Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG);
Begriff des Beamten im haftungsrechtlichen Sinn; Verhältnis zur Haftung des
gerichtlich bestellten Gutachters nach § 839a BGB
BGH, Urteil vom 6. März 2014 - III ZR
320/12 - OLG Frankfurt/Main
Fundstelle:
noch nicht bekannt
BGHZ 200, 253
Amtl. Leitsatz:
a) § 839a BGB findet im Wege der Analogie im
Allgemeinen auch auf die Haftung eines Sachverständigen Anwendung, der sein
Gutachten in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft erstattet.
b) § 839 BGB ist gegenüber § 839a BGB die vorrangige Regelung.
c) Die von der Staatsanwaltschaft veranlasste Begutachtung durch den Leiter
eines rechtsmedizinischen Instituts im Zusammenhang mit
Todesfallermittlungen gemäß §§ 87 ff StPO erfolgt in Ausübung eines
öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 Satz 1 GG.
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Amtshaftung nach
§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 DG. Ein
Sachverständiger, der von der Staatsanwaltschaft beauftragt war, die
Todesursache einer Person zu erforschen, erstellte ein unrichtiges
Gutachten, wodurch eine zu Unrecht verdächtigten Person Gegenstand
staatsanwaltlicher Ermittlungen war. Diese macht Schadensersatzansprüche
gegen den Sachverständigen geltend. Wenn der Sachverständige allerdings als
Amtsträger im Sinne von § 839 BGB gehandelt hat, so ist diese Regelung
gegenüber anderen deliktischen Schadenersatzansprüchen vorrangig. Das hat
zur Folge, dass der Amtsträger nicht persönlich haftet, sondern seine
Haftung nach Art. 34 GG auf den Staat übergeleitet wird. Das ist ein Fall
einer gesetzlich angeordneten befreienden Schuldübernahme (s. dazu auch
BGH v. 13.12.2012 - III ZR 226/12
sowie
BGH v. 18.2.2014 – VI ZR 383/12).
Der BGH stellt fest, dass die Sonderregelung der Haftung für gerichtlich
bestellte Sachverständige (§ 839a BGB) auch für von der Staatsanwaltschaft
herangezogene Gutachter gilt, dass aber auch insoweit § 839 BGB eine
vorrangige lex specialis ist. Damit kommt es
entscheidend darauf an, ob der Beklagte hier
„in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ gehandelt
hat. Dies bestimmt sich danach, "ob die eigentliche Zielsetzung in deren
Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und
ob zwischen dieser Zielsetzung der schädigenden Handlung ein so enger
äußerer und innerer Zusammenhang besteht dass die Handlung ebenfalls als
noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss"
(siehe dazu auch im Zusammenhang mit dem behördlich angeordneten Abschleppen
von Kraftfahrzeugen zuletzt
BGH v. 18.2.2014 – VI ZR 383/12). Dabei kommt es nicht auf die Person
des Handelnden an, sondern auf seine Funktion. S. dazu auch
BGH v. 9.10.2014 - III ZR 68/14.
©sl 2014
Tatbestand:
1 Der Kläger nimmt den Beklagten unter
dem Vorwurf der Erstellung eines fehlerhaften Gutachtens auf Schadensersatz
und Geldentschädigung wegen der Verletzung seines allgemeinen
Persönlichkeitsrechts in Anspruch.
2 Der Kläger ist Chefarzt für Innere Medizin am S. -Hospital in W. und
dessen stellvertretender ärztlicher Direktor. Der Beklagte ist beamteter
Professor für Rechtsmedizin und war Leiter des Instituts für Forensische
Toxikologie am Zentrum der Rechtsmedizin des Klinikums der J. -Universität
in F. .
3 Am 26. September 2007 wurde die damals 91 Jahre alte G. R., die mit dem
Kläger und seiner Ehefrau befreundet war und beide Eheleute testamentarisch
zu ihren Erben eingesetzt hatte, wegen starker Luftnot und Übelkeit in das
S. -Hospital W. gebracht und dort unter anderem auch vom Kläger untersucht
und behandelt. Wenige Minuten vor Eintritt des Todes der Patientin
veranlasste der Kläger unter anderem die Gabe von Morphin. In dem
Leichenschauschein wurde als Todesursache akutes Herz-Kreislauf-Versagen
angegeben.
4 Nachdem eine Nichte der Verstorbenen gegenüber der Staatsanwaltschaft
W. den Verdacht eines nicht natürlichen Todes ihrer Tante geäußert hatte,
ordnete die Staatsanwaltschaft am 5. Oktober 2007 die Beschlagnahme der
Leiche und deren Obduktion durch das Zentrum der Rechtsmedizin der
J. -Universität in F. an. Dabei wurde "vorbehaltlich des Ergebnisses der in
Auftrag gegebenen chemisch-toxikologischen Untersuchungen" als
wahrscheinliche Todesursache ein Herz-KreislaufVersagen festgestellt.
5 Am 14. Mai 2008 erstattete der Beklagte gemeinsam mit zwei Kollegen ein
Gutachten über die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung der
asservierten Körperflüssigkeiten und -gewebe. Hiernach fanden sich bei der
Untersuchung des Herzbluts unter anderem 0,471 mg/l Morphin und ein "Hinweis
auf 6-Monoacetylmorphin" (im Folgenden: 6-MAM).
6 Am 13. August 2008 fand ein Gespräch zwischen dem Beklagten und einem
Beamten der Kriminalpolizei statt, in welchem der Beklagte erklärte, dass es
sich bei dem im Herzblut gefundenen 6-MAM um ein kurzlebiges Abbauprodukt
von Heroin handele, welches sich danach zu Morphin zersetze. In der
daraufhin vom ermittelnden Beamten erbetenen ergänzenden Stellungnahme vom
18. August 2008 wiederholte der Beklagte, dass 6-MAM "das sehr kurzlebige
Abbauprodukt von Heroin ist und eine Heroinaufnahme beweist." Der Beklagte
kündigte weitere Hirngewebeuntersuchungen an, die am 21. August 2008
durchgeführt wurden; der Nachweis von 6-MAM wurde dabei nicht erbracht.
7 Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht W. am 7. November
2008 wegen des Verdachts des Mordes einen Haftbefehl gegen den Kläger und
einen Durchsuchungsbeschluss. Am 13. November 2008 wurde der Kläger
verhaftet, seine Dienst- und Büroräume wurden durchsucht und der
Geschäftsführer sowie die Mitarbeiter des S. -Hospitals über den Tatverdacht
informiert. Bei der Vernehmung durch den Ermittlungsrichter konnte der
Kläger die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräften, so dass der Haftbefehl
aufgehoben wurde. Einige Tage danach wurde über die Verhaftung des Klägers
in Zeitungsartikeln berichtet.
8 Im Juli 2009 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger durch
Verfügung der Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
9 Der Kläger hat geltend gemacht, der Beklagte habe grob fahrlässig ein
unrichtiges Gutachten erstellt, indem er in der Stellungnahme vom 18. August
2008 die Vergabe von Heroin festgestellt habe. Darüber hinaus habe der
Beklagte die Ermittlungsbehörden von dem Ergebnis der Hirngewebeuntersuchung
vom 21. August 2008 nicht (zeitnah) in Kenntnis gesetzt. Dieses
Fehlverhalten sei ursächlich für die Verhaftung des Klägers sowie die
Durchsuchung seiner Büroräume gewesen. Durch diese Zwangsmaßnahmen sowie die
anschließende Presseberichterstattung sei der Ruf des Klägers dauerhaft und
irreparabel geschädigt worden. Der Kläger hat eine angemessene
Geldentschädigung von mindestens 150.000 € begehrt.
10 Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung in
Höhe von 15.000 € sowie zum Ersatz aufgewendeter Gutachterkosten von
1.423,84 € verurteilt. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung
eingelegt. Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung der Berufung des
Beklagten und des weitergehenden Rechtsmittels des Klägers den Beklagten zur
Zahlung einer weiteren Geldentschädigung von 10.000 € verurteilt.
11 Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein
Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision hat Erfolg und führt zur vollständigen Abweisung
der Klage.
I.
13 Das Berufungsgericht hat eine Haftung des Beklagten gemäß § 839a BGB
bejaht und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
14 § 839a BGB sei auf die Sachverständigentätigkeit im Rahmen
staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren anwendbar. Der Beklagte habe grob
fahrlässig ein objektiv unrichtiges Gutachten erstattet und hierdurch die
den Kläger belastenden Ermittlungsmaßnahmen (insbesondere den Erlass und
Vollzug eines Durchsuchungsbeschlusses und eines Haftbefehls) sowie die
damit einhergehende Rufschädigung (Presseberichterstattung) herbeigeführt.
15 Die Haftung des Beklagten beurteile sich nicht nach § 839 Abs. 1 Satz 1
BGB in Verbindung mit Art. 34 GG, weil der Beklagte nicht in Ausübung eines
öffentlichen Amtes gehandelt habe. Seine gutachterlichen Stellungnahmen
stellten keine Behördengutachten dar. Einer solchen Einordnung stehe bereits
entgegen, dass der Beklagte seine Tätigkeit selbst nach dem
Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz liquidiert habe. Für eine
dienstliche Gutachtertätigkeit hätte dem Beklagten kein eigener
Entschädigungsanspruch zugestanden, sondern der Behörde, für die er tätig
geworden sei. Zudem habe der Beklagte das Gutachten im eigenen Namen
abgegeben.
16 Die Tätigkeit des Beklagten sei auch nicht deshalb als hoheitlich
einzustufen, weil sie mit der Verwaltungstätigkeit der beauftragenden
Behörde aufs engste zusammengehangen habe und er in diese so maßgeblich
eingeschaltet gewesen sei, dass die Prüfung geradezu einen Bestandteil der
von der Behörde ausgeübten und sich in ihrem Verwaltungsakt
niederschlagenden hoheitlichen Tätigkeit gebildet habe. Die Gutachten des
Beklagten seien nicht Bestandteil einer von der Staatsanwaltschaft zu
treffenden Entscheidung gewesen. Der Beklagte habe lediglich - wie im Falle
der Beauftragung durch ein Gericht - seine besondere Sachkunde der
Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Ob die vorgängige Obduktion als
hoheitlich einzuordnen sei, sei unerheblich, denn die toxikologischen
Untersuchungen des Beklagten seien erst im Anschluss hieran erfolgt.
17 Der Beklagte hafte letztlich auch nicht persönlich als Beamter nach § 839
Abs. 1 Satz 1 BGB, denn seine Gutachtertätigkeit sei nicht als Ausübung
seiner ihm als Beamten gegenüber der Universität bestehenden Dienstpflichten
(im fiskalischen Bereich) einzustufen, sondern als private Betätigung im
Auftrage eines Dritten.
II.
18 Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem
entscheidenden Punkt nicht stand.
19 Das Berufungsgericht geht zwar zu Recht davon aus, dass § 839a
BGB über seinen Wortlaut hinaus auch Gutachten von Sachverständigen umfasst,
die in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft erstattet werden.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts richtet sich die Haftung
des Leiters des rechtsmedizinischen Instituts einer Universität wegen eines
fehlerhaften toxikologischen Gutachtens im Rahmen eines
Todesfallermittlungsverfahrens (§ 91 StPO) jedoch nach § 839 BGB in
Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG mit der Folge der befreienden
Haftungsübernahme durch den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der
Sachverständige steht. Eine persönliche Inanspruchnahme des Sachverständigen
durch den Geschädigten ist insoweit ausgeschlossen.
20 1. § 839a BGB gilt - in analoger Anwendung - auch für die Gutachten, die
ein Sachverständiger in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren
erstattet.
21 a) Nach dem Wortlaut von § 839a BGB fällt nur der von einem (staatlichen)
Gericht ernannte Sachverständige unter den Anwendungsbereich dieser
Regelung. Hiernach sind von der Staatsanwaltschaft bestellte Sachverständige
nicht erfasst.
22 b) In Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht im Schrifttum
(Erman/Hecker, BGB, 13. Aufl., § 839a Rn. 3; MüKoBGB/Wagner, 6. Aufl., §
839a Rn. 7; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 839a Rn. 18; Palandt/Sprau, BGB, 73.
Aufl., § 839a Rn. 2; Staudinger/Wöstmann, BGB [2013], § 839a Rn. 36;
Bayerlein in Bayerlein, Praxishandbuch zum Sachverständigenrecht, 4. Aufl.,
§ Rn. 4 und § 34 Rn. 2; Kilian, ZGS 2004, 220, 222 f; Lesting, R&P 2002,
224, 227; Thole, Die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 839a
BGB, S. 251 f; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 747;
a.A. Soergel/Spickhoff, BGB, 13. Aufl., § 839a Rn. 16; Brückner/Neumann, MDR
2003, 906, 907; Zimmermann, BuW 2003, 154, 155) ist § 839a BGB
jedoch analog auf die Gutachtenerstattung in einem staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren anzuwenden.
23 Bereits nach der vor Inkrafttreten des § 839a BGB herrschenden Auffassung
war der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige dem
gerichtlichen Sachverständigen gleichzustellen (Bayerlein in Bayerlein aaO
3. Aufl., § 11 Rn. 4; Wessel in Bayerlein aaO 3. Aufl., § 34 Rn. 2;
Eickmeier, Die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für
Vermögensschäden [1993], S. 9 f; Nieberding, Sachverständigenhaftung nach
deutschem und englischem Recht [2002], S. 166, 192; Thole aaO S. 251 mwN).
24 Diese Gleichbehandlung rechtfertigt sich aus der organisatorischen und
institutionellen Nähe der Staatsanwaltschaft zum Gericht (Thole aaO). Die
Staatsanwaltschaft ist zwar in ihren amtlichen Verrichtungen von den
Gerichten unabhängig (§ 150 GVG) und darf keine richterlichen Geschäfte
wahrnehmen (§ 151 GVG). Sie ist aber den Gerichten zugeordnet (§§ 141, 144
GVG) und selbst ein Teil der Justiz. Die Staatsanwaltschaft nimmt als
Institution sui generis (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., vor § 141 GVG Rn. 6)
keine typische Behördenfunktion wahr, sondern gehört zum Funktionsbereich
der Rechtsprechung. Sie erfüllt durch ihre vorbereitende Tätigkeit gemeinsam
mit den Gerichten die Aufgabe der Justizgewährung auf dem Gebiet der
Strafrechtspflege (Kilian aaO S. 223 mwN).
25 Diese organisatorische und institutionelle Nähe korrespondiert mit der
engen verfahrensrechtlichen Verbindung zwischen (Straf-)Gericht und
Staatsanwaltschaft. Die im Ermittlungsverfahren im Auftrag der
Staatsanwaltschaft erstatteten Sachverständigengutachten wirken in aller
Regel in ein daran anschließendes gerichtliches Hauptverfahren hinein. Wird
das Ermittlungsverfahren mit der Anklageerhebung abgeschlossen, so mündet
das Strafverfahren über das Zwischenverfahren bestimmungsgemäß in das
gerichtliche Hauptverfahren. Dementsprechend ordnet § 161a Abs. 1 Satz 2
StPO für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen durch die
Staatsanwaltschaft die Anwendung der für das Gerichtsverfahren geltenden
Vorschriften an (§§ 48 ff, 72 ff StPO); dies gilt insbesondere auch für die
in § 75 StPO geregelte Pflicht des Sachverständigen, den Gutachtenauftrag zu
übernehmen und auszuführen. Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen und der
einheitlichen Regelung über die Vergütung im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz
(s. § 1 JVEG) entspricht die Rechtsstellung des Sachverständigen im
Ermittlungsverfahren im Wesentlichen derjenigen eines Sachverständigen im
Gerichtsverfahren (s. hierzu Thole aaO; Bayerlein aaO, 4. Aufl., § 34 Rn.
2).
26 Die Gleichstellung von Sachverständigengutachten unabhängig davon, ob sie
von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht eingeholt worden sind, kommt
auch in § 411a ZPO in der Fassung des 2. Justizmodernisierungsgesetzes vom
22. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3416) zum Ausdruck. Hiernach kann eine erneute
schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich oder
staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem
anderen Verfahren ersetzt werden.
27 Letztlich würde es sachlich nicht überzeugen, wenn der Haftungsmaßstab
davon abhinge, ob der Sachverständige nur im Ermittlungsverfahren (im
Auftrage der Staatsanwaltschaft) tätig geworden ist (dann: kein
"gerichtlicher" Sachverständiger) oder auch (im Auftrage des Gerichts) in
einem anschließenden Hauptverfahren (dann: "gerichtlicher"
Sachverständiger).
28 2. Gleichwohl haftet der Beklagte hier nicht nach § 839a BGB. Seine
persönliche Haftung gegenüber dem Kläger ist gemäß § 839 BGB in Verbindung
mit Art. 34 Satz 1 GG ausgeschlossen.
29 a) In seinem Anwendungsbereich verdrängt § 839 BGB als vorrangige
Spezialregelung konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff BGB (BGH,
Beschluss vom 19. Dezember 1960 - GSZ 1/60, BGHZ 34, 99, 104; Senatsurteile
vom 18. Dezember 1972 - III ZR 121/70, BGHZ 60, 54, 62 f und vom 5. April
1990 - III ZR 4/89, NJW-RR 1990, 1500, 1501; Senatsbeschluss vom 1. August
2002 - III ZR 277/01, NJW 2002, 3172, 3173 f) sowie aus § 839a BGB
(Staudinger/Wöstmann aaO § 839a Rn. 39 f; vgl. auch Senatsurteil
vom 9. März 2006 - III ZR 143/05, BGHZ 166, 313, 316 Rn. 8). Im
Rahmen der Haftung nach § 839 BGB tritt gemäß Art. 34 Satz 1 GG - im Wege
der befreienden Haftungsübernahme - der Staat beziehungsweise die jeweilige
Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegner des Geschädigten an die Stelle
dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt
hat; in diesem Falle scheidet eine persönliche Haftung des Amtsträgers
gegenüber dem Geschädigten aus (Senat, Urteil vom 6. Juli 1989 -
III ZR 79/88, BGHZ 108, 230, 232; Beschluss vom 1. August 2002 aaO und
Urteil vom 22. Juni 2006 - III ZR 270/05, NVwZ 2007, 487 Rn. 6).
30 b) Der Beklagte hat im vorliegenden Fall in Ausübung eines ihm
anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt.
31 aa) Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines ihr
anvertrauten öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich danach, ob die
eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird,
hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung
und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang
besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher
Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person
des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren
Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen
(st. Rspr.; s. etwa Senat, Urteile vom 4. Juni 1992 - III ZR 93/91,
BGHZ 118, 304, 305 und vom 22. März 2001 - III ZR 394/99, BGHZ 147, 169,
171; Beschluss vom 1. August 2002 aaO S. 3172 f; Urteile vom 22. Juni 2006
aaO S. 487 Rn. 7 und vom 14. Mai 2009 - III ZR 86/08, BGHZ 181, 65, 67 Rn.
10; Beschluss vom 31. März 2011 - III ZR 339/09, NVwZ-RR 2011, 556 Rn. 7;
Urteil vom 15. September 2011 - III ZR 240/10, BGHZ 191, 71, 75 f Rn. 13).
Darüber hinaus ist zu beachten, dass der gesamte Tätigkeitsbereich,
der sich auf die Erfüllung einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe bezieht,
als Einheit beurteilt werden muss und es nicht angeht, die einheitliche
Aufgabe in Einzelakte - teils hoheitlicher, teils bürgerlich-rechtlicher Art
- aufzuspalten und einer gesonderten Beurteilung zu unterziehen
(Senat, Beschluss vom 1. August 2002 aaO S. 3173 mwN; Urteile vom 9. Januar
2003 - III ZR 217/01, BGHZ 153, 268, 276 und vom 16. September 2004 - III ZR
346/03, BGHZ 160, 216, 224).
32 bb) Die Leichenöffnung sowie die nachfolgenden Untersuchungen
durch den Leiter eines rechtsmedizinischen Instituts (oder einen von ihm
beauftragten Arzt) stellen sich als Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe
dar.
33 (1) Bei der Ermittlung der Todesursache im Verfahren gemäß §§
159, 87 ff StPO handelt es sich um eine herausgehobene öffentliche Aufgabe.
Wird im Rahmen der landesgesetzlich vorgesehenen allgemeinen Leichenschau
ein Anhaltspunkt für einen nicht natürlichen Tod gefunden, ist die
Staatsanwalt
- 13 -
schaft zu informieren, die daraufhin ein Todesfallermittlungsverfahren
einleitet (§ 159 StPO). Hierbei besteht eine Ermittlungspflicht der
Staatsanwaltschaft, die sich ihrerseits aus der Verpflichtung des Staates
ergibt, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen (Art. 2 Abs. 2
Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 2 EMRK; s. BVerfG, EuGRZ 2010, 145,
147 f Rn. 22; siehe zur Ermittlungspflicht der Staatsanwaltschaft auch
Geerds, MedR 1984, 172, 173; Maiwald, NJW 1978, 561; Ermittlungspflicht
voraussetzend ebenfalls: Löwe-Rosenberg/Erb, StPO, 26. Aufl., § 159 Rn. 11).
Für die Todesfallermittlung sieht § 87 StPO die Leichenschau und die
Leichenöffnung vor. Die Leichenöffnung ist gemäß § 87 Abs. 2 StPO durch zwei
Ärzte vorzunehmen, von denen einer Gerichtsarzt oder Leiter eines
öffentlichen gerichtsmedizinischen oder pathologischen Instituts oder ein
von diesem beauftragter Arzt des Instituts mit gerichtsmedizinischen
Fachkenntnissen sein muss. Ergeben sich hiernach Anhaltspunkte für eine
Vergiftung, so sind die verdächtigen Stoffe gemäß § 91 StPO durch einen
Chemiker oder durch eine für solche Untersuchungen bestehende Fachbehörde zu
untersuchen.
34 (2) Die Obduktion gemäß § 87 Abs. 2 StPO und die toxikologische
Untersuchung gemäß § 91 StPO fallen in das engere Feld der eigentlichen
Eingriffsverwaltung und zählen wegen der Schwere des Eingriffs zum
Kernbereich staatlich-hoheitlicher Aufgaben (Kilian, LKV 2007, 145, 150).
Die Regelungen der §§ 87 ff StPO rechtfertigen die Störung der Totenruhe im
Sinne von § 168 StGB (SK-StGB/Rudolphi/Rogall, 7. Aufl., § 168 Rn. 14;
Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 451) als
öffentlich-rechtliche Erlaubnisnorm (Fischer, StGB, 61. Aufl., § 168 Rn. 12;
LK-Dippel, StGB, 12. Aufl., § 168 Rn. 53; NK-StGB/Stübinger, 4. Aufl., § 168
Rn. 21).
35 Für die Einordnung der Gutachtenerstattung gemäß §§ 87, 91 StPO als
hoheitliche Betätigung spricht auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes.
Nach der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung des § 87 StPO war die
Leichenöffnung im Beisein zweier Ärzte, unter denen sich ein Gerichtsarzt
befinden musste, vorzunehmen. Durch das Erste Gesetz zur Reform des
Strafverfahrensrechts vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3393) wurde § 87 StPO
dahin geändert, dass an Stelle des Gerichtsarztes auch der Leiter eines
öffentlichen gerichtsmedizinischen oder pathologischen Instituts oder ein
von diesem beauftragter Arzt des Instituts mit gerichtsmedizinischen
Fachkenntnissen als Obduzent beteiligt werden kann. Dieser Änderung lag
keine veränderte rechtliche Einordnung der Leichenöffnung zugrunde; vielmehr
bezweckte sie die qualitative Verbesserung der Leichenuntersuchung und die
Entlastung der Gesundheitsämter, denen aufgrund von § 3 Abs. 1 Nr. III des
Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 (RGBl.
I S. 531) in einigen Ländern die gerichtsärztliche Tätigkeit übertragen
worden war (s. BRDrucks. 117/1/73, S. 6 f).
36 Die im Rahmen der Todesursachenermittlung durchzuführenden Tätigkeiten
der öffentlichen gerichtsmedizinischen Institute, einschließlich der
toxikologischen Untersuchungen nach § 91 StPO, sind hiernach einheitlich dem
hoheitlichen Aufgabenbereich zuzuordnen.
37 (3) Die Staatsanwaltschaft W. hat die Obduktion der Leiche durch "das
Zentrum der Rechtsmedizin der Universität in F. " angeordnet (s. S. 8 des
landgerichtlichen Urteils). Das toxikologische "Hauptgutachten" wurde nicht
nur vom Beklagten, sondern auch von dem Direktor des Instituts für
Forensische Medizin, Prof. Dr. B. , (und einer weiteren Person) erstellt.
Der Briefkopf des Gutachtens weist, ebenso wie der für die ergänzende
Stellungnahme verwendete Briefkopf, den Beklagten als Leiter des Instituts
für Forensische Toxikologie aus. Angesichts dieser unstreitigen
beziehungsweise festgestellten Umstände kann es keinem Zweifel unterliegen,
dass der Beklagte seine gutachterlichen Stellungnahmen und Äußerungen in
seiner Eigenschaft als Institutsleiter und nicht als "Privatmann" abgegeben
hat. Die von Vorinstanzen gegen das Vorliegen eines "Behördengutachtens"
(vgl. § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO) angeführten Argumente sind durchweg
nicht tragfähig. Insbesondere ist die Art und Weise der - nach Erteilung und
Durchführung des Gutachtenauftrags erfolgten - Liquidation keineswegs das
von den Vorinstanzen herausgestellte entscheidende Kriterium bei der
Beantwortung der Frage, ob der Beklagte als Institutsleiter oder "privat"
tätig geworden ist (vgl. Senatsurteil vom 9. Januar 2003 - III ZR 217/01,
BGHZ 153, 268, 274). Weiterhin ist es bei der Beurteilung, ob der Beklagte
sein Gutachten in seiner "amtlichen" Eigenschaft als Institutsleiter
erstellt hat, ohne Belang, ob er als beamteter Hochschullehrer gegenüber
seinem Dienstherrn zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet war, also im
Falle einer Ablehnung des Auftrags möglicherweise seine beamtenrechtlichen
(Dienst-)Pflichten verletzt hätte.
38 3. Das Berufungsurteil ist mithin aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der
Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil sie zur Endentscheidung
reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage unterliegt insgesamt der Abweisung,
weil der Beklagte in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes
gehandelt hat und deshalb gegenüber dem Kläger nicht persönlich haftet (§
839 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG).
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