Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) bei
Schädigungsabsicht gegenüber Dritten; Scheingeschäft (§ 117 BGB);
Formbedürftigkeit von Vertragsänderungen von Grundstückskaufverträgen (§
311b I BGB)
BGH, Urteil vom 28. Oktober 2011 - V
ZR 212/10
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Ein Rechtsgeschäft, welches die Parteien in der
Absicht schließen, einen Dritten zu schädigen, erfüllt nicht den Tatbestand
des § 138 Abs. 1 BGB, wenn es für den Dritten objektiv nicht nachteilig ist.
Zentrale Probleme:
Die Sittenwidrigkeit eines
Rechtsgeschäfts kann sich auch daraus ergeben, dass der Sittenverstoß Dritte
oder die Allgemeinheit betrifft. Sittenwidrigkeit setzt dann aber voraus, dass alle an dem Geschäft Beteiligten sittenwidrig
handeln, also die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen
oder sich zumindest ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen (s. dazu
etwa
BGH NJW 2005, 1490 - Radarwarngerät). Hier
war eine Drittschädigung zwar beabsichtigt, aber objektiv nicht eingetreten.
Daher verneint der Senat zutreffend Nichtigkeit nach § 138 BGB (auf die sich
hier gerade einer der Beteiligten berufen hatten, was ansonsten wohl ein
Fall widersprüchlichen Verhaltens wäre:
nemo turpitudinem suam allegans auditur!). Schließlich ergibt sich
Sittenwidrigkeit hier auch nicht wegen der Gläubigerbenachteiligungsabsicht,
da hierfür vorrangig die Anfechtungsregeln des Insolvenzrechts (s. §§ 129 ff
InsO) oder des AnfG (s. § 3 AnfG) gelten.
Daneben beschäftigt sich die Entscheidung mit weiteren ausbildungsrelevanten
Grundfragen, insbesondere den Voraussetzungen eines Scheingeschäfts (§ 117
BGB) und der wichtigen Frage der Formpflicht von nachträglichen Änderungen
von Grundstückskaufverträgen (s. dazu auch
BGHZ
127, 168 sowie
BGH NJW 2001, 1932).
©sl 2011
Tatbestand:
1 Mit notariellem Vertrag vom 18. Dezember 2001
verpflichtete sich der Beklagte, ein Grundstück unentgeltlich an seinen
Sohn, den Kläger, zu übertragen. In dem Vertrag wurde die Auflassung erklärt
sowie die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch bewilligt und beantragt.
Hintergrund des Vertrages war ein - inzwischen abgeschlossenes - Scheidungs-
und Unterhaltsverfahren zwischen dem Beklagten und seiner Ehefrau, in dem
unklar war, ob und inwieweit der Grundbesitz des Beklagten bzw.
Mieteinnahmen hieraus für Zugewinn-und Unterhaltsansprüche von Bedeutung
sein würden.
2 Durch schriftliche Erklärung vom 20. Dezember 2001 widerriefen die
Parteien gegenüber dem Notar den Auftrag zum Vollzug des Vertrages. Sie
wiesen den Notar an, den Vertrag erst auf erneute gemeinsame Weisung hin zu
vollziehen.
3 Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Durchführung des
Übertragungsvertrages. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das
Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen
Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht meint, der Kläger könne die Übertragung des
Grundstücks nicht verlangen, weil der Vertrag vom 18. Dezember 2001 nach §
138 BGB sittenwidrig sei. Die Parteien hätten bewusst zum Nachteil der
Ehefrau des Beklagten zusammengewirkt, um deren Zugewinn- bzw.
Unterhaltsansprüche zu schmälern. Unabhängig davon habe der Kläger auch
deshalb keinen Anspruch auf Vollzug des Übertragungsvertrages, weil dieser
von den Parteien bis zu einer gemeinsamen - bislang nicht erfolgten -
Anweisung an den Notar zurückgestellt worden sei.
II.
5 Die Revision ist begründet.
6 1. Es kann offen bleiben, ob das Berufungsurteil schon deswegen aufgehoben
werden muss, weil den Parteien eine mit der Urschrift übereinstimmende
Fassung des Urteils bislang nicht zugestellt worden ist. Die Abweichungen
zwischen der sich in der Gerichtsakte befindlichen beglaubigten Abschrift
der Urschrift und der von dem Kläger eingereichten - und hier zugrunde
gelegten - Urteilsfassung legen dies allerdings nahe.
7 2. Das Berufungsurteil ist jedenfalls in der Sache von Rechtsfehlern
beeinflusst.
8 a) Zu Unrecht hält das Berufungsgericht den Übertragungsvertrag
vom 18. Dezember 2001 für unwirksam.
9 aa) Richtig ist allerdings, dass der Vertrag nicht als
Scheingeschäft nichtig ist. Ein Scheingeschäft (§ 117 Abs. 1 BGB) setzt
voraus, dass das Vereinbarte nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien
keine Geltung haben soll (Senat, Urteil vom 5. Juli 2002 - V ZR
229/01, NJW-RR 2002, 1527). So liegt es hier nicht. Nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts diente der Vertrag dazu, das
Vermögen des Beklagten um das Grundstück und die Einnahmen daraus zu
verringern, um so die Grundlage für Zugewinn- und Unterhaltsansprüche seiner
Ehefrau zu schmälern. Dieses Ziel konnte nur erreicht werden, wenn das
Grundstück tatsächlich, also nicht nur zum Schein, auf den Kläger übertragen
wurde (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1992 - XII ZR 156/90, NJW-RR 1993, 367).
10 bb) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerhaft ist
jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, der Übertragungsvertrag sei
sittenwidrig. Zwar verstößt ein Vertrag, durch den die
Vertragsparteien einen Dritten bewusst schädigen, gegen die guten Sitten und
ist deshalb nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig (BGH, Urteil vom 18. März
1996 - II ZR 10/95, NJW-RR 1996, 869). Hierzu reicht eine gemeinsame
Schädigungsabsicht (subjektiver Tatbestand) aber nicht aus. Erforderlich ist
außerdem, dass der Vertrag die Rechtsstellung des Dritten tatsächlich
verschlechtert (objektiver Tatbestand). Ein für den Dritten objektiv nicht
nachteiliges Rechtsgeschäft erfüllt den Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB
nicht (vgl. Soergel/Hefermehl, BGB 12. Aufl., § 138 Rn. 29).
11 (1) Feststellungen dazu, ob sich die Grundstücksübertragung auf die
Rechtsstellung der Ehefrau des Beklagten im Scheidungsverfahren auswirken
konnte, sind von dem Berufungsgericht nicht getroffen worden. Hierzu bestand
jedoch Anlass, da es sich keineswegs von selbst versteht, dass eine
Verringerung des Vermögens des Beklagten nachteiligen Einfluss auf die
Zugewinn-und Unterhaltsansprüche seiner Ehefrau haben würde. Zum einen
konnte die Übertragung des Grundstücks den Anspruch nicht schmälern, wenn
der Vertrag zeitlich nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags und damit
nach dem für die Berechnung des Endvermögens der Ehegatten maßgeblichen
Zeitpunkt geschlossen worden sein sollte (§ 1384 BGB). Zum anderen wäre
wegen der Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäfts auch eine frühere
Übertragung für die Berechnung des Zugewinnanspruchs ohne nachteilige Folgen
gewesen. Denn nach § 1375 Abs. 2 Nr. 1 BGB wird dem Endvermögen eines
Ehegatten der Betrag hinzugerechnet, um den dessen Vermögen dadurch
vermindert worden ist, dass er nach Eintritt des Güterstands unentgeltliche
Zuwendungen gemacht hat, durch die er nicht einer sittlichen Pflicht oder
einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen hat. Darüber hinaus
hat der Kläger vorgetragen, dass die Eheleute den Zugewinnausgleich bereits
durch einen notariellen Vertrag vom 25. Juli 2001 (richtig: 25. Juli 2000)
geregelt hatten. Träfe dies zu, wäre die zeitlich später erfolgte
Grundstücksübertragung auch aus diesem Grund nicht geeignet gewesen,
Ansprüche der Ehefrau zu schmälern.
12 Ebenso wenig hat sich das Berufungsgericht mit dem Vortrag des Klägers
befasst, das ihm übertragene und von ihm bewohnte Grundstück habe damals und
in absehbarer Zukunft keine Nettoerträge erbracht, weil mit der von ihm an
den Beklagten gezahlten Miete Kredite bedient worden seien, die für eine
Erweiterung des auf dem Grundstück befindlichen Wohnhauses aufgenommen
worden waren. Erwiese sich dieser Vortrag als richtig, konnte sich der
Übertragungsvertrag auch nicht nachteilig auf die Berechnung eines möglichen
Unterhaltsanspruchs der Ehefrau auswirken.
13 (2) Feststellungen dazu, ob das Rechtsgeschäft der Parteien geeignet war,
sich nachteilig auf die Rechtsstellung der Ehefrau des Beklagten
auszuwirken, erübrigten sich nicht deshalb, weil das Grundstück infolge
einer Übertragung auf den Kläger jedenfalls als Haftungsobjekt für
nacheheliche Ansprüche aus dem Vermögen des Beklagten ausgeschieden wäre.
Ein Rechtsgeschäft, das ein Schuldner in der dem anderen Teil
bekannten Absicht vornimmt, den Vollstreckungszugriff auf sein Vermögen zu
vereiteln oder zu erschweren, ist nämlich nicht nichtig, sondern nur nach
den Bestimmungen über die Gläubigeranfechtung anfechtbar (vgl. § 3
AnfG). Als speziellere Regelungen gehen diese Bestimmungen der Vorschrift
des § 138 BGB grundsätzlich vor (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1971 - II ZR
176/68, BGHZ 56, 339, 355; BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 - IX ZR 81/94, BGHZ
130, 314, 331; BGH, Urteil vom 23. April 2002 - XI ZR 136/01, WM 2002, 1186
Rn. 33 mwN).
14 b) Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig. Die Annahme des Berufungsgerichts, einem Anspruch des Klägers
auf Vollzug des Übertragungsvertrages stehe jedenfalls die
privatschriftliche Vereinbarung vom 20. Dezember 2001 entgegen, ist
ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern.
15 Richtig ist zwar, dass es der Vereinbarung nicht an der
erforderlichen Form mangelt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs bedürfen Änderungen eines Grundstückskaufvertrages, die -
wie hier - der Auflassung zeitlich nachfolgen, nicht der Form des § 311b
Abs. 1 Satz 1 BGB (Senat, Urteil vom 28. September 1984 - V ZR
43/83, NJW 1985, 266 mwN).
16 Die Revision rügt aber zu Recht, dass das Berufungsgericht die bereits
erstinstanzlich unter Beweisantritt aufgestellte Behauptung des Klägers
unberücksichtigt gelassen hat, der Vollzug des Übertragungsvertrages sei nur
für einen absehbaren Zeitraum zurückgestellt worden, nämlich solange, bis
abzusehen war, dass der neu eingerichtete Betrieb des Klägers gut lief und
das Grundstück deshalb nicht aufgrund geschäftlicher Risiken verloren zu
gehen drohte. Dieser in der Berufungsinstanz in Bezug genommene Vortrag des
Klägers ist erheblich. Anders als das Berufungsgericht offenbar meint,
ergibt sich aus der schriftlichen Vereinbarung vom 20. Dezember 2001 nämlich
nicht, dass es im Belieben des Beklagten stehen sollte, ob und wann der
Vertrag vollzogen wird. Deren Inhalt erschöpft sich in dem Widerruf des dem
Notar ursprünglich erteilten Vollzugsauftrags und in der Anweisung an den
Notar, den Vollzug bis zu einer erneuten gemeinsamen Anweisung
zurückzustellen. Darüber, was die Parteien zur Abgabe dieser Erklärungen
bewogen hat bzw. welche - formlos möglichen - Vereinbarungen sie in diesem
Zusammenhang getroffen haben, verhält sich die Urkunde nicht; sie steht
daher nicht in Widerspruch zu der von dem Kläger aufgestellten Behauptung.
III.
17 Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist
aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Dieses
wird zunächst klären müssen, ob den Parteien bislang nur ein Urteilsentwurf
zugestellt worden ist.
18 In der Sache ist die Frage, ob der Übertragungsvertrag gegen die guten
Sitten verstößt, erneut zu prüfen. Zu einer Unwirksamkeit des Vertrages
könnte ferner die von dem Beklagten der Sache nach behauptete Treuhandabrede
führen. Ging die ursprüngliche Vereinbarung der Parteien dahin, dass der
Kläger das Grundstück nach Abschluss des Scheidungsverfahrens des Beklagten
an diesen zurückübertragen sollte, hätte diese Abrede, weil sie mit dem
Kaufvertrag untrennbar verknüpft war, mitbeurkundet werden müssen (§ 313
Satz 1 BGB aF; vgl. Senat, Urteil vom 9. Juli 1993 - V ZR 144/91, NJW-RR
1993, 1421). Darlegungs- und beweispflichtig für eine entsprechende Abrede
ist der Beklagte.
19 Sollte sich der Vertrag als wirksam erweisen, muss der Behauptung des
Klägers nachgegangen werden, dass dessen Vollzug nach einer zwischen den
Parteien getroffenen Vereinbarung nur solange zurückgestellt werden sollte,
wie bei dem Kläger die Gefahr eines Verlusts des Grundstücks infolge
geschäftlicher Risiken bestand, und dass diese Gefahr heute nicht mehr
gegeben
ist.
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