Haftung aus
Beratungsvertrag, konkludenter Abschluß eines Beratungsvertrags; Inhalt und
Umfang der Pflicht zur Anlageberatung
BGH, Urteil vom 21. März
2006 - XI ZR 63/05
Fundstelle:
NJW 2006, 2041
Amtl. Leitsatz:
Die Bewertung und
Empfehlung eines Anlageobjekts durch ein Kreditinstitut muss ex ante
betrachtet vertretbar sein. Das Risiko, dass sich eine aufgrund anleger- und
objektgerechter Beratung getroffene Anlageentscheidung im Nachhinein als
falsch erweist, trägt der Kunde.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu NJW 2001, 962
= BGHZ 146, 235 sowie zu BGH, Urteil vom 24.
Januar 2006 - XI ZR 320/04 (Beweislastverteilung). Zum konkludenten
Vertragsschluß s. auch BGH v.
11.9.2003 - III ZR 381/02. Anspruchsgrundlage wäre nach neuem Schuldrecht
§ 280 I BGB (Pflichtverletzung aus einem Beratungsvertrag), der geltend
gemachte Schaden ein (einfacher) Schadensersatz "neben" der Leistung.
©sl 2006
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die beklagte Sparkasse aus eigenem und abgetretenem Recht
ihres Ehemannes, eines Elektrotechnikers, auf Schadensersatz wegen
fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.
Die Klägerin erbte von ihren Eltern ein Vermögen in Höhe von ca. 4 Millionen
DM. 1,2 bis 1,3 Millionen DM wollte sie für drei bis fünf Jahre anlegen. Sie
und der Zedent eröffneten 1998 zu gleichen Teilen ein Wertpapierdepot bei
der Beklagten und erwarben zu 50% des Anlagebetrages Aktienfonds- und zu 30%
Immobilienfondsanteile, die sämtlich von einer Fondsgesellschaft des
D.-verbandes emittiert worden waren. Der Rest wurde bei niedriger Verzinsung
liquide angelegt. Zunächst stiegen die Kurse und führten zu erheblichen
Gewinnen. Im Frühjahr 2000 setzte ein Kursverfall ein. Deshalb erkundigte
sich der Zedent am 30. Mai 2000, als die Anlage insgesamt noch in der
Gewinnzone lag, bei der Beklagten, ob ein Verkauf ratsam sei. Der Leiter der
Wertpapierabteilung der Beklagten äußerte die Erwartung, dass die Börse sich
wieder nach oben entwickeln werde, und riet von einem Verkauf ab. Da der
Kursverfall sich fortsetzte, fanden am 17. August 2000, 23. Oktober 2000, 9.
Januar 2001 und 8. Februar 2001 Gespräche mit ähnlichem Inhalt statt. Am 21.
März 2001 verkauften die Klägerin und der Zedent alle Fondsanteile.
Die Klägerin meint, die Empfehlung der Beklagten, die Fondsanteile nicht zu
verkaufen, sei eine Beratungspflichtverletzung gewesen, und verlangt den
Ersatz der Differenz zwischen dem Wert der Papiere am 30. Mai 2000 und dem
am 21. März 2001. Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von 164.734 €
nebst Zinsen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der
vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren
Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und
zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin habe gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz des Schadens, der
durch die fehlerhafte Beratung am 30. Mai 2000 entstanden sei. Die Parteien
hätten einen Anlageberatungsvertrag geschlossen, der nicht mit der
Einrichtung des Depots geendet habe. Der Rat, die Papiere nicht zu
verkaufen, sei objektiv falsch und aus damaliger Sicht nicht vertretbar
gewesen. Da nach dem Vortrag der Beklagten am 30. Mai 2000 nicht absehbar
gewesen sei, ob das Sinken der Kurse eine Regulierung aufgeblähter Kurse
oder eine beginnende Talfahrt gewesen sei, sei es allein richtig gewesen,
zum Verkauf zu raten. Die Papiere zu halten, wäre nur dann vertretbar
gewesen, wenn zu erwarten gewesen wäre, dass die Kurse innerhalb des
geplanten Anlagezeitraums von noch höchstens drei Jahren zumindest das
Niveau vom 30. Mai 2000 überschreiten würden. Da aber nach dem Vortrag der
Beklagten nicht absehbar gewesen sei, ob die Talfahrt beendet gewesen sei,
habe die Gefahr weiterer Verluste bestanden. Dass auch ein Fachmann die
Börsenentwicklung nicht mit Sicherheit voraussagen könne, verstehe sich von
selbst. Er müsse den Anleger aber über Risiken aufklären und darauf
hinweisen, dass nicht absehbar sei, ob die Talfahrt beendet sei. Außerdem
habe es damals ernst zu nehmende Stimmen gegeben, die vor einem Kurseinbruch
gewarnt hätten. Selbst wenn es auch andere Auffassungen gegeben haben
sollte, hätte die Beklagte die Klägerin über diese unterschiedlichen
Meinungen informieren müssen.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im wesentlichen Punkt
nicht stand. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein
Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung, der allein in
Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, zu.
1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts,
zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen.
Dabei kommt es nicht auf den vor dem Erwerb der Fondsanteile
geschlossenen Beratungsvertrag an. Daraus ergaben sich über die
Anlageentscheidung der Klägerin hinaus keine fortdauernden Überwachungs- und
Beratungspflichten der Beklagten hinsichtlich der erworbenen Wertpapiere
(vgl. OLG Karlsruhe WM 1992, 577; OLG Düsseldorf WM 1994, 1468, 1469; OLG
Düsseldorf ZIP 2003, 471, 473; Balzer, in: Welter/Lang, Handbuch der
Informationspflichten im Bankverkehr Rdn. 7.80; Horn, in: Hellner/Steuer,
Bankrecht und Bankpraxis Rdn. 7/1278). Derartige Pflichten resultierten
auch nicht aus dem Depotvertrag (vgl. Senat, Urteil vom 23. November
2004 - XI ZR 137/03, WM 2005, 270, 271 m.w.Nachw.).
Zwischen den Parteien ist aber ein neuer Beratungsvertrag geschlossen
worden, als der Zedent sich am 30. Mai 2000 bei der Beklagten erkundigte, ob
ein Verkauf der Anteile ratsam sei, und die Beklagte ihm riet, die Papiere
zu halten. Tritt ein Anleger an eine Bank heran, um über die Anlage eines
Geldbetrages beraten zu werden, so wird das darin liegende Angebot zum
Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des
Beratungsgesprächs angenommen (Senat BGHZ 123, 126, 128; Urteile vom 9.
Mai 2000 - XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1442 und vom 25. Juni 2002 - XI ZR
218/01, WM 2002, 1683, 1686). Dasselbe gilt, wenn ein Kunde sich - wie
hier - nach getroffener Anlageentscheidung bei der Bank erkundigt, wie er
sich angesichts fallender Kurse verhalten soll (vgl. LG Essen NJW-RR
1993, 1392, 1394; Balzer, in: Welter/Lang, Handbuch der
Informationspflichten im Bankverkehr Rdn. 7.80).
2. Rechtlich nicht haltbar ist hingegen die Auffassung des
Berufungsgerichts, die Beklagte habe ihre Pflichten aufgrund des
Beratungsvertrages verletzt.
a) Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Umständen des
Einzelfalls ab. Die Beratung muss anleger- und objektgerecht sein (Senat
BGHZ 123, 126, 128). Maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die
Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die
allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des
Kapitalmarkts, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen
Umständen des Anlageobjekts ergeben. Während die Aufklärung des Kunden über
diese Umstände richtig und vollständig zu sein hat (Senat, Urteil vom 9.
Mai 2000 - XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1442), muss die Bewertung und
Empfehlung eines Anlageobjektes unter Berücksichtigung der genannten
Gegebenheiten ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein (Nobbe, in:
Horn/Schimansky, Bankrecht 1998 S. 235, 248). Das Risiko, dass sich eine
Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde
(BGH, Urteil vom 4. Februar 1987 - IVa ZR 134/85, WM 1987, 531, 532).
Auch Börsentipps liegen nicht im Rahmen der vertraglichen Haftung einer Bank
für Rat und Auskunft (BGH, Urteil vom 18. Juni 1971 - I ZR 83/70, WM
1971, 987, 989).
b) Gemessen hieran hat die Beklagte ihre Beratungspflichten nicht verletzt.
Sie hat der Klägerin keine unrichtigen oder unvollständigen Informationen
über die Anlageobjekte erteilt. Da die Klägerin ihre Anlageentscheidung
bereits getroffen und in bestimmte Fondsanteile investiert hatte, war eine
erneute Aufklärung über die damit verbundenen, von der Klägerin zu tragenden
Risiken nicht erforderlich. Die Klägerin erwartete eine solche Aufklärung
auch nicht, sondern wollte von der Beklagten wissen, ob angesichts der von
ihr erkannten sinkenden Kurse ein Verkauf der Anteile ratsam sei.
Die auf diese Frage erteilte Empfehlung der Beklagten, die Anteile nicht zu
verkaufen, war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ex ante
betrachtet nicht unvertretbar. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei
davon aus, dass im Zeitpunkt der Raterteilung am 30. Mai 2000 objektiv nicht
vorhersehbar war, ob die Kurse weiter fallen oder innerhalb des
Anlagezeitraums von noch höchstens drei Jahren das Niveau vom 30. Mai 2000
überschreiten würden. In dieser Situation handelte die Beklagte nicht
pflichtwidrig, indem sie aufgrund ihrer Erfahrung und langjährigen
Beobachtung der Kursentwicklung von einem entsprechenden Wiederanstieg der
Kurse innerhalb der nächsten drei Jahre ausging und diese Entwicklung ihrer
Empfehlung gegenüber der Klägerin zugrunde legte. Den Feststellungen des
Berufungsgerichts und dem Sachvortrag der Parteien sind keine Umstände zu
entnehmen, die diese Erwartung grundsätzlich oder jedenfalls angesichts der
vom Berufungsgericht angenommenen Aufblähung oder Überhitzung der Börse ex
ante betrachtet als unvertretbar erscheinen lassen könnten.
Die Beklagte musste der Klägerin, anders als das Berufungsgericht meint,
auch nicht mitteilen, dass nicht absehbar sei, ob der Kursverfall beendet
sei. Das Berufungsgericht geht selbst - rechtsfehlerfrei - davon aus, es
verstehe sich von selbst, dass auch ein Fachmann die Börsenentwicklung nicht
mit Sicherheit voraussehen könne. Auf eine Selbstverständlichkeit muss eine
beratende Bank aber nicht ausdrücklich hinweisen.
Es bestand auch keine Pflicht der Beklagten, die Klägerin auf
unterschiedliche Meinungen über die künftige Kursentwicklung, insbesondere
auf ernst zu nehmende Stimmen, die vor einem Kurseinbruch warnten,
hinzuweisen. Aus der Unsicherheit der künftigen Kursentwicklung folgt
zwangsläufig, dass hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten werden
können. Auch dies musste die Beklagte deshalb nicht besonders erwähnen.
Dass eine Bank, die für eine Anlageempfehlung das Vertrauen ihres Kunden in
Anspruch nimmt, diesen über kritische Stimmen in der Wirtschaftspresse
unterrichten muss (Senat, Urteil vom 6. Juli 1993 - XI ZR 12/93, WM
1993, 1455, 1457, insoweit in BGHZ 123, 126 ff. nicht abgedruckt),
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Beklagte hat der Klägerin zwar
empfohlen, bestimmte Fondsanteile nicht zu verkaufen. Bei dieser Empfehlung
ging es aber, ebenso wie bei der zugrunde liegenden Anfrage der Klägerin,
nicht um die Einschätzung der Fondsanteile als solcher, sondern allein um
eine ersichtlich unsichere Prognose der künftigen Kursentwicklung.
III. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere
Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst
entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und das landgerichtliche Urteil wieder
herstellen.
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