Zeitweilige
(vorübergehende) Unmöglichkeit und Verjährung
BGH, Urteil vom 16.
September 2010 - IX ZR 121/09
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
1. Die Gesellschafter können von dem
Konkursverwalter über das Vermögen einer Personenhandelsgesellschaft die
Vorlage steuerlicher Jahresabschlüsse für die Konkursmasse verlangen.
Entstehen der Konkursmasse dadurch Kosten, die sie allein in fremdem
Interesse aufwenden muss, kann der Konkursverwalter hierfür Ersatz und einen
entsprechenden Auslagenvorschuss fordern.
2. Die Verjährung eines Anspruchs, dessen Erfüllung dem Schuldner
vorübergehend unmöglich ist, beginnt erst mit dem Wegfall des Hindernisses.
Zentrale Probleme:
Die spezielle insolvenzrechtliche Entscheidung ist von
allgemeinem Interesse in Bezug auf das behandelte Problem der
vorübergehenden (oder besser: zeitweiligen) Unmöglichkeit. Sie wird deshalb
hier auch nur auszugsweise wiedergegeben.
Das Problem ist überaus umstritten, der Gesetzgeber hatte es im ersten
Entwurf des Gesetzes noch geregelt (§ 275 I BGB enthielt noch den Satzteil
"soweit und solange"), s.
BT-Drucks 14/6040 S. 129), dann aber doch lieber offengelassen (s. die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses,
BT-Drucks. 14/7052 S. 183).
Ist die Leistung dem Schuldner nur derzeit, nicht aber endgültig unmöglich,
ist er jedenfalls nicht nach § 275 BGB endgültig befreit, sofern nicht
ausnahmsweise die vorübergehende Unmöglichkeit einer endgültigen
gleichsteht: Letzteres ist der Fall beim absoluten Fixgeschäft, aber
anerkanntermaßen auch dann, wenn dem Gl. oder dem Schuldner ein weiteres
Abwarten nicht mehr zumutbar ist (s. dazu Medicus/Lorenz SchuldR I Rn. 419
ff m.w.N.; Köhler/Lorenz, PdW SchuldR AT Fall 15); s. dazu auch die Anm. zu
BGH NJW 2007, 3777 sowie zu
OLG Karlsruhe NJW 2005,
989 = ZGS 2004, 477. Der BGH bestätigt hier im Zusammenhang mit der
Verjährungsfrage, daß bei einer zeitweiligen Unmöglichkeit der
Erfüllungsanspruch jedenfalls gehemmt ist, d.h. eine Klage als "derzeit
unbegründet" abzuweisen wäre. Aus diesem Grunde aber läuft auch die
Verjährung nach § 199 I BGB nicht an, weil nur ein durchsetzbarer Anspruch
der Verjährung unterliegen kann. Zur Frage des Ersatzes eines
Verzugsschadens bei vorübergehender Unmöglichkeit s.
BGH v. 12.3.2013 - XI ZR 227/12.
©sl 2010
Tatbestand:
Der Beklagte ist Verwalter in dem auf Antrag vom 3. April
1997 eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen der W. GmbH & Co. KG. Die
Klägerin zu 1 ist Komplementärin, die Kläger zu 2 und 3 sind Kommanditisten
der Gemeinschuldnerin. Diese war Eigentümerin und Verwalterin zahlreicher
Immobilien, welche sie durch Vermietung nutzte. Ihr letzter Jahresabschluss
betrifft das Jahr 1995. Für das Jahr 1996 existiert nur ein Entwurf. Für die
nachfolgenden Jahre bis einschließlich 2005 haben die Kläger bisher keine
Jahresabschlüsse für die Gemeinschuldnerin erhalten.
2 Die Kläger nehmen den Beklagten auf Erstellung und Vorlage der ihnen
fehlenden Jahresabschlüsse in Anspruch. Das Landgericht hat den Beklagten
antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem
in ZIP 2009, 1824 veröffentlicht ist, hat die Klage abgewiesen. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Ansprüche
weiter.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision ist begründet, der Streitgegenstand jedoch noch nicht zur
Endentscheidung reif.
I.
4 Das Berufungsgericht hat angenommen, für die erhobenen Ansprüche fehle
eine Rechtsgrundlage. ... (wird ausgeführt).
II.
5 Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
.... (wird ausgeführt).
21 a) In den Instanzen ist streitig gewesen, ob dem Beklagten die Erstellung
der Jahresabschlüsse aus tatsächlichen Gründen zeitweise oder sogar
dauerhaft unmöglich war. Der Beklagte hat unter anderem für die Behauptungen
Beweis angetreten, die Staatsanwaltschaft habe wesentliche Teile der
Geschäftsunterlagen, die er für die Buchführung benötigt hätte,
beschlagnahmt; außerdem habe der Liquidator der Klägerin zu 1 nicht im
erforderlichen Maße mitgearbeitet und erbetene Informationen und Unterlagen
nicht herausgegeben. Dem wird nachzugehen sein. Trifft letztere Behauptung
zu, könnte der Klageanspruch auch wegen eines Verstoßes gegen Treu und
Glauben in der Ausprägung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens
abzuweisen sein.
22 b) Die vom Beklagten außerdem erhobene Verjährungseinrede wäre erst zu
prüfen, wenn sich sein Unmöglichkeitseinwand nicht bestätigen sollte. Eine
vorgreifliche Prüfung dieser Einrede ist nicht möglich. Gemäß § 199 Abs.
1 Nr. 1 BGB läuft die Verjährung erst von der Entstehung des Anspruchs ab.
Entstanden ist der Anspruch, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht
werden kann (BGHZ 55, 340; 73, 365; 79, 178). Solange einem Anspruch
der Einwand zumindest vorübergehender Unmöglichkeit entgegensteht, ist eine
Klage als "zur Zeit unbegründet" abzuweisen. So lange kann der Anspruch auch
nicht im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden sein, weil dann seine
Verjährung drohte, bevor er von Rechts wegen klageweise durchgesetzt werden
könnte. Bevor nicht festgestellt ist, dass der Beklagte derzeit die
verlangten Jahresabschlüsse vorlegen kann und von welchem Zeitpunkt an diese
Möglichkeit gegeben war, lässt sich der Beginn der Verjährungsfrist nicht
bestimmen. Sollte sich eine solche Feststellung treffen lassen, werden wegen
der Ähnlichkeit beider Rechtsverhältnisse auf den aus gesetzlichem
Schuldverhältnis folgenden steuerlichen Rechnungslegungsanspruch der
Gesellschafter diejenigen Verjährungsregeln anzuwenden sein, die für
Geschäftsbesorgungsverträge gelten. Eine anderweitige Rechtsvorschrift
fehlt. Die entsprechende Anwendung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. kommt kaum in
Betracht, weil es im Streitfall - anders als in dem Fall BGHZ 93, 278 -
nicht um Schadensersatzansprüche geht.
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