IZPR:
Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 Abs. 1 lit.c EuGVO: Begriff des
"Ausrichtens" bei Vertragsanbahnung im Internet
BGH, Beschluss vom 17.
September 2008 - III ZR 71/08
Fundstelle:
NJW 2009, 298
s. die Anm. zu BGH v.
1.2.2012 - XII ZR 10/10 sowie
BGH v. 28.2.2012 - XI ZR 9/11
sowie die Anm. zu BGH v.
15.1.2015 - I ZR 88/14.
Amtl. Leitsatz:
Zum Begriff des
Ausrichtens der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit im Sinne des Art. 15
Abs. 1 lit. c EuGVVO.
Gründe:
I.
1 Der in Deutschland wohnhafte Kläger beabsichtigte im Jahr 2001, zwei auf
der Insel K. gelegene Eigentumswohnungen zu erwerben. Anlässlich der
Besichtigung der Wohnungen kam er mit der Eigentümerin auf deren Vorschlag
überein, dass der Beklagte, ein ortsansässiger griechischer Rechtsanwalt,
der über deutsche Sprachkenntnisse verfügt, bei der Abwicklung des Geschäfts
Hilfe leisten sollte. Der Kaufvertrag scheiterte, weil die Eigentümerin die
Eigentumswohnungen nicht mehr verkaufen wollte und der Beklagte es daraufhin
ablehnte, von der ihm seitens der Eigentümerin erteilten Vollmacht zum
Verkauf der Objekte Gebrauch zu machen.
2 Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil dieser
es pflichtwidrig unterlassen habe, die Vollmacht zu nutzen. Er hält die
internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für gegeben, weil es sich um
eine Verbrauchersache im Sinne des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO handele;
insbesondere habe der Beklagte dadurch, dass er auf der Internetseite der
deutschen Botschaft in Athen, auf der Website des "immobilien-k. " sowie auf
der Homepage dreier deutscher Rechtsschutzversicherungen als in Griechenland
tätiger Rechtsanwalt aufgeführt sei, seine Tätigkeit auch auf die
Bundesrepublik ausgerichtet.
3 Die Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die
internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht begründet sei.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
4 Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO
liegen nicht vor. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch
erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
5 Beide Vorinstanzen haben im Ergebnis zu Recht die internationale
Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint.
6 1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist vorliegend nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO und nicht nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ zu
beurteilen. Maßgeblich für die Anwendbarkeit der jeweiligen Bestimmung ist
gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVVO nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (hier:
April 2001), sondern der Zeitpunkt der Klageerhebung (hier: Dezember 2005).
7 2. Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass zwischen den
Parteien ein Geschäftsbesorgungsvertrag zustande gekommen ist, bei dem die
anwaltliche Tätigkeit durch den Beklagen einen Schwerpunkt darstellte.
Jedoch kann das für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift erforderliche
"Ausrichten" der Betätigung des Beklagten als Rechtsanwalt auf die
Bundesrepublik Deutschland nach den Umständen des Streitfalls nicht
angenommen werden.
8 a) Kernstück der Neuregelung in Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ist der
Begriff des Ausrichtens einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit auf
den Wohnsitzstaat des Verbrauchers. Hierdurch sollte neben der gezielt auf
den Wohnsitzstaat des jeweiligen Verbrauchers gerichteten Werbung vor allem
auch der so genannte elektronische Handel über das Internet erfasst werden,
bei dem ein Vertragsschluss auf ausschließlich elektronischem Wege zustande
kommt. Insbesondere bei der Verwendung einer interaktiven Website,
bei der der Verbraucher auf einer Website des Vertragspartners die von ihm
gewünschten Leistungen bestellt, etwa durch Anklicken eines dort enthaltenen
Symbols, besteht das Problem, dass oftmals kaum oder gar nicht zu klären
wäre, wo diese Handlung vorgenommen worden ist. Zudem ist sie rechtlich
nicht relevant für die Schaffung einer Verbindung zwischen dem Vertrag und
dem Staat des Verbrauchers. Deshalb kommt es, anders als nach dem bisherigen
Recht (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 lit. b EuGVÜ), auf den Ort des Vertragsschlusses
oder der Vornahme der dafür erforderlichen Rechtshandlungen nicht an; nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO wird die notwendige Verbindung zum Staat des
Verbrauchers schon dadurch geschaffen, dass dessen Vertragspartner seine
Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet (vgl. Kropholler, Europäisches
Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 15 EuGVVO, Rn. 23).
9 Allerdings sind die Zugänglichkeit einer nur passiven Website als
solche und der Umstand, dass sich der Verbraucher des Angebots einer
Dienstleistung oder der Möglichkeit, Waren zu kaufen, durch eine solche in
seinem Mitgliedstaat zugängliche Website bewusst wird, nicht ausreichend, um
den Kompetenztatbestand zu erfüllen (vgl. BGHZ 167, 83, 90 Rn. 28;
BR-Drucks. 543/99, 5. 16; Kropholler aaO, Rn. 23-25; MünchKommZPO/Gottwald,
3. Aufl. 2008, Art. 15 EuGVVO, Rn. 5; Hk-ZPO/Dörner, 2. Aufl. 2007, Art. 15
EuGVVO, Rn. 16; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl.
2004, Art. 15 EuGVVO, Rn. 38; Nagel/Gottwald, Internationales
Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2007, § 3 Rn. 115; Hausmann EuLF 2000, 40, 45;
a.A. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 66. Aufl. 2008, Art. 15 EuGVVO Rn. 4). So
heißt es auch in der zu Art. 15 EuGVVO abgegebenen gemeinsamen Erklärung des
Rates und der Kommission (abgedruckt in IPRax 2001, 259, 261) ausdrücklich:
"... In diesem Zusammenhang betonen der Rat und die Kommission, dass die
Zugänglichkeit einer Website allein nicht ausreicht, um die Anwendbarkeit
von Art. 15 zu begründen; vielmehr ist erforderlich, dass diese Website auch
zum Vertragsschluss im Fernabsatz auffordert, und dass tatsächlich ein
Vertragsschluss im Fernabsatz erfolgt ist, mit welchem Mittel auch immer
...".
10 Im Streitfall hat der Beklagte keine eigene Website unterhalten, sondern
seine Kontaktadresse wird lediglich durch Dritte auf deren Homepage als
Serviceleistung für die eigenen Kunden bzw. Staatsangehörigen mitgeteilt.
Auch wenn er auf der Internetseite der deutschen Botschaft in Athen als
deutschsprachiger, im Amtsbezirk der Botschaft niedergelassener Rechtsanwalt
verzeichnet ist, auf der Internetseite des "immobilien-k. " sowie auf der
Homepage von drei deutschen Rechtsschutzversicherern aufgeführt ist, und die
Annahme nahe liegt, dass seine Erwähnung jedenfalls auf der Homepage der
deutschen Botschaft nicht ohne seine Kenntnis und Zustimmung erfolgt ist,
bleibt diese Fallgestaltung noch hinter der des Unterhaltens einer (eigenen)
passiven Website zurück.
11 b) Darüber hinaus ist für die Erfüllung des Merkmals des "Ausrichtens"
der gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers
erforderlich, dass er dort zum Vertragsschluss zumindest motiviert worden
ist, auch wenn der Vertragsschluss selbst nicht in dem Wohnsitzstaat erfolgt
(vgl. z.B. Dörner aaO Rn. 15). Anwendbar ist die Vorschrift, gerade
im Hinblick auf ihren Ausnahmecharakter und die Notwendigkeit einer
autonomen und engen Auslegung ihrer Voraussetzungen (vgl. hierzu EuGH
NJW 1993, 1251; 2005, 653, 654, Rn. 32; jew. zu Art. 13 Abs. 1 EuGVÜ;
Kropholler, aaO, Rn. 3; Dörner, a-aO, Rn. 8) deshalb ersichtlich nicht,
wenn ein Verbraucher auf Auslandsreisen "zufällig" Verträge mit einem
"Unternehmer" abschließt (vgl. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl.
2003, Art. 15 EuGVVO, Rn. 8 a).
12 Danach kann auch deshalb kein Ausrichten im Sinne des Art. 15 Abs. 1
lit. c EuGVVO angenommen werden, weil der Kläger unstreitig nicht in
Deutschland oder über das Internet auf den Beklagten aufmerksam geworden
ist; er kannte nicht einmal die von ihm nunmehr in den Vordergrund
gestellten Websites, auf denen der Beklagte verzeichnet ist. Der behauptete
Vertrag mit dem Beklagten kam vielmehr zustande, weil die auf K. wohnende
Eigentümerin ihn als Anwalt empfohlen, der Kläger nur dadurch gelegentlich
seines Besuches in Griechenland von dem Beklagten erfahren hatte und
unmittelbar nach einer Wohnungsbesichtigung vor Ort mit ihm
zusammengetroffen ist. Würde man selbst bei dieser Sachlage noch ein
"Ausrichten" bejahen, würde diese Zuständigkeitsvorschrift ihren
Ausnahmecharakter vollständig verlieren.
13 3. Die Nichterfüllung des Tatbestandmerkmals "Ausrichten" ist so
offensichtlich, dass weder die Zulassung der Revision zur Klärung der
Rechtsfrage noch eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (vgl. dazu BGHZ 167, 83, 90, Rn. 30; 174, 273, 287, Rn.
34) geboten ist.
|