Sittenwidrigkeit von
Verträgen nach § 138 I BGB ("Schenkkreise" im Schneeballsystem),
Rückforderungsausschluss nach § 817 S. 2 BGB: Keine Anwendung bei
Perpetuierung der Sittenwidrigkeit (Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion)
auch zu Lasten "argloser" Mitspieler (Schenkkreise II)
BGH, Urteil vom 13. März
2008 - III ZR 282/07
Fundstelle:
NJW 2008, 1942
Amtl. Leitsatz:
Die Kondiktionssperre
des § 817 Satz 2 BGB entfällt nicht nur bei Bereicherungsansprüchen, die
sich gegen die Initiatoren eines "Schenkkreises" richten, sondern allgemein
bei allen Zuwendungen im Rahmen derartiger Kreise, ohne dass es auf eine
einzelfallbezogene Prüfung der Geschäftsgewandtheit und Erfahrenheit des
betroffenen Gebers oder Empfängers ankommt (Fortführung des
Senatsurteils vom 10. November 2005 - III ZR 72/05
= NJW 2006, 45).
Zentrale Probleme:
S. die ausführliche Anmerkung zu
BGH
NJW 2006, 45 sowie zu BGH v.
21.6.2012 - III ZR 291/11. Die Entscheidung wird hier bestätigt und
weitergeführt: Vollkommen zu recht lässt der Senat die Kondiktionssperre auch
zu Lasten von "unschuldigen" Nicht-Initiatoren von Schenkkreisen
unangewendet. Nur so lässt sich der generalpräventive Zweck der
Nichtigkeitsnorm des § 138 I hier verwirklichen. Andernfalls wäre die
Leistungen in Schenkkreisen de facto wirksam. Zur
Verjährung der Ansprüche s. BGH v.
18.12.2008 - III ZR 132/08.
©sl 2008
Tatbestand:
1 Die Parteien beteiligten sich im Frühjahr 2004 an einem sogenannten
"Schenkkreis". Diese Schenkkreise sind nach Art einer Pyramide organisiert;
sie bestehen aus "Charts" zu jeweils 15 Plätzen, wobei jeder Platz mit
mindestens zwei Mitspielern besetzt ist. An der Spitze steht ein Platz auf
der Empfängerposition. Auf der zweiten Stufe stehen zwei, auf der dritten
vier und auf der vierten, letzten Stufe acht Plätze, jeweils in
Geberposition. Die auf der vierten Stufe stehenden Mitspieler leisten ihre
"Schenkungen" an die in der Spitzenposition stehenden Mitglieder. Sobald
diese sämtliche Zuwendungen von den auf der vierten Stufe stehenden Spielern
erhalten haben, scheiden sie aus dem Spiel aus. Es werden sodann durch
Aufteilung zwei neue Charts gebildet, an deren Spitze die beiden Plätze der
bisherigen Stufe zwei treten. Die zweiten Stufen der neu gebildeten Charts
werden von jeweils zwei der vier Positionen der dritten Stufe des
Ursprungscharts besetzt. Die neu gebildeten dritten Stufen bestehen aus
jeweils vier der acht Positionen der letzten Stufe des Ursprungscharts.
Diesen Mitspielern obliegt es sodann, jeweils neue Mitspieler für acht
Positionen der neu zu bildenden vierten Stufen der neuen Charts zu werben,
so dass die volle Teilnehmerzahl von jeweils 15 Plätzen für die neuen Charts
erreicht wird.
2 Die Klägerin leistete zwei "Schenkungen" in Höhe von jeweils 2.500 € an
die Beklagte, die damals die Empfängerposition an der Spitze des
betreffenden Charts innehatte. Sie verlangt diesen Einsatz nunmehr von der
Beklagten zurück.
3 Das Amtsgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt;
das Landgericht hat die Verurteilung der Beklagten unter Berücksichtigung
einer Hilfsaufrechnung auf 3.750 € nebst Zinsen herabgesetzt. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag
auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin hat sich der Revision
angeschlossen und erstrebt weiterhin die volle Verurteilung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
4 Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin sind
zulässig, aber jeweils nicht begründet.
I. Die Revision der Beklagten
5 Beide Vorinstanzen haben zu Recht angenommen, dass der Klägerin gegen
die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§
812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB - Leistungskondiktion) ein Anspruch auf
Rückgewähr der geleisteten "Schenkungen" zusteht.
6 1. Diese Zuwendungen waren wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) nichtig. Bei
den Schenkkreisen handelt es sich um ein Schneeballsystem, welches darauf
angelegt ist, dass die ersten Mitglieder einen (meist) sicheren Gewinn
erzielen, während die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz
verlieren muss, weil angesichts des Vervielfältigungsfaktors in absehbarer
Zeit keine neuen Mitglieder mehr geworben werden können. Dies verstößt - wie
in der Rechtsprechung allgemein anerkannt ist - gegen die guten Sitten (vgl.
insbesondere Senatsurteil vom 10. November 2005 -
III ZR 72/05 = NJW 2006, 45, 46 Rn. 9; ferner OLG Köln NJW 2006, 3288,
3289; jeweils m.w.N.). Das wird auch von der Revision nicht in Abrede
gestellt.
7 2. Die Leistungen der Klägerin an die Beklagte sind somit ohne Rechtsgrund
erbracht worden. Der hierauf gestützte Bereicherungsanspruch scheitert
entgegen der Annahme der Revision nicht an § 817 Satz 2 BGB.
8 a) Zwar ist davon auszugehen, dass beide Parteien, also sowohl die
Klägerin als Leistende als auch die Beklagte als Leistungsempfängerin, durch
die Teilnahme am "Schenkkreis" gegen die guten Sitten verstoßen haben.
Indessen sprechen der Grund und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion (§
138 Abs. 1 BGB) hier - ausnahmsweise - gegen eine Kondiktionssperre gemäß §
817 Satz 2 BGB (siehe in diesem Sinne insbesondere
Senatsurteil vom 10. November 2005 aaO S. 46 Rn. 11
m.w.N.).
9 b) Der Schenkkreis zielte allein darauf ab, zugunsten einiger weniger
"Mitspieler" leichtgläubige und unerfahrene Personen auszunutzen und sie zur
Zahlung des "Einsatzes" zu bewegen. Einem solchen sittenwidrigen Verhalten
steuert § 138 BGB entgegen, indem er für entsprechende Vereinbarungen
Nichtigkeit anordnet. Dies würde aber im Ergebnis konterkariert, und die
Initiatoren solcher "Spiele" würden zum Weitermachen geradezu eingeladen,
wenn sie die mit sittenwidrigen Methoden erlangten Gelder - ungeachtet der
das "Spiel" tragenden sozialschädlichen Abreden - behalten dürften.
10 c) Dementsprechend hat der Senat bereits im
Urteil vom 10. November 2005 (aaO Rn. 12) entschieden, dass jedenfalls
die Initiatoren derartiger Kreise dem Anspruch auf Rückerstattung der
sittenwidrig erlangten Zuwendungen die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2
BGB nicht entgegenhalten können. Die Entscheidung hat im wissenschaftlichen
Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden (Möller, NJW 2006, 268; Armgardt,
NJW 2006, 2070; Karsten Schmidt, JuS 2006, 265; differenzierend
Schmidt-Recla, JZ 2008, 60), ist allerdings bei manchen Amtsgerichten auf
Widerspruch gestoßen (z.B. AG Siegburg NJW-RR 2007, 1431). Der Senat sieht
keine Veranlassung, von seiner Rechtsprechung abzugehen. Vielmehr sind
entgegen der Auffassung der Revision und in Übereinstimmung mit dem
Oberlandesgericht Köln (NJW 2006, 3288 f) die Grundsätze jener
Senatsentscheidung auch zu Lasten solcher Bereicherungsschuldner anzuwenden,
die nicht zu den Initiatoren des "Schenkkreises" zählen (so auch
Staudinger/Lorenz, BGB [Neubearbeitung 2007] § 817 Rn. 10). Bei der
gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise kann es daher nicht auf eine
einzelfallbezogene Prüfung der Geschäftsgewandtheit und Erfahrenheit des
betroffenen Gebers oder Empfängers ankommen (gegen Schmidt-Recla aaO S.
67). Innerhalb der Leistungskondiktion ist vielmehr maßgebend der
Schutzzweck der jeweiligen nichtigkeitsbegründenden Norm, welcher durch den
Kondiktionsausschluss nicht dadurch konterkariert werden darf, dass der
durch sie zu verhindernde sittenwidrige Zustand perpetuiert oder weiterem
sitten- und verbotswidrigen Handeln Vorschub geleistet würde (Staudinger/Lorenz
aaO m.w.N.). Im Übrigen entstände, wie die Revisionserwiderung mit Recht
geltend macht, ein Wertungswiderspruch, wenn allein bei den Initiatoren oder
den Spielern auf der ursprünglichen Empfängerposition die Kondiktionssperre
des § 817 Satz 2 BGB aufgehoben wäre. Dadurch wären nämlich die Teilnahme an
Schenkkreisen der vorliegenden Art für die Mitspieler auf der zweiten und
dritten Stufe höchst profitabel, weil sie die von ihnen zuvor verschenkten
Beträge zurückverlangen könnten, während ihnen die von Teilnehmern der
folgenden Stufen gezahlten Beträge dauerhaft verbleiben würden (so auch OLG
Köln aaO).
11 3. Der vorstehenden, § 817 Satz 2 BGB einschränkenden Wertung steht
nicht entgegen, dass das aufgrund eines Spiels Geleistete gemäß § 762 Abs. 1
Satz 2 BGB nicht zurückgefordert werden kann. Diese Vorschrift greift nur
dann Platz, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt wird. Ist
die "Spielvereinbarung" - wie hier - gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, gelten
die allgemeinen Regeln (§ 812 ff BGB;
Senatsurteil vom 10. November 2005 aaO Rn. 13 m.zahlr.w.N.).
II. Die Anschlussrevision der Klägerin
12 Das Berufungsgericht hat in Höhe eines Betrages von 1.250 € die
Hilfsaufrechnung der Beklagten durchgreifen lassen. Die hiergegen
gerichteten Angriffe der Anschlussrevision können keinen Erfolg haben.
13 1. Die Aufrechnung beruhte darauf, dass die Klägerin ihrerseits von einer
weiteren Teilnehmerin eines "Schenkkreises" eine Zuwendung in Höhe von 1.250
€ erhalten hatte. Den Rückforderungsanspruch jener anderen Mitspielerin
hatte sich die Beklagte abtreten lassen.
14 a) Die Auslegung der schriftlichen Abtretungserklärung vom 30. März 2007
als Vollabtretung und nicht lediglich als Einziehungsermächtigung hält sich
im Rahmen revisionsrechtlich nicht zu beanstandender tatrichterlicher
Würdigung.
15 b) Dementsprechend stand jener anderen Mitspielerin gegen die Klägerin
ihrerseits ein Bereicherungsanspruch auf Rückerstattung dieser Zuwendung zu.
Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze wie für den Bereicherungsanspruch
der Klägerin gegen die Beklagte, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.
16 2. Das Vorbringen der Anschlussrevision über einen angeblich
sittenwidrigen Hintergrund des Rechtsverhältnisses zwischen jener anderen
Mitspielerin und der Beklagten ist unerheblich. Es würde zumindest für die
Klägerin keinen Rechtsgrund dafür bieten können, die sittenwidrig erlangte
"Schenkung" nunmehr doch behalten zu dürfen.
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