Voraussetzungen des "wucherähnlichen
Rechtsgeschäfts" (§ 138 Abs. 1 BGB); Anforderungen an die Behauptungslast
BGH, Urteil vom 24. Januar 2014 - V
ZR 249/12 - OLG München
Fundstelle:
NJW 2014, 1652
Amtl. Leitsatz:
Ein besonders grobes
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das ohne das Hinzutreten
weiterer Umstände den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des
Begünstigten erlaubt, liegt bei Grundstückskaufverträgen grundsätzlich erst
ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90% vor.
Zentrale Probleme:
Es geht um die Voraussetzungen des "wucherähnlichen
Rechtsgeschäfts" (s. dazu bereits
BGH NJW 2002, 55, die Anm. zu
BGH NJW 2000, 1254
sowie zu BGH v. 10.2.2012
- V ZR 51/11): Wucher" ist nach § 138 II BGB
definiert als ein Rechtsgeschäft, bei welchem sich "jemand unter Ausbeutung
der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der
erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine
Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem
auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen." Daraus ergibt sich, dass
das auffällige Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung alleine noch
nicht für eine Nichtigkeit nach § 138 II BGB ausreicht. Auch für eine
Nichtigkeit nach § 138 I BGB genügt dies alleine noch nicht, weil die
zusätzlichen Kriterien in § 138 II BGB sonst unterlaufen würden. Eine
Nichtigkeit nach § 138 I BGB kommt dann aber in Form des sog.
"wucherähnlichen Geschäfts in Betracht. Nach der Rspr. des BGH genügt aber
für das Vorliegen eines solchen wucherähnlichen Geschäfts nicht alleine das
extreme Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sondern es muss
in subjektiver Hinsicht eine verwerfliche Gesinnung oder das Ausnutzen einer
Machtposition hinzutreten. Regelmäßig wird ein "extremes Missverhältnis"
dann angenommen, wenn der Wert der Leistung annähernd doppelt so hoch ist
wie derjenige der Gegenleistung. Die verwerfliche Gesinnung wird von der
Rechtsprechung in diesen Fällen vermutet. Das bedeutet aber nicht, dass sie
nicht behauptet werden muss. Hierdurch grenzt sich eine "tatsächliche"
Vermutung von einer gesetzlichen Vermutung ab. Hier ging es nun um die
Frage, welche Anforderungen an diese Behauptung zu stellen sind.
©sl 2014
Tatbestand:
1 Der Kläger gab am 20. Oktober 2006
gegenüber dem Beklagten ein notariell beurkundetes Angebot zum Kauf einer
Eigentumswohnung nebst Tiefgaragenstellplatz für 118.000 € ab. Der Beklagte,
der die Wohnung zwei Monate zuvor für 53.000 € erworben hatte, nahm das
Angebot mit notarieller Urkunde vom 14. November 2006 an. Unter Berufung auf
eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises nimmt der Kläger den Beklagten
auf Rückabwicklung des Vertrages und auf Schadenersatz in Anspruch. Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat
das Oberlandesgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der
Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
2 Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der zwischen den Parteien
geschlossene Kaufvertrag nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Zwar sei
angesichts des tatsächlichen Wertes der Wohnung in Höhe von 65.000 € die von
dem Kläger erbrachte Leistung von 118.000 € knapp doppelt so hoch wie der
Wert der Gegenleistung, so dass ein besonders grobes Missverhältnis zwischen
Leistung und Gegenleistung bestehe. Der Kläger habe aber nicht hinreichend
zu den subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB vorgetragen. Seine
Ausführungen zu einer verwerflichen Gesinnung des Beklagten seien rein
spekulativ.
II.
3 Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4 Ausgehend von einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung nimmt das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft an, der Kläger
habe zu den subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB nicht
ausreichend vorgetragen.
5 1. Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches
Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung
und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem
mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei
Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig
erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche
Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss
auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (Senat,
Urteile vom 19. Januar 2001 - V ZR
437/99, BGHZ 146, 298, 301 ff.;
vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08,
NJW 2010, 363 Rn. 12; vom 25. Februar 2011 - V ZR 208/09,
NJW-RR 2011, 880 Rn. 13).
6 2. Die bei Vorliegen eines besonders groben Missverhältnisses zwischen
Leistung und Gegenleistung bestehende Vermutung für das Vorliegen einer
verwerflichen Gesinnung befreit die nachteilig betroffene Vertragspartei
zwar nicht von der Behauptungslast für das Vorliegen des subjektiven
Merkmals eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts. An ihren Vortrag sind aber
keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss die verwerfliche
Gesinnung der anderen Vertragspartei nicht ausdrücklich behaupten; es
genügt, wenn aus dem Kontext mit dem Vortrag zu einem groben objektiven
Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ersichtlich ist, dass sich die
davon benachteiligte Vertragspartei auf die daraus begründete Vermutung
einer verwerflichen Gesinnung der anderen Vertragspartei beruft (Senat,
Urteil vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW 2010, 363 Rn. 19;
Urteil vom 10. Februar 2012 - V ZR
51/11, NJW 2012, 1570 Rn. 9). Das Berufungsgericht geht
zwar von diesen Grundsätzen aus, missversteht die Rechtsprechung des Senats
aber, wenn es meint, der Vortrag des Klägers genüge diesen Anforderungen
nicht. Daran kann es beispielsweise dann fehlen, wenn die Klage auf einen
Beratungsfehler gestützt und lediglich in diesem Zusammenhang ein
Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Wert behauptet wird (vgl. dazu
Senat, Urteil vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW
2010, 363 Rn. 11 ff.). Ist die Klage dagegen auf § 138 BGB
gestützt und wird insoweit ein grobes Missverhältnis behauptet, gibt der
Kläger damit zu erkennen, dass er sich auf die tatsächliche Vermutung
stützen will (Urteil vom 10. Februar 2012 -
V ZR 51/11, NJW 2012, 1570 Rn. 9). So ist es hier. Der Kläger hat seine
Klage mit der Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages begründet. Darüber hinaus
hat er sich unter Hinweis auf die einschlägige Senatsrechtsprechung
ausdrücklich auf die durch ein grobes objektives Missverhältnis von Leistung
und Gegenleistung begründete Vermutung einer verwerflichen Gesinnung der
anderen Vertragspartei berufen. Eines weitergehenden Sachvortrages bedurfte
es nicht.
III.
7 Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben
und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit auf der Grundlage der bisherigen
Feststellungen nicht entscheidungsreif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz
1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
8 1. Von einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung kann bei Grundstücksgeschäften erst ausgegangen werden, wenn
der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der
Gegenleistung (Senat, Urteil vom 19. Januar
2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 302). Dies ist bei den von dem
Berufungsgericht zugrunde gelegten Wertverhältnissen von 118.000 € zu 65.000
€ nicht der Fall. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben sich
bei Grundstücksgeschäften für die Bestimmung eines besonders groben
Missverhältnisses prozentuale Richtwerte durchgesetzt. Danach kann die hier
vorliegende Überteuerung von rund 80% für sich allein die Annahme eines
besonders groben Missverhältnisses nicht begründen; auch ein
Wertmissverhältnis von 84 % genügte nicht (vgl. BGH, Urteile vom 10.
Dezember 2013 - XI ZR 508/12, WM 2014, 124 Rn. 24; vom 20. Mai 2003 - XI ZR
248/02, NJW 2003, 2529, 2530; vom 18. März 2003 - XI ZR 188/02, NJW 2003,
1088, 2090; Senat, vom 10. Februar 2012 - V ZR 51/11,
NJW 2012, 1570 Rn. 15). Ausgehend von dem für die Annahme eines
besonders groben Äquivalenzmissverhältnisses bestehenden Erfordernis, dass
der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der
Gegenleistung, ist diese Voraussetzung grundsätzlich erst ab einer
Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90% erfüllt.
9 2. Das Berufungsgericht ist - aus seiner Sicht folgerichtig - den von dem
Kläger unter Hinweis auf das nachträglich eingeholte Privatgutachten, das
den Verkehrswert der Wohnung auf 61.000 € schätzt und damit zu einer für die
Annahme eines besonders groben Missverhältnisses ausreichenden Überteuerung
von 93 % gelangt, erhobenen Einwendungen gegen die in dem Gerichtsgutachten
vorgenommene Wertfeststellung nicht nachgegangen. Dies wird es nachzuholen
haben. Die auf das Gutachten gestützten Einwendungen des Klägers sind nicht
als verspätet zurückzuweisen (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO); der Kläger war nicht
gehalten, zur Erhebung fachlich fundierter Einwendungen gegen das
gerichtliche Gutachten bereits in erster Instanz einen privaten
Sachverständigen zu beauftragen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2006
- VII ZR 279/05, NJW 2007, 1531, 1532).
10 3. Sollte der Leistungsaustausch der Parteien auch unter
Berücksichtigung der Einwendungen des Klägers gegen das Gerichtsgutachten
außerhalb des Bereichs eines besonders groben Missverhältnisses bleiben,
kann allein aus dem Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht der
Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Beklagten gezogen werden.
Allerdings kann das hier bestehende jedenfalls auffällige Missverhältnis von
Leistung und Gegenleistung im Zusammenhang mit weiteren Umständen die
Sittenwidrigkeit begründen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine
verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist (Senat,
Urteile vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 301 ff.; vom 27.
Juni 2008 - V ZR 83/07, WM 2008, 1703 Rn. 15; vom 25. Februar 2011 - V ZR
208/09, NJW-RR 2011, 880 Rn. 13). Die Behauptungs- und
Darlegungslast trifft insoweit den Kläger, ohne dass er sich zur Darlegung
des subjektiven Tatbestandes des § 138 Abs. 1 BGB auf die tatsächliche
Vermutung einer verwerflichen Gesinnung stützen kann.
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