IPR: Wirksamkeit einer im Ausland im Wege der
Stellvertretung geschlossenen Ehe (sog. "Handschuhehe"); Abgrenzung zwischen
Vertretung im Willen und Vertretung in der Erklärung; Qualifikation als
Formfrage (Art. 11 EGBGB); (kein) Verstoß gegen den ordre public (Art. 6
EGBGB)
BGH, Beschluss vom 29. September 2021 - XII ZB 309/21 -
OLG Jena
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Kollisionsrechtlich ist eine Eheschließung
durch einen Vertreter nur dann als reine Formfrage zu qualifizieren, wenn es
sich um eine Stellvertretung lediglich in der Erklärung handelt, bei der der
Vollmachtgeber die Eheschließung sowie den konkreten Ehepartner nach eigenem
Willen bestimmt hat. Demgegenüber würde eine Stellvertretung im Willen, die
dem Vertreter eine eigene Entschei-dungsbefugnis bezüglich der Eheschließung
oder der Wahl des Ehepartners einräumt, auch die materiellen Voraussetzungen
der Eheschließung berühren und wäre nach dem für Deutsche geltenden
Heimatrecht unzulässig. b) Die Eheschließung im Ausland im Wege
doppelter Stellvertretung verstößt nicht gegen den deutschen ordre public.
Zentrale Probleme:
Ein Klassikerproblem des internationalen Eherechts,
wunderbar und aktuell erläutert: die sog. "Handschuhehe" (Eheschließung durch
Stellvertretung, zur Geschichte s.
hier).. Die Problematik kann sich in mehrfacher
Hinsicht stellen. Schließt etwa ein deutscher Staatsangehöriger im Ausland
eine solche Ehe durch Stellvertreter in einem Staat, der die "Handschuhehe"
zulässt, stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine Stellvertretung im
Willen oder in der Form handelt. Handelt es sich um eine Stellvertretung "im
Willen", d.h. hat der Vertreter einen eigenen Entscheidungsspielraum, ist
das Rechtsinstitut materiellrechtlich zu qualifizieren, d.h. die
Zulässigkeit unterliegt gem. Art. 13 I EGBGB dem Heimatrecht des jeweiligen
Verlobten. Da das deutsche Recht eine solche Stellvertretung nicht zulässt
(§ 1311 S. 1 BGB), wäre die Eheschließung unwirksam. Wenn es sich aber nur
um eine Frage der Eheschließungsform handelt, ist nach Art. 11 I, III EGBGB
u.a. das Recht des Ortes der Eheschließung anwendbar. Dann kann auch ein
deutscher Staatsangehöriger eine solche "Handschuhehe" eingehen (s. dazu
schon
BGHZ 29, 137). Im
Inland kann eine solche Handschuhehe keinesfalls geschlossen werden, da Art.
13 IV S. 1 EGBGB dafür zwingend die Inlandsform vorschreibt, die gem. § 1311 BGB
die gleichzeitige Anwesenheit der Verlobten erfordert.
Hier stellte sich die Frage im Kontext des ordre public (Art. 6 EGBGB) im
Rahmen der (materiellrechtlichen) Anerkennung (= Wirksamkeitskontrolle nach
Art. 13 EGBGB) einer im Ausland unter Beteiligung einer Deutschen
geschlossenen Ehe. Einer Stellvertretung "im Willen" (also etwa eine
Zwangsehe) würde im Inland nach Art. 6 EGBGB die Anerkennung versagt, bei
einer bloßen Stellvertretung in der Form ist dies nicht der Fall.
©sl 2022
Gründe:
A. 1 Die Beteiligte zu 1, die deutsche Staatsangehörige
ist, und der Beteiligte zu 2, der die syrische
Staatsangehörigkeit besitzt, haben beim Standesamt die Beurkundung
einer Erklärung zur Bestimmung des Ehenamens nach Eheschließung beantragt.
Hierzu legten sie eine Heiratsurkunde der Registrierungsbehörde des
Mexikanischen Bundesstaats Baja California Sur, versehen mit
einer Apostille, einem Auszug aus dem Heiratsregister und einer Vereinbarung
über die Gütertrennung vor. Die Ehe war in Mexiko in Abwesenheit der
Beteiligten zu 1 und 2 durch zwei dort ansässige, den Beteiligten zu 1 und 2
persönlich nicht bekannte Vertreter geschlossen worden, denen sie
zuvor jeweils eine von einem Notar in Deutschland beglaubigte
„Sondervollmacht“ in englischer und in spanischer Sprache erteilt hatten,
sie bei „der Ausführung eines Ehevertrages“ mit dem jeweils namentlich
benannten anderen zu vertreten. Die Vollmachten tragen außerdem die
beglaubigten Unterschriften von jeweils zwei anwesenden Zeugen.
2 Auf
die Zweifelsvorlage des Standesamts (Beteiligter zu 3) hat das Amtsgericht
es angewiesen, die beantragte Beurkundung nicht vorzunehmen. Auf
die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 hat das Oberlandesgericht die
Entscheidung abgeändert und das Standesamt angewiesen, die beantragte
Beurkundung vorzunehmen. Hiergegen richten sich die zugelassene
Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 5 als obere Standesamtsaufsicht und das
als „Anschlussbeschwerde“ bezeichnete Rechtsmittel der Beteiligten zu 4 als
untere Standesamtsaufsicht.
B.
3 Das Rechtsmittel der
Beteiligten zu 4 ist als unzulässig zu verwerfen. Die Rechtsbeschwerde der
Beteiligten zu 5 ist nach § 70 Abs. 1 FamFG iVm §§ 51, 53 Abs. 2 PStG
zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
I.
4 Das von
der Beteiligten zu 4 als „Anschlussbeschwerde“ bezeichnete Rechtsmittel ist
als selbständige Rechtsbeschwerde unzulässig, da sie entgegen § 71 Abs. 1
FamFG nicht innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des
Beschlusses eingelegt worden ist.
5 Das Rechtsmittel ist auch nicht
als Anschlussrechtsbeschwerde gemäß § 73 FamFG zulässig. In Verfahren der
freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels
(§§ 66, 73 FamFG) mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn
mit der Anschließung (lediglich) das gleiche Ziel wie mit dem
Hauptrechtsmittel verfolgt werden soll (Senatsbeschluss vom 12. Februar 2014
- XII ZB 706/12 - FamRZ 2014, 827 Rn. 8 f.). So liegt der Fall hier, da die
Beteiligte zu 4, noch dazu ohne jegliche eigenständige Begründung, lediglich
das zuvor von der Beteiligten zu 5 zulässig eingelegte Rechtsmittel
unterstützen will.
II.
6 Die Rechtsbeschwerde der
Beteiligten zu 5 ist unbegründet.
7 1. Das Oberlandesgericht
hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Beteiligten zu 1 und 2
hätten die Ehe im mexikanischen Bundesstaat wirksam geschlossen.
Eine wirksame Eheschließung setze nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB voraus,
dass die Formerfordernisse des Rechts des Staates erfüllt seien, in dem die
Eheschließung vorgenommen wurde. Maßgeblich sei, auch wenn die Eheschließung
durch Stellvertreter erfolge, der Ort der Trauungshandlung. Nach dem
Ortsrecht sei eine Eheschließung durch Sonderbevollmächtigte zulässig, wobei
auch das Auftreten von Stellvertretern für beide Ehegatten gestattet sei. Soweit
Zweifel an der Einhaltung sonstiger Formerfordernisse des Ortsrechts
bestünden, komme es darauf nicht an, weil dies nach den Bestimmungen des
Ortsrechts nicht zur Unwirksamkeit der Eheschließung führe, solange nicht
ein vollstreckbares Urteil die Nichtigkeit der Ehe feststelle.
8
Der Anerkennung der Ehe im Inland stehe auch nicht der deutsche
ordre public (Art. 6 EGBGB) entgegen. Schon durch die in Art. 11
Abs. 1 Alt. 2 EGBGB vorgesehene Anknüpfung an die Ortsform gebe das Gesetz
zu erkennen, dass ihm an der Wirksamkeit des Geschäfts im Allgemeinen mehr
liege als an der Einhaltung deutscher Formvorschriften. Eine
Nichtanerkennung der Ortsform bleibe daher auch unter dem Gesichtspunkt der
Gesetzesumgehung außer Betracht, wenn der Abschlussort gerade wegen der
Formerleichterung oder aus Kostengründen ins Ausland verlegt wurde.
Ohne Hinzutreten besonderer Umstände gälte dies auch für die
sogenannte Handschuhehe, zumal der Gesetzgeber für die Eheschließung -
anders als für dingliche Rechtsgeschäfte (Art. 11 Abs. 4 EGBGB) - keine
Ausnahme normiert habe. Ein Fall der Vertretung im Willen,
bei der dem Vertreter die Entscheidung über die Eheschließung oder über die
Auswahl des Ehepartners überlassen worden sei, liege nicht vor, sondern
nur eine Vertretung in der Abgabe der Erklärung. Daran ändere auch
nichts, dass die von den Beteiligten zu 1 und 2 bevollmächtigten Vertreter
mangels vorliegender Kontaktdaten nicht mehr hätten erreicht werden können,
um im Falle einer Meinungsänderung die Vollmacht später noch zu widerrufen,
da keiner der Beteiligten zu 1 und 2 geltend mache, nach der
Vollmachterteilung Abstand von der Eheschließung hätte nehmen zu wollen.
Anhaltspunkte dafür, dass die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung
nach dem jeweiligen Heimatrecht der Beteiligten zu 1 und 2 nicht vorgelegen
hätten, bestünden nicht. Das Standesamt habe daher deren Erklärung
betreffend die Bestimmung ihres Ehenamens zu beurkunden.
9 2. Dies
hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
10 Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 PStG kann die Erklärung, durch die Ehegatten nach der Eheschließung
einen Ehenamen bestimmen, von den Standesbeamten beglaubigt oder beurkundet
werden. Zu Recht hat das Oberlandesgericht die hierfür maßgebliche
Voraussetzung bejaht, dass die Beteiligten zu 1 und 2 im Mexikanischen
Bundesstaat Baja California Sur eine Ehe nach dortigem Ortsrecht formgültig
geschlossen haben und diese im Inland anzuerkennen ist.
11
a) Zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass Bedenken
gegen die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen, welche gemäß
Art. 13 Abs. 1 EGBGB für jeden Verlobten nach seinem jeweiligen
Heimatrecht vorliegen müssen, nicht bestehen. Sie ergeben sich
insbesondere nicht aus dem Umstand der Stellvertretung bei der
Eheschließung, denn dies betrifft hier nur die nach Art. 11 EGBGB
anzuknüpfende Formgültigkeit des Rechtsgeschäfts.
12
Allerdings ist eine Eheschließung durch einen Vertreter nur dann als
reine Formfrage und nicht auch als Frage der Eheschließungsvoraussetzung zu
qualifizieren, wenn es sich um eine Stellvertretung lediglich in der
Erklärung handelt, bei der der Vollmachtgeber die Eheschließung sowie den
konkreten Ehepartner nach eigenem Willen bestimmt hat. Demgegenüber würde
eine Stellvertretung im Willen, die dem Vertreter eine eigene
Entscheidungsbefugnis bezüglich der Eheschließung oder der Wahl des
Ehepartners einräumt, auch die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung
berühren. Denn das materielle Gebot des deutschen Rechts, den Willen zur
Eingehung der Ehe höchstpersönlich zu erklären (§ 1311 BGB), hat insoweit
zweiseitigen Charakter (BeckOGK/Rentsch EGBGB [Stand: 1. Juni 2020]
Art. 13 Rn. 70 ff.; vgl. auch bereits
BGHZ 29,
137 = FamRZ 1959, 143). Eine Stellvertretung im Willen wäre
keine reine Formfrage, sondern ein Element des materiellen Ehewillens. Sie
unterfiele deshalb der Anknüpfung nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB und wäre nach
dem für Deutsche geltenden Heimatrecht unzulässig (BayObLGZ 2000,
335, 338; KGR Berlin 2004, 326, 327; Staudinger/Mankowski, Art. 13 EGBGB Rn.
219; MünchKommBGB/Coester 8. Aufl. Art. 13 EGBGB Rn. 46; Henrich
Internationales Familienrecht 2. Aufl. § 1 III 4). Nach den
getroffenen Feststellungen liegt eine Stellvertretung im Willen hier jedoch
nicht vor, da die Vollmachten jeweils nur eine Eheschließung zwischen den
Beteiligten zu 1 und 2 als vorher festgelegte Personen ermöglichten.
13 b) Nachdem ebenso keine Zweifel daran bestehen, dass die in
Mexiko aufgetretenen Vertreter übereinstimmende, auf Eingehung der Ehe
gerichtete Erklärungen im Namen der Beteiligten zu 1 und 2 abgegeben haben,
kommt es für die Wirksamkeit der so geschlossenen Ehe nur noch darauf an, ob
die gesetzlichen Formerfordernisse eingehalten sind und, soweit diese sich
nach ausländischem Recht richten, deren Anerkennung nicht der deutsche ordre
public entgegensteht.
14 c) Gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein
Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf
das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des
Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird.
Wird der
Vertrag durch einen Vertreter geschlossen, so ist gemäß Art. 11 Abs. 3 EGBGB
bei Anwendung des Absatzes 1 der Staat maßgebend, in dem sich der Vertreter
befindet. Im Falle einer Eheschließung ist dies, sofern die Ehe durch
Stellvertreter geschlossen wird, der Ort der Trauungshandlung (BGHZ
29, 137 = FamRZ 1959, 143, 145 f.).
15 Auf Grundlage einer
Anknüpfung an den Ort der Trauungshandlung ist das Oberlandesgericht zu
Recht davon ausgegangen, dass sich die Formgültigkeit der in Los Cabos
erfolgten Eheschließung nach dem Recht des Mexikanischen Bundesstaats Baja
California Sur richtet.
16 Nach den im Freibeweis (vgl.
Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 337/15 - FamRZ 2017, 1209 Rn. 14)
getroffenen und von der Rechtsbeschwerde nicht substanziiert angegriffenen
Feststellungen zum Inhalt des die Verweisung annehmenden
ausländischen Rechts ist durch Art. 47 des insoweit maßgeblichen Código
Civil Para El Estado Libre Y Soberano de Baja California Sur (CCBSC) eine
Eheschließung durch Sonderbevollmächtigte zugelassen. Dies schließt nach den
getroffenen Feststellungen auch eine doppelte Stellvertretung nicht aus.
17 Soweit Zweifel an der Einhaltung sonstiger
Formerfordernisse des Ortsrechts vorgebracht worden sind, ist das
Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sich auch die Folgen
solcher etwaigen Formverstöße (Formverletzungsstatut) gemäß Art. 11 Abs. 1
Alt. 2 EGBGB nach dem jeweiligen Ortsrecht beurteilen (vgl. bereits
RGZ 133, 161, 165 f.; OLG Bremen FamRZ 1975, 209, 211; MünchKommBGB/Coester
8. Aufl. Art. 13 EGBGB Rn. 157). Insoweit hat es festgestellt, dass
nach dem Recht des Mexikanischen Bundesstaats Baja California Sur eine der
deutschen Rechtordnung vergleichbare Rechtslage besteht, die im Falle
sonstiger Formverstöße keine Nichtehe von Gesetzes wegen vorsieht, sondern
allenfalls eine Aufhebbarkeit der Ehe oder Nichtigerklärung
per Gerichtverfahren. Die Ehe ist somit als nach ausländischem Recht
formwirksam geschlossen anzusehen, solange sie nicht durch ein Gericht
aufgehoben oder für nichtig erklärt wird.
18 d)
Ebenfalls zutreffend hat das Oberlandesgericht erkannt, dass auch
Gesichtspunkte des kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB) der
Anerkennung der von den Beteiligten zu 1 und 2 geschlossenen Ehe im Inland
nicht entgegenstehen.
19 aa) Insoweit ist nicht zu prüfen,
ob eine Eheschließung im Wege der doppelten Stellvertretung gemessen an Art.
6 Abs. 1 GG allgemeinen Bedenken unterläge. Vielmehr kommt es nur
darauf an, ob die Anwendung fremden Rechts im Einzelfall mit wesentlichen
Grundsätzen des deutschen Rechts, wozu insbesondere die Grundrechte gehören,
unvereinbar ist (Senatsbeschluss vom 21. April 1993 - XII ZB 96/92
- FamRZ 1993, 1053, 1054). Dieses ist hier nicht der Fall, zumal der
Gesetzgeber die Wirksamkeit von nach fremdem Ortsrecht geschlossenen Ehen
sowohl bei den Beratungen zur Ursprungsfassung der Art. 11 und 13 EGBGB als
auch bei den Beratungen zur IPR-Reform 1986 bewusst in seinen Willen
aufgenommen hat.
20 (1) Zum Formstatut war von der Ersten Kommission
im Anschluss an die veröffentlichten Motive zum Internationalen Privatrecht
folgende Entwurfsfassung vorgelegt worden (IPR § 9): „Die Form eines
Rechtsgeschäftes bestimmt sich nach den Gesetzen, welche für das den
Gegenstand des Rechtsgeschäftes bildende Rechtsverhältnis maßgebend sind. Es
genügt jedoch, wenn die Form den Gesetzen des Ortes entspricht, an welchem
das Rechtsgeschäft vorgenommen worden ist.“ (Protokolle I S. 11492 ff.,
zitiert nach Jakobs/Schubert Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs Bd.
I S. 217).
21 Abweichend vom allgemeinen Formstatut sah der Entwurf
für die Form der Eheschließung eine Sonderanknüpfung ausschließlich an das
Ortsrecht vor (IPR § 16 Abs. 2): „Die Form der Eheschließung bestimmt sich
ausschließlich nach den Gesetzen des Ortes, an welchem die Ehe geschlossen
wird“ (Protokolle I S. 11517, zitiert nach Jakobs/Schubert Die Beratungen
des Bürgerlichen Gesetzbuchs Bd. I S. 226).
22 (2) Die zweite
Kommission beriet sich in Bezug auf das allgemeine Formstatut dahin, dass
gewisse Formvorschriften des inländischen Rechts als absolut bindende
behandelt werden müssten (Protokolle II S. 8221 f., zitiert nach Mugdan Die
gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bd. I S.
273). Vorgeschlagen war, der Sekundäranknüpfung an das Ortsrecht (Satz 2 der
Vorschrift) einen einschränkenden Vorbehalt „sofern nicht das nach Satz 1
maßgebende Recht entgegensteht“ beizufügen. Die zweite Kommission trat
diesem Änderungsvorschlag bei. Es solle den Bedenken, welche sich aus einer
unbegrenzten Geltung des Satzes „locus regit actum“ entgegenstellten, durch
den Hinweis begegnet werden, dass der Richter immer festzustellen habe, ob
nicht nach dem Sinn und Zweck der Formvorschriften des inländischen Rechts
die Zulassung der fremden Norm ausgeschlossen sei (Protokolle II S. 8224 f.,
zitiert nach Mugdan Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bd.
I S. 274 f.).
23 Demgegenüber wurde in Bezug auf die Sonderanknüpfung
für Eheschließung keine Änderung vorgeschlagen, insbesondere nicht auch hier
ein Vorbehalt für die Einhaltung bestimmter Mindestanforderungen gefordert
(Protokolle II S. 8241 ff., zitiert nach Mugdan Die gesamten Materialien zum
Bürgerlichen Gesetzbuch Bd. I S. 280 ff.).
24 (3) Im Zuge der weiteren
Gesetzesberatungen wurde der von der Zweiten Kommission für das allgemeine
Formstatut eingefügte Vorbehalt „sofern nicht diese Gesetze entgegenstehen“
wieder gestrichen. Die ursprünglich vorgesehene Sonderanknüpfung eines
Formstatuts für Eheschließung wurde dahin abgeändert, dass nur noch die
Eheschließung im Inland geregelt und für sie die Einhaltung der hier
vorgeschriebenen Form zwingend vorgeschrieben wurde (vgl. Art. 11 Abs. 1
Satz 2, Art. 13 Abs. 3 EGBGB a.F.).
25 In der so beschlossenen Endfassung
wurden die Regelungen von Anbeginn dahin verstanden, dass sich die Form der
im Ausland zu schließenden Ehe nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB bestimme, und
deshalb Deutsche eine Ehe im Ausland auch in der nach den dortigen Gesetzen
vorgeschriebenen Form schließen könnten (vgl. Planck BGB 1. und 2. Aufl.
[1900] Art. 13 EGBGB Anm. 5 c; Staudinger/Wagner BGB 1. Aufl. [1900] Art. 13
EGBGB Anm. 7).
26 (4) Mit der IPR-Reform 1986 wurde Art. 11
EGBGB um weitere Absätze ergänzt und der Absatz 1 wie folgt neu gefasst:
„Ein Rechtsgeschäft ist formgültig, wenn es die Formerfordernisse des
Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden
ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird.“
27
Die geänderte Vorschrift des Art. 11 EGBGB 1986 stützt sich im Wesentlichen
auf eine Inkorporation von Art. 9 des Übereinkommens von Rom über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 -
Europäisches Schuldvertragsübereinkommen, EVÜ 1986, BGBl. II S. 809 -
(vgl. Staudinger/Winkler von Mohrenfels [Neubearbeitung 2019] Art. 11
EGBGB Rn. 15 f., 19). Hierzu war im Gesetzgebungsverfahren kritisiert
worden, dass der Regierungsentwurf die Regelung des Art. 9 EVÜ nicht nur
innerhalb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens inkorporiere, sondern
zugleich verallgemeinere und auf Rechtsgeschäfte erstrecke, die nach Art. 1
Abs. 2 EVÜ vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen und auf die
sie nicht zugeschnitten seien. Insbesondere eine Erstreckung der
schuldrechtlich motivierten Regelungen auf das Familienrecht (Eheschließung,
Güterverträge) sei zweifelhaft (vgl. Stellungnahme des Max-Planck-Instituts
für ausländisches und internationales Privatrecht zum Regierungsentwurf von
1983, RabelsZ 47 [1983], 595, 618). Die so geäußerte Kritik hat der
Gesetzgeber indessen nicht zum Anlass für eine Beschränkung des
Anwendungsbereichs des geänderten Art. 11 EGBGB, insbesondere nicht für eine
familienrechtliche Bereichsausnahme, genommen oder die Anwendung auf das
Familienrecht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht.
28
Im Hinblick
auf die Form der Eheschließung ging der Gesetzgeber in Übereinstimmung auch
mit der inzwischen ergangenen Rechtsprechung (vgl. RGZ 88, 191; BGHZ 29, 137
= FamRZ 1959, 143, 146) weiterhin davon aus, dass eine in
einem anderen Staat geschlossene Ehe für den deutschen Rechtsbereich
formgültig ist, wenn die Form entweder dem Personalstatut jedes Verlobten
oder den Formvorschriften des Ortes der Eheschließung entspricht, Deutsche
somit im Ausland in der jeweils zugelassenen Ortsform heiraten können
(BT-Drucks. 10/504 S. 53).
29 (5) Inzwischen ist das
allgemeine
Schuldvertragsrecht durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Abl. EU L 177 S. 6, Abl. EU ber. L
309 S. 87; Rom I-VO) geregelt und dadurch weithin aus dem
Anwendungsbereich des Art. 11 EGBGB herausgefallen, so dass die
Eheschließung im Ausland nunmehr einen Hauptanwendungsbereich der autonomen
Kollisionsregel des Art. 11 EGBGB darstellt. Auch diesen Umstand hat der
Gesetzgeber indessen nicht zum Anlass für eine Gesetzesanpassung genommen.
30 (6) Im Zuge der
Beratungen des Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren
Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts-
und asylrechtlicher Vorschriften hat der Gesetzgeber selbst in jüngerer Zeit
noch gesondert in den Blick genommen, dass ein Verstoß der sogenannten
Handschuhehe gegen den ordre public in der Rechtsprechung deutscher Gerichte
verneint werde (BT-Drucks. 17/4401 S. 18). Der Bundesrat hatte hieraus seine
Bitte abgeleitet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen,
dass eine Anerkennung von Handschuhehen durch Änderung
des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ausgeschlossen
werde (BT-Drucks. 17/4401 S. 17). Zu der angeregten Gesetzesänderung kam es
indessen nicht; vielmehr hat es der Gesetzgeber insoweit bei der bisherigen
Regelung belassen, auch für Verlobte mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland.
31 bb) Soweit die Rechtsbeschwerde einen ordre-public-Verstoß darin
sieht, dass Art. 6 Abs. 1 GG für die wirksame Begründung der Ehe zwingend
die Abhaltung einer förmlichen Zeremonie voraussetze, findet dies keine
rechtliche Stütze und überhöht die Bedeutung der Zeremonie. Zwar wird der
Eintritt der Ehe in vielen - aber nicht allen - Gesellschaften durch Riten,
besondere Feierlichkeiten, Zuziehung von Zeugen und Urkundspersonen im
Bewusstsein der Gemeinschaft festgehalten. Der äußere Rahmen, in dem der
Konsens der Verlobten nach Gesetz und Sitte erklärt wird, ändert aber nichts
daran, dass der übereinstimmend erklärte Wille das wesentliche Element der
Eheschließung geblieben ist (BGHZ 29, 137 = FamRZ 1959, 143, 144 f.).
Auch
der verfassungsrechtliche Ehebegriff engt dieses keinesfalls ein.
Umso
weniger verstößt die kollisionsrechtliche Anerkennung von nach ausländischem
Ortsrecht ohne förmliche Zeremonie geschlossenen Ehen gegen wesentliche
Grundsätze des deutschen Rechts, zumal dadurch - mit verfassungsrechtlich
legitimer Zielsetzung - sowohl ausländische Rechtstraditionen geachtet als
auch hinkende Ehen und Familienverhältnisse vermieden werden (zu Letzterem
ebenfalls bereits BT-Drucks. 10/504 S. 53).
32 cc) Schließlich genügte für
einen Verstoß gegen den kollisionsrechtlichen ordre public gemäß Art. 6
EGBGB nicht die abstrakte Unvereinbarkeit der ausländischen Rechtsordnung
mit den Grundsätzen des deutschen Rechts. Vielmehr käme es zusätzlich
entscheidend darauf an, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des
ausländischen Rechts aus der Sicht des deutschen Rechts zu missbilligen ist
(Senatsbeschluss BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 Rn. 53). Das hiernach
zu würdigende Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts liegt
vorliegend in der wirksamen Eingehung einer Ehe, die die Beteiligten zu 1
und 2 übereinstimmend gewollt haben und deren materiell-rechtliche Ehe
schließungsvoraussetzungen auch nach inländischem Rechtsverständnis
vorlagen. Grundlegend missbilligenswert ist dieses Ergebnis nicht, auch
nicht im Hinblick auf das Zustandekommen durch Stellvertretung und die
fehlende Verbindung der Beteiligten zum Ort der Eheschließung (vgl. bereits
BGHZ 29, 137 = FamRZ 1959, 143; BayObLGZ 2000, 335, 338; OLG Zweibrücken
NJW-RR 2011, 725; KGR Berlin 2004, 326; MünchKommBGB/Coester 8. Aufl. Art.
13 EGBGB Rn. 23, 148; BeckOGK/Rentsch EGBGB Art. 13 Rn. 264;
jurisPK-BGB/ Mäsch [Stand: 5. Oktober 2020] Art. 13 EGBGB Rn. 18).
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