IZPR: Keine Rechtshängigkeitssperre nach Art. 27
EuGVO bei ausschließlicher internationaler Zuständigkeit des später
angerufenen Gerichts ("italienischer Torpedo")
BGH, Beschluss vom 13. August 2014 -
V ZB 163/12 - OLG Hamburg
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Ist das später angerufene
Gericht nach Art. 22 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.
Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen (ABl. EG 2001
Nr. L 12/1 - EuGVVO) ausschließlich zuständig, darf es das Verfahren nicht
nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO aussetzen (Umsetzung von
EuGH, Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 - Weber, Rn. 54 ff.).
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
EuGH, Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 - Weber
sowie zu BGH v. 18.8.2013 - V ZB 163/12.
©sl 2014
Gründe:
I.
1 Die Beklagte ist Eigentümerin eines in H. (Deutschland) belegenen
Grundstücks, das mit einer Grundschuld belastet ist, aus der die Klägerin
vollstrecken will. Mit ihrer seit dem 4. Mai 2011 bei dem Landgericht
Hamburg rechtshängigen Klage möchte die Klägerin die Verurteilung der
Beklagten erreichen, die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung über
155.000 € nebst Zinsen zu dulden.
2 Bereits am 2. Dezember 2010 hatte die Beklagte bei dem Landgericht Mailand
(Italien) eine Klage sowohl gegen die Klägerin als auch gegen die in Italien
ansässige P. SRL (im Folgenden: SRL) erhoben mit dem Ziel festzustellen,
dass die Grundschuld nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden, die
zwischen den Parteien geschlossene Sicherungszweckerklärung unwirksam und
die Beklagte daher nicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet
sei. Mit Blick auf die mitverklagte SRL macht sie geltend, sie wolle sich an
diesem Unternehmen beteiligen und die Investition mithilfe italienischer
Banken finanzieren; die dafür erforderlichen Sicherheiten könne sie nicht
aufbringen, wenn die Stellung der Sicherheit zu Gunsten der Klägerin wirksam
sei. Mit Urteil vom 8. Mai 2012 verneinte das Landgericht Mailand die
Zuständigkeit der italienischen Gerichte. Die gegen die SRL erhobene Klage
diene offensichtlich nur dazu, in missbräuchlicher Weise die italienische
Gerichtsbarkeit zu beanspruchen. Eine Entscheidung über die gegen das Urteil
eingelegte Berufung steht noch aus.
3 In dem vorliegenden Rechtstreit möchte die Beklagte zunächst eine
Aussetzung des Verfahrens nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.
44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1; im Folgenden: EuGVVO) wegen
anderweitiger Rechtshängigkeit erreichen. Ihr dahingehender Antrag ist in
beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt sie den Aussetzungsantrag weiter.
4 Mit Beschluss vom 18. September 2013
(veröffentlicht u.a. in WM 2013, 2160 ff.) hat der Senat dem Gerichtshof der
Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) nach Art. 267 AEUV die Frage
zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.
44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1) dahin auszulegen ist, dass das
später angerufene Gericht, das nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich
zuständig ist, gleichwohl das Verfahren aussetzen muss, bis die
Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts, zu dessen Gunsten keine
ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 EuGVVO besteht, abschließend
geklärt ist. Nachdem der Gerichtshof diese Frage in einem anderen Verfahren
verneint hat (Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 -
Weber, veröffentlicht u.a. in NJW 2014, 1871 ff.), hat der Senat sein
Vorabentscheidungsersuchen nicht aufrechterhalten.
II.
5 Das Beschwerdegericht verneint die Voraussetzungen für eine Aussetzung des
Rechtsstreits mit der Begründung, der Beklagten gehe es mit der in Italien
erhobenen Klage ausschließlich darum, rechtsmissbräuchlich einen
Gerichtsstand zu erschleichen, um auf diese Weise die Aussetzung des in
Deutschland geführten Rechtsstreits nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund sei bei wertender Betrachtung davon auszugehen, dass
sich der vorliegende Rechtstreit weder auf denselben Anspruch noch auf
dieselben Parteien wie das in Italien angestrengte Verfahren beziehe.
III.
6 Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch
im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
7 1. Mit der gegebenen Begründung kann die Beschwerdeentscheidung allerdings
nicht aufrechterhalten werden.
8 a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts betreffen die
vorliegende Klage und das in Italien geführte Verfahren denselben Anspruch
i.S.v. Art. 27 Abs. 1 EuGVVO. Der Begriff „desselben Anspruchs" ist
im Rahmen der EuGVVO autonom und weit auszulegen, um einander
widersprechende Urteile i.S.v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO zu vermeiden. Maßgeblich
ist, ob der Kernpunkt beider Streitigkeiten derselbe ist (vgl. nur
EuGH, 144/86 - Gubisch, Slg 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Rn. 11, 16, 18 f.;
Senat, Beschluss vom 18. September 2013 - V ZB
163/12, WM 2013, 2160 Rn. 7 mwN). So liegt es auch hier. Die
Klage in Italien richtet sich unter anderem auf die Feststellung, dass keine
Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld
bestehe. Mit der vorliegenden Klage soll eben diese Duldung erreicht werden.
Dass es im italienischen Verfahren noch um weitere Feststellungen geht, ist
für die Identität des Streitgegenstands unerheblich. Kernpunkt ist jeweils
die Frage, ob die Klägerin aus der Grundschuld vorgehen darf;
jedenfalls ist der Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits
vollständig vom italienischen Verfahren abgedeckt. Im Übrigen beschränkt
sich der Gegenstand der Klage in Italien nicht auf die Einbeziehung der SRL.
9 b) Unzutreffend ist auch die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, die
beiden Verfahren seien nicht zwischen identischen Parteien anhängig. Die
Identität ist unabhängig von der jeweiligen Parteistellung. Zudem
ist es unschädlich, wenn in einem Verfahren zusätzlich Dritte beteiligt
sind. Das hat lediglich zur Folge, dass sich die Rechtsfolgen des
Art. 27 EuGVVO auf diejenigen Parteien beschränken, zwischen denen mehrere
Verfahren anhängig sind (vgl. EuGH, C-406/92 - Tatry, Slg 1994, I-5439 = ZIP
1995, 943 Rn. 31, 33; Senat, Beschluss vom 18.
September 2013 - V ZB 163/12, aaO, Rn. 9).
10 c) Schließlich verkennt das Beschwerdegericht, dass von einer Aussetzung
nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich nicht unter dem Gesichtspunkt des
Rechtsmissbrauchs abgesehen werden kann (Senat, Beschluss vom 18. September
2013 - V ZB 163/12, aaO, Rn. 11 mwN; vgl. auch
EuGH, Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 - Weber, Rn. 59 f.).
11 2. Der Rechtsbeschwerde bleibt im Ergebnis jedoch deshalb der
Erfolg versagt, weil dies dann nicht gilt, wenn das später angerufene
Gericht nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich zuständig ist (EuGH,
Urteil vom 3. April 2014 - C-438/12 - Weber, Rn. 54 ff.). Dass es sich
hier so verhält, hat der Senat bereits in dem Beschluss vom 18. September
2013 im Einzelnen ausgeführt (V ZB 163/12, WM 2013, Rn. 12 ff.). Entgegen
der Auffassung der Beklagten unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel, dass
auch (Sicherungs-) Grundschulden unter Art. 22 Nr. 1 EuGVVO fallen; § 1192
Abs. 1a BGB ändert daran nichts.
IV.
12 Eine Kostenentscheidung scheidet aus. Sie hat zu unterbleiben, wenn die
Ausgangsentscheidung - wie hier - keine Kostenentscheidung enthalten darf.
Die Kosten des (Rechts-)Beschwerdeverfahren bilden in solchen Fällen einen
Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig von dem Ausgang des
Beschwerdeverfahrens von der in der Hauptsache unterliegenden Partei nach §§
91 ff. ZPO zu tragen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 - II ZB
30/04, NJW-RR 2006, 1289 Rn. 12 mwN).
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