Qualifikation von § 1371 BGB und Anwendung bei nicht-deutschem Erbstatut


OLG Stuttgart, Beschluß vom 8.3.2005 - 8 W 96/04


Fundstelle:

NJW-RR 2005, 740
FamRZ 2005, 1711


Amtl. Leitsätze:

Ist in einem Erbfall österreichisches Erbrecht neben deutschem Güterrecht anzuwenden, scheidet ein Ausgleich des Zugewinns durch Erhöhung der Erbquote gemäß § 1371 Abs. 1 BGB aus.


Zentrale Probleme:

Es geht um das klassische IPR-Problem der Qualifikation der pauschalen Erbteilerhöhung nach § 1371 BGB. Dieser ist nach heute ganz hM ausschließlich güterrechtlich zu qualifizieren (BGHZ 40, 32, 34; OLG Karlsruhe NJW 1990, 1420 = IPRax 1990, 407 ff.; LG Mosbach ZEV 1998, 489 f.; Palandt/Heldrich Art. 15 Rn. 26; Staudinger/Dörner Rn. 32; Erman/Hohloch Rn. 35; Soergel/Schurig Rn. 38, jeweils mwN; aA etwa MünchKommBGB/Birk Rn. 158 f. (Doppelqualifikation). Die pauschale Erhöhung des Ehegattenerbteils setzt somit die Anwendbarkeit deutschen Ehegüterrechts nach Art. 15, 220 Abs. 3, nicht aber die Anwendbarkeit deutschen Erbrechts voraus. Damit kann auch ein gesetzlicher Erbteil nach ausländischem Recht um das zusätzliche Viertel nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöht werden. Führt die Erhöhung eines gesetzlichen Erbteils nach ausländischem Recht jedoch zu einer höheren Erbquote, als sie sich bei der Anwendung deutschen Erb- und Ehegüterrechts nach §§ 1931, 1371 Abs. 1 BGB ergäbe, so ist das Ergebnis im Wege der materiellrechtlichen Angleichung auf letztere zu korrigieren (Im einzelnen sehr str., wie hier LG Mosbach ZEV 1998, 489 f.; Staudinger/Dörner Rn. 717; Palandt/Heldrich Art. 15 Rn. 26.). Das OLG folgt dem hier im Ergebnis nicht. Seine Begründung ist freilich widersprüchlich. Wenn es - was in der Literatur vertreten wird - der Meinung ist, dass nur ein "deutscher" Erbteil nach § 1371 BGB erhöht werden kann, folgt es letztlich der Doppelqualifikation. Der Satz, dass "der Zugewinnausgleich des § 1371 Abs. 1 BGB ... güterrechtlicher Art" ist, wird damit zum bloßen Lippenbekenntnis. S. dazu auch die zutreffende Entscheidung OLG Schleswig NJW 2014, 88.
Kurz: Die Meinung des OLG ist im Ergebnis vertretbar und wird auch in der Literatur von einer Mindermeinung mit beachtlichen Gründen vertreten, mit dieser Begründung ist sie aber nicht haltbar. S. dazu jetzt
BGH v. 13.5.2015 - IV ZB 30/14.

©sl 2005


Zum Sachverhalt:

Der in Ellwangen verstorbene Erblasser war österreichischer Staatsangehöriger. Er heiratete im März 1974 in Ellwangen in zweiter Ehe die Beteiligte 1 und lebte mit dieser zusammen in Ellwangen bis zu seinem Tod. Die Beteiligte 1 ist deutsche Staatsangehörige. Der Beteiligte 2 ist der gemeinsame Sohn des Erblassers und der Beteiligten 1. Der Beteiligte 3 ist das Kind des Sohns des Erblassers aus erster Ehe, M., und damit sein Enkel.

Mit Beschluss vom 25.10.2002 erließ das Notariat III Ellwangen als zuständiges Nachlassgericht einen Vorbescheid, wonach es beabsichtige, entsprechend dem von den Beteiligten 1 und 2 gestellten, gegenständlich auf den in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Nachlass beschränkten Erbscheinantrag einen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligte 1 zur Hälfte, die Beteiligten 2 und 3 je zu einem Viertel als Erben ausweise.

Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte 3 Beschwerde ein. Er begründete diese vor allem damit, dass die Erbquoten unter Einbeziehung des pauschalierten Zugewinnausgleichs nach § 1371 Abs. 1 BGB bestimmt worden seien. Das sei falsch. § 1371 Abs. 1 BGB sei eine Norm des deutschen Güterrechts und setze voraus, dass neben deutschem Güterrecht auch deutsches Erbrecht zur Anwendung komme. Letzteres sei hier aber nicht der Fall, weil der Nachlass österreichischem Erbrecht unterliege. Das deutsche Güterrecht habe nicht die Rechtsmacht, die Regelungen eines ausländischen Erbstatuts zu unterlaufen. Nach österreichischem Erbrecht aber sei der Beteiligte 3 Erbe zu einem Drittel neben den Beteiligten 1 und 2. Auch sei ungeklärt, ob die in Ungarn geborene Beteiligte 1 nicht (auch) die ungarische Staatsangehörigkeit besitze. Damit stehe nicht fest, in welchem gesetzlichen Güterstand die Eheleute gelebt hätten.

Mit Beschluss vom 26.2.2004 hat das Landgericht Ellwangen die Beschwerde zurückgewiesen. Mit seiner weiteren Beschwerde verfolgt der Beteiligte 3 unter Wiederholung seiner schon im Beschwerdeverfahren dargelegten Argumente weiterhin das Ziel, die Aufhebung des Vorbescheids zu erreichen. Auf den Schriftsatz vom 10.5.04 wird insoweit verwiesen. Die Beteiligten 1 und 2 sind der weiteren Beschwerde entgegengetreten.

Aus den Gründen:


I. ...
II. Die weitere Beschwerde des Beteiligten 3 ist nach §§ 27,29 FGG als Rechtsbeschwerde zulässig. Sie hat auch Erfolg. Die Entscheidungen beider Vorinstanzen beruhen auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung.

1. Die internationale Zuständigkeit des Nachlassgerichts Ellwangen für die Erteilung eines auf den im Inland befindlichen Teil des Nachlasses des österreichischen Erblassers beschränkten Erbscheins ergibt sich aus § 73 Abs. 1 FGG in Verbindung mit § 2369 Abs. 1 BGB (vgl. Bassenge/Herbst/Roth, FGG, § 73 Rn. 3). Hiervon leitet sich auch die Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte ab.
2. Das Erbstatut des Erblassers richtet sich gemäß Art. 25 Abs. 1 EGBGB nach österreichischem Recht. Eine Rückverweisung kennt das österreichische Recht nicht. Nach § 28 Abs. 1 des österreichischen IPR - Gesetzes beurteilt sich die Rechtslage nach dem Personalstatut. Bei österreichischen Staatsangehörigen ist danach also österreichisches Recht anzuwenden (so auch BayObLGZ 1980, 276).
Nach österreichischem Recht ist die Ehefrau neben den Kindern des Erblassers Erbin zu einem Drittel des Nachlasses (§ 757 Abs. 1 ABGB). Das gesetzliche Vorausvermächtnis des § 758 ABGB (Wohnrecht u.a.) berührt die quotenmäßige Erbeinsetzung nicht.
3. Das Güterrechtsstatut des Erblassers wiederum richtet sich nach deutschem Recht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen im Beschluss der Vorinstanz verwiesen werden. Da der Erblassers und seine Ehefrau, die Beteiligte 1, bis zum Tod des Erblassers in Ellwangen wohnten und somit ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten, ergibt sich die Anwendung deutschen Rechts aus Art. 220 Abs. 3 S. 3, 15,14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB. Ob die Beteiligte 1 neben der (im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht länger bestrittenen) deutschen Staatsangehörigkeit auch noch die ungarische Staatsangehörigkeit hat, ist für das Güterrechtsstatut danach ohne Bedeutung. Das Landgericht konnte von einer Abklärung dieser Frage absehen.
Der Erblasser und die Beteiligte 1 lebten im gesetzlichen Stand der Zugewinngemeinschaft. Nach deutschem Recht steht der Beteiligten 1 daher nach dem Tod des Erblassers ein pauschalierter Zugewinn in Höhe eines Erbteils von einem (zusätzlichen) Viertel zu (§ 1371 Abs. 1 BGB). Der Abschluss eines vom gesetzlichen Güterstand abweichenden Ehevertrags ist weder behauptet noch ersichtlich.
Der Zugewinnausgleich des § 1371 Abs. 1 BGB ist güterrechtlicher Art (so auch Ermann/Schurig, BGB, 11. Aufl. Art. 14 EGBGB Rn. 37,38; Palandt/Heldrich, BGB, 64. Aufl., Art. 15 EGBGB Rn. 26; Staudinger/Mankowski, BGB, Neubearbeitung 2003, Art. 15 Rn. 342 ff, 346; zum Meinungsbild auch hinsichtlich abweichender Meinungen: Mankowski aaO Rn 342,343). Das ergibt sich nicht nur aus seiner formalen Stellung im Regelungskontext der Regelungen des Güterrechts. Vielmehr schafft er mit der pauschalen Zuordnung eines zusätzlichen Erbteils einen Ausgleich für den in der Ehe erarbeiteten und nicht ausgeglichenen Zugewinn. Das gibt ihr einen anderen Charakter als er zum Beispiel der Regelung des § 1931 Abs. 4 BGB für Ehen mit Gütertrennung zukommt. Nur letztere ist erbrechtlicher Art. Denn beim vertraglichen Güterstand der Gütertrennung besteht kein Bedarf für einen Ausgleich in der Ehe erarbeiteten Zugewinns des einen oder anderen Ehepartners. Ein Zugewinnausgleich wurde hier ausdrücklich vertraglich ausgeschlossen (§ 1414 S. 2 BGB).
4. Erbrechtliches Drittel nach österreichischem Erbstatut und güterrechtliches Viertel nach deutschem Zugewinnrecht ergeben ein Erbteil der Beteiligten von insgesamt 7/12, das ist 1/12 mehr, als sich ergäbe, wenn der Erblasser Deutscher wäre und auch hinsichtlich des Erbstatuts deutschem Recht unterläge. Für die Söhne des Erblassers, die nach § 757 ABGB je zu 1/3 Erben werden sollen, bliebe statt dessen nur noch je 2,5/12 übrig. Hier kollidiert das österreichische Erbstatut mit dem deutschen Güterrecht.
Für die Lösung dieses - auch im Vergleich mit dem Recht anderer Staaten denkbaren - Konflikts wurden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Ansätze entwickelt:
a) Der Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB sei aufgrund seiner pauschalen Abgeltung als Erbteil erbrechtlicher Art (vgl. Darstellung bei Mankowski aaO Rn. 343); er käme dann, da das Erbstatut dasjenige des ausländischen Staates ist, hier nicht zum Zug.
b) Der Zugewinnausgleich des § 1371 Abs. 1 BGB habe sowohl güterrechtlichen als auch erbrechtlichen Charakter. Er komme deshalb nur zur Anwendung, wenn deutsches Recht sowohl Güter- als auch Erbstatut sei (vgl. Darstellung bei Mankowski Rn. 343; so OLG Düsseldorf MittRhNotK 1988, 68).
c) Der Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB sei güterrechtlicher Natur. Führe das Nebeneinander des ausländischen Erbstatuts mit dem inländischen Güterstatut zu unbilligen Ergebnissen, so sei eine Anpassung derart vorzunehmen, dass der Berechtigte mindestens bzw. höchstens das erhalte, was ihm bei vollständiger Anwendung jeder der beiden Rechte zustünde (so Mankowski Rn. 378; Palandt/Heldrich aaO, Rn. 26; Ermann/Hohloch aaO Rn. 37; Soergel/Schurig, BGB. 12. Aufl., § 1931 Rn. 39; vgl. auch OLG Hamm IPrax 1994, 49; LG Mosbach ZEV 1998, 489).

5. Der Senat ist zwar, wie bereits dargestellt, der Auffassung, dass der Zugewinnausgleich als Ausprägung des deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft güterrechtlicher Natur ist. Doch rechtfertigt dies es nicht, den Zugewinn als Erbquote auch dann zu verwirklichen, wenn sich das Erbstatut nach ausländischem Recht richtet und dieses - wie das hier anzuwendende österreichische Recht - eine solche Erbquote nicht kennt. Denn das Erbstatut bestimmt die Erbquote (insoweit übereinstimmend mit den oben unter a) und b) wiedergegebenen Meinungen). Diese Quote ist nach Auffassung des Senats auch keiner Abänderung unter Billigkeitsgesichtspunkten zugänglich; insoweit stimmt der Senat mit der unter c) genannten Meinung nicht überein.

Andererseits steht der Ehefrau nach dem deutschen Güterstatut ein Zugewinnausgleich zu. Wenn dieser, wie dargestellt, nicht erbrechtlich ausgleichbar ist, weil das ausländische Erbstatut dies nicht zulässt, kann der Ausgleich nur nach den Regeln der §§ 1373 ff BGB erfolgen (so auch im Ergebnis OLG Düsseldorf MittRhNotK 1988, 68). §§ 1371 Abs. 3, 1372 BGB stehen dem in einem solchen Fall nicht entgegen. Denn sie sind insoweit nur mit den deutschen erbrechtlichen Regeln abgestimmt und mit österreichischem Erbrecht nicht vereinbar.

Ob dann, wenn sich bei Anwendung des österreichischen Erbrechts und der deutschen Zugewinnausgleichsregeln der §§ 1373 ff ergeben sollte, dass die Beteiligte 1 einen unverhältnismäßigen Vorteil gegenüber dem Zustand hätte, würde der Zugewinn als Quote nach § 1371 Abs. 1 BGB ermittelt, ein schuldrechtlicher Ausgleich vorzunehmen ist (vgl. hierzu Dr. Schotten MittRhNotK 1987, 18 ff), ist nicht in diesem erbrechtlichen Verfahren zu entscheiden.

6. Eine Vorlage an den BGH nach § 28 Abs. 2 FGG kommt nicht in Betracht. Der Senat weicht mit vorliegender Entscheidung im Ergebnis nicht von der Entscheidung des OLG Düsseldorf MittRhNotK 1988, 68 ab. Die Entscheidung des Senats steht auch nicht im Widerspruch zu den Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe NJW 1990, 1420 betrifft einen Fall mit deutschem Erbstatut. Im Fall des BayObLGZ 1980, 276 liegt kein Kollisionsfall vor, da ein Ehegattenerbausschluss gegeben war. Die Entscheidung des OLG Hamm IPRax 1994, 49 beruht auf verfahrensrechtlichen Gründen. Eine einschlägige Entscheidung des BGH ist nicht bekannt.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 Abs. 2 KostO und § 13a Abs. 1 FGG. In Anbetracht der schwierigen Rechtslage ist es gerechtfertigt, es beim allgemeinen Grundsatz zu belassen, dass jede Seite ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst trägt.