Verkäuferhaftung des Händlers für wegen Verletzung einer Belehrungspflicht aus pVV: Mangelfolgeschaden und analoge Anwendung von § 477 BGB 

BGH, Urteil vom 5.4.1967 - VIII ZR 32/65

Fundstellen:

BGHZ 47 , 312
NJW 1967, 1805
LM § 278 BGB Nr. 45
MDR 1967, 758
JZ 1968, 228
BB 1967, 561
DB 1967, 944
VersR 1967, 688


Zentrale Probleme:

siehe die Anm. zu BGHZ 66, 208 sowie zu BGH NJW 1999, 1404 und BGH NJW 1999, 3192.



Amtl. Leitsatz:

Zur Frage der Haftung der Verkäufers (hier: eines Spezialhändlers), der es übernommen hat, den Käufer über die Funktion und erforderliche Wartung der verkauften Maschine (einer Betonbereitungsanlage) zu unterrichten und hierfür unzureichende Bedienungsanleitungen des Herstellers verwendet hat.



Zum Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt Handel mit Baumaschinen, Baugeräten und Baueisenwaren. Sie verkaufte an die Klägerin eine Betonbereitungsanlage zur Lieferung ab Werk der Nebenintervenientin. Dem Kaufvertrag liegen die formularmäßigen Verkaufsbedingungen der Beklagten zugrunde. Darin heißt es unter dem Abschnitt »Beanstandungen« u. a.: »Schadensersatzansprüche irgendwelcher Art sind ausgeschlossen«. Die Betonbereitungsanlage wurde in Teilen am 16. Oktober 1962 an eine Baustelle geliefert, wo sie eingesetzt werden sollte. Dort wurde sie mit Hilfe des von der Beklagten auf besondere Anforderung entsandten Monteurs am 19. Oktober 1962 betriebsfertig montiert. Vorher hatte die Beklagte der Klägerin eine Montageanleitung und ferner Bedienungsanleitungen übersandt. In diesen heißt es unter der Überschrift »Wartung«: Etwa vorhandene Staubablagerungen mit einem Blasbalg entfernen. Wenn Schütz brummt, Magnetpolflächen von Verunreinigungen säubern. Wenn infolge des Schaltfeuers die Schaltstücke durch Silberniederschlag schwarz angelaufen sind, hat das keinen Einfluß auf das Betriebsverhalten. Außerdem enthält die Bedienungsanleitung einige Hinweise unter der Überschrift »Fehler und deren Beseitigung«. Die Betonbereitungsanlage wurde am 30. Oktober 1962 in Betrieb genommen. Sie arbeitete zunächst einwandfrei. In der zweiten Betonierperiode, in der die Witterung naßkalt war, stellte sich heraus, daß mit ihrer Hilfe errichtete Trägerwände für das Kellermauerwerk nicht die erforderliche Festigkeit hatten, weil der Beton nicht entsprechend zubereitet worden war. Der bauausführende Architekt beanstandete diesen Teil des Gebäudes. Hiervon setzte die Klägerin am 28. November 1962 die Beklagte telefonisch in Kenntnis. Auf deren Veranlassung entsandte die Nebenintervenientin (Herstellerfirma) am folgenden Tage einen Monteur zur Baustelle, der bei Überprüfung der Zementwaage in der Dosieranlage feststellte, daß die Entlüftungsvorrichtung mit erhärtetem Zement und Eis verkrustet war. Infolgedessen konnte die Waage wegen Luftstauungen nicht einwandfrei funktionieren. Der Monteur beseitigte die störenden Ablagerungen und erweiterte die Öffnung der Entlüftungsvorrichtung mit einem Schraubenzieher. In der Bedienungsanleitung sind die Entlüftungsvorrichtung und die Notwendigkeit ihrer Überwachung nicht erwähnt. Erst in späteren Neuauflagen wurde auf das mögliche Verstopfen der Entlüftungsvorrichtung hingewiesen. Ferner wurde ein entsprechendes Hinweisschild an den Betonbereitungsanlagen dieser Type angebracht. Mit der Klage verlangte die Klagerin Ersatz des ihr durch Abbruch und Neuerrichtung des Kellermauerwerks entstandenen Schadens in Höhe von 17 613,67 DM nebst Zinsen. Sie machte geltend, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, auf die große Empfindlichkeit der Zementwaage und die über das Normale hinausgehende Wartungsbedürftigkeit der Entlüftungsvorrichtung aufmerksam zu machen. Dies habe die Beklagte grob fahrlässig versäumt. Deshalb habe die Klägerin annehmen dürfen, daß die im Bauwesen allgemein übliche Reinigung durch Abkehren und Abspritzen der Zementreste zur Wartung der Betonbereitungsanlage ausreiche und daß es genüge, wenn sie dem Schaltschütz, auf den sich die ihr übergebenen Bedienungsanleitungen allein bezögen, ihre besondere Aufmerksamkeit schenke. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung und bestritt, für den der Klägerin entstandenen Schaden verantwortlich zu sein.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dagegen dem Klagebegehren entsprochen.
Die Revisionen der Beklagten und der Herstellerfirma, die der Beklagten im Revisionsrechtszug als Streithelferin beigetreten ist, hatten keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I....
II. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte verpflichtet war, die Klägerin über die Behandlung und Wartung der Maschine zu belehren und sich die zu diesem Zweck erforderlichen Kenntnisse über ihre Handhabung zu verschaffen, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Das Berufungsgericht durfte dem Sachvortrag der Parteien entnehmen, daß die Maschine bei naßkaltem Wetter einer besonders sorgfältigen Wartung bedurfte, und es konnte als erforderlich ansehen, daß die Klägerin hierauf in der Bedienungsanleitung hingewiesen wurde. Diese im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende Beurteilung des Sachverhalts ist der Entscheidung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen. Ob und inwieweit der Verkäufer einer Maschine, der sie vom Hersteller bezieht, beim Weiterverkauf den Käufer über die Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes, seine Verwendungsmöglichkeiten und die hierfür erforderliche Wartung aufzuklären hat, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Diese hat das Berufungsgericht berücksichtigt, ohne daß hierbei ein Rechtsfehler ersichtlich ist. Es steht hier nicht zur Entscheidung, ob die Beklagte verpflichtet war, die gelieferte Maschine vor ihrer Ablieferung auf Fehler zu untersuchen, oder ob eine solche Kontrollpflicht deshalb zu verneinen wäre, weil die Beklagte auf die allgemeine Zuverlässigkeit des Herstellers vertrauen durfte (vgl. zu dieser Frage insbesondere Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, 1967, S. 32 f). Auch wenn die Beklagte zu einer solchen Kontrolle nicht verpflichtet war, so traf sie die Verpflichtung zur Unterweisung der Klägerin über die Behandlung und erforderliche Wartung der Maschine nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt deshalb, weil die Beklagte diese Verpflichtung als Nebenverpflichtung zum Kaufvertrag übernommen hat. Die Verpflichtung wurde nicht schon dadurch erfüllt oder darauf beschränkt, daß die Beklagte der Klägerin schriftliche Montage- und Bedienungsanleitungen übersandte. Die Klägerin durfte vielmehr nach den rechtlich einwandfreien Feststellungen des Berufungsgerichts erwarten, daß die Beklagte ihr die erforderliche Aufklärung über die für die Funktion der Anlage einschließlich der Mischerwaage, über hierbei möglicherweise auftretende Störungen und insbesondere auch über die erforderlichen Wartungsmaßnahmen gab. Wenn sich die Beklagte zur Erfüllung dieser Verpflichtung des von ihr entsandten Monteurs und der Bedienungsanleitungen bediente, die von dem Herstellerwerk, der Nebenintervenientin, verfaßt und von der Beklagten mit ihrem Firmenaufdruck versehen worden waren, so muß sie für die festgestellte Unvollständigkeit dieser Aufklärung und Anleitungen einstehen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie auch ein eigenes Verschulden daran trifft, daß sie sich nicht selbst die erforderlichen Kenntnisse verschafft hat, um die Klägerin ausreichend aufklären zu können. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob der Inhaber der Beklagten in der Lage war, zu erkennen, welche Bedeutung der Entlüftungsöffnung für den Betrieb der Anlage beizulegen war. Denn es genügt, daß jedenfalls der Hersteller, wie das Berufungsgericht angenommen hat, hierüber unterrichtet sein mußte. Bediente sich die Beklagte, um eine eigene Verpflichtung zur Aufklärung über die Funktion und Wartung der Anlage gegenüber der Klägerin zu erfüllen, der vom Hersteller verfaßten Bedienungsanleitung, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unzureichend war, so bestehen keine Bedenken, das Lieferwerk hinsichtlich dieser Verbindlichkeit als Erfüllungsgehilfen der Beklagten anzusehen (vgl. Diederichsen aaO S. 33).
III. .
IV. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis auch darin beizutreten, daß sich die Beklagte durch ihre Lieferbedingungen von einer Haftung für schuldhafte Verletzung der festgestellten Aufklärungspflicht nicht freigezeichnet hat. Die Freizeichnungsklausel, die »Schadensersatzansprüche irgendwelcher Art« ausschließt, findet sich in dem mit »Beanstandungen« überschriebenen Abschnitt der Verkaufsbedingungen, der Art und Weise sowie Frist der Geltendmachung von Beanstandungen »gegen Gewicht, Größe, Stückzahl und Beschaffenheit usw.« regelt, die Gewährleistungsansprüche - Wandlung, Minderung - ausschließt und stattdessen bei fehlerhaft gelieferten Stücken kostenlosen Ersatz oder Nachbesserung nach Wahl der Beklagten vorsieht. Der Haftungsausschluß umfaßt demnach, wie das Berufungsgericht rechtlich bedenkenfrei ausführt, nur solche Schadensersatzansprüche, die sich aus den genannten Beanstandungen ergeben und damit nur Beanstandungen, die eine vertragswidrige Beschaffenheit des Kaufgegenstandes betreffen. Dem Gesamtinhalt der Verkaufsbedingungen und der Einordnung des Ausschlusses von Schadensersatzansprüchen irgendwelcher Art entnimmt das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Unklarheitenregel für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen, daß der Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von Nebenpflichten hierdurch nicht betroffen werde. Die Revision hält dem entgegen, daß mit der Freizeichnungsklausel auch die Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung ausgeschlossen seien. Die Begrenzung der Ansprüche, wie sie unter dem Titel »Beanstandungen« geregelt seien, zeige deutlich, daß alles, was dort nicht zugelassen sei, ausgeschlossen werden sollte. Unter dem Titel »Lieferfristenangaben« sei bestimmt: »Verzugsstrafen oder sonstige Schadensersatzansprüche irgendwelcher Art sind ausgeschlossen«. Auch damit seien ersichtlich Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung ausgeschlossen worden. Daß die Haftungsbeschränkung unter dem Titel »Beanstandungen« Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung ergreife, entnimmt die Revision auch der Klausel, in der es heißt: »Für die Beachtung berufsgenossenschaftlicher Schutzvorschriften übernehme ich hinsichtlich der von mir gelieferten Waren keine Gewähr«. Hierbei handele es sich, so meint die Revision, stets um Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung. Die Streithelferin weist ergänzend darauf hin, daß zur Beschaffenheit des Kaufgegenstandes auch die Beschaffenheit der Entlüftungsöffnung, nämlich ihre Größe und die Art der Abdeckung gehörten. Somit habe sich die Beklagte auch von der Haftung für Schäden freigezeichnet, die sich aus dieser Beschaffenheit der Entlüftungsvorrichtung ergeben. Bei der Prüfung dieser Angriffe gegen das Berufungsurteil kann davon ausgegangen werden, daß es sich um Bedingungen handelt, die über den Bezirk des Berufungsgerichts hinausgehen und deshalb der freien Auslegung durch das Revisionsgericht unterliegen. Der Ausschluß von Schadensersatzansprüchen in dem Abschnitt »Beanstandungen« kann zwar bei Mängeln der Kaufsache auch auf Schadensersatzansprüche bezogen werden, die über die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche hinausgehen und sich aus schuldhafter Schlechtlieferung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung herleiten lassen (vgl. Urt. des erkennenden Senats vom 17. Februar 1965 - VIII ZR 75/63). Deshalb ist der Revision darin zu folgen, daß sich die Freizeichnung von Schadensersatzansprüchen nicht auf die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche beschränkt. Den Bedingungen kann jedoch nicht - jedenfalls nicht mit der erforderlichen Klarheit - entnommen werden, daß die Beklagte hiermit auch von Ansprüchen wegen Verletzung der sie treffenden Verpflichtung zur Aufklärung des Käufers über die erforderliche Behandlung und Überwachung des Kaufgegenstandes freigestellt werden soll. Wenn die Beklagte dies erreichen wollte, so hätte sie derartige Ansprüche in einer dem Kunden klar verständlichen Weise ausschließen müssen. Auch wenn eine Handelsfirma, die Spezialmaschinen verkauft, Schadensersatzansprüche wegen Verzuges bei Überschreitung vereinbarter Lieferfristen und wegen Mängeln der Kaufsache ausschließt sowie keine Gewähr für die Beachtung berufsgenossenschaftlicher Schutzvorschriften übernimmt, so ist es doch nicht selbstverständlich, daß sie damit auch jede Haftung für ungenügende Aufklärung des Käufers ausschließen will, wenn es sich nicht um einen Mangel der Kaufsache handelt. Bei weitgehendem Haftungsausschluß in einer Freizeichnungsklausel ist eine enge Auslegung geboten. Es erscheint daher gerechtfertigt, die Freizeichnungsklausel in den allgemeinen Verkaufsbedingungen der Beklagten nicht auch auf Schadensersatzansprüche zu beziehen, dienicht aus einem Mangel der Kaufsache hergeleitet werden, sondern aus einer mangelnden Unterrichtung über die erforderliche Behandlung und Überwachung der mangelfrei gelieferten Kaufsache.
V. Die Einrede der Verjährung ist nicht begründet. Nach § 477 Abs. 1 BGB verjährt der Anspruch wegen Mangels einer zugesicherten Eigenschaft bei beweglichen Sachen in 6 Monaten von der Ablieferung, sofern nicht der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Die Maschine war am 19. Oktober 1962 betriebsfertig montiert worden, die Klageschrift ist beim Gericht am 3. Mai 1963 eingereicht. Wie der Senat in dem Urteil vom 19. Oktober 1964 - VIII ZR 20/63 - (NJW 1965, 148 = MDR 1965, 39 = BGH Warn 1964 Nr. 229) dargelegt hat, findet § 477 BGB auf den Anspruch aus schuldhafter Verletzung einer Nebenverpflichtung zur richtigen Beratung über die Eignung der Kaufsache (aaO handelte es sich um elektrische Wärmespeicher) für den Vertragszweck jedenfalls dann Anwendung, wenn sich das Verschulden auf Angaben über Eigenschaften (dort Leistungen) der Kaufsache bezieht. Dies folgerte der Senat aus dem Grundgedanken des § 477 Abs. 1 BGB: Nach dieser Vorschrift soll vermieden werden, daß der Käufer auf Sachmängel nach längerer Zeit zurückgreift (Motive II 238). Sie ist aber dann nicht anzuwenden, wenn es sich um einen mit einem Mangel der Kaufsache nicht zusammenhängenden Anspruch handelt (vgl. insbesondere RGZ 144, 162, 163). Im vorliegenden Falle handelt es sich nicht um einen mit einem Mangel der Maschine zusammenhängenden Schadensersatzanspruch, also nicht um die Auswirkung von Sachmängeln. Die Klägerin macht vielmehr geltend, daß die Maschine nicht mangelhaft sei, sondern daß für die Verwendung der mangelfreien Maschine durch die Bedienungsanweisung eine unrichtige und unvollständige Belehrung erteilt worden sei. Für einen derartig begründeten Anspruch aus der Verletzung einer Nebenverpflichtung ist die Vorschrift des § 477 Abs. 1 BGB nach ihrem Grundgedanken nicht anzuwenden (vgl. Brüggemann, HGB-RGRK, 2. Aufl. , (1961) § 377 Anm. 134).