§ 4 Angebot und Annahme

Lösungen


Lösung zu Fall 1 (Handlungswille, essentialia negotii, Rechtsbindungswille, invitatio ad offerendum, Angebot und Annahme)

V könnte gegen K einen Anspruch auf Bezahlung des Kaufpreises in Höhe von 10.000 € aus einem zwischen ihnen geschlossen Kaufvertrag haben (§ 433 II BGB).
Dies setzt voraus:

I.    Anspruchsentstehung

Voraussetzung ist, dass zwischen V und K ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.

Dies wiederum setzt das vorliegen zweier übereinstimmender Willenserklärungen der Vertragsparteien, Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB), gerichtet auf Kauf des Bildes zum Preis von 10.000 € (essentialia negotii) voraus.

1.    Ausbietung als Angebot (§ 145 BGB)

In dem Ausbieten des V könne ein Angebot gesehen werden. Erforderlich wäre, dass dies bereits eine Willenserklärung darstellt.

Der objektive Tatbestand ist erfüllt, wenn eine Erklärungshandlung, gerichtet auf die Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen mit Rechtsbindungswillen vorliegt.
Das Ausbieten stellt eine Erklärungshandlung dar. Fraglich ist, ob dadurch mit Rechtsbindungswillen gewisse Rechtsfolgen ausgelöst werden sollten. Dies ist im Wege der Auslegung der Erklärung zu ermitteln. Maßgebend ist dafür der objektive Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB). Bei einer Versteigerung will der Versteigerer sich bei dem Ausbieten des Gegenstandes i.d.R. gerade noch nicht binden, weil er - etwa wenn ihm die Gebote zu gering sind - jederzeit noch die Versteigerung abbrechen können will. Das bloße Ausbieten ist daher i.d.R. lediglich invitatio ad offerendum. Andernfalls läge keine Versteigerung, sondern ein Verkauf zum Höchstgebot vor (vgl. dazu die Anm. zu LG Münster JZ 2000, 730 ff - "ricardo.de" sowie nunmehr OLG Hamm NJW 2001, 1142  und BGH NJW 2002, 363).
Dies bestätigt die - insoweit allerdings dispositive - gesetzliche Regelung in § 156 S. 1 BGB, wonach bei einer Versteigerung der Vertrag erst durch den Zuschlag zustande. Würde man in der Aufforderung ein Angebot sehen, käme der Vertrag schon mit der Abgabe des Gebotes durch die Anwesenden zustande.
 2) Heben der Tafel als Angebot (§ 145 BGB)

2.    Das Heben der Nummertafel als Angebot (§ 145 BGB)

a) Objektiver Tatbestand

Das Heben der Nummerntafel stellt eine Erklärungshandlung dar. Fraglich ist, ob dadurch mit Rechtsbindungswillen gewisse Rechtsfolgen ausgelöst werden sollten.
Ein objektiver Betrachter an Stelle des Erklärungsempfängers (V) (§§ 133, 157 BGB), musste in der Versteigerungssituation davon ausgehen, dass in dem Heben der Tafel eine konkludente Erklärung, gerichtet auf Kauf des Versteigerungsgegenstandes (Bild) zum aktuellen Gebot (10.000 €) liegt. Damit ist der objektive Tatbestand der Willenserklärung erfüllt.

b) Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand setzt Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille voraus.
Handlungswille ist gegeben, wenn der Erklärende (K) willentlich handelt.
Hier hat jedoch D die Hand des K gehoben. Das Heben geschah also unabhängig vom Willen des K. Daher fehlt der Erklärung des H der Handlungswille, der subjektive Tatbestand ist nicht erfüllt.

Nach ganz h. M. ist der Handlungswille konstitutives Merkmal der Willenserklärung. Bei einem Fehlen liegt daher keine Willenserklärung vor. Das Vertrauen des Erklärungsempfängers (dieser kann ja nicht erkennen, dass der Handlungswille fehlt), wird mangels Zurechenbarkeit an den „Erklärenden“ (dieser hat nicht zurechenbar den Anschein einer Willenserklärung geweckt) nicht geschützt.

3.    Die Zuschlagerteilung

Mit der Erteilung des Zuschlags des V wollte dieser das Angebot des K lediglich annehmen. Selbst wenn darin im Wege der Umdeutung (§ 140 BGB) dennoch ein Angebot gesehen werden könnte, fehlte es jedenfalls an einer Annahme durch K.

II.    Ergebnis

Zwei übereinstimmende Willenserklärungen liegen nicht vor. Ein Vertrag ist damit nicht zustande gekommen, V kann keine Zahlung verlangen.