
unter dem Titel "Walter Sedlmayr Mord mit dem Hammer" eine Zusammenstellung
von fünf älteren - jeweils durch Angabe der Überschrift und des Datums näher
bezeichneten - Veröffentlichungen aus der Druckausgabe des
Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" bzw. ihrem Internetauftritt zum
kostenpflichtigen Abruf bereit. In mehreren dieser Meldungen war der Kläger
als wegen Mordes an Walter Sedlmayr Angeklagter bzw. Verurteilter namentlich
bezeichnet. Die Veröffentlichungen vom 21. September und 30. November 1992,
in denen über die Anklageerhebung bzw. den Beginn der Hauptverhandlung
berichtet wurde, enthielten jeweils ein Foto des Klägers.
3 Der Kläger sieht in dem Bereithalten der seinen Namen und sein Bild
enthaltenden Veröffentlichungen zum Abruf im Internet eine Verletzung seines
allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Nachdem das Landgericht Frankfurt am Main
seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine entsprechende
Unterlassungsklage wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen hatte, hat
der Kläger sein Begehren vor dem Landgericht Hamburg weiterverfolgt. Mit der
dort nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhobenen Klage verlangt er von
der Beklagten, es zu unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit der Tat unter
voller Namensnennung zu berichten, solche Berichte zu verbreiten oder
öffentlich zugänglich zu machen sowie die in den Artikeln vom 21. September
und 30. November 1992 enthaltenen Bilder im Zusammenhang mit Berichten über
den Mord zu veröffentlichen oder zugänglich zu machen. Die Klage hatte in
beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
A.
4 Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der Klage bejaht. Der Partei,
der mehrere Gerichtsstände zur Auswahl ständen, sei es nicht versagt, in
ihre Entscheidung über die Auswahl des Gerichts auch die Frage
einzubeziehen, vor welchem Gericht sie mit ihrem Klagebegehren am ehesten
Erfolg haben werde. Die Klage sei auch begründet. Dem Kläger stehe gegen die
Beklagte ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog
i.V.m. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, weil die Verbreitung der den Kläger
identifizierenden Meldung diesen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
verletze. Ende des Jahres 2006, als das Dossier noch verbreitet worden sei,
habe sich der Kläger kurz vor der Entlassung aus der Strafhaft unter
Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung befunden, weshalb eine
Konstellation gegeben gewesen sei, wie sie der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juni 1973 (BVerfGE 35, 202 ff. - Lebach I)
zugrunde gelegen habe. Das im Hinblick auf seine bevorstehende
Wiedereingliederung in die Gesellschaft besonders schutzwürdige Interesse
des Klägers, nicht weiterhin öffentlich mit der Tat konfrontiert zu werden,
überwiege das Interesse der Beklagten an der weiteren Verbreitung der
Meldung umso mehr, als die Einschränkungen, die dem Verbreiter solcher
Meldungen auferlegt würden, denkbar gering seien. Diesem werde nämlich nicht
die Berichterstattung über die Tat, sondern nur die Nennung der Namen der
Täter untersagt.
5 Der Umstand, dass - wie auch im Streitfall - Meldungen im Internet häufig
dauerhaft abrufbar gehalten würden und als ältere Meldungen erkennbar seien,
rechtfertige keine andere Beurteilung. Es mache keinen Unterschied, ob die
Identität des Betroffenen in einer neuen oder in einer älteren Meldung
preisgegeben werde. Es komme auch nicht darauf an, ob die beanstandete
Meldung mittels Suchmaschinen oder Querverweisen über ein auf die Tat
bezogenes Schlagwort oder über den Namen des Täters auffindbar sei. Auch der
Umstand, dass über das Internet verbreiteten Meldungen in der Regel noch ein
geringerer Verbreitungsgrad zukomme als Meldungen, die über die Tagespresse,
Rundfunk oder Fernsehen verbreitet würden, lasse nicht die Anlegung anderer
als der vom Bundesverfassungsgericht für die Massenmedien entwickelten
Maßstäbe zu.
6 Die Beklagte sei hinsichtlich der Rechtsbeeinträchtigung auch Störer. Ihre
Störereigenschaft könne insbesondere nicht im Hinblick darauf verneint
werden, dass es sich bei dem Teil des Internetauftritts, in dem die
beanstandete Meldung zum Abruf bereitgehalten worden sei, um ein
privilegiertes Internetarchiv handle. Denn eine über das Internet allgemein
zugängliche, in die Rubrik "Archiv" eingestellte Äußerung werde ebenso
verbreitet wie jede andere Äußerung auch. Der Rubrik, in der die
beanstandete Meldung zum Abruf bereitgehalten werde, komme auch unter dem
Gesichtspunkt der Zumutbarkeit einer Kontrolle über den eigenen
Internetauftritt keine Bedeutung zu. Ferner sei unerheblich, ob bereits die
erstmalige Veröffentlichung der beanstandeten Inhalte rechtswidrig oder ob
die Verbreitung der Meldung ursprünglich rechtmäßig gewesen sei.
B.
7 Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche
gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Artt. 1
Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, §§ 22, 23 KUG nicht zu.
I.
8 Die Klage ist zulässig.
9 1. Der Klageantrag ist dahingehend auszulegen, dass der Beklagten
untersagt werden soll, das angegriffene Dossier mit Altmeldungen auf ihrer
Internetseite zum Abruf bereit zu halten, in denen im Zusammenhang mit dem
Mord an Walter Sedlmayr der Name des Klägers genannt wird und die im Tenor
des landgerichtlichen Urteils näher bezeichneten Fotos wiedergegeben werden.
Der Klageantrag ist dagegen nicht auf Unterlassung jedweder künftiger
Berichterstattung gerichtet. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der
Klagebegründung, die zur Ermittlung des Klagebegehrens heranzuziehen ist
(vgl. Senatsurteil vom 26. Mai 2009 - VI ZR 174/08 - VersR 2009, 1269, 1271
m.w.N.; BGHZ 173, 188, 192 jeweils m.w.N.). Der Kläger hat schriftsätzlich
deutlich gemacht, dass er sich lediglich gegen das weitere Vorhalten des
streitgegenständlichen Dossiers mit den ihn identifizierenden früheren
Veröffentlichungen zum Abruf im Internet wendet. In diesem Sinne haben auch
die Vorinstanzen das Begehren des Klägers verstanden. Dieses Verständnis hat
der Kläger auch in der Revisionserwiderung bestätigt.
10 2. Der Klage fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klageerhebung nicht deshalb
rechtsmissbräuchlich, weil der Kläger sein Unterlassungsbegehren unter
Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe verfolgt und sein erster
Prozesskostenhilfeantrag vom Landgericht Frankfurt am Main mangels
Erfolgsaussicht zurückgewiesen worden ist. Der zuletzt genannte Umstand
hätte allein im Prozesskostenhilfeverfahren Berücksichtigung finden und
unter Umständen zur Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses für den beim
Landgericht Hamburg eingereichten zweiten Prozesskostenhilfeantrag führen
können (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - VIII ZB 78/06 - NJW
2009, 857). Die Zulässigkeit der im Anschluss an die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe erhobenen Klage wird hiervon jedoch nicht berührt.
II.
11 Die Klage ist aber nicht begründet.
12 1. Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 823 Abs. 1,
1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, es zu
unterlassen, auf ihrer Internetseite ein Dossier mit Altmeldungen zum Abruf
bereit zu halten, in denen im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedl-mayr
der Name des Klägers genannt wird.
13 a) Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht angenommen, dass das
Bereithalten der den Kläger namentlich als wegen Mordes Angeklagten bzw.
Verurteilten bezeichnenden Meldungen zum Abruf im Internet einen Eingriff in
das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellt. Denn die
Berichterstattung über eine Straftat unter Nennung des Namens des
Straftäters beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner
Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens, weil sie sein Fehlverhalten
öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von
vornherein negativ qualifiziert (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, 199, 202
f.; 178, 231 Rn. 33; vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - VersR 2006, 274;
BVerfGE 35, 202, 226; BVerfG NJW 2006, 2835; AfP 2009, 365 Rn. 15). Dies
gilt nicht nur bei aktiver Informationsübermittlung durch die Medien, wie es
im Rahmen der herkömmlichen Berichterstattung in Tagespresse, Rundfunk oder
Fernsehen geschieht, sondern auch dann, wenn - wie im Streitfall - den Täter
identifizierende Inhalte lediglich auf einer passiven Darstellungsplattform
im Internet zum Abruf bereitgehalten werden (vgl. BVerfG AfP 2009, 365
Rn. 17). Diese Inhalte sind nämlich grundsätzlich jedem interessierten
Internetnutzer zugänglich (vgl. Verweyen/Schulz, AfP 2008, 133, 137).
14 b) Im Ausgangspunkt zutreffend hat es das Berufungsgericht auch für
geboten erachtet, über den Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung
des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines
Privatlebens aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem in
Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs-
und Medienfreiheit zu entscheiden. Denn wegen der Eigenart des
Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht
absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden
grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen
Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und
Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention
interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (vgl. Senatsurteile vom
9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02 - VersR 2004, 522, 523; vom 11. März 2008 -
VI ZR 189/06 - VersR 2008, 695 Rn. 13; vom 11. März 2008 - VI ZR 7/07 -
VersR 2008, 793 Rn. 12; vom 3. Februar 2009 - VI ZR 36/07 - VersR 2009, 555
Rn. 17; vom 22. September 2009 - VI ZR 19/08 - VersR 2009, 1545 Rn. 16;
BVerfGE 114, 339, 348 m.w.N.; 120, 180, 200 f.; AfP 2009, 365 Rn. 17; AfP
2009, 480 Rn. 61). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann
rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen
Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurteile vom 21. Juni 2005 -
VI ZR 122/04 - VersR 2005, 1403, 1404; vom 17. November 2009 - VI ZR 226/08
- z.V.b. m.w.N.).
15 c) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass das
allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers durch das Bereithalten der
beanstandeten Inhalte zum Abruf im Internet in rechtswidriger Weise verletzt
worden sei. Das Berufungsgericht hat die besonderen Umstände des
Streitfalles nicht ausreichend berücksichtigt und das von der Beklagten
verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf freie
Meinungsäußerung mit einem zu geringen Gewicht in die Abwägung eingestellt.
16 aa) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind
verschiedene Kriterien entwickelt worden, die Leitlinien für den konkreten
Abwägungsvorgang vorgeben (vgl. BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 17; AfP 2009,
480 Rn. 61 f., jeweils m.w.N.). Danach müssen wahre Tatsachenbehauptungen
in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den
Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht. Allerdings kann auch eine wahre
Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie
einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem
Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann
der Fall sein, wenn die Aussagen geeignet sind, eine erhebliche
Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des
Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für eine
soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden drohen (vgl. BVerfGE 97,
391, 404 f.; BVerfG AfP 2009, 365 Rn. 17).
17 Geht es um eine Berichterstattung über eine Straftat, so ist zu
berücksichtigen, dass eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehört, dessen
Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die
Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern,
die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem
vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der
Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso
stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der
gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Gewaltverbrechen ist in
der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse
an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des
Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen
(vgl. BVerfGE 35, 202, 231; BVerfG AfP 2009, 365 Rn. 18; vgl. auch BGHZ 143,
199, 204).
18 Bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an einer
Berichterstattung mit der damit zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigung
des Persönlichkeitsrechts des Täters verdient für die aktuelle
Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen
den Vorrang. Denn wer den Rechtsfrieden bricht und durch diese Tat und ihre
Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür
verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden,
dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf
den dafür üblichen Wegen befriedigt wird (vgl. BVerfGE 35, 202, 231 f.;
BVerfG AfP 2009, 365 Rn. 19; vgl. auch Senatsurteile BGHZ 143, 199, 204;
178, 213 Rn. 22 f.; vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - VersR 2006, 274
Rn. 14).
19 Mit zeitlicher Distanz zur Straftat gewinnt dagegen das Interesse des
Täters, vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben,
zunehmende Bedeutung. Das Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor einer
zeitlich uneingeschränkten Befassung der Medien mit der Person des
Straftäters und seiner Privatsphäre (vgl. BVerfGE 35, 202, 233; BVerfG
AfP 2009, 365 Rn. 21). Hat die das öffentliche Interesse veranlassende
Tat mit der Verfolgung und Verurteilung die gebotene rechtliche Sanktion
erfahren und ist die Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden,
lassen sich wiederholte Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Täters im
Hinblick auf sein Interesse an der Wiedereingliederung in die Gemeinschaft
nicht ohne weiteres rechtfertigen. Hiermit ist allerdings keine vollständige
Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter
Geschehnisse gemeint. Das allgemeine Persönlich keitsrecht vermittelt
Straftätern keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht
mehr mit ihrer Tat konfrontiert zu werden. Selbst die Verbüßung der Straftat
führt nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit
der Tat "allein gelassen zu werden". Maßgeblich ist vielmehr stets,
in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des
Resozialisierungsinteresses des Straftäters von der Berichterstattung unter
den konkreten Umständen des Einzelfalls beeinträchtigt wird (vgl. BVerfG
NJW 2000, 1859, 1860; AfP 2009, 365 Rn. 21; EGMR, Urteil vom 7. Dezember
2006 - Beschwerde Nr. 35841/02 -, Österreichischer Rundfunk gegen
Österreich, Nr. 68, ÖJZ 2007, 472, 473, jeweils m.w.N.). Für die
Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts kommt es auch auf
die Art und Weise der Darstellung, insbesondere auf den Grad der Verbreitung
des Mediums an. So stellt eine Fernsehberichterstattung in der Regel einen
weitaus stärkeren Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen dar als eine
Wortberichterstattung (vgl. BVerfG NJW 2000, 1859, 1860 und AfP 2009,
365 Rn. 21, jeweils m.w.N.).
20 bb) Nach diesen Grundsätzen hat das Interesse des Klägers am Schutz
seiner Persönlichkeit und an der Achtung seines Privatlebens vorliegend
hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der
Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.
Zwar kommt dem Interesse des Klägers, vor einer Reaktualisierung seiner
Verfehlung verschont zu bleiben, vorliegend erhöhtes Gewicht zu. Die von ihm
begangene Straftat und die Verurteilung liegen lange zurück; der Kläger ist
im Sommer 2007 aus der Strafhaft entlassen worden. Andererseits
beeinträchtigen die in dem beanstandeten Dossier zusammengefassten Meldungen
sein Persönlichkeitsrecht einschließlich seines Resozialisierungsinteresses
unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht in erheblicher Weise.
Sie sind insbesondere nicht geeignet, ihn "ewig an den Pranger" zu stellen
oder in einer Weise "an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren", die ihn als
Straftäter (wieder) neu stigmatisieren könnte.
21 Die in dem Dossier zusammengefassten Meldungen enthalten wahrheitsgemäße
Aussagen über ein Kapitalverbrechen an einem bekannten Schauspieler, das
erhebliches öffentliches Aufsehen erregt hatte. In ihnen werden die Umstände
der Tat, das Straf- und das Wiederaufnahmeverfahren sachbezogen und objektiv
dargestellt. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wird der Kläger
nicht in reißerischer Weise als Mörder qualifiziert. Vielmehr wird
mitgeteilt, dass er wegen Mordes angeklagt bzw. verurteilt worden sei.
Zugleich wird seine Haltung zu dem Tatvorwurf geschildert und auf ungeklärte
Umstände hingewiesen, was für den Leser die Möglichkeit offen lässt, dass er
zu Unrecht angeklagt bzw. verurteilt worden sei. Die den Kläger
identifizierenden Angaben in den Meldungen waren angesichts der Schwere des
Verbrechens, der Bekanntheit des Opfers, des erheblichen Aufsehens, das die
Tat in der Öffentlichkeit erregt hatte und des Umstands, dass sich die
Verurteilten noch im Jahr 2004 unter Inanspruchnahme aller denkbaren
Rechtsbehelfe um die Aufhebung ihrer Verurteilung bemühten, zum Zeitpunkt
der erstmaligen Veröffentlichung unzweifelhaft zulässig.
22 In der Art und Weise, wie das beanstandete Dossier zum Abruf
bereitgehalten wurde, kam ihm eine nur geringe Breitenwirkung zu. Der
Verbreitungsgrad des konkret gewählten Mediums war gering; eine
Fallgestaltung, wie sie der Lebach-I-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 35, 202) zugrunde lag, ist nicht gegeben.
Gegenstand dieser Entscheidung war eine Fernsehdokumentation zur besten
Sendezeit, die zu einem intensiven Nacherleben der Straftat unter Betonung
der emotionalen Komponente führte (vgl. BVerfGE 35, 202, 228 f.). Unter den
damaligen Fernsehbedingungen war gerade für eine solche Sendung mit einer
besonders hohen Einschaltquote zu rechnen (BVerfG aaO). Hingegen setzte
eine Kenntnisnahme vom Inhalt der in dem beanstandeten Dossier
zusammengefassten und den Kläger identifizierenden Meldungen im Streitfall
zum einen eine gezielte Suche und zum anderen die Zahlung eines Entgelts für
den Abruf des Dossiers voraus. Das Dossier wurde nur auf einer als passive
Darstellungsplattform geschalteten Website angeboten, die typischerweise nur
von solchen Nutzern zur Kenntnis genommen wird, die sich selbst aktiv
informieren (vgl. BVerfG NJW 2003, 2818, 2819; NJW 2008, 1298, 1299;
Feldmann, JurisPR-ITR 15/2009 Anm. 5). Es war auch nicht auf den aktuellen
Seiten des Internetauftritts der Beklagten zugänglich, wo es dem Nutzer
unmittelbar nach Aufruf der Homepage der Beklagten ins Auge hätte fallen
können. Vielmehr wurde das Dossier ausweislich der Feststellungen des
Landgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, nur als
Zusammenstellung von Altmeldungen angeboten und enthielt eindeutig - und für
den Nutzer ohne weiteres ersichtlich - nur ältere Veröffentlichungen. Es war
auch nicht in sonstiger Weise in einen Kontext eingebettet, der ihm den
Anschein der Aktualität oder den Charakter einer erneuten Berichterstattung
verlieh und die Annahme rechtfertigen würde, die Beklagte habe sich erneut
bzw. zeitlich uneingeschränkt mit der Person des Straftäters befasst (vgl.
dazu Hoecht, AfP 2009, 342, 346 f.; von Petersdorff-Campen, ZUM 2008, 102,
107; Feldmann, aaO; LG Düsseldorf, ZUM 2008, 156). Darüber hinaus war eine
Kenntnisnahme von den den Kläger identifizierenden Inhalten nicht ohne
weiteres möglich, sondern setzte den kostenpflichtigen Abruf des Dossiers
voraus, wodurch der Zugang zu den beanstandeten Inhalten zusätzlich
erschwert wurde.
23 Zugunsten der Beklagten fällt darüber hinaus ins Gewicht, dass ein
anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der Information
über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit besteht,
vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu recherchieren (vgl. OLG Köln,
AfP 2007, 126, 127; KG, AfP 2006, 561, 563; OLG Frankfurt, ZUM 2007, 915,
917; AfP 2006, 568, 569; Hoecht, aaO, 345 ff.; Libertus, MMR 2007, 143,
148). Dementsprechend nehmen die Medien ihre Aufgabe, in Ausübung der
Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren und an der demokratischen
Willensbildung mitzuwirken, auch dadurch wahr, dass sie nicht mehr aktuelle
Veröffentlichungen für interessierte Mediennutzer verfügbar halten. Ein
generelles Verbot der Einsehbarkeit und Recherchierbarkeit bzw. ein Gebot
der Löschung aller früheren den Straftäter identifizierenden Darstellungen
in "Onlinearchiven" würde dazu führen, dass Geschichte getilgt und der
Straftäter vollständig immunisiert würde (vgl. Hoecht, aaO, S. 345 f.;
Dreier, FS Loewenheim, 2009, S. 67, 68, 76 m.w.N.). Hierauf hat der Täter
aber keinen Anspruch (vgl. BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860; AfP 2009, 365 Rn.
21). Dies gilt insbesondere bei einem schweren Kapitalverbrechen wie im
vorliegenden Fall, das in der Öffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit erregt
hat.
24 Weiterhin ist zu beachten, dass das vom Kläger begehrte Verbot einen
abschreckenden Effekt auf den Gebrauch der Meinungs- und Pressefreiheit
hätte, der den freien Informations- und Kommunikationsprozess einschnüren
würde (vgl. BVerfGE 93, 266, 292; 99, 185, 197; AfP 2009, 480 Rn. 62; vgl.
ferner BGH, BGHZ 158, 343, 353). Die Beklagte könnte ihren
verfassungsrechtlichen Auftrag, in Wahrnehmung der Meinungsfreiheit die
Öffentlichkeit zu informieren, nicht vollumfänglich wahrnehmen, wenn es ihr
generell verwehrt wäre, dem interessierten Nutzer den Zugriff auf frühere
Veröffentlichungen zu ermöglichen. Würde auch das weitere Bereithalten
als solcher erkennbarer und im Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung
zulässiger Altmeldungen auf für Altmeldungen vorgesehenen Seiten zum Abruf
im Internet nach Ablauf einer gewissen Zeit oder nach Veränderung der
zugrunde liegenden Umstände ohne weiteres unzulässig und wäre die Beklagte
verpflichtet, sämtliche archivierten Beiträge von sich aus immer wieder auf
ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren, würde die Meinungs- und Medienfreiheit
in unzulässiger Weise eingeschränkt. Angesichts des mit einer derartigen
Kontrolle verbundenen personellen und zeitlichen Aufwands bestünde die
erhebliche Gefahr, dass die Beklagte entweder ganz von einer der
Öffentlichkeit zugänglichen Archivierung absehen oder bereits bei der
erstmaligen Veröffentlichung die Umstände ausklammern würde, die - wie
vorliegend der Name des Straftäters - das weitere Vorhalten des Beitrags
später rechtswidrig werden lassen könnten, an deren Mitteilung die
Öffentlichkeit aber im Zeitpunkt der erstmaligen Berichterstattung ein
schützenswertes Interesse hat.
25 d) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist eine andere
rechtliche Beurteilung auch nicht nach den Grundsätzen des Datenschutzrechts
geboten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der persönliche und sachliche
Anwendungsbereich der Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes überhaupt
eröffnet ist, insbesondere ob es sich bei dem beanstandeten Bereithalten der
den Namen des Klägers enthaltenden und in dem beanstandeten Dossier
zusammengefassten Meldungen zum Abruf im Internet um ein "Verarbeiten"
personenbezogener Daten im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 BDSG handelt. Denn
das Bereithalten dieser Meldung unterfällt jedenfalls dem sogenannten
Medienprivileg des § 57 Abs. 1 Satz 1 des Staatsvertrags für Rundfunk und
Teleme-dien (RStV) mit der Folge, dass seine Zulässigkeit weder von einer
Einwilligung des Betroffenen noch von einer ausdrücklichen gesetzlichen
Ermächtigung im Sinne des § 4 BDSG abhängig ist.
26 aa) Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 RStV gelten, soweit Unternehmen oder
Hilfsunternehmen der Presse als Anbieter von Telemedien personenbezogene
Daten ausschließlich zu eigenen journalistisch-redaktionellen oder
literarischen Zwecken erheben, verarbeiten oder nutzen, nur die §§ 5, 7, 9
und 38 a BDSG mit der Maßgabe, dass nur für Schäden gehaftet wird, die durch
die Verletzung des Datengeheimnisses nach § 5 BDSG oder durch unzureichende
technische oder organisatorische Maßnahmen im Sinne des § 9 BDSG eintreten.
§ 4 BDSG, wonach die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener
Daten nur zulässig sind, soweit dieses Gesetz oder eine andere
Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt
hat, kommt dagegen nicht zur Anwendung (vgl. Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 2.
Aufl., § 57 RStV Rn. 6 f., 15 f.; Keber in Schwartmann, Praxishandbuch
Medien-, IT- und Urheberrecht, 2. Teil, 16. Abschnitt, Rn. 25, 27;
Bergmann/Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, § 41 BDSG Rn. 6, 10a; vgl. zu § 41
BDSG: Gola/Schomerus, BDSG, 9. Aufl., § 41 Rn. 2). Das in § 57 Abs. 1 Satz 1
RStV angeordnete Medienprivileg ist Ausfluss der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
verankerten Medienfreiheit. Ohne die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung
personenbezogener Daten auch ohne Einwilligung der jeweils Betroffenen wäre
journalistische Arbeit nicht möglich; die Presse könnte ihre in Art. 5 Abs.
1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK, Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Charta
der Grundrechte der Europäischen Union zuerkannten und garantierten Aufgaben
nicht wahrnehmen (vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08 - VersR
2009, 1131 Rn. 20; Waldenberger in Spindler/Schuster, Recht der
elektronischen Medien, Presserecht Rn. 118 ff., 140; Keber in Schwartmann,
aaO; Bergmann/Möhrle/Herb, aaO, Rn. 6 ff.; Dörr, ZUM 2004, 536, 540 f.; vgl.
auch Art. 9 sowie Erwägungsgründe 17 und 37 der Richtlinie 95/46/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz
natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum
freien Datenverkehr; EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-101/01 -
Lindqvist gegen Schweden - ZUM-RD 2004, 107 Rn. 90; vom 16. Dezember 2008 -
Rs. C-73/07 - Tietosuo-javaltuutettu gegen Satakunnan Markkinapörssi Oy -
EuGRZ 2009, 23 ff.; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 8. Mai
2008 in der Rechtssache C-73/07 - zitiert nach Juris, Rn. 37, 39, 66 ff., 81
f.).
27 bb) Die Voraussetzungen einer datenschutzrechtlichen Privilegierung gemäß
§ 57 Abs. 1 Satz 1 RStV sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte als Anbieterin
von Telemedien hat die den Namen des Klägers enthaltenden Meldungen
ausschließlich zu eigenen journalistisch-redaktionellen Zwecken in ihren
Internetauftritt eingestellt, zu einem Dossier zusammengefasst und zum Abruf
im Internet bereitgehalten.
28 (1) Daten werden dann zu journalistisch-redaktionellen Zwecken
verarbeitet, wenn die Zielrichtung in einer Veröffentlichung für einen
unbestimmten Personenkreis besteht (vgl. Hahn/Vesting, aaO, Rn. 13;
Berg-mann/Möhrle/Herb, aaO, Rn. 23). Es muss die Absicht einer
Berichterstattung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG - worunter auch die
Meinungsäußerung fällt (vgl. BVerfGE 60, 53, 63 f.; Maunz/Dürig/Herzog, GG,
Art. 5 Abs. 1 Rn. 201 f.) - gegeben sein (vgl. Bergmann/Möhrle/Herb, aaO,
Rn. 26; Schmittmann in Schwartmann, aaO, 1. Teil, 6. Abschnitt Rn. 26 ff.).
Denn nur die Tätigkeiten, die der Erfüllung der Aufgaben einer funktional
verstandenen Presse bzw. des Rundfunks dienen, werden vom Medienprivileg
erfasst (Waldenberger in Spindler/Schuster, aaO, Rn. 137). Dementsprechend
gilt die datenschutzrechtliche Privilegierung beispielsweise nicht für im
Rahmen der Personaldatenverarbeitung anfallende oder im Zusammenhang mit dem
Gebühreneinzug, zur Akquisition von Abonnenten oder zur (kommerziellen)
Weitergabe an Dritte gespeicherte Daten (vgl. BT-Drucks. 11/4306, S. 55 zu
Art. 1 § 37 Abs. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der
Datenverarbeitung und des Datenschutzes; Bergmann/Möhrle/Herb, aaO, Rn. 29;
Waldenberger in Spindler/Schuster, aaO, Rn. 137; Schaffland/Wiltfang, BDSG
Stand 7/2009, § 41 Rn. 4). Demgegenüber sind die Recherche, Redaktion,
Veröffentlichung, Dokumentation und Archivierung personenbezogener Daten zu
publizistischen Zwecken umfassend geschützt (vgl. Waldenberger in Spindler/Schuster,
aaO, Rn. 138). Das durch die Presse- und Rundfunkfreiheit
verfassungsrechtlich vorgegebene Medienprivileg schützt insbesondere auch
die publizistische Verwertung personenbezogener Daten im Rahmen einer in den
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK fallenden
Veröffentlichung (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - Rs. C-73/07 -
Tietosuojavaltuutettu gegen Satakunnan Markkinapörssi Oy - EuGRZ 2009, 23
Rn. 61 f.; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 8. Mai 2008 in der
Rechtssache C-73/07 - zitiert nach Juris, Rn. 65 ff., 81 f. zur Richtlinie
95/46/EG).
29 Von einer Verarbeitung ausschließlich zu eigenen Zwecken ist dann
auszugehen, wenn die Daten eigenen Veröffentlichungen des betroffenen
Presseunternehmens dienen (vgl. Bergmann/Möhrle/Herb, aaO, Rn. 30).
30 (2) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Beklagte hat
die den Namen des Klägers enthaltenden Meldungen ausschließlich zu dem Zweck
in ihren Internetauftritt eingestellt, zu einem Dossier zusammengefasst und
zum Abruf bereitgehalten, damit sie von der interessierten Öffentlichkeit
zur Kenntnis genommen werden. Sie hat damit unmittelbar ihre
verfassungsrechtliche Aufgabe wahrgenommen, in Ausübung der Meinungsfreiheit
die Öffentlichkeit zu informieren und an der demokratischen Willensbildung
mitzuwirken. Sowohl das Einstellen der beanstandeten Inhalte ins Internet
als auch ihr (dauerhaftes) Bereithalten zum Abruf ist Teil des in den
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK fallenden
Publikationsvorgangs. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass
seit der Einstellung der Meldungen ins Internet mittlerweile mehrere Jahre
vergangen sind.
31 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger auch
kein Anspruch auf Unterlassung erneuter Verbreitung der in den Artikeln vom
21. September und 30. November 1992 enthaltenen Bilder entsprechend §§ 1004
Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Artt. 1 Abs. 1,
2 Abs. 1 GG zu. Bei den beanstandeten Abbildungen handelt es sich um
Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG,
die auch ohne Einwilligung des Klägers als Teil des beanstandeten Dossiers
zum Abruf im Internet bereitgehalten werden durften. Ihrer Verbreitung stand
kein berechtigtes Interesse des Klägers im Sinne von § 23 Abs. 2 KUG
entgegen.
32 a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die
Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen nach dem abgestuften Schutzkonzept
der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (vgl. Senatsurteile BGHZ 171, 275; 178,
213; 180, 114; vom 19. Juni 2007 - VI ZR 12/06 - VersR 2007, 1135; vom 3.
Juli 2007 - VI ZR 164/06 - VersR 2007, 1283; vom 24. Juni 2008 - VI ZR
156/06 -VersR 2008, 1268; vom 1. Juli 2008 - VI ZR 67/08 - VersR 2008, 1411
und - VI ZR 243/06 - VersR 2008, 1506; vom 14. Oktober 2008 - VI ZR 256/06 -
VersR 2009, 76 und - VI ZR 272/06 - VersR 2009, 78 sowie - VI ZR 271/06
-VersR 2009, 513 und - VI ZR 260/06 - VersR 2009, 511; vgl. auch BGH, Urteil
vom 11. März 2009 - I ZR 8/07 - NJW 2009, 3032), das sowohl mit
verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfG, NJW 2008, 1793, 1798 f.) als
auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(nachfolgend: EGMR) im Einklang steht (vgl. EGMR, NJW 2004, 2647 und NJW
2006, 591). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren
Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon besteht allerdings
gemäß § 23 Abs. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem
Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine
Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt
werden (§ 23 Abs. 2 KUG).
33 aa) Die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte i.S.v.
§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine Abwägung zwischen den
Rechten des Abgebildeten aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK
einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1
EMRK andererseits (vgl. Senatsurteile BGHZ 180, 114 Rn. 10; vom 6. März 2007
- VI ZR 51/06 - VersR 2007, 957, 958 m.w.N.; vom 1. Juli 2008 - VI ZR 67/08
- aaO, S. 1413 und - VI ZR 243/06 - aaO, S. 1507; BVerfG NJW 2008, 1793 Rn.
55, 85). Denn die Vorschrift des § 23 Abs. 1 KUG soll nach ihrem Sinn und
Zweck und nach der Intention des Gesetzgebers in Ausnahme von dem
Einwilligungserfordernis des § 22 KUG dem Informationsinteresse der
Öffentlichkeit und den Rechten der Presse Rechnung tragen. Dabei ist der
Beurteilung ein normativer Maßstab zu Grunde zu legen, welcher die
Pressefreiheit und zugleich den Schutz der Persönlichkeit und ihrer
Privatsphäre ausreichend berücksichtigt (Senatsurteile BGHZ 178, 213 Rn. 10;
vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06 - VersR 2007, 957, 958 m.w.N.; vom 19. Juni
2007 - VI ZR 12/06 - VersR 2007, 1135, 1136 und vom 1. Juli 2008 - VI ZR
67/08 - aaO, S. 1412 f.; BVerfG NJW 2000, 1021 Rn. 87 f.). Maßgebend ist
hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über
das Zeitgeschehen. Der Begriff des Zeitgeschehens ist zugunsten der
Pressefreiheit in einem weiten Sinn zu verstehen; er umfasst nicht nur
Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von
allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Ein Informationsinteresse besteht
allerdings nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche
Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt
(auch hierzu Senatsurteile BGHZ 178, 213 Rn. 14; 180, 114 Rn. 10; vom 1.
Juli 2008 - VI ZR 67/08 - aaO, S. 1412 und - VI ZR 243/06 -aaO, S. 1506 f.,
jeweils m.w.N.).
34 bb) Bei der Gewichtung des Informationsinteresses im Verhältnis zu dem
kollidierenden Persönlichkeitsschutz kommt dem Gegenstand der
Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu. Entscheidend ist insbesondere,
ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem
Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch
des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen
oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich
die Neugier der Leser befriedigen (vgl. Senatsurteile BGHZ 180, 114 Rn. 12;
vom 1. Juli 2008 - VI ZR 243/06 -aaO, S. 1508; BVerfGE 34, 269, 283; 101,
361, 391; BVerfG, NJW 2006, 3406, 3407; NJW 2008, 1793, 1796). Geht es um
eine identifizierende Bildberichterstattung über eine Straftat, so sind
darüber hinaus die oben unter 1. c) aa) dargestellten Grundsätze zu
beachten. Denn auch eine solche Berichterstattung greift in das Recht des
abgebildeten Straftäters auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines
Privatlebens ein, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und
seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert
(vgl. BGHZ 178, 213 Rn. 22, 33 m.w.N.). Insbesondere ist zu berücksichtigen,
dass mit zeitlicher Distanz zur Straftat das Interesse des Täters, vor einer
Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmende
Bedeutung gewinnt.
35 Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist dabei im
Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, und unter
Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln. Daneben
sind für die Gewich-tung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass
der Bildberichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit
einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam,
in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird
(vgl. BGHZ 178, 213 Rn. 24; BVerfG NJW 2008, 1793, 1796 Rn. 65).
36 b) Nach diesen Grundsätzen ist das Bereithalten der die Fotos des Klägers
enthaltenden Meldungen vom 21. September und 30. November 1992 als Teil des
angegriffenen Dossiers zum Abruf im Internet rechtlich nicht zu beanstanden.
Das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit und seiner
Privatsphäre hat vorliegend hinter dem von der Beklagten verfolgten
Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurückzutreten.
37 Auf dem Foto in der Meldung vom 21. September 1992 ist der Kläger in
Begleitung des späteren Mordopfers auf der Straße vor dem von ihm
betriebenen Lokal "Beim Sedlmayr" zu sehen. Die angegriffene Aufnahme in der
Meldung vom 30. November 1992 zeigt den Kläger als Angeklagten im
Gerichtssaal. Beide Fotos illustrieren die Meldungen vom 21. September bzw.
30. November 1992, in denen wahrheitsgemäß, sachbezogen und objektiv über
die Anklageerhebung gegen den Kläger wegen Mordes an einem bekannten
Schauspieler - seinem "Geschäftspartner im gastronomischen Gewerbe" - bzw.
den Beginn der Hauptverhandlung berichtet wird und die damit an ein
zeitgeschichtliches Ereignis anknüpfen. Wie unter 1. c) bb) im Einzelnen
ausgeführt, durfte die Beklagte über dieses Ereignis wie geschehen unter
Namensnennung des Klägers berichten und die als frühere Veröffentlichungen
erkennbaren Meldungen in Form des beanstandeten Dossiers auch noch im Jahr
2006 zum kostenpflichtigen Abruf im Internet bereithalten.
38 Die beanstandeten Aufnahmen sind kontextbezogen. Die Veröffentlichung
kontextbezogener Fotos ist als Visualisierung des berichteten Ereignisses
aber regelmäßig zulässig (vgl. Senatsurteil BGHZ 178, 213 Rn. 39; BVerfG,
NJW 2001, 1921, 1925). Die verwendeten Aufnahmen beeinträchtigen den Kläger
nicht stärker als kontextneutrale Portraitaufnahmen. Sie stellen den Kläger
nicht ungünstig dar und berühren nicht seine Intimsphäre. Als
kontextbezogene Aufnahmen unterstreichen sie mehr als ein kontextneutrales
Bild die Authentizität des Berichts (vgl. BVerfG, NJW 2008, 1793, 1797).
39 Die Verbreitung der angegriffenen Fotos ist auch im Übrigen nicht
geeignet, den Kläger "ewig an den Pranger" zu stellen oder in einer Weise
"an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren", die ihn als Straftäter (wieder)
neu stigmatisieren könnte. Die Aufnahmen sind Bestandteil einer ausdrücklich
als solcher gekennzeichneten Altmeldung, der in der Art und Weise, wie sie
zum Abruf bereitgehalten wurde, eine nur geringe Breitenwirkung zukam. Sie
stammen aus dem Jahr 1992 und illustrieren allein das damalige Aussehen des
Klägers. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die
Ausführungen unter 1. c) bb) Bezug genommen, die auch im vorliegenden
Zusammenhang Geltung beanspruchen.
40 Bei der gebotenen Würdigung der Veröffentlichung in ihrer Gesamtheit sind
keine überwiegenden berechtigten Interessen des Klägers (§ 23 Abs. 2 KUG)
erkennbar, die der Verbreitung der ihn zeigenden Fotos im Rahmen des
angegriffenen Dossiers entgegengestanden hätten (vgl. Senatsurteil vom 6.
März 2007 - VI ZR 13/06 - VersR 2007, 697, 700).
41 c) Eine andere rechtliche Beurteilung ist auch nicht nach den Grundsätzen
des Datenschutzrechts geboten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der
persönliche und sachliche Anwendungsbereich der Vorschriften des
Bundesdatenschutzgesetzes überhaupt eröffnet ist, insbesondere ob es sich
bei Fotografien um personenbezogene Daten im Sinne des
Bundesdatenschutzgesetzes handelt (bejahend: Gola/Schomerus, aaO, Rn. 6a; VG
Hamburg, DuD 1981, 57) und ob das Bereithalten der die Fotos des Klägers
enthaltenden und in dem beanstandeten Dossier zusammengefassten Meldungen
zum Abruf im Internet ein "Verarbeiten" personenbezogener Daten im Sinne des
§ 3 Abs. 4 Satz 1 BDSG darstellt. Denn wie unter 1. d) ausgeführt unterfällt
das Bereithalten dieser Meldungen jedenfalls dem sogenannten Medienprivileg
des § 57 Abs. 1 Satz 1 RStV mit der Folge, dass seine Zulässigkeit weder von
einer Einwilligung des Betroffenen noch von einer ausdrücklichen
gesetzlichen Ermächtigung im Sinne des § 4 BDSG abhängig ist.
III.
42 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. |