„Selbstvornahme“ der Mangelbeseitigung im Kaufrecht: Kein Anspruch auf Erstattung ersparter Nachbesserungsaufwendungen nach bzw. analog § 326 II 2 BGB


LG Gießen, Urt. v. 10. 3. 2004 - 7 S 453/03


Fundstelle:

ZGS 2004, 238 ff
NJW 2004, 2906


Zentrale Probleme:

s. die Anm. zu AG Daun, Urt. v. 15.1.2003 - 3 C 664/02
sowie Lorenz NJW 2003, 1417. Die dort vorgeschlagene und z.B. auch von Palandt/Heinrichs § 326 Rn. 9, 13; Palandt/Putzo § 437 Rn. 4a vertretene Anwendung von § 326 Abs. 2 S. 2 BGB lehnt das Gericht (wie etwa auch AG Kempen, Urt. v. 18.8.2003 -11 C 225/02 und LG Aachen v. 23.10.2003 - 6 S 99/03 ausdrücklich ab. Die Revision ist beim BGH ist gescheitert (s. BGH, Urteil vom 23. Februar 2005 - VIII ZR 100/04)

©sl 2004


Amtl. Leitsatz:

Lässt der Käufer einen Mangel des gekauften Fahrzeugs selbst reparieren, ohne dem Verkäufer Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen, ist dieser weder nach Gewährleistungsrecht noch nach den Regeln der Unmöglichkeit in Hinblick auf ersparte Aufwendungen zur Zahlung verpflichtet.


Aus den Gründen:

Am 16.3.2002 kaufte der Kläger einen EG-Neuwagen Typ Seat Arosa zum Preis von 6.700 €. Im - nach Vorlage einer lesbaren Kopie von Beklagtenseite nicht mehr ernsthaft bestritten - Kaufvertragsformular ist als Verkäufer der Beklagte angegeben. Das Formular ausgefüllt sowie eine selbstständige „Garantievereinbarung zum Kauf über PRO-CAR-Produkte" (...) übernommen hatte ein Autohändler M., auf dessen Gelände das verkaufte Fahrzeug stand.
Das Fahrzeug wurde im April 2002 an den Kläger übergeben.
Bei einem Kilometerstand von 7.400 km erlitt es im November 2002 einen Motorschaden. Zwischenzeitlich fällig gewordene Inspektionen sind vom Kläger nicht durchgeführt worden.
Er wandte sich an den Autohändler M., der erklärte, die Garantie greife in Hinblick auf die fehlenden Eintragungen im Serviceheft nicht ein.
Der Kläger ließ anschließend einen Ersatzmotor in das Fahrzeug einbauen (vgl. Rechnung v. 24.12.2002 des Autohauses U., über 2.506,90 € [...]), ohne sich zuvor an den Beklagten gewandt zu haben.
Mit Schreiben v. 7.1.2003 teilte das die Reparatur durchführende Autohaus auf Wunsch des Klägers die Schadensursache schriftlich mit. Der Kläger wandte sich an die Seat Deutschland GmbH, die jedoch in Hinblick auf das nicht ausgefüllte Serviceheft mit Schreiben v. 12.5.2003 (...) eine Kostenbeteiligung ablehnte.
Mit Schreiben v. 28.6.2003 forderte der Kläger erstmals den Beklagten zur Übernahme der Reparaturkosten auf (...).
Er behauptet, durch einen technischen Fehler der Baureihe sei Kondenswasser in der Ölwanne gefroren und habe die Ölversorgung des Motors unterbrochen.
Der Beklagte führt den Motorschaden auf mangelnde Inspektionsleistungen am Fahrzeug zurück und behauptet die Mangelfreiheit des Motors bei Übergabe des Fahrzeugs. Zudem sei ihm keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt worden und die Kosten des Austauschs seien überhöht.
Durch das dem Kläger am 3.12.2003 zugestellte Urteil, auf das zur näheren Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird, hat das AG die erstinstanzlich nur auf Minderung gerichtete Klage abgewiesen, weil der Kläger dem Beklagten keine Gelegenheit bzw. Frist zur Nacherfüllung gem. § 439 BGB eingeräumt hat.
Mit der mit Schriftsatz v. 15.12.2003 - bei Gericht am 31.12.2003 eingegangenen - eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger den Minderungsanspruch weiter. Zusätzlich stützt die Berufung den Zahlungsanspruch auf § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB in Hinblick darauf, dass der Beklagte durch die Selbstvornahme der Reparatur durch den Kläger Nachbesserungskosten erspart habe.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 21.11.2003 verkündeten Urteils des AG Gießen den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.506,90 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.6.2003 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.


II. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das AG hat der Mängelgewährleistungsklage zu Recht nicht entsprochen. Soweit erstmals mit der Berufung der Zahlungsanspruch auf die ersparten Nacherfüllungskosten des Beklagten gestützt wird, bleibt dies ebenfalls ohne Erfolg.
Zur Berufung und zur amtsgerichtlichen Entscheidung bleibt ergänzend auszuführen (§ 540 ZPO):
Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, oder neue, in der Berufungsinstanz berücksichtigungsfähige Tatsachen bezeichnet die Berufungsbegründung nicht (§ 529 ZPO).
Die Kammer erachtet die in der Berufungsbegründung vorgenommene Klageänderung als zulässig (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 263 Rn. 11b, § 531 Rn. 26, § 533 Rn. 6) und sachdienlich. Die Berufung stützt sich unter Hinweis auf eine erfolgte Mangelanzeige und Fristsetzung weiterhin auch auf den Ersatz der Reparaturkosten im Wege der Gewährleistung; darin liegt ein teilweises Weiterverfolgen des erstinstanzlichen Antrags und eine entsprechende Beschwer des Klägers.
Soweit die Berufung zusätzlich Zahlung i.H.d. Reparaturkosten unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung ersparter Nachbesserungsaufwendungen des Verkäufers gem. § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB (analog) verlangt, stellt dies eine Änderung des Klageantrags dar. Da dem neuen Vorbringen im Wesentlichen der bisherige Streitstoff zugrunde liegt, erachtet die Kammer die Klageänderung aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit für sachdienlich (§§ 533 Nr. 1, 263 ZPO).
Zu Recht (§ 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO) hat das AG Mängelgewährleistungsrechte des Klägers verneint. Nach der Novellierung des Kaufrechts durch die Schuldrechtsreform 2002 steht die Geltendmachung von Minderungs- bzw. Schadensersatzansprüchen unter dem Vorrang der fehlgeschlagenen Nacherfüllung. Dazu hätte der Kläger den Beklagten unter Fristsetzung vergeblich zur Nacherfüllung aufgefordert haben müssen. Dies ist nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils nicht geschehen. Soweit die Berufung dagegen anführt, es sei erstinstanzlich mit Schriftsatz v. 13.10.2003 vorgetragen worden, dass der Kläger den Beklagten aufgefordert habe, den Motorschaden zu beseitigen, hat das AG zu Recht dieses Vorbringen als unsubstantiiert zurückgewiesen.
Auch in der Berufungsbegründung fehlt konkreter Vortrag, wann und wie der Kläger mit dem Beklagten als aus dem Kaufvertrag erkennbarem Verkäufer diesbezüglich Kontakt aufgenommen haben will und ob eine Frist gesetzt worden ist. Dies erscheint vor dem sonstigen Hintergrundgeschehen auch unwahrscheinlich. Nach dem Vorbringen des Klägers hat er nach Eintritt des Motorschadens das Fahrzeug zum Autohaus U. verbracht und mit dem Vermittler des Kaufs, Herrn M., Kontakt aufgenommen. Dieser hatte - klägerischer Schriftsatz v. 13.10.2003, S. 2 oben - in eigenem Namen eine Garantievereinbarung mit dem Kläger abgeschlossen. Nachdem Herr M. unter Hinweis auf nicht ordnungsgemäße Wartung des Fahrzeugs erklärt hat, er könne nicht helfen, und das Autohaus U. zu keiner Kulanzregelung bereit gewesen ist, hat sich der Kläger direkt an die Seat Deutschland GmbH gewandt. Dies legt nahe, dass der Kläger zunächst ausschließlich aus der Garantie bzw. gegen die deutsche Repräsentantin des Herstellers vorgegangen ist, zumal in der vorgelegten Korrespondenz jeglicher Hinweis auf eine Inanspruchnahme auch des Verkäufers fehlt. Erst als sein Ansinnen mit Schreiben v. 12.5.2003 der Seat Deutschland GmbH abschlägig beschieden worden ist, hat er sich mit Schreiben v. 2.6.2003 über seinen Prozessbevollmächtigten an den Beklagten als Verkäufer gewandt.
Da zur ausnahmsweise gegebenen Entbehrlichkeit der Nachbesserungsaufforderung weder substantiiert vorgetragen worden ist noch sich greifbare Anhaltspunkte dafür aus den Umständen ergeben, kann der Kläger keine Minderungs- oder Schadensersatzansprüche geltend machen.
Nach Auffassung der Kammer steht dem Kläger auch kein Anspruch wegen ersparter Aufwendungen (analog) § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB zu.
Der von der Berufung unter Bezugnahme auf die Kommentierung bei Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., § 326 Rn. 9 und 13 (unter Hinweis auf die Ausführungen von Lorenz, NJW 2003, 1417ff.) vertretenen Auffassung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Der Gegenmeinung (vgl. AG Kempen, ZGS 2003,440 = MDR 2003,1406,1407 m. Anm. Dötsch; Anwkomm-Schuldrecht/Büdenbender § 437 BGB Rn. 14) ist der Vorzug zu geben.
Der Gesetzgeber hat mit der Schuldrechtsnovellierung zwar dem Besteller eines Werkvertrags das Recht zur Selbstvornahme eingeräumt (§ 637 BGB), eine vergleichbare Regelung für das Kaufrecht jedoch nicht getroffen. Die Aufzählung der Rechte des Käufers im Gewährleistungsfall ergibt sich allein aus § 437 BGB. Soweit teilweise (vgl. Jauernig/Berger, BGB, 10. Aufl., § 439 Rn. 8) ein Selbstvornahmerecht entsprechend § 637 BGB in Hinblick auf den für den Käufer umständlichen Weg, die Kosten der Selbstvornahme sich durch einen Nachbesserungstitel gem. § 887 ZPO zu verschaffen, in Erwägung gezogen wird, kann dies nur die Fälle einer vorherigen - hier nicht gegebenen - Inverzugsetzung des Verkäufers betreffen. Denn auch dem Besteller eines Werkvertrags ist nur unter dieser Voraussetzung gestattet, den Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Selbstbeseitigung des Mangels zu verlangen (§ 637 Abs. 1 BGB). Auch nach altem Recht war für den Fall eines vertraglich eingeräumten Nachbesserungsanspruchs als alleiniges Gewährleistungsrecht des Autokäufers ein Ersatz der Selbstvornahmekosten nach der Entscheidung BGH, NJW 1991, 1882 ff. nur dann anzunehmen, wenn sich der Verkäufer in Verzug befunden hatte (in dem dortigen Fall durch die Weigerung eines anderen Vertragshändlers).
Das der Systematik des novellierten Kaufrechts somit grds. fremde Recht zur Selbstvornahme ist auch nicht wegen der von Lorenz (a.a.O., S. 1418, 1419) dargelegten Bedenken in den Fällen anzunehmen, in denen der Verkäufer allein wegen der vom Käufer durch die Reparatur herbeigeführten Unmöglichkeit der Nachbesserung seine damit ersparten Kosten „behalten" darf. Nach Auffassung der Kammer liegt auch unter Berücksichtigung der von Lorenz aufgezeigten Aspekte keine durch Analogie zur § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB zu schließende Regelungslücke vor.
Nach der Neuregelung des Kaufrechts muss der Verkäufer die Möglichkeit haben, sich durch eine sog. „zweite Andienung" den Kaufpreis zu verdienen. Diese Möglichkeit wird ihm in den Fällen unwiderruflich genommen, in denen der Käufer selbst repariert. Dabei hat es allein der Käufer in der Hand, wann er repariert und ob er die formellen Voraussetzungen einer erstattungsfähigen Ersatzvornahme herbeiführt. Versäumt er dies und geht das Risiko einer Reparatur ohne Inkenntnissetzung des Verkäufers ein, erscheint es nicht unbillig, ihn für den Fall, dass der Verkäufer im Nachhinein eine Kostenbeteiligung ablehnt, dieses Risiko tragen zu lassen.
Darüber hinaus erschöpft sich die Bedeutung des Setzens einer Nacherfüllungsfrist nicht lediglich darin, dem Verkäufer die Chance einzuräumen, durch Nachbesserung doch noch die vertraglich geschuldete Gegenleistung zu erhalten.
Durch die Mängelanzeige hat der Verkäufer zudem die Möglichkeit, den Mangel selbst zu prüfen. Seine Entscheidung, ob der behauptete Mangel anerkannt wird, welche Reparaturmaßnahmen zur Mangelbeseitigung erforderlich sind, ob er die vom Käufer gewählte „Lieferung einer mangelfreien Sache" (Ersatzlieferung) oder die „Beseitigung des Mangels" (Nachbesserung) akzeptiert oder verweigert (vgl. § 439 Abs. 3 BGB), ist abhängig von einer Prüfungsmöglichkeit. Gerade im Autohandel dürften betriebsbezogene Besonderheiten, wie etwa Lager- oder Arbeitskapazitäten, aber auch Beziehungen zum Herstellerwerk ausschlaggebend für die aus Sicht des Verkäufers kostengünstigste Variante der Vertragserfüllung sein. Durch das eigenmächtige Vorgehen des Käufers sind dem Verkäufer diese Möglichkeiten genommen.
Hinzu kommen Beweisschwierigkeiten. Während bei eingeräumter Prüfungsmöglichkeit Art und Umfang des behaupteten Mangels unter Beteiligung des Verkäufers - u.U. durch Einschaltung eines Sachverständigen - festgestellt werden können, sieht sich dieser im Falle der Selbstvornahme mit dem Reparaturergebnis konfrontiert. Auch wenn zunächst der klagende Käufer die ersparten Aufwendungen des Verkäufers (vgl. Lorenz, a.a.O., 1419) darlegen und beweisen müsste, wären die Verteidigungsmöglichkeiten des Verkäufers in unbilliger Weise eingeschränkt, da sie wesentlich von der Dokumentation der durchgeführten Reparatur abhängen. Ob die vom Käufer beauftragte Drittfirma das Schadensbild richtig ermittelt, keine unnötigen Arbeiten veranlasst und korrekt abgerechnet hat, ist auch in diesem Fall für den beklagten Verkäufer nur noch sehr schwer widerlegbar. Das - pauschale - Vorbringen der Berufung, Streitigkeiten über Umfang und Schwere der Mängel wären in Anbetracht des Verhaltens des Beklagten nach dem Anschreiben v.28.5.2003 sowieso entstanden, überzeugt nicht und vermag dies nicht zu entkräften.