Begriff des Reisemangels (§ 651c), Abgrenzung zum
allgemeinen Lebensrisiko; Minderung des Reisepreises (§ 651d BGB) "auf Null"
BGH, Urteil vom 6. Dezember 2016 - X
ZR 117/15 - LG Düsseldorf
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Der Reiseveranstalter trägt das Risiko, den
vereinbarten Reisepreis nicht zu erhalten, auch dann, wenn der Reiseerfolg
durch Umstände vereitelt wird, die weder ihm noch dem Reisenden zugerechnet
werden können.
b) Die Verletzung des Reisenden bei einem Verkehrsunfall während des
Transfers vom Flughafen zum Hotel begründet einen Reisemangel, auch wenn den
Reiseveranstalter kein Verschulden an dem Unfall trifft. Wird der Reisende
hierdurch so schwer verletzt, dass er keine weiteren Reiseleistungen in
Anspruch nehmen kann, verliert der Reiseveranstalter regelmäßig den gesamten
Anspruch auf den Reisepreis.
Zentrale Probleme:
Ein Ehepaar wird beim (vom Reiseveranstalter
geschuldeten) Transfer vom Flughafen zum Hotel bei einem vom
Reiseveranstalter nicht zu vertretenden Unfall verletzt, einer davon schwer.
Dies stellt einen Reisemangel dar, der, auch wenn weder vom Veranstalter
oder einem Leistungsträger (= Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB) zu
vertreten ist, zur Minderung berechtigt, was nach § 651d I 2 iVm § 638 IV zu
einem Rückzahlungsanspruch führt. Ist die Reise hierdurch komplett
entwertet, kann eine solche Minderung auch "auf Null" gehen, d.h. der
gesamte Reisepreis ist zurückzuerstatten. Da die Minderung nicht vom
Vertretenmüssen abhängig ist, spielt mangelndes Verschulden des
Veranstalters keine Rolle. Abzugrenzen sind aber nach dem Schutzzweck der
vertraglich geschuldeten Leistung solche Fälle, die wertungsmäßig zum
allgemeinen Lebensrisiko gehören (so zB, wenn der Reisende am Urlaubsort
außerhalb des Hotels bestohlen wird oder einen Unfall erleidet, der nicht im
Zusammenhang mit einer vom Veranstalter geschuldeten Leistung steht). Das
war aber hier richtigerweise nicht der Fall (vgl. dazu auch
BGH NJW 2005, 1420.
©sl 2017
Tatbestand:
Die Klägerin buchte bei der Beklagten
für sich und ihren Ehemann eine Pauschalreise vom 15. Dezember bis 29.
Dezember 2013 in die Türkei zum Preis von 1.485 €. Zu den
Reiseleistungen gehörte der Transfer vom Flughafen zum Hotel. Auf dieser
Fahrt kam es zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Transferbus auf der
eigenen Fahrspur durch ein entgegenkommendes Fahrzeug gerammt wurde. Die
Klägerin und ihr Ehemann erlitten Verletzungen, derentwegen der Ehemann
intensivmedizinisch betreut werden musste. Die Klägerin hat die Rückzahlung
des gezahlten Reisepreises und Erstattung weiterer Kosten verlangt.
Das Amtsgericht hat das Vorliegen eines Reisemangels bejaht und der Klägerin
unter Abweisung der weitergehenden Klage 1.002,72 € (1.485,00 € abzüglich
vorgerichtlich gezahlter 482,27 €) nebst Zinsen zugesprochen. Auf die
Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt
abgewiesen.
2 Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der
Klägerin, der die Beklagte entgegentritt.
Entscheidungsgründe:
3 Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des
amtsgerichtlichen Urteils.
4 I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Reiseleistungen seien
mangelfrei erbracht worden. Der Reiseveranstalter schulde eine bestimmte
Gestaltung der Reise und habe für deren Gelingen einzustehen. Er trage
unabhängig davon, auf welchen Ursachen die Beeinträchtigung der
Reiseleistungen beruhe, die Gefahr des Misslingens der Reise, soweit deren
erfolgreiche Gestaltung von seinen Leistungen abhänge; ihn treffe daher
insoweit eine Erfolgshaftung. Um jedoch eine uferlose Einstandspflicht des
Reiseveranstalters für noch so entfernte Mangelursachen zu verhindern,
bedürfe es einer angemessenen Einschränkung der Gewährleistungshaftung.
Beeinträchtigungen der Reise, in denen sich lediglich das allgemeine
Lebensrisiko des Reisenden verwirkliche, seien vom Mangelbegriff
auszunehmen; sie lägen außerhalb des Schutzzwecks der reisevertraglichen
Gewährleistungshaftung. Danach sei die Gefahr einer Kollision mit einem
„Geisterfahrer" auf einer Kraftfahrtstraße, die im privaten Alltag ebenso
wie bei einer Auslandsreise bestehe, keine reisespezifische Gefahr und
gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko. Ein solcher Unfall habe auch keinen
Einfluss auf die vertraglich geschuldeten Reiseleistungen. Der
Reiseveranstalter sei gehalten, bei der geschuldeten Beförderung vom
Flughafen zum Hotel ein verkehrs- und betriebssicheres Fahrzeug einzusetzen
und einen sorgfältig ausgewählten Fahrer zu beauftragen. Ihm obliege nicht,
den Reisenden vor privaten Verletzungsrisiken zu schützen, welchen dieser im
privaten Alltag oder als Individualreisender ebenso ausgesetzt wäre. Ob sich
der Reisende im Zeitpunkt des Eintritts einer alltäglichen, nicht
reisespezifischen Gefahr in der physischen Obhut des Reiseveranstalters
befunden habe, sei ebenso wenig von Belang, da die eingetretene Gefahr in
keinem inneren Zusammenhang hierzu stehe.
5 II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Da es weiterer Feststellungen nicht bedarf, kann der Senat unter
Aufhebung des Berufungsurteils abschließend in der Sache selbst entscheiden.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung des Reisepreises
gemäß § 651d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 638 Abs. 4 BGB zu.
6 1. Nach § 651c Abs. 1 BGB ist der Reiseveranstalter verpflichtet,
die Reise so zu erbringen, dass sie die zugesicherten Eigenschaften hat und
nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem
gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder
mindern. Ein Reisemangel liegt daher vor, wenn die tatsächliche
Beschaffenheit der Reiseleistungen von derjenigen abweicht, welche die
Parteien bei Vertragsschluss vereinbart oder gemeinsam, auch
stillschweigend, vorausgesetzt haben, und dadurch der Nutzen der Reise für
den Reisenden beeinträchtigt wird. Der Reiseveranstalter trägt unabhängig
von der Ursache des Fehlers grundsätzlich die Gefahr des Gelingens der Reise
und hat auch ohne Verschulden für den Erfolg und die Fehlerfreiheit der
Gesamtheit der Reiseleistungen einzustehen (BGH, Urteil vom 23.
September 1982 - VII ZR 301/81, BGHZ 85, 50, 56; Urteil vom 17. Januar 1985
- VII ZR 375/83, NJW 1985, 1165, 1166; Urteil vom 20. März 1986 - VII ZR
187/85, BGHZ 97, 255, 259; Urteil vom 12. Juni 2007 - X ZR 87/06, NJW 2007,
2549 = RRa 2007, 215 Rn. 20; vgl. auch Führich, Reiserecht, 7. Aufl., § 7
Rn. 3; Staudinger/A. Staudinger; BGB, Neubearbeitung 2016, § 651c Rn. 9, 42,
jeweils mwN). Fällt bereits die erste Reiseleistung aus und wird
damit die gesamte Reise vereitelt, verliert der Reiseveranstalter seinen
Vergütungsanspruch insgesamt (BGHZ 97, 255).
7 2. Nach diesen Maßstäben liegt ein Reisemangel im Sinne von § 651c
Abs. 1 BGB vor.
8 a) Die von der Beklagten als Reisebestandteil geschuldete
Transferleistung hatte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht
nur zum Inhalt, ein zum Transport der Reisenden wie ihres Gepäcks geeignetes
verkehrssicheres Fahrzeug und zu dessen Führung ausgebildetes und geeignetes
Personal bereitzustellen. Vielmehr schuldete die Beklagte insoweit - wie
auch im Übrigen - den Erfolg der Reise(teil)leistung, von dem die
Inanspruchnahme aller weiteren Leistungen abhing; sie hatte mithin die
Reisenden unversehrt vom Flughafen zum Hotel zu befördern. Auch
wenn die Parteien im Reisevertrag keine konkreten Vereinbarungen über die
Beschaffenheit der Transferfahrt vereinbart hatten, entsprach dieser Inhalt
der Leistungspflicht der Beklagten nach der Verkehrsauffassung der
gewöhnlichen Beschaffenheit dieses Reisebestandteils. Der Reisende
darf erwarten, dass der Reiseveranstalter die Transferleistung so erbringt,
dass seine körperliche Unversehrtheit hierdurch nicht beeinträchtigt wird.
9 b) Die Beklagte hat diese Leistung objektiv fehlerhaft erbracht,
da der Transferbus während des Transports in einen Verkehrsunfall verwickelt
und die Reisenden hierdurch - zum Teil schwer - verletzt wurden.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Reisemangel nicht
deshalb zu verneinen, weil sich in der mangelhaften Transferleistung das
allgemeine Lebensrisiko der Reisenden verwirklicht hätte.
10 aa) Eine Begrenzung der reisevertraglichen Gewährleistung kann in
Bezug auf Umstände geboten sein, die allein in der persönlichen Sphäre des
Reisenden liegen oder in denen sich Risiken verwirklichen, die der Reisende
im täglichen Leben ebenfalls zu tragen hat. Damit wird dem
Schutzzweck der reisevertraglichen Gewährleistung Rechnung getragen,
ebenso wie es im Schadensersatzrecht anerkannter Lehre entspricht, dass die
Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird.
Eine vertragliche Haftung besteht danach nur für diejenigen
adäquaten Schadensfolgen, zu deren Abwendung die verletzte Vertragspflicht
übernommen wurde. Die Haftungsbegrenzung aufgrund des Schutzzwecks
der Norm erfordert dabei eine wertende Betrachtung des Einzelfalls.
Der Bundesgerichtshof hat zu dem Schadensersatzanspruch nach § 651f BGB
ausgesprochen, es könne nicht Zweck reisevertraglicher Haftung sein, den
Reisenden von seinem allgemeinen Lebensrisiko zu entlasten. Für Schäden, die
aufgrund des allgemeinen Lebensrisikos einträten, werde auch dann nicht
gehaftet, wenn sie im Zusammenhang mit einem haftungsbegründenden Ereignis
einträten (BGH, Urteil vom 11. Januar 2005
- X ZR 163/02, NJW 2005, 1420 Rn. 18 = RRa 2005, 112 mwN). Der
Reisende hat deshalb in Fällen, in denen kein Zurechnungszusammenhang zu
einer Pflichtverletzung des Reiseveranstalters oder sonst zu einem
haftungsbegründenden Ereignis besteht, die Risiken einer Unternehmung, die
dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt, hinzunehmen (vgl.
Erman/Schmid, BGB, 14. Aufl., § 651c Rn. 10). So verhält es sich
etwa, wenn der Reisende außerhalb der Inanspruchnahme von Reiseleistungen am
Urlaubsort verunglückt, erkrankt oder Opfer einer Straftat wird oder sonst
aus persönlichen Gründen die weiteren Reiseleistungen nicht mehr in Anspruch
nehmen kann.
11 bb) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
12 Der Unfall, der sich während der von der Beklagten geschuldeten
Transferfahrt ereignete, wirkte unmittelbar auf die vertragliche
Transportleistung ein und führte zu ihrer Fehlerhaftigkeit. Soweit die
Reisenden, wie die Klägerin und insbesondere ihr Ehemann, (schwer) verletzt
und in ein Krankenhaus gebracht wurden, konnten sie die Fahrt zum Hotel auch
nach der unfallbedingten Unterbrechung nicht fortsetzen. Damit hat sich
durch den von dem Falschfahrer verursachten Unfall eine für die
Personenbeförderung im allgemeinen Straßenverkehr typische und, weil der
Transport als Reiseleistung geschuldet war, insofern auch reisespezifische
Gefahr verwirklicht. Die Reisenden befanden sich auf der
Transferfahrt in einem von dem Reiseveranstalter eingesetzten Fahrzeug
und somit gleichsam in dessen Obhut, so dass der Zusammenstoß mit
dem von einem Falschfahrer gesteuerten Fahrzeug und die Folgen dieses
Zusammenstoßes auch in einem inneren Zusammenhang mit der
Transportverpflichtung des Reiseveranstalters standen.
13 Der Umstand, dass den Reiseveranstalter keine Schuld an dem durch
den „Geisterfahrer" verursachten Unfall trifft, ist für die Minderung nach §
651c BGB und die daraus folgende Verpflichtung zur (vollständigen oder
teilweisen) Erstattung des Reisepreises unerheblich. Der Reiseveranstalter
trägt das Risiko, den vereinbarten Reisepreis nicht zu erhalten, auch dann,
wenn der Reiseerfolg durch Umstände vereitelt wird, die weder ihm noch dem
Reisenden zugerechnet werden können. Diese Wertung entspricht dem
Grundgedanken des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, insbesondere der
Regelung des § 326 BGB, wonach derjenige Vertragspartner, der die
vertragliche Leistung objektiv nicht zu erbringen vermag, die Gegenleistung
nicht erhalten oder behalten soll. Es mag daher mit dem
Berufungsgericht davon gesprochen werden können, dass sich in dem Unfall das
allgemeine Lebensrisiko verwirklicht habe, das jeder Teilnehmer am
Straßenverkehr eingeht. Dieses Risiko hat indessen in einem Fall wie dem
vorliegenden, in dem es die fehlerfreie Erbringung der von der Beklagten
geschuldeten Reiseleistung beeinträchtigt hat, nicht der Reisende, sondern
der Reiseveranstalter zu tragen, der die Preisgefahr auch sonst tragen muss.
14 3. Aufgrund des Reisemangels hat die Beklagte keinen Anspruch auf den
vereinbarten Reisepreis.
15 a) Das Vorliegen eines Reisemangels führt nach § 651d Abs. 1 BGB zu einer
Minderung des Reisepreises für die Dauer des Mangels. Minderung für die
Dauer des Mangels bedeutet nicht, dass aufgrund eines durch einen Unfall
auftretenden Reisemangels zwingend nur eine Minderung nach der anteiligen
Zeit, hier also nur für den Unfalltag, eintritt. Ein Ereignis, das
einen besonders schweren Reisemangel herbeiführt, kann dazu führen, dass die
Reise insgesamt oder weitgehend ihren Zweck verfehlt und kann eine Minderung
rechtfertigen, die nicht auf den anteiligen Reisepreis für die Dauer des
Ereignisses beschränkt ist. Für den Fall, dass der Reisende zu Tode kommt
oder schwere Verletzungen erleidet, liegt dies auf der Hand (BGH,
Urteil vom 15. Juli 2008 - X ZR 93/07, BGHZ 177, 249 Rn. 9, 11).
16 b) So liegen die Dinge hier.
17 Durch die fehlerhafte Transportleistung wurde der Wert der gesamten Reise
und deren Tauglichkeit zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen
aufgehoben. Der Ehemann der Klägerin wurde nach dem festgestellten
Sachverhalt so schwer verletzt, dass er intensivmedizinischer Behandlung
bedurfte und bis zu seinem Transport nach Deutschland im Krankenhaus
verbleiben musste und keine weiteren Reiseleistungen in Anspruch nehmen
konnte. Für ihn war der Nutzen der Reise vollständig entfallen. Nichts
anderes gilt für die Klägerin. Auch wenn sie 24 Stunden nach dem Unfall das
Krankenhaus verlassen konnte und in dem gebuchten Hotel Leistungen für die
verbleibenden Tage bis zum Rücktransport ihres Ehemannes in Anspruch nahm,
hielt sie sich nach den unangegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts an
jedem dieser Tage im Krankenhaus auf, um ihrem Ehemann beizustehen.
Unter diesen Umständen war auch für die Klägerin der Reisezweck vereitelt,
denn ein Nutzen der Reise und der mit der Reise verbundene und zu erwartende
Erholungserfolg konnte nicht mehr eintreten.
18 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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