IPR: Angleichung im Fall der Normenhäufung: Erb- und güterrechtliche Begünstigung des überlebenden Ehegatten, Qualifikation von § 1371 BGB

LG Mosbach, Beschl. v. 18. 3. 1997, 2 T 177/96


Fundstellen:

ZEV 1998, 489
JuS 1999, 296 mit Anm. Hohloch
IPRspr. 1997 Nr. 119


Leitsatz:

Das österreichische Erbstatut als Heimatrecht des Erblassers ist bei Vorliegen einer Ehe im gesetzlichen Güterstand nach deutschem Recht durch Anwendung des § 1371 Abs. 1 BGB zu ergänzen. Der überlebende (deutsche) Ehegatte darf dabei jedoch nicht mehr erhalten, als er nach einer der in Betracht kommenden Rechtsordnungen erhielte.


Zentrale Probleme:

s. die Anm. zu OLG Stuttgart, Beschluss vom 8.3.2005 - 8 W 96/04 sowie BGH v. 12.9.2012 - IV ZB 12/12 und OLG Schleswig NJW 2014, 88.


Sachverhalt:

Der Erblasser (E) war österreichischer Staatsbürger und verstarb ohne Testament. Das Notariat A als Nachlaßgericht hat der Beteiligten zu 1 (B1), die die deutsche Staatsangehörigkeit hat und am 9. 12. 1996 mit E in Sulzbach im Main-Taunus-Kreis die Ehe geschlossen hatte, am 29.11.1995 einen gemeinschaftlichen gegenständlich beschränkten Erbschein unter Anwendung österreichischen Rechts für das in der Bundesrepublik Deutschland befindliche Vermögen erteilt, in dem sie und ihre beiden Kinder - die Beteiligten zu 2 und zu 3 (B2 und 3) - als Erben zu jeweils 1/3 ausgewiesen werden. Gegen diesen Erbschein hat B1 am 11.10.1996 Beschwerde eingelegt. Der zuständige Notar als Nachlaßrichter hat der Beschwerde mit Beschluß vom 7.11.1996 unter eingehender Begründung nicht abgeholfen. Die für den minderjährigen B3 bestellte Verfahrenspflegerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist zum weit überwiegenden Teil begründet. Der der Bf. aus österreichischem Recht zustehende gesetzliche Erbteil ist in Anwendung deutschen Güterrechts gemäß § 1371 Abs. 1 BGB auf einen Erbteil von insgesamt 1/2 zu erhöhen.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Nachlaßgericht davon aus, daß der gesetzliche Erbteil der B 1 nach österreichischem Recht zu ermitteln ist.

Das deutschen Recht verweist in Art. 25 Abs. 1 EGBGB für die Rechtsnachfolge von Todes wegen auf das Heimatrecht des Erblassers, also hier auf österreichisches Recht. Dieses nimmt die Verweisung an, indem es in § 28 Abs. 1, § 9 Abs. 1 IPRG ebenfalls das Heimatrecht des Erblassers für anwendbar erklärt. Die Anwendbarkeit österreichischen Rechts erstreckt sich dabei auf den gesamten Nachlaß. Während das alte österreichische Kollisionsrecht in § 300 ABGB für Grundstücke noch eine Ausnahme vorsah (sie wurden nach dem Recht des Lageorts vererbt), sollte das IPRG vom 15. 6. 1978 diese kollisionsrechtliche Nachlaßspaltung überwinden und das Prinzip der Nachlaßeinheit festschreiben. Daran ändert auch eine entgegenstehende Entscheidung des OGH vom 27. 5. 1986 (IPRax 1988, 35) nichts, die allgemein als „Versehen" eingestuft wird und nicht der Systematik des IPRG entspricht (vgl. Lorenz, IPRax 1990, 206). Erbstatut ist also das Heimatrecht des E unabhängig von der Art der Nachlaßgegenstände.

2. Gemäß § 757 Abs. 1 Satz 1 des österreichischen ABGB ist der Ehegatte des Erblassers neben ehelichen Kindern des Erblassers und deren Nachkommen zu 1/3 des Nachlasses, neben Eltern des Erblassers und deren Nachkommen oder neben Großeltern zu 2/3 des Nachlasses gesetzlicher Erbe. Gemäß § 732 Satz 2 ABGB teilen mehrere Kinder die Erbschaft nach ihrer Zahl in gleichen Teilen. Nach hier maßgeblichem österreichischen Erbrecht sind die Beteiligten damit Erben zu je 1/3 geworden.

Diese Erbquoten sind jedoch nach Maßgabe deutschen Ehegüterrechts - § 1371 Abs. 1 BGB - zu modifizieren.

a) Art. 25 EGBGB steht einer Anwendung des § 1371 Abs. 1 BGB nicht entgegen, weil § 1371 Abs. 1 BGB nicht als erbrechtliche Regelung zu qualifizieren ist. In Rechtsprechung und Kommentarliteratur besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß diese Bestimmung vielmehr dem Ehegüterrecht angehört (OLG Karlsruhe, NJW 1990, 1421; Staudinger/Dörner, BGB, 13. Aufl., Art. 25 EGBGB Rn. 32 m. w N.). Dafür sprechen die systematische Einordnung der Vorschriften des Ehegüterrechts im BGB und die Funktion dieses Rechtsinstituts. § 1371 Abs. 1 BGB legt keinen Verteilungsmodus für den Nachlaß fest, sondern zielt auf eine Beteiligung des Ehegatten an während der Ehe erfolgten Vermögenszuwächsen ab. Lediglich die Art und Weise der rechtstechnischen Verwirklichung - pauschale Erhöhung des gesetzlichen Erbteils - rechtfertigt es noch nicht, eine derartige Regelung als erbrechtlich zu qualifizieren.

b) Für das Güterrecht und damit auch mit Blick auf § 1371 Abs. 1 BGB ist vorliegend deutsches Recht maßgeblich. Dies folgt, da die Ehe im Jahre 1966 geschlossen wurde und Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB daher noch nicht anwendbar waren, aus der Übergangsvorschrift des Art. 220 Abs. 3 Nr. 3 EGBGB.

c) § 1371 Abs. 1 BGB ist auch in Verbindung mit einer ausländischen Erbberechtigung anzuwenden. Die Kammer teilt nicht die vom Nachlaßgericht - gestützt auf einen Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, IPRspr. 1987 Nr. 105) - vertretene Auffassung, daß eine Erhöhung des gesetzlichen Ehegattenerbteils gemäß § 1371 Abs. 1 BGB nur dann in Betracht kommen könne, wenn es sich um einen deutschen gesetzlichen Erbteil handele.

Mit § 1371 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber eine einfach handhabbare Regelung geschaffen, die im wohlverstandenen Interesse beider Ehegatten und von deren Nachkommen einer Erschwerung der Nachlaßauseinandersetzung durch ein regelmäßig rechtlich und tatsächlich kompliziertes und damit „streitträchtiges" Zugewinnausgleichsverfahren auf denkbar einfache Weise durch pauschale Erhöhung des Erbteils entgegenwirkt. Diese ehegüterrechtliche Grundentscheidung des Gesetzgebers ist für alle dem deutschen Sachrecht unterliegenden Ehen und damit auch für - wie hier - gemischtnationale Ehen in den Fällen der Art. 14, 15 bzw. 220 Abs. 3 Nr. 3 EGBGB grundsätzlich zu respektieren (vgl. StaudingerlDörner, Art. 25 EGBGB Rn. 33 m. w N.).

ca) Die allgemeinen Substitutionsregeln, nach denen der „gesetzliche Erbteil" i. S. von § 1371 Abs. 1 BGB durch eine ausländische Erbberechtigung nur dann ersetzt werden soll, wenn beide Regelungen funktionell gleichwertig sind (vgl. Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 34 m. w N.) steht einer Erbteilserhöhung im Streitfall nicht entgegen.

Die in diesem Zusammenhang formulierte Abgrenzungsregel, nach der funktionelle Gleichwertigkeit zum deutschen gesetzlichen Ehegattenerbrecht nach § 1931 BGB dann vorliegen soll, wenn es sich um eine quotenmäßige dingliche Beteiligung am Nachlaß handele, die nicht schon ihrerseits einen güterrechtlichen Ausgleich bewirke, ist - wie gerade der Streitfall zeigt - für die Anwendung in der Praxis zu unscharf. Einerseits kann nämlich das österreichische gesetzliche Ehegattenerbrecht gar keinen güterrechtlichen Ausgleich bewirken wollen, weil nach dem ABGB gesetzlicher Güterstand die Gütertrennung ist. Andererseits wird die Erbquote von 1/3 im österreichischen rechtswissenschaftlichen Schrifttum teilweise gerade als Ersatz für die fehlende güterrechtliche Versorgung angesehen (Ehrenzweig/Kralik, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, 4. Buch [Erbrecht], 3. Aufl. 1983, 349).

cb) Die kollisionsrechtliche materielle Gerechtigkeit, auf die auch die allgemeinen Substitutionsregeln zielen, ist daher nach Anwendung des § 1.371 Abs. 1 BGB mit Hilfe des Rechtsinstituts der Anpassung bzw. Angleichung herzustellen (vgl. Soergel/Schurig, BGB, 12. Aufl., Art. 15 EGBGB Rn. 40 m. w. N.; Clausnitzer, IPRax 1987, 102).

Nachdem im vorliegenden Fall der B 1 bei Anwendung nur deutschen Rechts die Hälfte der Erbschaft und bei Anwendung nur österreichischem Rechts nur 1/3 der Erbschaft zustünde, erhielte der überlebende Ehegatte durch eine Kombination zweier Rechtsordnungen insgesamt mehr als ihm jedes der einzelnen Rechte für sich zubilligen würde. Damit liegt ein Fall der Normenhäufung vor, der über das Rechtsinstitut der Anpassung zu beseitigen ist, wenn er - wie oben dargelegt - ansonsten zu Ergebnissen führen würde, die den Wertvorstellungen beider tangierter Rechtsordnungen widersprechen (Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 717 m. w N.). Allerdings ist umstritten, wie eine solche Anpassung vorzunehmen ist, weil feste Regeln dafür nicht existieren (Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 712). Die im Schrifttum teilweise vertretene Lösung, entweder das Güterstatut über die erbrechtliche oder umgekehrt das Erbstatut über die güterrechtliche Beteiligung entscheiden zu lassen, also nur eine Rechtsordnung anzuwenden (kollisionsrechtliche Anpassung) kann hier nach Auffassung der Kammer deswegen nicht zur Anwendung kommen, weil sie sich in Widerspruch zu der gesetzgeberischen Grundentscheidung setzt, nach der erbrechtliche und güterrechtliche Sachverhalte kollisionsrechtlich eben nicht gleich zu behandeln sind. Auch unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit erscheint es der Kammer daher vorzugswürdig, den aufgezeigten Normenwiderspruch im Wege materiell-rechtlicher Anpassung nach dem Grundsatz aufzulösen, daß kein Ehegatte mehr erhalten darf, als er nach einer der in Betracht kommenden Rechtsordnungen erhielte (Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 717; Soergel/Schurig, Art. 15 EGBGB Rn. 40 m. w. N.).

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im vorliegenden Fall die dem Beschlußtenor zugrunde gelegte Erbquote von 1/2 der B 1. Dementsprechend war das Nachlaßgericht anzuweisen, den erteilten Erbschein auf die Beschwerde hin einzuziehen und einen den Ausführungen der Kammer entsprechenden Erbschein zu erteilen.