Missbrauch der Vollmacht, Unwirksamkeit des
Vertretergeschäfts nach § 138 I BGB im Fall der Kollusion zwischen
Bevollmächtigtem und Drittem, (keine) fehlerhafte Gesellschaft bei
Vollmachtsmissbrauch
BGH, Urteil vom 13. September 2011 - VI ZR 229/09
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Ein Bevollmächtigter kann aus § 826 BGB
haften, wenn er bei Errichtung einer Gesellschaft die ihm erteilte
Generalvollmacht missbraucht.
b) Eine fehlerhafte Gesellschaft setzt auf den Abschluss eines
Gesellschaftsvertrags gerichtete Willenserklärungen zwischen den Beteiligten
voraus. Diese liegen grundsätzlich nicht vor, wenn ein Mitgesellschafter die
ihm erteilte Vollmacht überschreitet.
Zentrale Probleme:
Ein sehr spezieller Fall, der aber in Bezug auf die
grundsätzlichen Ausführungen zur Nichtigkeit des Vertretergeschäfts nach §
138 I BGB bei Vollmachtsmissbrauch (s. dazu auch
BGH
NJW 1999, 2883 sowie
BGH NJW 2011, 66,
dieselbe Gesellschaft betreffend) und zur Lehre von der fehlerhaften
Gesellschaft von Interesse ist.
©sl 2011
Tatbestand:
1 Die Klägerin, eine Tochter des Beklagten, begehrt
Schadensersatz und Feststellung, dass der Beklagte für Eingriffe in die
Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen schadensersatzpflichtig ist.
2 Die Klägerin verfügte unter anderem über Grundbesitz und ein erhebliches
Geldvermögen. Ihr Vermögen und das ihrer Schwester wurde aufgrund einer
Generalvollmacht vom Beklagten verwaltet. Meinungsverschiedenheiten im
August 2003 führten zur Erklärung beider Töchter, dass sie von dem Beklagten
in Zukunft informiert werden wollten, bevor er die ihm erteilten
Generalvollmachten nutze. Nach dem Vortrag der Klägerin haben ihre Schwester
und sie zudem am 5. September 2003 einen Brief an den Beklagten geschrieben,
durch den ihm der künftige Gebrauch der Vollmacht nur unter der Maßgabe
einer vorherigen internen Abstimmung mit den Töchtern gestattet werde.
3 In der Folge schloss der Beklagte unter Nutzung der
Generalvollmachten einen Gesellschaftsvertrag mit sich selbst ab, der die
Gründung der K. & S. G. GbR 2 zum Gegenstand hatte. In diese Gesellschaft
brachte er das gesamte Vermögen seiner Töchter ein. Zugleich traf
er die Regelung, dass allein er zur Geschäftsführung dieser Gesellschaft
berechtigt sei und alle Verfügungen der Töchter bezüglich der Gesellschaft
bis zum 18. Dezember 2022 ausgeschlossen seien. Diesen Gesellschaftsvertrag
modifizierte der Beklagte anschließend, indem er anstelle einer die
Vermögenswerte beider Töchter haltenden Gesellschaft zwei Gesellschaften
bürgerlichen Rechts gründete, in die er als wesentlichen Vermögenswert
jeweils das Vermögen einer Tochter einbrachte, während die jeweils andere
Schwester und er nur zu einem Bruchteil von je 0,5 % am
Gesellschaftsvermögen beteiligt waren.
4 Die Umschreibung der auf die Klägerin laufenden Konten veranlasste der
Beklagte unter Bezugnahme auf den Gesellschaftsvertrag. Die Bank nahm die
Umschreibung ohne Rücksprache mit der Klägerin vor mit der Folge, dass
dieser die Verfügungsmöglichkeit über ihr Geldvermögen komplett entzogen
wurde. In der Folge wurde im Auftrag des Beklagten als "Geschäftsführer" der
K. & S. G. GbR 2 die Übertragung sämtlicher, hohe Guthabenbeträge
aufweisenden Konten auf die Hausverwaltungsgesellschaft G. & Partner GmbH
vorgenommen, deren alleiniger Gesellschafter der Beklagte ist.
5 Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das
Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Mit der
vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre
Ansprüche wegen des von ihr behaupteten, auf die Vorgehensweise des
Beklagten zurückzuführenden Schadens weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
6 Nach Auffassung des Berufungsgerichts besteht eine grundsätzliche Haftung
des Beklagten aus § 826 BGB, weil sich bereits aus der Gründung der K. & S.
G. GbR 2 bzw. dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags der GbR ein
sittenwidriger Missbrauch der erteilten Vollmacht ergebe. Der aufgrund der
Generalvollmacht im Wege des Insichgeschäfts geschlossene
Gesellschaftsvertrag nehme der Klägerin über einen Zeitraum von 19 Jahren
hinweg jede Möglichkeit, über ihr von dem Beklagten in die GbR eingebrachtes
Vermögen zu verfügen. Der Beklagte habe sich ganz offensichtlich
zielgerichtet eine von der erteilten Vollmacht losgelöste, von der Klägerin
bis 2022 faktisch nicht beschränkbare, alleinige Verfügungsbefugnis über das
Vermögen der Klägerin geschaffen. Ein derartiger Missbrauch der
Generalvollmacht stelle sich gemäß § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig dar.
7 Die Klägerin habe jedoch die geltend gemachten Schäden bzw. die
Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadenseintritts nicht schlüssig
dargelegt. Sie gehe davon aus, Verfügungen des Beklagten über das in die GbR
eingebrachte Vermögen begründeten einen eigenen unmittelbaren Schaden der
Klägerin. Dabei verkenne sie, dass die in Vollzug gesetzte GbR 2 nach den
Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft bis zu ihrer Kündigung als wirksam
zu behandeln sei. Eine schlüssige Schadensdarlegung müsste daher aufzeigen,
dass sich die Verfügungen des Beklagten schädigend auf das
Auseinandersetzungsguthaben der Klägerin auswirkten bzw. im Hinblick auf den
Feststellungsantrag auswirken könnten. Die Klägerin habe aber auch nach
einem Hinweisbeschluss nicht dargelegt, inwiefern sich die Verfügungen des
Beklagten schädigend auf das Auseinandersetzungsguthaben ausgewirkt haben.
II.
8 Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Mit Recht macht die Revision geltend, die Klägerin müsse zur
Begründung eines Schadens nicht darlegen, inwiefern sich die Verfügungen des
Beklagten schädigend auf ihr Auseinandersetzungsguthaben ausgewirkt haben,
weil die GbR 2 nicht nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft zu
behandeln sei.
9 1. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die
Auffassung des Berufungsgerichts, der Gesellschaftsvertrag sei gemäß § 138
BGB nichtig und der Beklagte hafte grundsätzlich nach § 826 BGB, weil er bei
Errichtung der Gesellschaft die ihm erteilte Generalvollmacht missbraucht
habe. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen liegt
bereits aufgrund der Vertragsgestaltung ein Missbrauch der Generalvollmacht
vor, weil der - faktisch unwiderrufliche - Entzug der Verfügungsbefugnis
über ihr Vermögen über einen Zeitraum von 19 Jahren hinweg eine Verletzung
der vermögenswerten Interessen der Klägerin darstellt (vgl. BGH, Urteil vom
25. Februar 2002 - II ZR 374/00, WM 2002, 756 f.; siehe auch Urteil vom 1.
Juni 2010 - XI ZR 389/09, NJW 2011, 66 Rn. 16). Dass die Klägerin an der GbR
zu 99 % beteiligt sein und ihr das in die GbR eingebrachte Vermögen
wirtschaftlich weiterhin gehören sollte, ist insoweit unerheblich.
Maßgeblich ist, dass ihr die Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen für einen
langen Zeitraum entzogen und sie dadurch in ihrer Vertragsfreiheit zu stark
eingeschränkt wurde. Zudem umging der Beklagte damit zugleich den für eine
Generalvollmacht anerkannten Grundsatz der Befugnis des Vollmachtgebers zum
jederzeitigen Widerruf (vgl. BGH, Urteile vom 26. Februar 1988 - V ZR
231/86, WM 1988, 714, 715; vom 1. Juni 2010 - XI ZR 389/09, aaO mwN).
Aufgrund dieses Vollmachtsmissbrauchs war die im Namen der Klägerin
abgegebene Willenserklärung des Beklagten zur Errichtung der GbR unwirksam
und zugleich der Gesellschaftsvertrag nach § 138 BGB nichtig, weil es sich
bei der Gesellschaftsgründung um ein Insichgeschäft des Beklagten handelte
und der Missbrauch der Vertretungsmacht ihm - und damit allen Beteiligten -
bekannt war. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Vereinbarungen,
die Angestellte, Bevollmächtigte oder sonstige Vertreter einer Partei im
Einverständnis mit dem Vertragsgegner hinter dem Rücken des Geschäftsherrn
und zu dessen Nachteil treffen, gegen die guten Sitten verstoßen und nichtig
sind (vgl. BGH, Senatsurteil vom 17. Mai 1988 - VI ZR 233/87, WM
1988, 1380, 1381; BGH, Urteile vom 14. Juni 2000 - VIII ZR 218/99, VersR
2000, 1551, 1552; vom 25. Februar 2002 - II ZR 374/00, aaO; vom 1. Juni 2010
- XI ZR 389/09, aaO, Rn. 13, 18). Im Hinblick darauf kommt es auf die in der
Revisionsverhandlung erhobene Gegenrüge des Beklagten nicht an.
10 2. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Begründung, mit der das
Berufungsgericht die schlüssige Darlegung des Schadens bzw. des künftigen
Schadenseintritts verneint hat. Die Klägerin muss entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts zur schlüssigen Schadensdarlegung nicht vortragen,
dass sich die Verfügungen des Beklagten schädigend auf ihr
Auseinandersetzungsguthaben (vgl. §§ 730 ff. BGB) ausgewirkt haben. Die
Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft stehen der von der Klägerin
insbesondere in der Klageschrift und in dem Schriftsatz vom 12. Mai 2009
substantiiert dargelegten Schadensberechnung nicht entgegen. Das
Berufungsgericht hat verkannt, dass eine fehlerhafte Gesellschaft nicht
zustande gekommen ist, und deshalb falsche Anforderungen an die
Substantiierungslast der Klägerin gestellt.
11 a) Im Streitfall handelt es sich nicht um eine fehlerhafte
Gesellschaft, sondern um eine sogenannte Scheingesellschaft, auf die die
Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft und somit auch die Grundsätze
der Abwicklung nicht anwendbar sind (ebenso
BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 - XI ZR 389/09, aaO,
Rn. 21 in einem dieselbe GbR betreffenden Urteil).
12 Eine fehlerhafte Gesellschaft setzt wie jede Gesellschaft einen
Gesellschaftsvertrag voraus. Es genügt zwar bei ihr das Vorliegen eines
mangelhaften Vertrags. Dieser muss aber von dem tatsächlichen, wenn auch
rechtlich fehlerhaften Willen der Vertragschließenden getragen sein.
Grundlegende Voraussetzung für die Annahme einer fehlerhaften Gesellschaft
ist mithin das Vorliegen von - wenn auch fehlerhaften - auf den Abschluss
eines Gesellschaftsvertrags gerichteten Willenserklärungen zwischen den
Beteiligten (vgl. BGH, Urteile vom 14. Oktober 1991 - II ZR 212/90,
NJW 1992, 1501, 1502 mwN; vom 1. Juni 2010 - XI ZR 389/09, aaO, Rn. 20).
Ein rechtsgeschäftliches Handeln der Gesellschafter fehlt, wenn ein
Mitgesellschafter die ihm erteilte Vollmacht überschreitet (vgl.
BGH, Urteile vom 18. Oktober 1962 - II ZR 12/61, WM 1962, 1353, 1354; vom
12. Oktober 1987 - II ZR 251/86, WM 1988, 414, 416 f.; vom 14. Oktober 1991
- II ZR 212/90, aaO; vom 1. Juni 2010 - XI ZR 389/09, aaO). Etwas
anderes gilt nur, wenn die übrigen Gesellschafter die Erklärung für wirksam
gehalten haben, weil sie etwa davon ausgingen, der Mitgesellschafter sei
wirksam vertreten worden und seine Zustimmung liege vor (vgl. BGH,
Urteile vom 12. Oktober 1987 - II ZR 251/86, aaO, 417; vom 14. Oktober 1991
- II ZR 212/90, aaO; vom 1. Juni 2010 - XI ZR 389/09, aaO), oder
wenn der Vertreter zwar ohne Vollmacht gehandelt hat, der Abschluss des
Gesellschaftsvertrags aber vom Auftrag des Gesellschafters umfasst war und
damit auf seinen Willen zurückzuführen ist (vgl. BGH, Urteile vom
16. Dezember 2002 - II ZR 109/01, BGHZ 153, 214, 221 f.; vom 21. März 2005 -
II ZR 310/03, NJW 2005, 1784, 1786; vom 1. Juni 2010 - XI ZR 389/09, aaO).
Im Streitfall liegen diese Ausnahmen beim rechtsmissbräuchlichen
Abschluss des Gesellschaftsvertrags nicht vor, weil nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts der Beklagte eigenmächtig und in einem Insichgeschäft
gehandelt hat. Aus denselben Gründen fehlt ein vom Willen aller
Gesellschafter getragener Vollzug des Gesellschaftsvertrags.
13 b) Nach den vorstehenden Ausführungen musste die Klägerin nicht darlegen,
inwiefern sich die Verfügungen des Beklagten schädigend auf ihr
Auseinandersetzungsguthaben ausgewirkt haben bzw. im Hinblick auf den
Feststellungsantrag auswirken könnten. Es reicht vielmehr aus, dass sie -
wie insbesondere in der Klageschrift und im Schriftsatz vom 12. Mai 2009
geschehen -substantiiert dargelegt hat, dass die Verfügungen des Beklagten
einen eigenen Schaden der Klägerin begründet haben. Dazu hat das
Berufungsgericht bisher keine Feststellungen getroffen. Das Berufungsurteil
ist demnach aufzuheben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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