§ 6 Das Zustandekommen des Vertrags , Teil 3: Auslegung, Dissens, AGB und Fehlerfolgen

Lösungen


Lösung zu Fall 1 (Offener Dissens, Punktation)

K könnte gegen V einen Anspruch auf Übereignung und Besitzverschaffung bzgl. 10 Zentner Kartoffeln Marke „Attika" aus einem zwischen ihnen geschlossenen Kaufvertrag haben (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB).

1.    Anspruchsentstehung

Voraussetzung ist, daß zwischen K und V ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist, was wiederum zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB) erfordert.

Übereinstimmende Willenserklärungen über die essentialia negotii, Kaufpreis (300,- €) und Kaufgegenstand (Saatkartoffeln) liegen vor.

Fraglich ist jedoch, wie sich die Tatsache, dass sich die Parteien nicht über den Erfüllungsort einigen konnten, auf die Wirksamkeit des Vertrages insgesamt auswirkt. Da es sich hierbei nicht um essentialia negotii handelt (bei fehlender Vereinbarung gilt § 269 BGB), hindert das Fehlen einer Vereinbarung an sich nicht das Zustandekommen eines Vertrages. Ob die hier zwar gewollte, aber nicht erfolgte Einigung über diese Frage das Zustandekommen des Vertrages hinderte, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist, ob die Parteien den Vertrag auch ohne eine solche Einigung gelten lassen wollten.
Nach der Auslegungsregel des § 154 BGB ist im Zweifel anzunehmen, dass ein Vertrag nicht geschlossen ist, solange nicht die Parteien sich über alle Punkte des Vertrages geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll. Da hier zumindest zweifelhaft ist, ob die Parteien den Vertrag an der Einigung über den Erfüllungsort scheitern lassen wollten, wurde kein Vertrag geschlossen.
Sofern man in der späteren Bereitschaft des K, die Kartoffeln auch abzuholen, eine Annahme eines entsprechenden Angebots des V sehen wollte, wäre diese verspätet (§ 147 BGB). Sie wäre gem. § 150 Abs. 1 BGB als neues Angebot zu werten, welches V nicht angenommen hat.

2.    Ergebnis

Der Anspruch ist nicht entstanden, K kann nicht Übergabe und Übereignung verlangen.
 

Zur Übersicht:

Lorenz/Riehm, JuS Lern-CD Zivilrecht I  Rn. 31 (Offener Dissens)


Lösung zu Fall 2 (AGB-Gesetz)

V könnte gegen K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von € 5000.- € Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw aus §§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 434, 326 V BGB.

I. Anspruchsvoraussetzungen

Ein solcher Anspruch ist im vorliegenden Fall grundsätzlich gegeben, weil ein Sachmangel i.S.v. § 434 Abs. 1 BGB vorliegt und auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

Die Haftung des Verkäufers für Sachmängel wird in der Vorlesung zum Schuldrecht BT erarbeitet. Im vorliegenden Zusammenhang dient der Anspruch nur als "Aufhänger" für die Prüfung nach den AGB-Regeln der §§ 305 ff BGB wird deshalb nicht weiter vertieft.

II. Anspruchsausschluß

Dieser Anspruch auf Gewährleistung des K könnte aber durch § 9 des Kaufvertrages ausgeschlossen worden. Dies setzt die Wirksamkeit eines solchen Gewährleistungsausschlusses voraus.

1.) Abdingbarkeit

Die Gewährleistungsregelungen der §§ 434 BGB sind dispositives Recht, d.h. sie können vertraglich abbedungen werden, sofern nicht ein Verbrauchsgüterkauf i.S.v. § 474 ff BGB vorliegt (was hier nicht der Fall ist, da sowohl V als auch K "Verbraucher" i.S.v. § 13 BGB sind).

Da V keine Kenntnis von dem Mangel hatte, ist der Gewährleistungsausschluß auch nicht nach § 444 BGB unwirksam

2.) Abbedingung durch AGB

Die in § 9 des Kaufvertrages getroffene Regelung könnte aber nach den §§ 305 ff BGB unwirksam sein.

a) Anwendungsbereich der §§ 305 ff BGB

aa) Sachlicher Anwendungsbereich

§ 310 BGB steht der  Anwendung der §§ 305 ff BGB nicht entgegen. 

bb) Persönlicher Anwendungsbereich

Das AGBG ist kein Verbraucherschutzgesetz, d.h. es findet nicht nur im Verhältnis Unternehmer/Verbraucher ("B to C") auch im Verhältnis zwischen Unternehmern ("B2B") bzw. Verbrauchern ("C2C") untereinander Anwendung. Lediglich die Anwendung bestimmter Regelungen werden insoweit durch § 310 Abs. 1, 3 modifiziert.

b) Vorliegen von AGB, § 305 I BGB

Fraglich ist, ob es sich bei dem abgeschriebenen Kaufvertragsformular um AGB handelt. Solche liegen gem. § 305 I BGB vor, wenn es sich um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte, einseitig gestellte Vertragsbedingungen handelt

Problematisch hierbei ist, dass V das vorgegebene Formular abgeschrieben hat und darüber hinaus sein Exemplar nur einmal verwenden will.

aa) Im vorliegenden Fall waren die Vertragsbedingungen vorformuliert. V hat hier seinerseits die bereits vorformulierten Regelungen wörtlich übernommen. Die Definition des § 305 I BGB setzt nicht voraus, daß die Vorformulierung vom Verwender selbst stammt. Auch die Art der "Speicherung" der Vorformulierung ist irrelevant. Es ist daher unschädlich, daß V die AGB selbst abgeschrieben und der Vertrag nach außen den Anschein eines individuell formulierten Vertrags hat (vgl. hierzu etwa BGH NJW 1999, 2180 [zu den gleichlautenden Regelungen des bisherigen AGB-Gesetzes).

bb) Die Regelungen wurden aber auch für eine Vielzahl von Verträgen aufgestellt. Benutzt nämlich eine Partei die von einem Dritten vorformulierten Bedingungen, ergibt sich deren abstrakt genereller Charakter bereits aus der Zweckbestimmung des Aufstellers. Es ist nicht erforderlich, dass der Verwender selbst eine mehrfache Verwendung plant. Unschädlich ist auch, daß derjenige, der die Vertragsbedingungen vorformuliert hat (hier: ADAC), selbst keine Verwendung plant.

cc) "Gestellt" sind Vertragsbedingungen, wenn sie von einer Partei vorgegeben werden, ohne daß diese die ernstliche Bereitschaft zeigt, darüber zu verhandeln. Auch das war hier der Fall.

c) Einbeziehungskontrolle, § 305 II, III, § 305a BGB

Die AGB müssen auch Vertragsbestandteil geworden sein.

aa) Hinweis, Möglichkeit zur Kenntnisnahme und Einigung (§ 305 II BGB)

Im von V vorformulierten Antragsformular ist der nach § 305 II Nr. 1 BGB nötige Hinweis darauf zu sehen, dass der Vertrag unter Zugrundelegung seiner AGB geschlossen werden soll. K konnte des weiteren vom gesamten Vertragstext, so auch von § 9 des Kaufvertrages, bei Vertragsabschluss ohne weiteres Kenntnis nehmen, § 305 II Nr. 2 BGB, da die Vertragsbedingungen im Vertragsformular selbst in lesbarer Weise wiedergegeben waren. Durch seine Unterschrift erklärte er sich auch mit den enthaltenen Regelungen einverstanden. Demnach wurden die AGB, also auch der Gewährleistungsausschluss in § 9 des Vertrages, Vertragsbestandteil.

bb) Überraschende Klausel (§ 305c I BGB)

§ 9 des Vertrages stellt auch keine überraschende Klausel iSd § 305c I BGB.
Überraschend ist eine Klausel dann, wenn der Vertragspartner nach den gesamten Umständen unter der Berücksichtigung der Verkehrssitte mit einer solchen Klausel nicht zu rechnen braucht, dieser also ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnt. Abzustellen ist dabei auf die Erkenntnismöglichkeiten des typisch zu erwartenden Durchschnittskunden.
Von Überrumpelung kann jedoch vorliegend nicht die Rede sein. Gewährleistungsausschlussklauseln sind beim Gebrauchtwagenverkauf nicht als ungewöhnlich anzusehen. Sie bilden vielmehr die Regel.

d) Vorrangige Individualabrede (§ 305b BGB)

Ein Individualabrede, welche vorrangig vor den AGB zu behandeln gewesen wäre (§ 305b BGB), wurde nicht getroffen.
 

4. Inhaltskontrolle

a) Voraussetzung der Inhaltskontrolle: Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht (§ 307 III AGBG)

Eine Inhaltskontrolle findet nur statt, wenn in den AGB von den gesetzlichen Regelungen abweichende bzw. diese ergänzende Vereinbarungen getroffen wurden (§ 307 III BGB). Außerhalb dieses Bereiches ist nur eine Kontrolle nach dem sog. "Transparenzgebot" möglich (§ 307 III 2 i.V.m. § 307 I 2, 1 BGB). Nach den §§ 434 ff BGB haftet der Verkäufer grundsätzlich für Sachmängel. § 9 des Vertrages weicht hiervon ab, da die Gewährleistung ausgeschlossen wird. Wegen der Eindeutigkeit dieser Regelungen bleibt für die Unklarheitenregel des § 305c II BGB kein Raum. Die Inhaltskontrolle ist damit eröffnet.

b) Spezielle Klauselverbote

Eine spezielles Klauselverbot in §§ 309 und 308 BGB ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Dies gilt auch für § 309 Nr. 8b BGB, weil diese Bestimmung nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung nur für neu hergestellte Sachen gilt. § 309 Nr. 7 ist gewahrt, weil die dort bezeichneten Ansprüche (Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit und grobes Verschulden) vorbehalten bleiben (s. dazu OLG Hamm NJW-RR 2005, 1220 sowie BGH v. 15.11.2006 - VIII ZR 3/06)

c) Generalklausel

Bei gebrauchten Sachen kann daher ein Gewährleistungsausschluss nur nach § 307 I, II BGB unwirksam sein, wenn der Käufer entgegen Treu und Glauben benachteiligt wird.

Nach hM ist jedoch der vollständige Gewährleistungsausschluss beim Gebrauchtwagenverkauf bis zur Grenze des § 444 BGB zulässig, wenn der Verkäufer nicht Erstbesitzer ist. In diesem Fall hat nämlich der Verkäufer nur beschränkte Möglichkeiten, sich über den Zustand des zu verkaufenden Fahrzeugs zu informieren. Daher ist es auch nicht unangemessen, wenn der Verkäufer die Gewährleistungshaftung abbedingt und so das Risiko der Mangelhaftigkeit dem Käufer auferlegt. Diese Risikoverteilung ist vielmehr ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft.

Somit ist der Gewährleistungsausschluss nicht nach den §§ 305 ff BGB unwirksam.

III. Ergebnis

Damit bleibt es beim wirksam vereinbarten Gewährleistungsausschluss. K hat keinen Anspruch gegen V auf Rückgewähr des gezahlten Kaufpreises.
 
 

Zur Übersicht:

Lorenz/Riehm, JuS Lern-CD Zivilrecht I  Rn. 95 ff; ausführliches Prüfungsschema für die AGB-Prüfung unter Rn. 97)