Anspruch auf
Verzugszinsen analog § 288 BGB bei Anspruch auf Freigabe eines hinterlegten
Geldbetrages
BGH, Urteil vom 25. April
2006 - XI ZR 271/05
Fundstelle:
NJW 2006, 2398
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Bei verzögerter Freigabe
eines hinterlegten Geldbetrages hat der Gläubiger in entsprechender
Anwendung von § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB (in der bis zum 30. April 2000
geltenden Fassung) einen Anspruch auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe.
Zentrale Probleme:
Kann sich der Schuldner durch Hinterlegung nach § 378 BGB
befreien, muß der Forderungsinhaber sich gegen andere Forderungsprätendenten
durch einen Anspruch auf Zustimmung zur Freigabe des Geldbetrages
durchsetzen, da die Hinterlegungsstelle den Betrag nur an denjenigen
herausgibt, für den hinterlegt wurde (s. §§ 13 ff HinterlO). Da es sich
dabei um keinen Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme handelt, kommt in Bezug
auf die Pflicht zur Zahlung Verzugszins nur einen Analogie zu § 288 BGB in
Betracht. Diese bejaht der BGH (s. zu einer ähnlichen Problematik bereits
BGH NJW 2005, 3709:
Geldherausgabeschuld).
Zur Abgrenzung s.
BGH v. 5.12.2012 - XII ZR 44/11.
©sl 2006
Tatbestand:
Die Parteien streiten über Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe für einen
hinterlegten Betrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger, handelnd als Insolvenzverwalter über das Vermögen der I.
Wirtschaftsberatungsge-sellschaft mbH (im Folgenden: I. GmbH), nimmt den
Beklagten wegen verzögerter Abgabe einer Freigabeerklärung auf
Schadensersatz in Anspruch. Die I. GmbH war Inhaberin eines bei einer
Sparkasse geführten Kontos, dessen Guthaben sie zugunsten des Beklagten
verpfändet hatte. Weil der Beklagte der Aufforderung des Klägers, bis
spätestens zum 31. März 2000 die Freigabe des Guthabens zu erklären, nicht
nachkam, hinterlegte die Sparkasse das Guthaben einschließlich Zinsen in
Höhe von insgesamt 271.512 DM. Nachdem der Beklagte in einem zwischen den
Parteien geführten Vorprozess mit seit 12. September 2003 rechtskräftigem
Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 12. November 2002 zur Abgabe der
Freigabeerklärung verurteilt worden war, erklärte er nach Aufforderung durch
den Kläger am 25. September 2003 die Freigabe. Die Hinterlegungsstelle
zahlte daraufhin am 16. Oktober 2003 den hinterlegten Betrag an den Kläger
aus.
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger für den Zeitraum vom 1.
April 2000 bis zum 25. September 2003 Verzugszinsen aus der hinterlegten
Summe in der bei Verzugseintritt geltenden gesetzlichen Höhe von 4%. Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das
Berufungsgericht der Klage stattgegeben. Mit der - vom Berufungsgericht
zugelassenen - Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des
klageabweisenden landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe
gegenüber dem Beklagten der geltend gemachte, seiner Höhe nach unstreitige,
Anspruch auf Ersatz des Zinsschadens gemäß § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB in der
bis zum 30. April 2000 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.) analog zu. Eine
unmittelbare Anwendung des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. komme nicht in
Betracht, da diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für den
Fall des Verzuges mit einer Geldschuld gelte. Eine solche habe den Beklagten
jedoch nicht getroffen; er habe vielmehr lediglich eine Freigabeerklärung
bezüglich des von der Sparkasse hinterlegten Guthabens der Gemeinschuldnerin
geschuldet. Auf diese Fallkonstellation sei § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.
aber entsprechend anzuwenden. Zwar habe der Beklagte keinen Geldbetrag, also
eine echte Geldschuld im Sinne von § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. geschuldet,
er sei aber verpflichtet gewesen, dem Kläger den Zugriff auf das diesem
letztlich zustehende Guthaben der Schuldnerin bei der Sparkasse zu eröffnen
und zu verschaffen. Die Auszahlung des auf dem fraglichen Konto befindlichen
Geldbetrages an den Kläger habe einzig und allein davon abgehangen, dass der
Beklagte die von ihm geforderte und auch geschuldete Freigabeerklärung
abgab.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass § 288 Abs. 1
Satz 1 BGB a.F. auf den Anspruch des Klägers keine unmittelbare Anwendung
findet, weil der Beklagte mit der Abgabe einer Freigabeerklärung in Verzug
war, nicht aber mit einer Geldschuld (vgl. dazu Bamberger/Roth/Grüneberg,
BGB § 288 Rdn. 2; Erman/Hager, BGB 11. Aufl. § 288 Rdn. 6).
2. a) Zutreffend hat das Berufungsgericht auch ausgeführt, dass § 288 Abs. 1
Satz 1 BGB a.F. nach Sinn und Zweck der Vorschrift auf den Verzug mit einer
Freigabeerklärung in Bezug auf hinterlegtes Geld entsprechend anzuwenden
ist.
aa) Die Regelung in § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. entspringt der Annahme,
dass es dem Gläubiger im Allgemeinen möglich ist, Geld jedenfalls zu einem
bestimmten Mindestzinssatz anzulegen (vgl. Huber, Leistungsstörungen Band II
S. 68). Der Gesetzgeber wollte für Verzugsschäden, die daraus entstehen,
dass dem Gläubiger Geld vorenthalten wird, einen Durchschnittsbetrag
festsetzen, von dem angenommen wird, dass ihn der Gläubiger jedenfalls hätte
ziehen können und den er fordern darf, ohne eine Zinseinbuße oder einen
sonstigen Schaden beweisen zu müssen (vgl. Motive II S. 62; auch BGHZ 74,
231, 235).
bb) Diesem Sinn und Zweck des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. Rechnung tragend
hat der Bundesgerichtshof die Vorschrift auf die Nichtverschaffung eines
zinslosen Darlehens entsprechend angewandt, weil auch in diesem Fall der
Entgang der mit dem Besitz von Geld verbundenen Nutzungsmöglichkeit zu
entschädigen ist (BGHZ 74, 231, 235). Dieser Gedanke gilt in gleicher Weise
für den Fall der verzögerten Freigabe eines Hinterlegungsbetrages, weil dem
Gläubiger auch in dieser Fallkonstellation ein Geldbetrag, auf den er einen
Anspruch hat, schuldhaft und rechtswidrig vorenthalten wird (vgl. auch
Huber, Leistungsstörungen Band II S. 67; Erman/Hager, BGB 11. Aufl. § 288
Rdn. 6 a.E.). Der Schuldner schuldet zwar nicht das hinterlegte Geld, aber
die Auszahlung des Geldes an den Gläubiger hängt allein von der
Freigabeerklärung des Schuldners ab. Die Freigabeforderung hat einen
Geldbetrag zum Gegenstand. Lediglich der äußeren Form nach, ist der Anspruch
nicht auf Zahlung von Geld, sondern auf Einwilligung in die Auszahlung von
Geld gerichtet (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1988 - IVb ZR 70/87, WM
1988, 1834, 1836; Urteil vom 17. November 1999 - XII ZR 281/97, NJW 2000,
948, 950).
cc) Das Urteil des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 2005
(VIII ZR 94/04, NJW 2005, 2310, 2312), nach dem § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.
auf den Anspruch des Vermieters gegen den Mieter auf Zustimmung zu einem
Mieterhöhungsverlangen nicht anwendbar ist, steht der entsprechenden
Anwendung dieser Vorschrift im vorliegenden Fall nicht entgegen. Zum einen
enthält diese Entscheidung keine Ausführungen zur entsprechenden Anwendung
der Vorschrift und zum anderen ist die Pflicht zur Zustimmung zu einem
Mieterhöhungsverlangen als vertragsändernde Willenserklärung mit der Pflicht
zur Abgabe einer Freigabeerklärung nicht vergleichbar.
dd) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich auch aus der Entscheidung
des Großen Senats in Zivilsachen vom 9. Juli 1986 (BGHZ 98, 212, 217), die
die Ersatzfähigkeit von Gebrauchsvorteilen einer Sache betrifft, nichts, was
gegen die entsprechende Anwendung des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. spricht.
Vorliegend geht es um das Vorenthalten von Geld, das in jedem Fall einen
ersatzfähigen Schaden darstellt (BGHZ 74, 231, 234 f.).
b) Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 288 Abs. 1 Satz
1 BGB a.F. hier für seine entsprechende Anwendung.
Nach dem ursprünglichen Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs sollte die
Mindestverzinsung nicht nur bei einer Geldschuld, sondern auch bei einer
Stückschuld Anwendung finden, etwa wenn bestimmte Geldstücke zu leisten
waren, weil bei ihr dieselben praktischen Gründe für einen Anspruch auf
Verzugszinsen in gleicher Weise zuträfen (Motive II S. 62). Aus der
Streichung der ursprünglich im Entwurf enthaltenen Regelung über die
Verzinsung von Geldstückschulden folgt nicht, dass § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB
a.F. insofern keine Anwendung findet (vgl. Huber, Leistungsstörungen Band II
S. 67 Fn. 124; a.A. Staudinger/Löwisch, BGB Neubearb. 2004 § 288 Rdn. 10).
Diese Regelung wurde lediglich deshalb nicht ins Gesetz übernommen, weil man
annahm, dass der darin aufgestellte Rechtssatz sich aus der entsprechenden
Anwendung der Absätze 1 und 2 der Vorschrift ergebe (Protokolle I S. 327).
Die Analogiefähigkeit der Mindestverzinsungsregelung auf hinterlegtes Geld
wurde daher vom Gesetzgeber vorausgesetzt, nicht etwa ausgeschlossen.
3. Ohne Erfolg erhebt die Revision Einwendungen gegen die Höhe des dem
Kläger zugesprochenen Zinsanspruchs. Nach den im Revisionsverfahren
bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Zinsschaden seiner
Höhe nach unstreitig (§ 559 Abs. 1, § 314 Abs. 1 ZPO). Verfahrensrügen gegen
die Feststellung des Berufungsgerichts hat die Revision nicht erhoben. Auch
eine Berichtigung des Tatbestands hat der Beklagte nicht beantragt.
III. Die Revision war demnach als unbegründet zurückzuweisen.
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