Kein Sachmangel i.S.v. § 434 I bei typischen Verschleißerscheinungen einer gebrauchten Sache; kein Rücktrittsrecht und Schadensersatzanspruch bei Mängelbeseitigung durch den Käufer vor Ablauf einer (notwendigen) Nacherfüllungsfrist


LG Aachen, Urteil vom 23. 10. 2003 - 6 S 99/03


Fundstelle:

nicht bekannt


Zentrale Probleme:

s. die Anm. zu AG Daun, Urt. v. 15.1.2003 - 3 C 664/02
sowie Lorenz NJW 2003, 1417. Die dort vorgeschlagene und z.B. auch von Palandt/Heinrichs § 326 Rn. 9, 13; Palandt/Putzo § 437 Rn. 4a vertretene Anwendung von § 326 Abs. 2 S. 2 BGB lehnt das Gericht (wie etwa auch AG Kempen, Urt. v. 18.8.2003 -11 C 225/02 und LG Gießen ZGS 2004, 238) ausdrücklich ab.

©sl 2004


Leitsatz:

Kein Rücktrittsrecht und kein Schadensersatz statt der Leistung bei unberechtigter Mängelbeseitigung durch den Käufer.


Zum Sachverhalt:

Am 26. 9. 2002 kaufte der Kl. von der Bekl. einen gebrauchten Peugeot 106 mit sechsmonatiger Garantie für 3000 €. Das Fahrzeug wurde dem Kl. nebst Schlüssel und Papieren am selben Tag gegen Barzahlung ausgehändigt. Mit Schreiben vom 16. 11. 2002 rügte der Kl. gegenüber der Bekl. u.a. Folgendes:

„… Eine von mir veranlasste Inspektion bei 63452 km (beim Kauf hatte der Wagen 62500 km) zeigte insbesondere an den vorderen Bremsen erhebliche Mängel, die keine Fahrtauglichkeit mehr zuließen. Daher mussten die Bremsscheiben sowie die Bremsklötze vorne komplett erneuert werden. …“.

Der Kl. behauptet, er habe bereits einen Tag nach dem Kauf festgestellt, dass 1,5 l Motoröl fehlten und die Vorderbremsen (Bremsklötze und Bremsscheibe) so abgenutzt gewesen seien, dass das Fahrzeug bereits bei Übergabe nicht mehr verkehrstauglich gewesen sei. Da er auf das Fahrzeug dringend angewiesen gewesen sei, um zu seiner Arbeitsstelle zu kommen, habe er die Reparatur sofort in Auftrag gegeben. Zu diesem Zeitpunkt habe er mit dem Fahrzeug lediglich die Strecke von H. nach D. zurückgelegt gehabt, also nur wenige bis maximal 100 km. Darüber hinaus sei im Scheckheft weder die 45000 km-Inspektion noch die 60000 km-Inspektion vermerkt worden, weshalb er auch eine Inspektion in Auftrag gegeben habe. Der Kl. behauptet weiter, er habe für die Reparatur und Inspektion einen Betrag von 304,01 € bezahlt. Der Kl. behauptet, die Reparatur sei am 27. 9. 2002 durchgeführt worden und er habe sich lediglich unter dem 16. 11. 2002 noch einmal im Einzelnen die durchgeführten Arbeiten auflisten lassen.
Wegen der von ihm gerügten und zwischenzeitlich reparierten Mängel tritt der Kl. vom Kaufvertrag zurück. Er ist der Auffassung, die Bekl. schulde ihm nach Rücktritt vom Kaufvertrag nicht nur die Rückzahlung des Kaufpreises, sondern aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes auch die Reparaturkosten unter Abzug seines Gebrauchsvorteils in Höhe von 60,30 €.

Klage und Berufung blieben erfolglos.

Aus den Gründen:

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.

Das AG hat zu der Frage der Erforderlichkeit einer Nachfristsetzung (§ 439 BGB) zutreffende und letztlich nicht ergänzungsbedürftige Ausführungen gemacht.
Sowohl dem Rücktrittsbegehren des Kl. gem. §§ 437 Nr. 2, 323 BGB als auch dem Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3, 280 , 281 BGB steht entgegen, dass der Bekl. zuvor nicht Gelegenheit zur Nachbesserung gem. §§ 437 Nr. 1, 439 BGB gegeben worden ist. Auch wenn sich dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der §§ 437, 439 BGB ergibt, ist der Nacherfüllungsanspruch gegenüber den übrigen Gewährleistungsansprüchen vorrangig und im neuen System der Gewährleistungsrechte der primäre Anspruch des Käufers (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 62. Aufl. [2003], § 437, Rdnr. 4; Huber, NJW 2002, 1004 [1005]; Westermann, NJW 2002, 241 [248]). Nur in Ausnahmefällen erhält der Käufer ein Recht zum sofortigen Rücktritt (§§ 440 , 323 II , 326 V BGB) bzw. zur sofortigen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs (§§ 440 , 281 II BGB). Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls hat das AG mit zutreffender Begründung verneint. Insbesondere vermögen die vom Kl. dargelegten Umstände eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nicht zu begründen (vgl. zu den Anforderungen der Unzumutbarkeit Palandt/Putzo, § 440 BGB Rdnr. 8). Der „Vorrang der Nacherfüllung“, der dem Verkäufer grundsätzlich ein Recht zur zweiten Andienung einräumt, verbietet es auch, dieses neue System im Kaufrecht dadurch zu unterlaufen, dass etwa dem Käufer, der den Mangel eigenmächtig beseitigt, über § 326 II 2 BGB analog die Möglichkeit eröffnet wird, diese Aufwendungen über ein Hilfskonstrukt doch ersetzt zu erhalten (vgl. hierzu Lorenz, NJW 2003, 1417 [1419]). Ein Recht zum sofortigen Rücktritt und auch zur sofortigen eigenmächtigen Schadensbehebung durch den Käufer kann - wie dargelegt - nur in Ausnahmefällen bestehen. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.
Im Übrigen fehlt es - wie vom AG ausgeführt - am Vorliegen eines Mangels i.S. des § 434 I BGB, da es sich bei dem beanstandeten Zustand der Bremsanlage und des Ölstands um typische Verschleißerscheinungen eines Gebrauchtfahrzeugs handelt.
Das Risiko für normale Verschleiß-, Abnutzungs- und Alterungserscheinungen trägt der Käufer eines Gebrauchtwagens, soweit eine besondere Vereinbarung dem nicht entgegensteht (vgl. hierzu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl. [2003], Rdnrn. 1249f.m. w. Nachw. zur Rspr.). Auch der gewerbliche Autoverkäufer ist zu einer weitergehenden, eine Demontage der Bremsanlage umfassenden Untersuchung nicht verpflichtet, wenn kein hinreichender Verdacht auf Mängel der Bremsanlage besteht (OLG Hamm, DAR 2000, 119). Vorliegend bestand ein solcher Verdacht schon deshalb nicht, weil das Fahrzeug etwa drei Monate vor dem Verkauf ohne erkennbare Mängel dem TÜV vorgeführt wurde und insbesondere auch die Bremsen auf dem Bremsprüfstand untersucht worden sind. Die Behauptung des Kl., die Abnutzung der Vorderbremsen sei einen Tag nach Übergabe des Fahrzeugs, also am 27. 9. 2002, festgestellt und beseitigt worden, wird durch seinen eigenen außergerichtlichen Vortrag widerlegt. In seinem Schreiben vom 16. 11. 2002 räumt der Kl. selbst ein, dass die von ihm veranlasste Inspektion bei einem Kilometerstand von 63452 km durchgeführt wurde; dies bestätigt auch die beigefügte Rechnung, ebenfalls datiert auf den 16. 11. 2002. Übergeben wurde der Wagen ausweislich des Kaufvertrags mit einem Kilometerstand von 62000 km. Für solche typischen Verschleißerscheinungen nach etwa 1500 km zurückgelegter Fahrstrecke hat ein Kfz-Händler - wie dargelegt - nicht einzustehen.