Tierhalterhaftung (§ 833 S. 1 BGB);
(kein) Haftungsausschluss wegen "Handelns auf eigene Gefahr"; kein analoge
Anwendung von § 8 Nr. 2 StVG im Bereich der Tierhalterhaftung
BGH, Urteil vom 25. März 2014 - VI ZR
372/13 - LG Oldenburg
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
1. Ein Ausschluss der Tierhalterhaftung wegen
Handelns auf eigene Gefahr kommt auch dann regelmäßig nicht in Betracht,
wenn der Geschädigte einen Hund für mehrere Tage in seiner Hundepension
aufgenommen und für diese Zeit die Beaufsichtigung des Tieres übernommen hat
(Fortführung von Senatsurteil vom 17. März 2009 -
VI ZR 166/08, VersR 2009, 693).
2. Ein für die Verletzung mitursächliches Fehlverhalten des Geschädigten ist
gegebenenfalls nach § 254 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen.
Zentrale Probleme:
Ein Hundehalter gibt sein Tier in eine Tierpension. Dort wird der Inhaber
der Tierpension von dem Hund gebissen. Er macht nun einen
Schadensersatzanspruch aus § 833 S. 1 BGB
geltend. Der BGH bejaht diese Haftung grundsätzlich, verweist aber zur
Prüfung des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB an die Vorinstanz zurück.
Insbesondere verneinte er. Anders als die Vorinstanz sieht er keinen
Ausschluss der Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB aus Gründen der
Selbstgefährdung. Auch liege kein „Handeln auf eigene Gefahr“ vor, das zu
einem Haftungsausschluss führen würde. Eine analoge Anwendung von § 8 Nr. 2
StVG (Ausschluss der Halterhaftung nach § 7 StVG, wenn der Verletzte bei dem
Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war) scheidet aus, weil im Bereich der
Gefährdungshaftungen Analogien grundsätzlich nicht zulässig sind, da es sich
jeweils um abschließende Spezialregelung handelt.
S. dazu
BGH v. 30.4.2013 - VI ZR 13/12 m.w.N.; zur Frage
der Realisierung einer typischen Tiergefahr s. auch
OLG Hamm
v. 15.2.2013 - I-19 U 96/12 (Sturz über einen schlafenden Hund). Zum
"Handeln auf eigene Gefahr" s. s. BGH v. 3.5.2005 - VI
ZR 238/04; BGH v. 2.10.2012 - VI
ZR 311/11 sowie s. auch
BGH v. 3.5.2005 - VI
ZR 238/04: Dieser Grundsatz führt nur in seltenen Situationen zu
einer kompletten Haftungsfreistellung des Schädigers, sondern wird analog §
254 I BGB (Mitverschulden) berücksichtigt.
©sl 2014
Tatbestand:
1 Die Klägerin betreibt gewerblich
eine Hundepension. Der Beklagte ist Hundehalter. Er übergab der Klägerin am
15. September 2011 seine Hündin, eine Border-Collie-Mischlingshündin, zur
zehntägigen entgeltlichen Betreuung. Die Klägerin macht geltend, der Hund
habe sie am 17. September 2011 in die Ober- und Unterlippe gebissen, als sie
ihn nach einem Spaziergang habe ableinen wollen. Sie begehrt im Wege der
Leistungs- und Feststellungsklage Ersatz materiellen und immateriellen
Schadens. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der
Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
2 Das Berufungsgericht ist der Auffassung, ein Schadensersatzanspruch der
Klägerin, der sich allein aus § 833 Satz 1 BGB ergeben könne, sei nicht
gegeben. Es könne dahinstehen, ob der Hund des Beklagten der Klägerin die
Gesichtsverletzung zugefügt und ob sich dabei gegebenenfalls eine
spezifische Tiergefahr verwirklicht habe. Es könne auch offenbleiben, ob
Anhaltspunkte für die Annahme eines stillschweigenden Haftungsausschlusses
bestünden. Die Tierhalterhaftung sei jedenfalls unter dem
Gesichtspunkt freiwilliger Risikoübernahme ausgeschlossen. Sie sei mit dem
Schutzzweck des § 833 Satz 1 BGB nicht vereinbar, weil die Klägerin die
Herrschaft über das Tier, mithin die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit für
mehrere Tage gewerblich und vorwiegend im eigenen Interesse und auch in
Kenntnis der damit verbundenen Gefahren übernommen habe.
Demgegenüber sei dem Beklagten in dieser Zeit eine Einflussnahme auf seinen
Hund vertragsgemäß nicht möglich gewesen.
II.
3 Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand. Die den Beklagten als Halter seines Hundes grundsätzlich
treffende Tierhalterhaftung kann im Streitfall nicht mit der Begründung
verneint werden, sie sei wegen freiwilliger Risikoübernahme durch die
Klägerin mit dem Schutzzweck des § 833 Satz 1 BGB nicht vereinbar.
4 1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob sich die Klägerin die
Gesichtsverletzung durch einen Biss des Hundes des Beklagten zugezogen hat.
Dies ist deshalb im Revisionsverfahren zu ihren Gunsten zu unterstellen.
5 2. § 833 Satz 1 BGB begründet eine Gefährdungshaftung des
Tierhalters für den Fall, dass ein anderer durch das Tier in einem der in
dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter verletzt wird. Der Grund für die
strenge Tierhalterhaftung liegt in dem unberechenbaren oder aber auch
instinktgemäßen selbsttätigen tierischen Verhalten und der dadurch
hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter, also
der verwirklichten Tiergefahr (vgl. Senatsurteile vom 6. Juli 1976
- VI ZR 177/75, BGHZ 67, 129, 130, und vom 20.
Dezember 2005 - VI ZR 225/04, VersR 2006, 416 Rn. 7, jeweils mwN; dazu
kritisch: Schiemann in Erman, BGB, 13. Aufl., § 833 Rn. 4 mwN; vgl. auch
Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 9 Rn. 12 f.; Moritz
in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 833 Rn. 14 ff.). Diese ist dann nicht
anzunehmen, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen
beteiligt ist. Verletzungen durch Hundebisse sind danach grundsätzlich der
spezifischen Tiergefahr zuzurechnen.
6 3. Der Tierhalterhaftung des Beklagten steht nicht entgegen, dass die
Klägerin seinen Hund für zehn Tage in ihrer Hundepension aufnahm und für
diese Zeit die Beaufsichtigung des Tieres übernahm. Die Haftung des
Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB greift nach herrschender Meinung in
Rechtsprechung und Literatur nämlich grundsätzlich auch dann ein,
wenn ein Tieraufseher im Rahmen seiner Aufsichtsführung durch das betreute
Tier verletzt wird (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1982 - VI ZR
188/80, VersR 1982, 366, 367; vom 19. Januar 1982 - VI ZR 132/79, VersR
1982, 348 f., und vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, VersR 1992, 1145, 1146;
BGH, Urteil vom 26. Juni 1972 - III ZR 32/70, VersR 1972, 1047, 1048; OLG
Hamm, VersR 1975, 865; OLG Frankfurt,
VersR 1997, 456; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2009, 453; Palandt/Sprau, BGB, 73.
Aufl., § 834 Rn. 3; Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 18
Rn. 39; Wussow/Rüge, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 11 Rn. 11; aA
MünchKommBGB/Wagner, 6. Aufl., § 833 Rn. 20).
7 4. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht einen Anspruch der
Klägerin aus § 833 Satz 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der freiwilligen
Risikoübernahme. Bei der Tierhalterhaftung hat der erkennende Senat eine
vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt
des Handelns auf eigene Gefahr nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erwogen.
Der Umstand, dass sich der Geschädigte der Gefahr selbst ausgesetzt hat, ist
regelmäßig erst bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile
nach § 254 BGB zu berücksichtigen (Senatsurteil
vom 17. März 2009 - VI ZR 166/08, VersR 2009, 693 Rn. 7; vgl. auch
Schiemann, aaO Rn. 6; Moritz, aaO Rn. 30; jeweils mwN). Unter welchen
Voraussetzungen die Tierhalterhaftung ausnahmsweise bereits im
Anwendungsbereich ausgeschlossen sein könnte, weil deren Geltendmachung
gegen Treu und Glauben verstieße (vgl. Senatsurteil
vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 225/04, aaO Rn. 14 ff. mwN), kann hier
offenbleiben, denn ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
8 a) Für Fallgestaltungen, in denen sich Personen der Tiergefahr aus
beruflichen Gründen vorübergehend aussetzen, ohne dabei die vollständige
Herrschaft über das Tier zu übernehmen, wird ein genereller Ausschluss der
Tierhalterhaftung sowohl unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene
Gefahr als auch unter Schutzzweckerwägungen von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung abgelehnt (vgl. Senatsurteil vom
17. März 2009 - VI ZR 166/08, aaO Rn. 11 und 19
mwN). Für Fälle der vorliegenden Art kann grundsätzlich nichts anderes
gelten.
9 b) Der Auffassung des Berufungsgerichts, eine Haftung des
Beklagten werde deshalb nicht vom Schutzzweck der Norm des § 833 Satz 1 BGB
umfasst, weil das Interesse der Klägerin, den Hund aufzunehmen, das des
Beklagten überwiege, weil sie mit dem Betrieb der Hundepension ihren
Lebensunterhalt verdiene, kann nicht gefolgt werden. Der erkennende
Senat ist einer solchen Sichtweise bereits früher entgegengetreten
(Senatsurteil vom 28. Mai 1968 - VI ZR 35/67, VersR 1968, 797, 798). Er hat
für den Fall der Verletzung eines Hufschmiedes durch ein zu beschlagendes
Pferd ausgeführt, es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Hufschmied
durch Abschluss des Werkvertrages allein noch nicht die Gefahr einer
Verletzung durch das Tier übernehme. Denn es entspreche weder der
Interessenlage noch den Erfordernissen von Treu und Glauben, dass der
Hufschmied, der sich der mit dem Hufbeschlag notwendig verbundenen
Tiergefahr aussetzen müsse, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, auch die
durch die Tiergefahr hervorgerufenen Schadensfolgen auf sich nehme, die das
Gesetz dem Tierhalter als dem Urheber der Gefahr anlaste. Zum Wesen
des Beschlagvertrages gehöre es, dass der Hufschmied sich einer erhöhten
Tiergefahr aussetze, nicht dagegen, dass er den Tierhalter, von dessen Tier
die Gefahr ausgehe, von seiner gesetzlichen Haftung für die Schadensfolgen
entbinde, die aus der Tiergefahr erwachsen könnten.
10 c) Diese Überlegungen, an denen festzuhalten ist, treffen grundsätzlich
auch für den Fall der Obhut über einen Hund in einer Tierpension zu. Die von
den Vorinstanzen vertretene einschränkende Anwendung des § 833 Satz 1 BGB
entspricht in Fällen der vorliegenden Art nicht der Intention des Gesetzes
und ist auch nicht interessengerecht.
11 aa) Der Umstand, dass der Inhaber einer Hundepension - im Unterschied
z.B. zum Hufschmied oder Tierarzt - sich dem Tier nicht nur zur Vornahme
einzelner Verrichtungen nähert, sondern dessen Beaufsichtigung
gegebenenfalls für mehrere Tage vollständig übernimmt und während dieser
Zeit die alleinige Herrschaft über das Tier innehat, rechtfertigt insoweit
keine abweichende rechtliche Beurteilung. Grundsätzlich unerheblich ist,
dass der Tierhalter während der Zeit der Obhut seines Hundes in der
Tierpension von einer eigenen Einwirkung auf sein Tier ausgeschlossen ist.
Dieser Gesichtspunkt, der genauso auf den Pferdehalter zutrifft, der sein
Pferd einem Reiter zum selbständigen Ausreiten überlässt (Senatsurteil vom
30. September 1986 - VI ZR 161/85, VersR 1987, 198, 200 mwN) oder es bei
einem Dritten unterstellt, wo es von diesem eigenmächtig zu einer Reitstunde
eingesetzt wird (Senatsurteil vom 19. Januar 1988 - VI ZR 188/87, VersR
1988, 609 f. mwN), steht der Tierhalterhaftung grundsätzlich nicht entgegen
(aA OLG Nürnberg, VersR 1999, 240, 241). Nach der Rechtsprechung des
erkennenden Senats bleibt die Tierhalterhaftung auch bei länger dauernder
Überlassung des Tieres an einen Dritten erhalten, wenn derjenige, der sich
des Tieres begibt, weiterhin für die Kosten der Tierhaltung aufkommt, den
allgemeinen Wert und Nutzen des Tieres für sich in Anspruch nimmt und das
Risiko seines Verlustes trägt. Selbst eine etwaige Nutzung
des Tieres durch den Dritten auch für eigene Zwecke steht dem nicht
entgegen, solange sich nicht der Schwerpunkt der Nutzung des Tieres auf den
Dritten verlagert (Senatsurteil vom 19. Januar 1988 - VI ZR 188/87,
aaO).
12 bb) Die Tierhalterhaftung des Hundehalters gegenüber dem Tieraufseher,
dem er seinen Hund zur Unterbringung in einer Hundepension überlassen hat,
kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, der gewerblich tätige
Inhaber der Hundepension sei deswegen während der Zeit der Unterbringung des
Tieres für dieses allein verantwortlich, weil er aufgrund seiner
Professionalität eine Schädigung durch das Tier vermeiden könne. Diese
Erwägung ließe außer Acht, dass auch der Fachmann nicht vollständig zu
verhindern vermag, dass sich typische, gleichwohl aber auch von ihm nicht zu
beherrschende Tiergefahren realisieren (vgl. Wussow/Terbille,
Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kap. 11 Rn. 35), zumal er mit der
gegebenenfalls gerade diesem Tier anhaftenden besonderen Gefahr oftmals
weniger vertraut sein wird als der Tierhalter, der die Eigenarten seines
Tieres kennt. Der Umstand, dass ein Tieraufseher gewerblich tätig wird,
macht ihn nicht weniger schutzwürdig.
13 5. Eine generelle Haftungsfreistellung lässt sich, worauf die
Revisionserwiderung abhebt, auch nicht mit einer Übertragung der für den
Fahrer von Kraftfahrzeugen in § 8 Nr. 2 StVG getroffenen Regelung begründen,
denn diese Norm stellt eine Ausnahmevorschrift dar, die eng auszulegen ist
(vgl. zu §§ 8, 8a StVG a.F. Senatsurteile vom 7. Juli 1956 - VI ZR
157/55, VersR 1956, 640, und vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 378/90, VersR
1992, 437, 438; aA Wagner, aaO) und deren Regelungsgehalt auch nicht auf
vergleichbare Sachverhalte anderer Gefährdungshaftungen übertragen werden
kann. Die Gefährdungshaftungen enthalten für die einzelnen
Haftungsbereiche im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Materie
und ihrer Entstehungsgeschichte je eigenständige und in sich abgeschlossene
Regelungen, die nur aus ihrem jeweiligen Zusammenhang heraus verstanden und
angewendet werden können und demgemäß einer entsprechenden Anwendung auf
andere Gefährdungshaftungen nicht zugänglich sind (Senatsurteil vom
9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, aaO S. 1146 f.).
14 6. Nach alledem kann das Berufungsurteil kein en Bestand haben. Die Sache
ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die gebotenen
Feststellungen, gegebenenfalls auch zur Frage eines etwaigen
Mitverschuldens der Klägerin (vgl. dazu
Senatsurteil vom 17. März 2009 - VI ZR 166/08, aaO Rn. 15), nachgeholt
werden können.
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