Reichweite der
Mangelvermutung in § 476 BGB: Ausschluß der Vermutung wegen Unvereinbarkeit
mit der Art des Mangels
OLG Stuttgart, Urt. v.
18.1.2005 - 10 U 179/04 (nicht rechtskräftig)
Fundstelle:
ZGS 2005, 276
Amtl. Leitsatz:
Beim Kauf eines
gebrauchten Pkw gilt die Beweislastumkehr gem. § 476 Abs. 1 BGB n.F. nicht,
wenn der nach dem Gefahrübergang zu Tage getretene Mangel auf eine äußere
Einwirkung (hier: Aufsitzen des Unterbodens auf der Fahrbahn mit der Folge
allmählicher Zerstörung des Katalysators und dadurch schließlich bedingter
Verstopfung des Auspuffs) zurückzuführen ist. Für Fälle dieser Art gilt §
476 Abs. 2 BGB n.F. (Abweichung von OLG Stgt,
19. ZS., Urteil vom 17.11.2004, Az.: 19 U 130/04).
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
OLG Stgt, 19. ZS., Urteil vom 17.11.2004, Az.:
19 U 130/04
sowie zu BGH
NJW 2004, 2299. Der BGH hat das Urteil nur im Ergebnis bestätigt:
BGH v. 21.12.2005 - VIII ZR 49/05.
©sl 2005
Zum Sachverhalt:
Der Kläger kaufte am 23.09.2002 bei der Beklagten, einer gewerblichen
Autohändlerin, einen gebrauchten Pkw zum Kaufpreis von 37.900 €. Die
Übergabe des Fahrzeugs erfolgte am 26.09.2002.
Am 23.11.2002 suchte der Kläger auf einer Fahrt mit dem Fahrzeug auf der
Autobahn in Höhe nach Aufleuchten der Kontroll-Leuchte die nächste
Niederlassung auf. Dort wurde ein Defekt am Katalysator festgestellt, der -
wie das vom Landgericht eingeholte Sachverständigengutachten ergab - auf ein
Aufsetzen des Fahrzeugs zurückzuführen war.
Wegen dieses Defekts und anderer, im Berufungsverfahren nur teilweise weiter
verfolgter Mängel hat der Kläger erstinstanzlich einen Anspruch auf
Minderung in Höhe von insgesamt 5.060,77 € geltend gemacht.
Die Beklagte hat das Vorliegen von Mängeln im Zeitpunkt der Übergabe
bestritten und beanstandet, dass ihr keine Gelegenheit zur Nacherfüllung
gegeben worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass dem Kläger
der geltend gemachte Minderungsanspruch nicht zustehe, da er verpflichtet
gewesen wäre, der Beklagten Gelegenheit zur Nacherfüllung zu geben. Aus
diesem Grund könne offen bleiben, ob ein Fall der Beweislastumkehr nach §
476 BGB gegeben sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der die
Kosten der erfolgten Reparatur am Katalysator sowie der Fahrzeugvermessung
nebst einem Minderungsbetrag wegen der Beschädigung des durch das Aufsetzen
eingedrückten Rahmenlängsträgers geltend gemacht werden. Die von dem
Landgericht für notwendig erachtete Fristsetzung sei vorliegend entbehrlich,
da der Kläger im Zeitpunkt der Beauftragung der Werkstatt keine Kenntnis vom
Vorliegen eines Sachmangels gehabt habe und er auf das Fahrzeug angewiesen
gewesen sei. Der Mangel habe auch bereits bei Übergabe des Fahrzeugs
vorgelegen, da es während seines Besitzes nicht zu einem Aufsetzen des
Fahrzeugs gekommen sei. Unabhängig hiervon greife vorliegend die Vermutung
des § 476 BGB ein. Aus den
Gründen:
I ...
II. Die Berufung ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Dem Kläger steht wegen der im Berufungsverfahren weiter verfolgten Mängel
kein Anspruch auf Minderung des Kaufpreises zu.
Dabei kann dahinstehen, ob - worauf das Landgericht seine Entscheidung
gestützt hat - ein etwaiger Anspruch des Klägers an der nicht erfolgten
Fristsetzung zur Abhilfe scheitert.
Der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen steht entgegen, dass vom
Vorliegen eines Mangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs ( § 434 BGB) nicht
ausgegangen werden kann und die Beweislastumkehr des § 476 BGB nicht
eingreift.
1. Nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des
Sachverständigen wurden die Beschädigungen am rechten Rahmenlängsträger
sowie am rechten Katalysator durch einen Aufsetzvorgang verursacht, der im
Laufe des weiteren Fahrbetriebes zur Verstopfung des Auspuffrohrs durch sich
ablösende Teile führte. Ob das für die Beschädigung ursächliche Aufsetzen
des Fahrzeugs vor oder während der Besitzzeit des Klägers erfolgt ist,
konnte der Sachverständige nicht beurteilen, weshalb mangels Beweisangeboten
des Klägers vom Vorliegen eines Mangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs
nicht ausgegangen werden kann.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers greift vorliegend die in § 476 BGB
für den Fall des Verbrauchsgüterkaufs geregelte Beweislastumkehr nicht ein.
Danach wird bei Auftreten eines Sachmangels binnen sechs Monaten nach
Gefahrübergang in zeitlicher Hinsicht vermutet, dass der Mangel bereits im
Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag, es sei denn, diese Vermutung ist mit
der Art der Sache oder der Art des Mangels nicht vereinbar. Die Ausnahme
von der grundsätzlich gegebenen Beweislastumkehr kommt bei Mängeln nicht zur
Anwendung, bei denen das Auftreten innerhalb der ersten sechs Monate nach
Gefahrübergang keinen hinreichenden Rückschluss auf das Vorliegen dieses
Mangels bereits zur Zeit des Gefahrübergangs zulässt (MünchKommBGB/Lorenz,
4.Aufl. § 476 Rn. 17; Bamberger/Roth/Faust, BGB, § 476 Rn. 4; AnwKom-BGB
Pfeiffer, Art 5 Kauf-RL Rn. 7). Dies ist anzunehmen, wenn der Mangel
nicht auf einen Fehler in der Beschaffenheit der Kaufsache zurückgeführt
werden kann, sondern auf einer äußeren Einwirkung beruht, wie dies bei einem
Aufsetzen eines Fahrzeugs der Fall ist. Erfolgt die Beschädigung durch den
Umgang oder die Benutzung der Sache, besteht kein Erfahrungssatz
dahingehend, dass die Ursache für den Schaden vor der Übergabe der Kaufsache
an den Käufer entstanden ist.
Der hiervon abweichenden Auffassung ( vgl. OLG
Stuttgart, Urt. v. 17.11.2004 - 19 U 130/04), die unter Hervorhebung des
verbraucherschützenden Charakters und im Hinblick auf die besseren
Erkenntnismöglichkeiten des Verkäufers bezüglich der Vertragsgemäßheit der
Leistung eine Beweislastumkehr gem. § 476 BGB auch bei durch äußere
Einwirkung entstandenen Schäden annimmt, sofern der Mangel für den Verkäufer
nicht erkennbar war, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Die Vermutung für das Vorliegen eines im Zeitpunkt der Übergabe bestehenden
Sachmangels ist beim Kauf gebrauchter Güter nur dann gerechtfertigt, wenn
ein entsprechender Rückschluss auf das Vorliegen des später aufgetretenen
Mangels zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit möglich ist. Der Ersatz des die Anwendbarkeit des § 476
BGB eingrenzenden Kriteriums der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines
Mangels im Zeitpunkt der Übergabe durch das Kriterium der Erkennbarkeit
durch den Verkäufer vernachlässigt, dass die gesetzlichen Vermutungen
grundsätzlich auf entsprechenden Erfahrungssätzen aufbauen, und führt dazu,
dass der Anwendungsbereich des § 476 BGB von den im einzelnen
unterschiedlichen Untersuchungsmöglichkeiten des jeweiligen Unternehmers
abhängt. Eine Differenzierung des Eingreifens der Beweislastregelung des §
476 BGB danach, ob der Verkauf von gebrauchten Gegenständen den
Hauptgegenstand des Gewerbes des Verkäufers ausmacht, wie dies beim
Gebrauchtwagenhändler der Fall ist, oder branchenfremd ist, wie z.B. bei der
Veräußerung eines Fahrzeuges durch einen Freiberufler, wird der auf die Art
des Mangels abstellenden Regelung des § 476 BGB nicht gerecht (vgl. zur
Anwendbarkeit der §§ 474, 476 BGB, Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland,
Das neue Schuldrecht, Kap. 5 Rn. 429).
Die hier vertretene Auslegung des § 476 BGB entspricht auch der Begründung
der Entscheidung des BGH (Urteil vom 02.06.2004 -
VIII ZR 329/03, NJW 2004, 2299), aus der geschlossen werden kann, dass
die Beweislastumkehr des § 476 BGB nicht für Mängel der Hauptsache gilt, die
auf einem fehlerhaften Gebrauch der Sache beruhen (vgl. hierzu Graf v.
Westphahlen, ZGS 2004, Bl. 241, 244).
Die fehlende Aufklärbarkeit des Vorliegens eines Mangels zum Zeitpunkt des
Gefahrübergangs geht zu Lasten des insoweit beweispflichtigen Klägers mit
der Folge, dass die Berufung zurückzuweisen war.
.... Die Revision war im Hinblick
auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen.
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