Voraussetzungen der
Eigenschaft als Empfangsbote - Verkehrsanschauung; Zeitpunkt des Zugangs
OLG Köln, Beschluss vom
18.01.2006 - 22 U 164/05
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Die Schwägerin des
Empfängers einer schriftlichen Willenserklärung, die im selben
Mehrfamilienhaus wie der Empfänger, aber in einer anderen Wohnung wohnt, ist
nach der Verkehrsanschauung als dessen Empfangsbotin anzusehen.
Zentrale Probleme:
S. dazu die Anm. zu
BGH NJW 2002, 1041 sowie
BGH
NJW 1994, 2613; zur Frage des Zugangs bei
einem nicht abgeholten Einschreibebrief sowie der Problematik der
Zugangsvereitelung durch den Empfänger s.
BGH NJW 1998, 976 ff; zum Empfangsvertreter s.
auch BGH NJW 2003, 3270.
©sl 2006
Gründe:
Die Berufung des Beklagten unterliegt der Zurückweisung durch
Beschluss gemäß § 522 Abs.2 ZPO, weil das Rechtsmittel keine Aussicht auf
Erfolg hat (§ 522 Abs.2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und die Sache weder grundsätzliche
Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch
Urteil erfordern (§ 522 Abs.2 Satz 1 Nr.2,3 ZPO).
Der Beklagte ist auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die
Gründe hierfür mit Beschluss vom 09.12.2005 hingewiesen worden und hat
Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Auf die Gründe für die Zurückweisung
in diesem Beschluss wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Die Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 10.01.2006 geben keinen
Anlaß zu einer anderweitigen Entscheidung.
Ob das erstinstanzliche Vorbringen des Beklagten zu der – angeblich –
verzögerten Weiterleitung des Kündigungsschreibens der Klägerin durch seine
Schwägerin in der Berufungsinstanz durch weiteren Tatsachenvortrag ergänzt
werden konnte, braucht nicht entschieden zu werden.
Denn jedenfalls ist die Schwägerin des Beklagten nach der Verkehrsanschauung
als seine Empfangsbotin anzusehen, so dass von einem – fristgerechten –
Zugang des Kündigungsschreibens spätestens am 29.04.2004 auszugehen ist.
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Dritter, der ein Schreiben für den
Empfänger entgegennimmt, als dessen Empfangsbote anzusehen ist, ist die
Verkehrsanschauung maßgeblich (vgl. z.B. BGH
NJW 94, 2613, 2614). Interne Zustellbestimmungen der Deutschen Post AG
(vom Beklagten als „Bundespost“ bezeichnet) sind insoweit nicht
ausschlaggebend, weil sie lediglich das Dienstverhältnis der Post zu ihren
Mitarbeitern regeln (vgl. auch BAG NJW 93, 1093, 1094 l. Sp.).
Die Verkehrsanschauung, dass nahe Angehörige des Empfängers im Einzelfall
als seine Empfangsboten angesehen werden können, beruht auf der
Lebenserfahrung, dass in aller Regel davon ausgegangen werden kann, dass
diese Personen ein für den Empfänger angenommenes Schriftstück alsbald an
diesen weiterleiten (BGH aaO). Dazu ist nicht in jedem Fall erforderlich,
dass sich die Empfangsperson in der Wohnung des Empfängers aufhält. Es kann
auch genügen, dass sie in einer anderen Wohnung desselben Mehrparteienhauses
wohnt und dort das Schreiben entgegennimmt (vgl. BAG aaO;
Staudinger-Singer/Benedikt § 130 BGB, Rdn. 57 m.N.).
Im vorliegenden Fall ist nach diesen Grundsätzen auch die Schwägerin des
Empfängers, also hier des Beklagten, die mit dem Bruder des Beklagten im
selben Haus im Stockwerk unterhalb der Wohnung des Beklagten wohnt und die
nach seinem Vorbringen das an ihn gerichtete Kündigungsschreiben der
Klägerin entgegengenommen haben soll, seine Empfangsbotin gewesen. Denn auch
bei ihr hat davon ausgegangen werden können, sie werde den Einschreibebrief
alsbald dem Beklagten aushändigen. Nach Darstellung des Beklagten ist es
dazu nur deshalb nicht sogleich gekommen, weil mit der am selben Tag
eingegangenen telefonischen Nachricht von einer schweren Erkrankung der
Mutter der Schwägerin ein außergewöhnlicher Umstand eingetreten war, durch
den der an den Beklagten gerichtete Einschreibebrief für mehrere Wochen in
Vergessenheit geraten sein soll. Ohne diese Besonderheit wäre es zu der
Verzögerung der Weiterleitung nicht gekommen. Für den Zeitpunkt des
Zugangs ist diese Verzögerung ohne Bedeutung, da es nur auf den nach dem
regelmäßigen Verlauf der Dinge zu erwartenden Zeitpunkt der Weiterleitung an
den Empfänger ankommt (BGH, NJW-RR 1989, 757; Palandt-Heinrichs, BGB,
65. Aufl., § 130 Rn. 9 m.w.Nachw.).
Unerheblich ist ferner, dass zur damaligen Zeit ein näherer persönlicher
Kontakt zwischen dem Beklagten und seiner Schwägerin nicht bestanden haben
soll. Denn das ändert nichts daran, dass hier nach dem regelmäßigen Verlauf
der Dinge zu erwarten war, dass die Schwägerin, die den Einschreibebrief mit
der Absicht der Weiterleitung entgegengenommen hatte, diesen ohne
Verzögerung an den Beklagten weiterleiten werde.
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