Auslegung von
Prozeßhandlungen; keine Umdeutung einer Klagerücknahme in eine einseitige
Erledigungserklärung; (keine) Anfechtung von Prozeßhandlungen;
Klagerücknahme bei Erledigung vor Rechtshängigkeit (§ 269 III S. 3 ZPO)
BGH, Beschluss vom 13.
Dezember 2006 - XII ZB 71/04
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Zur Auslegung und
Umdeutung einer Klagerücknahme in eine einseitige Erledigungserklärung sowie
zum Widerruf einer Klagerücknahme.
b) Ob der Kläger die Klage unverzüglich gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO a.F.
zurückgenommen hat, beurteilt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem er Kenntnis
von dem Wegfall des Klageanlasses erlangt hat (Anschluss an BGH Beschluss
vom 26. Juli 2004 - VIII ZB 44/03 - NJW-RR 2005, 217).
Zentrale Probleme:
Nach Rechtshängigkeit eines Zahlungsanspruchs wurde dieser
vom Beklagten erfüllt. Der Kläger hatte die Klagerücknahme erklärt und nach
§ 269 III ZPO beantragt, dem Bekl. die Kosten aufzuerlegen. In dieser
Situation hätte er aber besser die Hauptsache für erledigt geklärt, weil die
anfangs begründete Klage durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes
Ereignis unbegründet geworden ist. Im Falle des Einverständnisses des Bekl.
wären diesem nach § 91a ZPO die Kosten aufzuerlegen gewesen (s. dazu die
Anm. zu
BGH v.
17. 7. 2003 - IX ZR 268/02). Im Falle
fehlenden Einverständnisses stellt der Kläger seine Klage im Wege einer
(nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässigen) Klageänderung auf einen
Feststellungsantrag um, daß sich die Hauptsache erledigt hat. In
diesem Fall werden dem Bekl. die Kosten nach § 91 I ZPO auferlegt.
§ 269 III 3 ZPO betrifft hingegen hauptsächlich den Fall, daß die
Begründetheit zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit wegfällt (zB: Der
Bekl. zahlt, bevor die eingereichte Klage zugestellt wird). Denkbar ist die
Anwendung auch für den Fall, daß die Erledigung vor Anhängigkeit eintritt,
dem Kläger aber zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar war. In diesem Fall ist
eine Erledigterklärung nicht möglich (BGHZ 83, 12).
Im vorliegenden Fall war es damit für den Kl. ungünstig, die Klage
zurückzunehmen, da tatsächlich Erledigung in der Hauptsache vorlag. Es
konnte so nämlich keine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten nach § 269 III
3 ZPO ergehen. Seine Versuche, seine Klagerücknahme umzudeuten oder
anzufechten bzw. zu widerrufen, hatten keinen Erfolg. Der Senat legt dabei
grundsätzlich den Unterschied zwischen materiellrechtlichen und
prozeßrechtlichen Erklärungen sowie die Voraussetzungen der Unwirksamkeit/Widerrufbarkeit
von Prozeßhandlungen dar: Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs sind die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften
über Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln auf
Prozesshandlungen weder direkt noch entsprechend anwendbar.
Prozesshandlungen können nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines
Restitutionsgrundes im Sinne des § 580 ZPO oder soweit das Gesetz dies
ausdrücklich gestattet, wie z.B. § 290 ZPO für das Geständnis, widerrufen
werden.
©sl 2007
Gründe:
I.
1 Der Kläger wendet sich dagegen, dass ihm nach Klagerücknahme auf Antrag
des Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind.
2 Der Kläger erhob am 11. Februar 2003 Klage, die dem Beklagten am 20.
Februar 2003 zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 5. März 2003, der am 6.
März 2003 bei Gericht eingegangen ist, teilte der Prozessbevollmächtigte des
Klägers mit, die Forderung sei am 3. März 2003 bezahlt worden und erklärte:
"Vor diesem Hintergrund wird die Klage hiermit zurückgenommen und Antrag
gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO gestellt."
3 Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 27. März 2003 beantragt hatte,
dem Kläger gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits
aufzuerlegen, widerrief der Kläger mit Schriftsatz vom 14. April 2003,
gestützt auf eine analoge Anwendung des § 290 ZPO, die Klagerücknahme wegen
Irrtums und erklärte den Rechtsstreit für erledigt.
4 Mit Beschluss vom 18. Juni 2003 legte das Landgericht dem Kläger gemäß §
269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits auf. Die sofortige
Beschwerde des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die
Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen zugelassen, ob
eine in Verkennung des tatsächlichen Vorliegens der Voraussetzungen des §
269 Abs. 3 Satz 3 ZPO unter Hinweis auf diese Vorschrift erklärte
Klagerücknahme in eine Erledigungserklärung nach § 91 a ZPO umgedeutet
werden könne, und ob eine erst nach Erhalt der nötigen Informationen seitens
des Gerichtes erklärte Klagerücknahme stets noch "unverzüglich" im Sinne der
Vorschrift erfolgt sei.
5 Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Kläger den angefochtenen Beschluss
aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass die Kosten des Rechtsstreits dem
Beklagten auferlegt werden.
II.
6 Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
7 Das Beschwerdegericht hat dem Kläger, nachdem er die Klage zurückgenommen
hatte, auf Antrag des Beklagten zu Recht gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die
Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
8 1. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts konnte der Kläger die
Klagerücknahme nicht wegen Irrtums analog § 290 ZPO widerrufen, da die
Wirksamkeit einer Prozesshandlung von einem Irrtum des Handelnden nicht
berührt werde. Eine Umdeutung bzw. Auslegung der Widerrufserklärung in eine
Erledigungserklärung komme im Hinblick auf die Eindeutigkeit der abgegebenen
Erklärung nicht in Betracht. Auch der Antrag des Klägers, dem Beklagten die
Kosten gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO aufzuerlegen, zeige, dass der Kläger
die Klage habe zurücknehmen wollen. Denn Voraussetzung für diesen
Kostenantrag sei die Klagerücknahme. Zwar deute der Antrag darauf hin, dass
der Kläger von einem Wegfall des Klageanlasses vor Rechtshängigkeit
ausgegangen sei. Tatsächlich sei jedoch die Zahlung nach Zustellung der
Klage an den Beklagten und damit nach Rechtshängigkeit erfolgt. Den
Zeitpunkt der Zustellung habe der Kläger vor Abgabe seiner
Klagerücknahmeerklärung über das Gericht in Erfahrung bringen können. Die
vom Gesetz geforderte unverzügliche Rücknahme der Klage nach Wegfall des
Klagegrundes sei so lange gewahrt, bis diese Auskunft vom Gericht erteilt
worden sei. Das Gericht sei im Hinblick auf die Regelung in § 269 Abs. 3
Satz 3 ZPO insoweit zur Auskunftserteilung verpflichtet.
9 2. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine
Auslegung der in dem Schriftsatz vom 5. März 2003 enthaltenen
Klagerücknahmeerklärung in eine Erledigungserklärung nicht in Betracht
kommt.
10 Voraussetzung der Auslegung ist eine Auslegungsbedürftigkeit der
Erklärung. Hat diese nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt, ist
für eine Auslegung kein Raum (BGHZ 25, 318, 319). Das ist hier der Fall.
Der Wortlaut der Erklärung "… wird die Klage hiermit zurückgenommen …" ist
eindeutig. Der Wille zur Klagerücknahme wird durch den gleichzeitig
gestellten Antrag, dem Beklagten die Kosten gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO
aufzuerlegen, bekräftigt.
Denn dieser Antrag setzt die Rücknahme der Klage voraus. Schließlich geht
auch aus der Begründung des Widerrufs im Schriftsatz vom 14. April 2003
hervor, dass der Kläger die Klage zurücknehmen wollte, weil er davon
ausging, die Zahlung des Beklagten sei vor Zustellung der Klage erfolgt.
11 3. Auch eine Umdeutung der Klagerücknahme in eine
Erledigungserklärung kommt nicht in Betracht. Zwar können nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch Prozesshandlungen in
entsprechender Anwendung des § 140 BGB umgedeutet werden (Senatsurteil vom
6. Dezember 2000 - XII ZR 219/98 - NJW 2001, 1217, 1218 m.w.N.). Die
Umdeutung setzt aber stets eine unwirksame Parteihandlung voraus. Daran
fehlt es hier. Die vom Kläger vor Beginn der mündlichen Verhandlung erklärte
Klagerücknahme war wirksam. Lediglich sein Antrag, dem Beklagten die
Kosten des Rechtsstreits gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO aufzuerlegen, war
unbegründet, weil der Anlass zur Einreichung der Klage nicht vor, sondern
erst nach Rechtshängigkeit weggefallen ist.
12 4. Das Berufungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die
Klagerücknahme nicht wegen Irrtums angefochten oder widerrufen werden
kann.
13 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die für
Willenserklärungen geltenden Vorschriften über Nichtigkeit oder
Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln auf Prozesshandlungen weder direkt noch
entsprechend anwendbar (BGHZ 80, 389, 392; Senatsurteil vom 8. Dezember
1993 - XII ZR 133/92 - NJW-RR 1994, 386, 387; BGH, Urteil vom 6. März 1985 -
VIII ZR 123/84 - NJW 1985, 2335; Stein-Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. vor § 128
Rdn. 288, 291 m.w.N.). Prozesshandlungen können nur ausnahmsweise bei
Vorliegen eines Restitutionsgrundes im Sinne des § 580 ZPO oder soweit das
Gesetz dies ausdrücklich gestattet, wie z.B. § 290 ZPO für das Geständnis,
widerrufen werden (BGHZ 80, 389, 393 ff.; Stein-Jonas/Leipold aaO Rdn.
286 m.w.N.).
14 Eine analoge Anwendung des § 290 ZPO auf die Erklärung der Klagerücknahme
ist im Hinblick auf den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift ausgeschlossen.
Darüber hinaus sind Geständnis und Klagerücknahme in ihrer
verfahrensrechtlichen Bedeutung und Wirkung nicht vergleichbar. Das
Geständnis betrifft den tatsächlichen Streitstoff, der im Regelfall die
Grundlage der Sachentscheidung bildet. Die Klagerücknahme beendet die
Rechtshängigkeit des Rechtsstreits, ohne dass es auf den tatsächlichen
Streitstoff noch ankommt. Dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung in Bezug
auf den tatsächlichen Streitstoff, der letztlich der Regelung des § 290 ZPO
zugrunde liegt, kommt insoweit keine Bedeutung zu (BGHZ aaO).
15 b) Da im vorliegenden Fall kein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines
Restitutionsgrundes ersichtlich und auch nicht vorgetragen ist, konnte der
Kläger die Klagerücknahme nicht wirksam widerrufen.
16 5. Die vom Beschwerdegericht weiter als grundsätzlich angesehene Frage,
ob eine Klagerücknahme, die erst nach Mitteilung des Zustellungsdatums der
Klage durch das Gericht erklärt werde, stets noch "unverzüglich" im Sinne
des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO sei, stellt sich nach Streichung des Wortes
"unverzüglich" in der Vorschrift durch das 1. Gesetz zur Modernisierung der
Justiz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198 - 1. JuMoG) ab 1. September 2004
nicht mehr.
17 a) Für die Zeit davor hat der Bundesgerichtshof die Frage nach Erlass der
angefochtenen Entscheidung entschieden (BGH Beschluss vom 26. Juli 2004 -
VIII ZB 44/03 - NJW-RR 2005, 217). Danach ist für die Beurteilung, ob der
Kläger die Klage unverzüglich zurückgenommen hat, an den Zeitpunkt
anzuknüpfen, zu dem er davon Kenntnis erlangt hat, dass der Anlass zur
Einreichung der Klage vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit weggefallen ist.
Der Kläger muss folglich Kenntnis davon haben, dass die Zustellung der Klage
nach Wegfall des Klagegrundes erfolgt ist. Erst dann obliegt es ihm, die
Klage unverzüglich zurückzunehmen, um die Rechtsfolge des § 269 Abs. 3 Satz
3 ZPO a.F. auszulösen. Diese Kenntnis kann sich der Kläger durch Anfrage bei
dem Gericht verschaffen.
18 b) Davon ist das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall zu Recht
ausgegangen. Entgegen der Ansicht des Klägers musste er die Klage nicht
sofort nach Kenntniserlangung vom Wegfall des Klagegrundes zurücknehmen, um
"unverzüglich" im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO a.F. zu handeln.
Vielmehr konnte er zunächst bei dem Gericht Auskunft darüber einholen, ob
und gegebenenfalls wann die Klage zugestellt worden ist.
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