Tierhalterhaftung (§ 833 S.1 BGB); Ausschluss des
Anspruchs aus Gefährdungshaftung bei Haftungsprivilegierung nach § 1664 Abs.
1 BGB (Eltern ggü. Kindern)
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 - VI ZR 224/20 - LG
Coburg
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Durch § 1664 Abs. 1 BGB wird ein
verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 Satz 1 BGB ausgeschlossen.
Zentrale Probleme:
Eine Tochter stürzt beim Spaziergang mit ihrem Vater und
dessen Hund über die Hundeleine, weil das Tier unvermittelt die Laufrichtung
geändert hat, und verletzt sich dabei. Im Raum steht die Haftung des Vaters
nach § 833 S. 1 BGB. Die Voraussetzungen diseser Gefährdungshaftung liegen
vor, da der Vater "Halter" ist und sich auch eine spezifische Tiergefahr
verwirklicht hat (s. dazu BGH
v. 25.3.2014 - VI ZR 372/13). Allerdings haften Eltern gegenüber
ihren Kindern gem. § 1664 Abs. 1 BGB nur für die Sorgfalt in eigenen
Angelegenheiten. Auf den ersten Blick sollte man meinen, dass dies hier
keine Rolle spielt, weil es sich ja um eine Gefährdungshaftungs handelt und
das Verschulden daher ohnehin irrelevant ist und daher gar kein Raum für
einen anderen Verschuldensmaßstab bleibt. Nach ganz h.M. schließt aber §
1664 Abs. 1 BGB auch eine Gefährdungshaftung der Eltern aus. Die Norm ist
also so zu lesen, dass Eltern gegenüber ihren Kindern
nur für Verletzungen der eigenüblichen
Sorgfalt haften, nicht aber aus anderen Gründen und damit auch nicht aus
Gefährdungshaftung. Zum Charakter von 1664 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage
s. BGH v. 9.1.2021 - VI ZR 210/18. Ein Anspruch aus § 823 I BGB mit Reduktion des
Haftungsmaßstabs auf die eigenübliche Sorgfalt (s. dazu § 277 BGB) hätte dem
Vater u.U. eine Haftung für einfache Fahrlässigkeit erspart, hier lag aber
keinerlei Fahrlässigkeit des Vaters vor, so dass eine solche Haftung hier
mangels Verschulden nicht in Betracht kam. Der Senat deutet noch die
bekannten Fälle an, in welchen familienrechtliche Haftungsprivilegien (s.
dazu auch § 1359 BGB) unanwendbar sind (so im Straßenverkehr). Da ist aber
hier nicht einschlägig.
©sl 2021
Tatbestand:
1 Die
Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer aus abgetretenem Recht
auf Schadensersatz und Feststellung in Anspruch.
2
Das Sorgerecht für die Klägerin steht ihren getrenntlebenden Eltern
gemeinsam zu. Die Klägerin lebt mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen
Haushalt. Der Vater der Klägerin ging mit ihr und seinem
angeleinten Hund spazieren. Als der Hund unvermittelt die Laufrichtung
änderte, stolperte die zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alte Klägerin über die
sich plötzlich straffende Hundeleine und stürzte auf ihr Gesicht.
Der Vater der Klägerin unterhielt eine Tierhalterhaftpflichtversicherung bei
der Beklagten. Die Mutter und der Vater der Klägerin unterzeichneten eine
Vereinbarung, wonach der Vater der Klägerin sämtliche Ansprüche, die ihm
gegen die Beklagte aus dem Versicherungsverhältnis aufgrund des
Schadensereignisses zustehen, an die Klägerin abtritt.
3 Das
Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht hat die
Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als
unbegründet abgewiesen wird. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
A.
4 Nach Auffassung des
Berufungsgerichts ist die Klage zwar zulässig. Jedoch gehe die Abtretung ins
Leere, da der Vater der Klägerin wegen des Schadensereignisses keine
Ansprüche gegen die Beklagte habe. Es bestehe
kein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen ihren Vater aus § 833 Satz 1
BGB, da dessen Haftung gemäß § 1664 Abs. 1 BGB auf die Verletzung
eigenüblicher Sorgfalt beschränkt sei. Der Unfall der Klägerin
stehe in einem inneren Zusammenhang mit der elterlichen Sorge, da er sich
bei einem gemeinsamen Spaziergang ereignet habe. Ein Fehlverhalten des
Vaters der Klägerin werde nicht behauptet und sei auch nicht ersichtlich.
Vielmehr beruhe der Sturz der Klägerin allein auf der Realisierung
der spezifischen Tiergefahr, nämlich der unvorhersehbaren, plötzlichen
Änderung der Laufrichtung des Hundes.
B.
5 Die
Revision ist nicht begründet. Der von der Klägerin gegen die
Beklagte geltend gemachte Anspruch besteht jedenfalls deshalb nicht, weil
die nach den Feststellungen allein in Betracht kommende Gefährdungshaftung
des Vaters der Klägerin aus § 833 Satz 1 BGB gemäß § 1664 Abs. 1 BGB
ausgeschlossen ist.
6 I. Es sind keine Umstände
festgestellt und die Revision hat kein Vorbringen als übergangen gerügt, auf
deren Grundlage eine Verschuldenshaftung des Vaters der Klägerin (§ 823 BGB)
in Betracht kommt.
7 II. Ein Anspruch aus § 833 Satz
1 BGB ist gemäß § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
8 1. Nach
§ 1664 Abs. 1 BGB haben die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge
dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen
Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Diese Privilegierung der Eltern beruht
auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind, welche
der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleiht (vgl. Senat,
Urteile vom 17. Oktober 1995 - VI ZR 358/94, NJW 1996, 53, juris Rn. 10; vom
1. März 1988 - VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338, juris Rn. 18). Die
Haftungsbeschränkung regelt, in welchem Umfang die Eltern bei Ausübung der
elterlichen Sorge gegenüber dem Kind haften (vgl. Huber, in:
MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1664 Rn. 1). Daher gilt sie auch für
deliktische Verhaltenspflichten zum Schutz der Gesundheit eines Kindes
jedenfalls dann, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für die Person
des Kindes aufgehen, da ein Ausschluss des § 1664 Abs. 1 BGB in diesen
Fällen mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar wäre (vgl.
Senat, Urteil vom 1. März 1988 - VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338, juris Rn.
20; BGH, Urteil vom 27. Oktober 1988 - III ZR 8/88, juris Rn. 14; Huber, in:
MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1664 Rn. 9; Diederichsen, VersR Jubiläumsausgabe 1983,
141, 144 f.). Darüber hinaus wird durch § 1664 Abs. 1 BGB ein
verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 Satz 1 BGB ausgeschlossen
(vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 7. Aufl., § 58 Rn.
67; aA Heilmann, in: Staudinger [2016], § 1664 Rn. 37; Hilbig-Lugani, in:
Soergel 13. Aufl., § 1664 Rn. 25). Dies entspricht den Wirkungen
einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe
Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlägt
mit der Folge, dass wegen desselben Verhaltens nach Deliktsrecht keine
strengere Haftung stattfindet und nicht nur eine Haftung für leichte
Fahrlässigkeit entfällt, sondern auch die Gefährdungshaftung nach § 833 Satz
1 BGB (vgl. Senat, Urteile vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, NJW
1992, 2474, juris Rn. 18; vom 13. November 1973 - VI ZR 152/72, NJW 1974,
234, juris Rn. 12). Entsprechendes wird für § 1359 BGB angenommen (so KG,
MDR 2002, 35 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen , Familienrecht 7. Aufl., § 22
Rn. 5; Sprau, in: Palandt BGB, 80. Aufl., § 833 Rn. 12; von Pückler, in:
Palandt, 80. Aufl., § 1359 Rn. 2; Roth, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1359 BGB
Rn. 20; aA Erbarth, in: BeckOGK [1.9.2020], BGB § 1359 Rn. 64 f.; Luckey,
Jura 2002, 477, 479/481; siehe weiter Kunschert, NJW 2003, 950).
9
Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht,
wenn der Regelungszweck des § 1664 Abs. 1 BGB - wie die Revision meint -
allein darin bestünde, das innerfamiliäre Leben möglichst wenig zu
stören (vgl. zum Regelungszweck Heilmann, in: Staudinger [2016], § 1664 Rn.
5; Huber, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1664 Rn. 2; Diederichsen, VersR
Jubiläumsausgabe 1983, 141, 142). Der Hinweis der Revision, dass die Eltern
der Klägerin getrennt leben, führt nicht weiter, da es sich auch unter
diesen Umständen um familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater
handelte. Weiter ist entgegen der Ansicht der Revision unerheblich, ob ein
innerfamiliärer Konflikt nicht besteht und dass Gegenstand des Rechtsstreits
eine - in der Familie einvernehmliche - Auseinandersetzung mit einem
Versicherungsunternehmen ist. Denn aus dem von der Revision unterstellten
Regelungszweck könnte angesichts des Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1
BGB jedenfalls nicht geschlossen werden, dass das Bestehen (dh die
Entstehung und möglicherweise das spätere Entfallen) eines Anspruchs von den
späteren, sich möglicherweise ändernden (Begleit-)Umständen seiner
Geltendmachung abhängt. Im Übrigen kann das innerfamiliäre Leben auch
dadurch gestört werden, dass es im Rahmen einer - in der Familie
einvernehmlichen - Auseinandersetzung mit einem Dritten thematisiert wird.
Daran ändert sich auch nichts, wenn - was hier offenbleiben kann - für
den Vater der Klägerin Haftpflichtversicherungsschutz bestünde (siehe weiter
BGH, Urteile vom 12. Dezember 1991 - III ZR 10/91, NJW 1992, 1227, juris Rn.
16; vom 10. Juli 1974 - IV ZR 212/72, BGHZ 63, 51, juris Rn. 13 zur
Bedeutung des Schutzes durch eine Haftpflichtversicherung).
10
Entgegen der Auffassung der Revision kann offenbleiben, ob der
Sorgfaltsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB bei der Hundehaltung keine Anwendung
findet, weil die dafür geltenden Regelungen keinen Raum für einen
individuellen Sorgfaltsmaßstab lassen, wie es angenommen worden ist bei
Schadensfällen im Straßenverkehr nach Verstoß gegen Verkehrsvorschriften für
§ 1359 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 24. März 2009 - VI ZR 79/08, NJW
2009, 1875 Rn. 11; BGH, Urteile vom 12. Dezember 1991 - III ZR 10/91, NJW
1992, 1227, juris Rn. 16; vom 27. Januar 1977 - III ZR 173/74, BGHZ 68, 217,
juris Rn. 19; vom 10. Juli 1974 - IV ZR 212/72, BGHZ 63, 51, juris Rn. 9 f.;
vom 18. Juni 1973 - III ZR 207/71, BGHZ 61, 101, juris Rn. 12; vom 11. März
1970 - IV ZR 772/68, BGHZ 53, 352, juris Rn. 23) und § 708 BGB (vgl. Senat,
Urteile vom 24. März 2009 - VI ZR 79/08, NJW 2009, 1875 Rn. 11; vom 20.
Dezember 1966 - VI ZR 53/65, BGHZ 46, 313, juris Rn. 12; BGH, Urteile vom
27. Januar 1977 - III ZR 173/74, BGHZ 68, 217, juris Rn. 19; vom 11. März
1970 - IV ZR 772/68, BGHZ 53, 352, juris Rn. 23; offen zur Sportfliegerei
Senat, Urteil vom 25. Mai 1971 - VI ZR 248/69, JZ 1972, 88, juris Rn. 14
ff.) sowie das Betreiben von Wasserski unter Verstoß gegen einen
Ministerialerlass für § 1359 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 24. März
2009 - VI ZR 79/08, NJW 2009, 1875 Rn. 12, mAnm Figgener, NZV 2009, 382 und
Lemcke, RuS 2009, 257). Denn ein Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB
besteht unabhängig von einer Sorgfaltspflichtverletzung.
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2. Als der Vater der Klägerin mit ihr einen Spaziergang machte und sie über
die Hundeleine stolperte, übte dieser die elterliche Sorge über sie aus (§
1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 BGB).
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