(Kein)
Haftungsprivileg nach § 828 II BGB n.F. im ruhenden Verkehr (teleologische
Reduktion); Voraussetzung und Beweislast bei der Deliktsfähigkeit nach § 828
III BGB
BGH, Urteil
vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03
Fundstelle:
NJW 2005, 354
BGHZ 161, 180
Amtl. Leitsatz:
Das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz
1 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher
Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I S. 2674) greift nach dem Sinn und
Zweck der Vorschrift nur ein, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation
eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen
Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat.
Zentrale Probleme:
Der damals 9 Jahre alte Beklagte
war bei einem Wettrennen mit seinem Kickboard gegen einen ordnungsgemäß am
rechten Straßenrand geparkten PKW geprallt, dessen Eigentümer ihn nach § 823
I BGB auf Schadensersatz in Anspruch nimmt.
Durch das
zweite Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli
2002 (BGBl. I S. 2674) hat der Gesetzgeber für schädigende
Ereignisse, die nach dem 31. Juli 2002 eingetreten sind, die
Verantwortlichkeit Minderjähriger neu geregelt. Nach dieser Neuregelung ist
ein Minderjähriger, der das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr
vollendet hat, für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem
Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen
fahrlässig zufügt, nicht verantwortlich (§ 828 Abs. 2 Satz 1 BGB). Seit
Inkrafttreten dieser Vorschrift wird kontrovers erörtert, ob sich diese ohne
Ausnahme auf sämtliche Unfälle bezieht, an denen ein Kraftfahrzeug beteiligt
ist, und ob demgemäß auch bei der fahrlässigen Beschädigung eines parkenden
Fahrzeugs eine Verantwortlichkeit von Kindern dieser Altersgruppe
ausgeschlossen ist. Der BGH hat nunmehr entschieden, daß nach dem Zweck des
§ 828 Abs. 2 Satz 1 BGB ein neunjähriges Kind für die Beschädigung eines
parkenden Fahrzeugs verantwortlich sein kann. Die Entscheidung ist damit
methodisch interessant, weil sich der BGH zu den Voraussetzungen einer
teleologischen Reduktion äußert.
Mit der Einführung dieser Ausnahmeregelung hat der Gesetzgeber dem Umstand
Rechnung getragen, daß Kinder regelmäßig frühestens ab Vollendung des 10.
Lebensjahres im Stande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten
Straßenverkehrs zu erkennen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten.
Die Heraufsetzung des deliktsfähigen Alters ist auf Schadensereignisse im
motorisierten Straßen- oder Bahnverkehr begrenzt. Hierbei kommen nämlich die
altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und
Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, regelmäßig zum
Tragen, weil sich Kinder im motorisierten Verkehr unter anderem durch die
Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in
einer besonderen Überforderungssituation befinden. Diese
Überforderungssituation ist Grund für das gesetzliche Haftungsprivileg des §
828 Abs. 2 BGB. Eine solche Überforderungssituation war hier nicht gegeben,
weil sich nach den tatsächlichen Feststellungen der Berufungsgerichte die
spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs nicht ausgewirkt haben. S.
dazu aber auch zur Abgrenzung BGH v.
17.4.2007 - VI ZR 109/06 (ruhender Verkehr) sowie
BGH NJW 2008, 147.
S. auch die
Pressemitteilung des BGH Nr. 143/2004 v. 30.11.2004; Materialien zum
zweite
Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften finden sich auf
der Seite zur
Schuldrechtsmodernisierung unter "Weitere
Reformen/Schadensrecht".
©sl 2005
Tatbestand:
Am 12. September 2002 veranstalteten der damals neun Jahre alte Beklagte
zu 1 (nachfolgend: Beklagter), sein Zwillingsbruder und ein Klassenkamerad
auf der Fahrbahn der M.-straße in K. ein Wettrennen mit Kickboards. Obgleich
der Beklagte im Umgang mit einem Kickboard geübt war, stürzte er aus
Unachtsamkeit. Sein Kickboard prallte gegen den ordnungsgemäß am rechten
Straßenrand geparkten PKW des Klägers. Es entstand ein Sachschaden, für den
der Kläger nebst weiteren Folgeschäden vom Beklagten und - wegen einer
Verletzung der Aufsichtspflicht - auch von dessen Eltern Ersatz begehrt hat.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat
das Landgericht den Beklagten zu einem Schadensersatz in Höhe von 1.904,16 €
verurteilt und seine weitergehende Berufung sowie die gegen seine Eltern
gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen
Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2004, 172 veröffentlicht ist, hat
ausgeführt, der Beklagte sei gemäß § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger
die aus der Beschädigung seines Fahrzeugs entstandenen Schäden zu ersetzen.
Ein Schadensersatzanspruch sei nicht nach § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB (n.F.)
ausgeschlossen. Zwar könne nach dessen Wortlaut ein Sachverhalt wie der
vorliegende ohne weiteres der Haftungsprivilegierung unterfallen. Der
Gesetzeswortlaut reiche aber offensichtlich zu weit, weshalb er
einschränkend auszulegen sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei es ein
wichtiges Ziel des Gesetzgebers gewesen, die haftungsrechtliche Situation
von Kindern im motorisierten Verkehr nachhaltig zu verbessern und den
Mitverschuldenseinwand gemäß §§ 9 StVG, 4 HPflG und 254 BGB im Verhältnis zu
Kindern auszuschließen. Deshalb sei der Anwendungsbereich des § 828 Abs. 2
BGB dahin teleologisch zu reduzieren, daß ein "Unfall mit einem
Kraftfahrzeug" nur vorliege, wenn sich die von einem in Bewegung
befindlichen Kraftfahrzeug ausgehende typische Gefahr realisiert habe.
Voraussetzung der Haftungsprivilegierung sei deshalb, daß sich das
Kraftfahrzeug in Bewegung, also im sogenannten "fließenden" Verkehr befinde.
Die von einem parkenden Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren würden sich nicht
von denen eines ordnungsgemäß abgestellten Fahrrads, eines Baumes oder einer
Mauer unterscheiden. Eine weitergehende Haftungsprivilegierung führte zudem
zu unbilligen Ergebnissen.
II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im
Ergebnis stand.
Der Beklagte ist gemäß § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger den
aufgrund des Zusammenpralls seines Kickboards mit dessen PKW entstandenen
Schaden zu ersetzen.
1. Unter den Umständen des Streitfalls hat das Berufungsgericht zutreffend
angenommen, daß die Verantwortung des Beklagten nicht gemäß § 828 Abs. 2
Satz 1 BGB ausgeschlossen ist. Da das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli
2002 eingetreten ist, richtet sich die Verantwortlichkeit des minderjährigen
Schädigers gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach § 828 BGB in der Fassung des
Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli
2002 (BGBl I S. 2674). Danach ist für den Schaden, den er bei einem Unfall
mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wer das
siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat.
a) Wie vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, könnte der hier zu
beurteilende Sachverhalt nach dem Wortlaut des neugefaßten § 828 Abs. 2 Satz
1 BGB ohne weiteres unter das Haftungsprivileg für Minderjährige fallen. Aus
seinem Wortlaut geht nicht hervor, daß das Haftungsprivileg davon abhängen
soll, ob sich das an dem Unfall beteiligte Kraftfahrzeug im fließenden oder
- wie der hier geschädigte parkende PKW - im ruhenden Verkehr befindet. Auch
aus der systematischen Stellung der Vorschrift ergibt sich nicht, daß der
Gesetzgeber einen bestimmten Betriebszustand des Kraftfahrzeugs zugrunde
legen wollte, zumal er bewußt nicht das Straßenverkehrsgesetz, sondern das
allgemeine Deliktsrecht als Standort für die Regelung gewählt hat (vgl.
BT-Drucks. 14/7752, S. 26). Allein
diese Auslegungsmethoden führten daher nicht zu dem Ergebnis, daß § 828 Abs.
2 BGB auf Fälle des fließenden Verkehrs von Kraftfahrzeugen begrenzt ist.
Andererseits ist dem Wortlaut der Vorschrift auch nicht zweifelsfrei zu
entnehmen, daß sie sich ohne Ausnahme auf sämtliche Unfälle beziehen soll,
an denen ein Kraftfahrzeug beteiligt ist, wie schon die seit ihrem
Inkrafttreten dazu veröffentlichten kontroversen Meinungen im Schrifttum
zeigen (vgl. für eine weite Auslegung: Cahn, Einführung in das neue
Schadensrecht, 2003, Rn. 232 ff.; Elsner DAR 2004, 130, 132; Jaklin/Middendorf,
VersR 2004, 1104 ff.; MünchKommBGB/Wagner, 4. Aufl., § 828, Rn. 6; Pardey,
DAR 2004, 499, 501 ff.; für eine einschränkende Auslegung: Ady, ZGS 2002,
237, 238; Erman/Schiemann, BGB, 11. Aufl., § 828 Rn. 2a; Heß/Buller, ZfS
2003, 218, 220; Huber, Das neue Schadensersatzrecht, 2003, § 3 Rn. 48 ff.;
Kilian, ZGS 2003, 168, 170; Lemcke, ZfS 2002, 318, 324; Ternig, VD 2004,
155, 157). Im Hinblick darauf würde bei einer einschränkenden Auslegung
oder bei einer im Schrifttum und in der bisher veröffentlichten
Rechtsprechung (vgl. neben dem Berufungsurteil auch LG Koblenz NJW 2004,
858 und AG Sinzheim NJW 2004, 453) in Bezug auf parkende Fahrzeuge
befürworteten teleologischen Reduktion der Vorschrift jedenfalls keine
einschränkende Anwendung vorliegen, die einem nach Wortlaut und Sinn
eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn verliehe oder den normativen
Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmte und deshalb nicht
zulässig wäre (vgl. BVerfG NJW 1997, 2230).
b) Da der Wortlaut des § 828 Abs. 2 BGB nicht zu einem eindeutigen Ergebnis
führt, ist der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille
des Gesetzgebers mit Hilfe der weiteren Auslegungskriterien zu ermitteln,
wobei im vorliegenden Fall insbesondere die Gesetzesmaterialien von
Bedeutung sind. Aus ihnen ergibt sich mit der erforderlichen
Deutlichkeit, daß das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem
Sinn und Zweck der Vorschrift nur eingreift, wenn sich bei der gegebenen
Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die
spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat.
Mit der Einführung der Ausnahmevorschrift in § 828 Abs. 2 BGB wollte der
Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, daß Kinder regelmäßig frühestens ab
Vollendung des zehnten Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren
des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen, insbesondere Entfernungen und
Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen, und sich den Gefahren entsprechend
zu verhalten (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S.
16, 26). Allerdings wollte er die Deliktsfähigkeit nicht generell (vgl.
dazu Wille/Bettge, VersR 1971, 878, 882; Kuhlen, JZ 1990, 273, 276; Scheffen,
29. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, Referat Nr. II/3, S. 97; dieselbe in
Festschrift Steffen, 1995, S. 387, 388 ff.) und nicht bei sämtlichen
Verkehrsunfällen (vgl. Empfehlungen des Deutschen Verkehrsgerichtstages
1991, S. 9; Antrag von Abgeordneten und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vom 18. Juli 1996, BT-Drucks. 13/5302, S. 1 ff.; Antrag von Abgeordneten und
der SPD-Fraktion vom 11. Dezember 1996, BT-Drucks. 13/6535, S. 1, 5 ff.)
erst mit Vollendung des zehnten Lebensjahres beginnen lassen. Er wollte die
Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit vielmehr auf im motorisierten Straßen-
oder Bahnverkehr plötzlich eintretende Schadensereignisse begrenzen, bei
denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und
Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, regelmäßig zum Tragen
kommen (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 26).
Für eine solche Begrenzung sprach, daß sich Kinder im motorisierten Verkehr
durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der
Abläufe in einer besonderen Überforderungssituation befinden. Gerade in
diesem Umfeld wirken sich die Entwicklungsdefizite von Kindern besonderes
gravierend aus. Demgegenüber weisen der nicht motorisierte Straßenverkehr
und das allgemeine Umfeld von Kindern gewöhnlich keine vergleichbare
Gefahrenlage auf (vgl. Bollweg/Hellmann, Das neue Schadensersatzrecht, 2002,
Teil 3, § 828 BGB, Rn. 11; BT-Drucks.
14/7752, S. 16 f., 26 f.). Diese Erwägungen zeigen, daß Kinder nach dem
Willen des Gesetzgebers auch in dem hier maßgeblichen Alter von sieben bis
neun Jahren für einen Schaden haften sollen, wenn sich bei dem
Schadensereignis nicht ein typischer Fall der Überforderung des Kindes durch
die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs verwirklicht hat und
das Kind deshalb von der Haftung freigestellt werden soll.
Dem Wortlaut des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nicht zu entnehmen, daß der
Gesetzgeber bei diesem Haftungsprivileg zwischen dem fließenden und dem
ruhenden Verkehr unterscheiden wollte, wenn es auch im fließenden Verkehr
häufiger als im sog. ruhenden Verkehr eingreifen mag. Das schließt jedoch
nicht aus, daß sich in besonders gelagerten Fällen - zu denen der Streitfall
aber nicht gehört - auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des
motorisierten Verkehrs verwirklichen kann (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 29,
163, 166 f. und vom 25. Oktober 1994 - VI ZR 107/94 - VersR 1995, 90, 92).
Der Gesetzgeber wollte vielmehr lediglich den Fällen einer typischen
Überforderung der betroffenen Kinder durch die spezifischen Gefahren des
motorisierten Verkehrs Rechnung tragen. Zwar wird in der Gesetzesbegründung
ausgeführt, der neue § 828 Abs. 2 BGB lehne sich an die Terminologie der
Haftungsnormen des Straßenverkehrsgesetzes an (vgl.
BT-Drucks. aaO, S. 26). Die danach
folgende Erläuterung, im motorisierten Straßenverkehr sei das deliktsfähige
Alter heraufzusetzen, weil bei dort plötzlich eintretenden
Schadensereignissen in der Regel die altersbedingten Defizite eines Kindes
beim Einschätzen von Geschwindigkeiten und Entfernungen zum Tragen kämen
(vgl. BT-Drucks. aaO, S. 26 f.), zeigt
aber deutlich, daß für den Gesetzgeber bei diesem Aspekt nicht das bloße
Vorhandensein eines Motors im Fahrzeug ausschlaggebend war, sondern vielmehr
der Umstand, daß die Motorkraft zu Geschwindigkeiten führt, die zusammen mit
der Entfernung eines Kraftfahrzeugs von einem Kind vor Vollendung des
zehnten Lebensjahres nur sehr schwer einzuschätzen sind (vgl.
Bollweg/Hellmann, aaO).
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Gesetzgeber nur dann,
wenn sich bei einem Schadensfall eine typische Überforderungssituation des
Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs
verwirklicht hat, eine Ausnahme von der Deliktsfähigkeit bei Kindern vor
Vollendung des zehnten Lebensjahres schaffen wollte. Andere Schwierigkeiten
für ein Kind, sich im Straßenverkehr verkehrsgerecht zu verhalten, sollten
diese Ausnahme nicht rechtfertigen. Insoweit ging der Gesetzgeber davon aus,
daß Kinder in dem hier maßgeblichen Alter mit solchen Situationen nicht
generell überfordert sind und die Deliktsfähigkeit daher grundsätzlich
anzunehmen ist. Das wird auch deutlich bei der Begründung, weshalb das
Haftungsprivileg in Fällen vorsätzlicher Schädigung nicht gilt. Hierzu heißt
es, daß in diesen Fällen die Überforderungssituation als schadensursächlich
auszuschließen sei und sich jedenfalls nicht ausgewirkt habe (vgl.
BT-Drucks. 14/7752, S. 16, 27;
Hentschel, NZV 2002, 433, 442). Allerdings kam es dem Gesetzgeber darauf an,
die Rechtsstellung von Kindern im Straßenverkehr umfassend zu verbessern.
Sie sollte insbesondere nicht davon abhängen, ob das betroffene Kind im
Einzelfall "Täter" oder "Opfer" eines Unfalls ist, denn welche dieser beiden
Möglichkeiten sich verwirklicht, hängt oft vom Zufall ab (vgl. Medicus,
Deutscher Verkehrsgerichtstag 2000, Referat Nr. III/4, S. 121;
Bamberger/Roth/Spindler, BGB, § 828 Rn. 4). Die Haftungsprivilegierung
Minderjähriger erfaßt deshalb nicht nur die Schäden, die Kinder einem
anderen zufügen. Da § 828 BGB auch für die Frage des Mitverschuldens nach §
254 BGB maßgeblich ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 34, 355, 366), hat die
Haftungsfreistellung Minderjähriger auch zur Folge, daß Kinder dieses Alters
sich ihren eigenen Ansprüchen, gleichviel ob sie aus allgemeinem
Deliktsrecht oder aus den Gefährdungshaftungstatbeständen des
Straßenverkehrsgesetzes oder des Haftpflichtgesetzes hergeleitet werden, ein
Mitverschulden bei der Schadensverursachung nicht entgegenhalten lassen
müssen (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 16;
Bollweg/Hellmann, Das Neue Schadensersatzrecht, § 828 Teil 3, Rn. 5; Heß/Buller
ZfS 2003, 218, 219). § 828 Abs. 2 BGB gilt deshalb unabhängig davon, ob das
an einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug beteiligte Kind Schädiger oder
Geschädigter ist.
Diese Grundsätze können im Streitfall jedoch nicht eingreifen, weil nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts unter den Umständen des vorliegenden
Falles das Schadensereignis nicht auf einer typischen
Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des
motorisierten Verkehrs beruht, so daß das Berufungsgericht im Ergebnis zu
Recht eine Freistellung des Beklagten von der Haftung verneint hat.
2. Entgegen der Auffassung der Revision steht auch § 828 Abs. 3 BGB einer
haftungsrechtlichen Verantwortung des Beklagten nicht entgegen.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besitzt derjenige die zur
Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne von §
828 Abs. 3 BGB, der nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig
ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für
die Folgen seines Tuns bewußt zu sein. Auf die individuelle Fähigkeit,
sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, kommt es insoweit nicht an
(vgl. Senatsurteile vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82 - VersR 1984, 641,
642 m.w.N. und vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 - VersR 1997, 834, 835).
Die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen der Einsichtsfähigkeit trägt
der in Anspruch genommene Minderjährige; ab dem Alter von 7 Jahren wird
deren Vorliegen vom Gesetz widerlegbar vermutet (vgl. Senatsurteil vom 29.
April 1997 - VI ZR 110/96 -aaO; Baumgärtel/Strieder, 2. Aufl., § 828 BGB,
Rn. 2 m.w.N.).
Der Beklagte hat zu einem Mangel, das Gefährliche seines Tuns erkennen und
sich der Verantwortung seines Tuns bewußt sein zu können, nichts
vorgetragen. Der von der Revision herangezogene Vortrag, der Beklagte habe
mit dem Kickboard zunächst die Fahrbahn einer Spielstraße befahren und habe
deren Ende im Eifer des veranstalteten Wettrennens übersehen, bevor es zu
dem Unfall mit dem PKW des Klägers gekommen sei, betrifft nicht die
Einsichtsfähigkeit des Beklagten im Sinne von § 828 Abs. 3 BGB.
3. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch ein fahrlässiges Verhalten (§ 276
BGB) des Beklagten bejaht.
a) Ein solches Verhalten setzt voraus, daß die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt außer acht gelassen (§ 276 Abs. 2 BGB) und dabei die Möglichkeit
eines Schadenseintritts erkannt oder sorgfaltswidrig verkannt wurde sowie
ein die Gefahr vermeidendes Verhalten möglich und zumutbar war (vgl.
Senatsurteile BGHZ 58, 48, 56 und vom 10. November 1992 - VI ZR 45/92 -
VersR 1993, 230, 231; BGH Urteil vom 23. Oktober 1952 - III ZR 273/51 - LM
Nr. 1 zu § 828 BGB). Dabei ist dem Alter des Schädigers Rechnung zu tragen
(vgl. BGH Urteil vom 23. Oktober 1952 - III ZR 273/51 - aaO). Bei einem
Minderjährigen kommt es darauf an, ob Kinder bzw. Jugendliche seines Alters
und seiner Entwicklungsstufe den Eintritt eines Schadens hätten voraussehen
können und müssen und es ihnen bei Erkenntnis der Gefährlichkeit ihres
Handelns in der konkreten Situation möglich und zumutbar gewesen wäre, sich
dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten (vgl. Senatsurteile vom 27. Januar 1970
- VI ZR 157/68 -VersR 1970, 374, 375 und vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 -
VersR 1997, 834, 835).
b) Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Kinder in der Altersgruppe des
Beklagten wissen, daß sie sich so zu verhalten haben, daß ihr Kickboard
nicht gegen einen parkenden PKW prallt und diesen beschädigt. Es ist ihnen
auch möglich und zumutbar, dieses Spielgerät so zu benutzen, daß eine solche
Schädigung vermieden wird. Die danach gebotene Sorgfalt hat der Beklagte
mißachtet, indem er im Wettrennen mit seinem Bruder und einem Freund so
schnell fuhr, daß er stürzte und sein Kickboard führungslos mit dem PKW des
Klägers zusammenstieß. Insoweit ist ohne Bedeutung, ob der Beklagte das Ende
der Spielstraße im Eifer des Wettrennens übersah, da er die vorgenannten
Sorgfaltspflichten auf allen Verkehrsflächen hätte beachten müssen.
4. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß sich unter den vom
Berufungsgericht festgestellten Umständen die Betriebsgefahr des parkenden
Fahrzeugs ausgewirkt haben könnte, so daß auch nicht eine Mithaftung des
Klägers nach den Grundsätzen des § 254 BGB in Betracht kommt.
III. Die Revision ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
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