Vertragsschluß durch
tatsächliche Inanspruchnahme von Leistungen - "protestatio facto contraria"
und Wiedergeburt des "faktischen Vertrags"?
BGH, Urteil vom 9. 5. 2000
- VI ZR 173/99
Fundstelle:
NJW 2000, 3429
Amtl. Leitsatz:
1. Humanitäre Gründe,
die daraus erwachsen, dass sich ein Patient der an sich gebotenen Ver-legung
aus dem Krankenhaus in ein Pflegeheim ohne Verschulden durch Verweigerung
der Nahrungsaufnahme entzieht, machen eine stationäre Krankenhausbehandlung
im sozialversi-cherungsrechtlichen Sinne allein nicht notwendig.
2. Ein Krankenhausbehandlungsvertrag mit privatrechtlichem
Vergütungsanspruch kann durch konkludentes Verhalten trotz Widerspruchs des
Patienten gegen die Zahlungspflicht zu Stande kommen, wenn dieser weiterhin
im Krankenhaus verbleibt, obwohl er über das Ende der Kostenübernahme
seitens der gesetzlichen Krankenkasse unterrichtet worden ist.
Zentrale Probleme:
Die Lehre vom faktischen Vertrag oder vom Vertragsschluß
durch sozialtypisches Verhalten, welcher der BGH im berühmt-berüchtigten
"Hamburger Parkplatz-Fall" noch gefolgt war (s.
BGHZ 21, 319 ff) gilt eigentlich als überwunden.
Es besteht Einigkeit darüber, daß mit demjenigen, der eine Leistung in
Anspruch nimmt, sich aber gleichzeitig erkennbar gegen den
Vertragsschluß verwahrt (andernfalls gilt § 116 S. 1 BGB), kein Vertrag
zustandekommt. Insbesondere ist die sog. "protestatio facto contraria" nicht
anerkannt (s. dazu instruktiv
BGH NJW-RR 1986, 1496 sowie
BGH NJW 2002, 817 und
BGH NJW 2002, 1945). Die vorliegende
Entscheidung kommt dem "Sündenfall" des faktischen Vertrages gefährlich nahe
(s. dazu die fett markierte Passage). Der Satz,
daß ein Vertrag auch dann wirksam zu Stande komme, wenn die Partei, die eine
Leistung in Anspruch nimmt, die im Allgemeinen nur gegen Entgelt erbracht
wird, ausdrücklich erklärt, sie werde keine Vergütung zahlen, weil sie sich
am objektiven Erklärungswert ihres Verhaltens festhalten lassen müsse, ist
so unhaltbar und entspricht auch nicht der sonstigen Rechtsprechung des BGH
(s. insbesondere
BGH NJW-RR 1986, 1496: "Eine stillschweigende Willenserklärung kann nach
allgemeinen Rechtsgrundsätzen jedoch dann nicht angenommen werden, wenn zwar
die Handlungsweise der betreffenden Person an sich den Schluß auf einen
bestimmten rechtsgeschäftlichen Willen zulassen würde, wenn aber diese
Person ausdrücklich erklärt, daß ihr dieser rechtsgeschäftliche Wille
fehle".
S. dazu auch
BGH v. 2.7.2014 -
VIII ZR 316/13.
©sl 2005
Tatbestand:
Der Kl., Träger eines Zentrums für Psychiatrie in D., nimmt die Bekl. auf
Bezahlung der Kosten für einen Krankenhausaufenthalt vom 5. 10. 1995 bis 13.
6. 1996 in Anspruch. Die 1923 geborene und 1952 wegen eines schizophrenen
Defektzustands entmündigte Bekl. befand sich in dem Krankenhaus des Kl. seit
1965 in ständiger ärztlicher Behandlung, nachdem sie dort bereits zuvor ab
1951 mehrfach vorübergehend untergebracht war. Die gesetzliche Krankenkasse
der Bekl. kam in den Jahren 1992 und 1993 vollständig, 1994 für bestimmte
Zeiträume und 1995 vom 27. 1. bis 5. 6. und vom 25. 8. bis 5. 10. für die
angefallenen Krankenhauskosten auf. In den übrigen Zeiten zahlte die Bekl.
die Krankenhauskosten selbst, wobei ihr diese überwiegend von der
zuständigen Beihilfestelle erstattet wurden. Nachdem die AOK bis zum 5. 6.
1995 Versicherungsschutz gewährt hatte, teilte der Kl. der Bekl. mit, dass
es sich bei ihr nach Auffassung des behandelnden Arztes nicht mehr um einen
stationären Behandlungsfall im krankenversicherungsrechtlichen Sinne
handele; die Pflegekosten würden von diesem Zeitpunkt an von der
Krankenkasse nicht mehr getragen. Daraufhin zahlte die Bekl. die anfallenden
Kosten bis zum 25. 8. 1995. Ein in etwa gleich lautendes Schreiben richtete
der Kl. am 4. 10. 1995 an den Betreuer der Bekl., worin er mitteilte, dass
die Bekl. ab dem 5. 10. 1995 nicht mehr im Krankenhaus behandlungsbedürftig
sei; die anfallenden Pflegegebühren würden ihr ab diesem Tag in Rechnung
gestellt. Seit dem 8. 6. 1998 lebt die Bekl. in einem Pflegeheim, weil die
Station im Krankenhaus des Kl., in der sie sich bisher aufhielt, aufgelöst
worden ist. Der Kl. begehrt von der Bekl. Zahlung von
Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 83122,71 DM für die Zeit vom 5. 10.
1995 bis 13. 6. 1996. Er behauptet, in dieser Zeit sei eine stationäre
Behandlung der Bekl. in seinem Krankenhaus nicht mehr erforderlich gewesen.
Diese sei vielmehr lediglich wie ein Pflegefall betreut worden.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das BerGer. hat sie nach Einholung eines
Sachverständigengutachtens zur Frage der stationären
Behandlungsbedürftigkeit der Bekl. abgewiesen. Die Revision hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe:
I. Nach Auffassung des BerGer. steht dem
vom LG zuerkannten Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung in der
Zeit vom 5. 10. 1995 bis 13. 6. 1996 ein Schadensersatzanspruch der Bekl.
gegenüber, weil der Kl. seine sich aus dem Behandlungsvertrag ergebenden
Pflichten verletzt habe.
Für den Arzt bestehe auf Grund des Behandlungsvertrags gem. § 242 BGB die
Pflicht, den Patienten auf die Ersatzfähigkeit von notwendigen
Heilbehandlungskosten hinzuweisen, wenn sich die Möglichkeit einer
wirtschaftlichen Schädigung aufdrängen müsse. Erforderlich sei nicht nur ein
rechtzeitiger Hinweis auf die bevorstehende Umstellung vom Behandlungs- zum
Pflegefall, sondern auch ein Hinweis, der vom ärztlichen Standpunkt aus
gesehen den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entspreche. Hier
sei der Hinweis im Schreiben vom 4. 10. 1995 auf den Wegfall der stationären
Behandlungsbedürftigkeit aus objektiv medizinischer Sicht nicht zutreffend
gewesen. Tatsächlich habe nämlich in dem fraglichen Zeitraum eine stationäre
Behandlungsbedürftigkeit bestanden, und zwar entweder um den Status quo zu
erhalten oder um eine Enthospitalisierung zu versuchen.
Gemäß § 249 S. 1 BGB habe der Kl. den Zustand herzustellen, der bestehen
würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
Hätte der Kl. die stationäre Behandlungsbedürftigkeit zutreffend bejaht,
wäre die Bekl. nicht als Selbstzahlerin eingestuft worden und es hätte dem
Kl. oblegen, die Frage der Behandlungsbedürftigkeit im Rahmen der Abrechnung
gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse zu klären.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsurteil kann mit der gegebenen Begründung nicht bestehen
bleiben. Das BerGer. hat ohne nähere Darlegung dem LG folgend einen
privatrechtlichen Vergütungsanspruch des Kl. gegen die Bekl. aus § 611 BGB
angenommen, was die Revision als ihr günstig nicht angreift. Andererseits
hat es die Notwendigkeit einer stationären Behandlung der Bekl. für den hier
fraglichen Zeitraum vom 5. 10. 1995 bis 13. 6. 1996 bejaht und wegen
Verstoßes des Kl. gegen die wirtschaftliche Aufklärungspflicht einen
Schadensersatzanspruch der Bekl. in gleicher Höhe als gegeben erachtet.
Diese Begründung ist widersprüchlich und damit rechtsfehlerhaft.
Sollte nämlich, wie das BerGer. annimmt, die Bekl. für den hier maßgeblichen
Zeitraum weiterhin stationär behandlungsbedürftig gewesen sein, so könnte
dem Kl. ein privatrechtlicher Vergütungsanspruch für die erbrachten
Krankenhausleistungen von vornherein nicht zustehen. Denn in einem solchen
Fall richtet sich bei einem Kassenpatienten - wie hier der Bekl. - der
Vergütungsanspruch des Krankenhausträgers unmittelbar und ausschließlich
gegen die gesetzliche Krankenkasse (BGHZ 89, 250 [255ff.] = NJW 1984, 1820 =
LM § 13 GVG Nr. 158). Dieser Anspruch ist öffentlich-rechtlicher Natur und
vor den Sozialgerichten zu verfolgen (BGHZ 89, 250 [260] = NJW 1984, 1820 =
LM § 13 GVG Nr. 158; BGH, NJW 1997, 1636 = LM H. 7/1997 § 677 BGB Nr. 34 =
VersR 1997, 1552 [1553]; BSGE 70, 20 [22]; BSG, NJW-RR 1998, 273 [274]).
Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass das Behandlungsverhältnis zwischen
dem Patienten und Krankenhaus auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht (BGHZ
89, 250 [255] = NJW 1984, 1820 = LM § 13 GVG Nr. 158; BGHZ 96, 360 [363] =
NJW 1986, 1542 = LM RhPf.HochSchG Nr. 1; Senat, NJW 1992, 2962 = LM H.
5/1993 § 823 [Aa] BGB Nr. 141 = VersR 1992, 1263).
2. Das angefochtene Urteil lässt sich auch nicht mit anderer Begründung
aufrechterhalten. Im Ergebnis hat das BerGer. allerdings einen
privatrechtlichen Vergütungsanspruch des Kl. gegen die Bekl. aus § 611 BGB
zu Recht bejaht. Diesem Anspruch steht indes entgegen der Auffassung des
BerGer. kein Anspruch der Bekl. gegenüber.
a) Eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit im
sozialversicherungsrechtlichen Sinne bestand in Wahrheit nicht. Insoweit
rügt die Revision zu Recht, dass das BerGer. von einem unzutreffenden
Begriff der stationären Behandlungsbedürftigkeit ausgegangen ist. Das hat
zur Folge, dass eine Pflicht der gesetzlichen Krankenkasse zur Erstattung
der Krankenhauskosten nicht besteht und der Kl. die Bezahlung der von ihm
erbrachten dienstvertraglichen Leistungen allein von der Bekl. auf
privatrechtlicher Grundlage verlangen kann.
Der Sachverständige, dem das BerGer. gefolgt ist, hat in Übereinstimmung mit
den Ärzten im Krankenhaus des Kl. angenommen, dass die Bekl. nicht heilbar
sei und aus diesem Grunde an sich eine Dauerenthospitalisierung hätte
stattfinden müssen, weil die bei chronisch schizophren Erkrankten an sich
begrüßenswerten Bemühungen zur Dauerenthospitalisierung zunächst gescheitert
seien. „Es gibt“, wie der Sachverständige ausgeführt hat, „eine kleine
Gruppe von Patienten, die nicht enthospitalisiert werden können. Diese
Patienten bedürfen dann der stationären ärztlichen Behandlung. … In dem
Zeitraum vom 5. 10. 1995 bis zum 13. 6. 1996 war die stationäre
Behandlungsbedürftigkeit gegeben. Wenn alle Behandlungsmaßnahmen zur
Enthospitalisierung scheiterten, dann kann eine gezielte Behandlung auch
darin liegen, eine Verschlechterung des gegenwärtigen Zustands zu
verhindern. Die stationäre Behandlung war entweder aus dem Grund
erforderlich, um den status quo zu erhalten oder aber, um eine
Enthospitalisierung zu versuchen. Eine andere Entscheidung wäre medizinisch
nicht vertretbar gewesen… Auf das Verlassen der Station hat und hätte Frau B
mit Hungerstreik reagiert… Alle anderen Maßnahmen, von dem Versuch einer
Enthospitalisierung abgesehen, als die Erhaltung des Status quo wären
inhuman gewesen. Sie wäre wahrscheinlich verhungert.“
aa) Diese Ausführungen rechtfertigen entgegen der Auffassung des BerGer. und
der von der Revisionserwiderung vorgetragenen Ansicht nicht die Annahme, die
Bekl. sei im hier fraglichen Zeitraum stationär behandlungsbedürftig i.S.
des § 39 I SGB V gewesen. Nach § 27 I SGB V hat der Versicherte Anspruch auf
Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu
heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu
lindern. Durch das Erfordernis einer behandlungsfähigen und
behandlungsbedürftigen Krankheit unterscheidet sich die Krankenbehandlung
von bloßen Pflegeleistungen nach dem am 1. 4. 1995 in Kraft getretenen SGB
XI, die vom Vorliegen einer Krankheit unabhängig sind (BGHZ 134, 381 [386] =
NJW 1997, 1783 = LM H. 9/1997 § 53 SGB V Nr. 2).
Dementsprechend besteht keine Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenkasse, wenn die ärztliche Behandlung keine hinreichende
Erfolgsaussicht mehr bietet und die Pflege deshalb im Wesentlichen nur noch
um ihrer selbst willen und nicht im Rahmen eines zielstrebigen Heilplans
durchgeführt wird (BSGE 47, 83 [85]; BSGE 49, 216 [217f.]; BSGE 63, 107
[110f.]; BSG, SozR 2200 § 184 RVO Nrn. 11 u. 28). Die Erforderlichkeit von
Pflege allein begründet keinen Anspruch auf stationäre Behandlung in einem
Krankenhaus, soweit die dortige Unterbringung nur aus Verwahrungsgründen
erfolgt oder um einem Zustand der Hilflosigkeit des Betroffenen zu begegnen.
Die danach erforderlichen Voraussetzungen für eine stationäre
Krankenhausbehandlung lagen, was das BerGer. verkannt hat, bei der Bekl. im
fraglichen Zeitraum nicht vor. Die Bekl. litt zwar an einer Krankheit, denn
bei ihr bestand nach den Feststellungen des BerGer. eine chronifizierte
schizophrene Psychose mit erheblicher Residualproblematik und einem
fixierten Wahnsystem. Doch fehlte es auf der Grundlage des festgestellten
Sachverhältnisses an der Notwendigkeit, diese Krankheit stationär in einem
Krankenhaus zu behandeln. Die Bekl. befand sich seit 1965 ununterbrochen im
Zentrum für Psychiatrie in D. Irgendeine Heilung oder Besserung ihres
Leidens ist in dieser Zeit nach den Feststellungen des BerGer. nicht
eingetreten und für die Zukunft auch nicht mehr zu erwarten. Ein
Behandlungsplan für die Bekl. bestand im fraglichen Zeitraum nicht mehr. Die
Krankenhausbehandlung war auch nicht erforderlich, um Krankheitsbeschwerden
zu lindern oder eine Lebensverlängerung herbeizuführen.
Die Dauer der Unterbringung stellt zwar für sich allein noch kein
ausreichendes Abgrenzungskriterium der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit
einerseits und der reinen Pflegebedürftigkeit andererseits dar (BSGE 47, 83
[86]; BSG, SozR 2200 § 184 RVO Nr. 11). Doch besteht insbesondere bei
psychiatrischen Dauererkrankungen, die Jahrzehnte hindurch ohne
nennenswerten Erfolg stationär behandelt worden sind, eine Vermutung dafür,
dass das Leiden keiner Kranken-(haus-)behandlung mehr zugänglich ist (BSGE
59, 116 [118]). Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nach den
Feststellungen des BerGer. nicht widerlegt.
bb) Soweit das BerGer. demgegenüber meint, eine stationäre
Behandlungsbedürftigkeit sei sehr wohl noch vorhanden gewesen, und dies
damit begründet, dass die stationäre Behandlung erforderlich gewesen sei, um
den Status quo zu erhalten oder um eine Enthospitalisierung zu versuchen,
verkennt es, wie die Revision zu Recht rügt, den Zweck einer stationären
Krankenhausbehandlung. Diese dient der Behandlung einer Krankheit, nicht
dagegen der Vermeidung von Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer
Umstellung auf eine allein erforderliche Pflegebehandlung. Die weitere
Aufnahme der Bekl. im Krankenhaus des Kl. diente insbesondere auch nicht der
Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit i.S. von § 27 I 2 SGB V. Die
Gefahr einer Verschlimmerung muss nämlich gerade wegen der drohenden
Entwicklung der Krankheit selbst gegeben sein (Peters, Hdb. der
Krankenversicherung, Teil II - SGB V, § 39 Rdnr. 171).
Gewiss kann bei grundsätzlich nicht mehr therapierbaren psychisch Kranken
immer ein Zustand eintreten, der der ärztlichen Behandlung bedarf. Das
genügt aber nicht, um in Abgrenzung zur Pflegebedürftigkeit die
Notwendigkeit einer stationären Krankenbehandlung anzunehmen. Denn von einer
Krankenhausbehandlung kann nicht mehr gesprochen werden, wenn die ärztliche
Behandlung nur noch einen die stationäre Versorgung und die pflegerischen
und pädagogischen Maßnahmen begleitenden Charakter hat (BSG, SozR 2200 § 184
RVO Nr. 28). So lag es hier. Eine ärztlich durchgeführte oder auch nur
überwachte psychiatrische Behandlung der Bekl. fand im fraglichen Zeitraum
nicht mehr statt. Die Bekl. wurde lediglich aus humanitären Gründen
weiterhin im Krankenhaus des Kl. belassen.
Derartige Erwägungen vermögen jedoch die Notwendigkeit einer stationären
Krankenhausbehandlung nicht zu begründen. Entscheidend ist allein, dass die
andauernde Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig sein
muss. Soziale Belange oder familiäre Umstände allein rechtfertigen keinen
Anspruch auf Krankenhausbehandlung; sozialen Gefährdungen zu begegnen, ist
nicht Zweckbestimmung des Krankenhauses (BSGE 49, 216 [218]). Das Gesetz
verpflichtet die in der gesetzlichen Krankenkasse organisierte
Solidargemeinschaft der Versicherten nicht, Krankenhausplätze ihrem
eigentlichen Bestimmungszweck zu entfremden und für Pflegefälle auf ihre
Kosten zur Verfügung zu stellen. Insbesondere dürfen Krankenhäuser i.S. von
§ 107 I SGB V nicht die Funktion einer ärztlich versorgten Pflegeanstalt
übernehmen (Peters, § 39 SGB V Rdnr. 184). Diese Grundsätze gelten auch
dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Betroffene ohne Verschulden
versucht, sich einer an sich notwendigen Verlegung aus dem Krankenhaus in
ein Pflegeheim durch Verweigerung der Nahrungsaufnahme oder ähnliche
Reaktionen zu entziehen. Anderenfalls könnte die Weigerung eines Patienten,
das Krankenhaus zu verlassen, dazu führen, dass er dort auf unabsehbare Zeit
behalten werden müsste. Das aber wäre mit der Zweckbestimmung des
Krankenhauses nicht vereinbar.
Aus alledem ergibt sich, dass eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit der
Bekl. i.S. von §§ 27 I und 39 I SGB V nicht aus dem Bedürfnis hergeleitet
werden kann, den „Status quo zu erhalten“ oder eine Enthospitalisierung zu
versuchen. Gewiss muss das ärztliche Bestreben dahin gehen, eine
Verschlimmerung des jeweiligen Zustands, etwa infolge autistischer
Reaktionen auf eine Verlegung in ein Pflegeheim, zu vermeiden. Die Gefahr
der Verschlechterung des status quo erwächst in solchen Fällen aber nicht
aus der Krankheit selbst, sondern aus der Verweigerungshaltung des
Patienten. Solche Reaktionen vermögen eine dauerhafte stationäre
Behandlungsbedürftigkeit nicht zu begründen. Krisensituationen, die daraus
erwachsen, muss auf andere Weise begegnet werden, etwa durch ambulante
ärztliche Behandlung oder durch eine vorübergehende Krankenhauseinweisung (BSGE
59, 116 [118f.]; BSG, SozR 2200 § 184 RVO Nr. 28). Da die Bekl. somit in der
Zeit vom 5. 10. 1995 bis 13. 6. 1996 nicht stationär
krankenbehandlungsbedürftig war, kommt ein öffentlich-rechtlicher Anspruch
des Kl. gegen die zuständige gesetzliche Krankenkasse der Bekl. nicht in
Betracht.
b) Dem Kl. steht vielmehr, wie die Vorinstanzen mit Recht angenommen haben,
gegen die Bekl. ein privatrechtlicher Vergütungsanspruch für die betreffende
Zeit in der geltend gemachten Höhe zu (§ 611 BGB).
aa) Die Bekl., vertreten durch ihren Betreuer, hat mit dem Kl. für den
genannten Zeitraum einen Krankenhausbehandlungsvertrag abgeschlossen, der
sie zur Bezahlung der erbrachten Dienstleistungen verpflichtete. Dabei kann
die Frage, ob sich eine Zahlungspflicht der Bekl. bereits aus dem von ihrem
ehemaligen Betreuer unterzeichneten und zeitlich nicht befristeten
Kostenübernahmeschein vom 7. 11. 1978 ergibt, offen bleiben.
Jedenfalls beruht der Vertragsschluss für die Zeit vom 5. 10. 1995 an auf
einem konkludenten Verhalten der Parteien. Verbleibt nämlich ein Patient,
obwohl er über das Ende der Kostenübernahme seitens der gesetzlichen
Krankenkasse wegen Wegfalls der Behandlungsbedürftigkeit unterrichtet wurde
und er weiß, dass der Krankenhausträger seine Leistungen nur gegen Bezahlung
durch den Patienten selbst erbringt, gleichwohl im Krankenhaus, so gibt er
durch schlüssiges Verhalten seinen Willen zu erkennen, einen Vertrag über
die weitere stationäre Aufnahme und Betreuung zu dem dafür üblicherweise
festgesetzten Pflegesatz zu schließen (BGHZ 102, 106 [111] = NJW 1988,
759 = LM H. 9/1997 § 53 SGB V Nr. 2; OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 876 [877]).
bb) Die Bekl. hat einer vertraglichen Vergütungspflicht letztlich auch nicht
widersprochen. Mit Anwaltsschreiben vom 20. 10. 1995 hat ihr Betreuer
lediglich um Mitteilung gebeten, warum die Bekl. nunmehr wieder als
Pflegefall eingestuft worden sei. Mit anwaltlichem Schreiben vom 10. 1. 1996
hat der Betreuer sodann darauf hinweisen lassen, dass noch ungeklärt sei, ob
die Bekl. einen stationären Behandlungsfall im
krankenversicherungsrechtlichen Sinne darstelle oder ob sie als reiner
Pflegefall zu qualifizieren sei. Bevor keine Klarstellung vorliege, wolle er
die Pflegekosten der Bekl. nicht begleichen.
Damit hat der Betreuer zunächst nur der Verneinung einer stationären
Behandlungsbedürftigkeit widersprochen. Ob darin auch ein Widerspruch gegen
die Kostenlast für den Fall zum Ausdruck gebracht wurde, dass keine
stationäre Behandlungsbedürftigkeit festgestellt werden sollte, kann offen
bleiben. Es spricht zwar viel dafür, dass sich der Betreuer lediglich gegen
die Einstufung als Pflegefall wehren, im Übrigen aber, falls er damit keinen
Erfolg haben sollte, eine Kostenübernahme nicht ablehnen wollte.
Das bedarf jedoch keiner Entscheidung. Selbst wenn der Betreuer eine
derartige Erklärung nicht abgab und die Kosten in keinem Fall bezahlen
wollte, wäre ein solcher Widerspruch unbeachtlich. Ein Vertrag kommt auch
dann wirksam zu Stande, wenn die Partei, die eine Leistung in Anspruch
nimmt, die im Allgemeinen nur gegen Entgelt erbracht wird, ausdrücklich
erklärt, sie werde keine Vergütung zahlen. Sie muss in solchem Fall vielmehr
den objektiven Erklärungswert ihres Verhaltens gegen sich gelten lassen.
Zeigt nämlich jemand ein Verhalten, das nach Treu und Glauben und der
Verkehrssitte nur als Ausdruck eines bestimmten Willens aufgefasst werden
kann, so ist seine wörtliche Verwahrung gegen eine entsprechende Deutung des
Verhaltens unbeachtlich, denn er setzt sich in Widerspruch mit seinem
eigenen tatsächlichen Verhalten (sog. protestatio facto contraria) und hat
durch sein tatsächliches Verhalten die Geltendmachung einer anderweitigen
Auslegung verwirkt (BGH, NJW 1965, 387 [388] = LM Vorb.z. § 145 BGB Nr.
10; DB 1970, 1636; vgl. auch BGHZ 95, 393 [399] = NJW 1986, 177 = LM § 653
BGB Nr. 9).
So liegen die Dinge auch hier. Der Betreuer der Bekl. war sich darüber im
Klaren, dass ein Krankenhaus Leistungen wie hier nur gegen Entgelt zu
erbringen pflegt und deshalb einen Vertrag über die stationäre Aufnahme bei
fehlender Eintrittspflicht der gesetzlichen Krankenkasse nur abschließt,
wenn der Patient die anfallenden Kosten selbst zahlt, wie dies in der
Vergangenheit bei der Bekl. auch wiederholt der Fall war. Der Betreuer
musste zumindest damit rechnen, dass sich bei der von ihm gewünschten
Prüfung die mangelnde stationäre Behandlungsnotwendigkeit der Bekl.
herausstellen würde. Wenn er unter diesen Umständen die Bekl. dennoch im
Krankenhaus beließ, so konnte sein Verhalten von dem Kl. nach Treu und
Glauben nur dahin verstanden werden, dass er im Falle eines für ihn
negativen Ausgangs der Prüfung die Kosten für die Bekl. zahlen werde.
Gründe, die den zwischen den Parteien stillschweigend zu Stande gekommenen
Krankenhausvertrag ausnahmsweise als sittenwidrig erscheinen lassen könnten
(vgl. BGHZ 102, 106 = NJW 1988, 759 = LM H. 9/1997 § 53 SGB V Nr. 2), liegen
hier nicht vor. Die Bekl., die nach Feststellung des LG Vermögen besaß, war
in der Vergangenheit stets in der Lage, die anfallenden Kosten zu bezahlen.
c) Dem Vergütungsanspruch stehen keine Gegenansprüche aus der Verletzung
vertraglicher Nebenpflichten des Kl. entgegen. Derartige Gegenansprüche sind
der Bekl. entgegen der Annahme des BerGer. nicht entstanden. Es gehört zwar
zu den Pflichten der Behandlungsseite, einen Patienten vor unnötigen Kosten
und unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen zu bewahren, soweit sie aus
ihrer Expertenstellung heraus über bessere Kenntnisse und ein besseres
Wissen verfügt (BGHZ 102, 106 [112] = NJW 1988, 759 = LM H. 9/1997 § 53 SGB
V Nr. 2; Senat, LM § 276 [Ca] BGB Nr. 27 = VersR 1983, 443 [444]; BGH, NJW
1996, 781 = LM H. 5/1996 BPflV Nr. 8). Dazu zählt auch ein rechtzeitiger
Hinweis des Krankenhausträgers gegenüber einem Patienten über eine
bevorstehende Umstufung von einem stationären Behandlungs- zu einem
Pflegefall, damit sich der Patient möglichst frühzeitig auf das Erlöschen
der Leistungspflicht der Krankenkasse einstellen kann und vor unnötigen
finanziellen Belastungen
BGH: Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung im
sozialversicherungsrechtlichen Sinne NJW 2000 Heft 46 3432 Vorheriger
Seitenumbruch
Nächster Seitenumbruch
bewahrt wird (BGHZ 102, 107 [112] = NJW 1988, 759 = LM H. 9/1997 § 53 SGB V
Nr. 2; OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 876 [877]). Bei einem schuldhaften Verstoß
gegen diese (wirtschaftliche) Aufklärungspflicht kann dem Patienten ein
Schadensersatzanspruch zustehen, den er dem Anspruch des Krankenhausträgers
auf Bezahlung der Behandlungskosten entgegenhalten kann. Der Kl. hat
indessen gegen diese Verpflichtung nicht verstoßen.
Zunächst hat er den Betreuer der Bekl. mit Schreiben vom 4. 10. 1995 aus
medizinischer Sicht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Bekl. ab dem 5.
10. nicht mehr stationär behandlungsbedürftig sei, die Kosten von der
Krankenkasse nicht mehr übernommen und der Bekl. diese nunmehr wieder privat
in Rechnung gestellt würden. Dieser Hinweis war auch noch rechtzeitig. Der
Betreuer der Bekl. war vom Kl. seit Anfang 1994 mehrfach, zuletzt mit
Schreiben vom 8. 6. 1995, darauf hingewiesen worden, dass die Bekl. aus
ärztlicher Sicht nicht mehr stationär behandlungsbedürftig sei, sondern als
Pflegefall eingestuft werden müsse. Entsprechend waren der Bekl. seit Anfang
1994 Zeiträume ihres Klinikaufenthalts privat in Rechnung gestellt worden,
die von ihr auch bezahlt wurden. Für den Betreuer der Bekl. handelte es sich
bei dem Schreiben vom 4. 10. 1995 mithin um keine inhaltlich neue
Mitteilung, sondern lediglich um einen in der Vergangenheit bereits mehrfach
erfolgten Hinweis. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der Betreuer sich
bei einem früheren Hinweis auf den Wegfall der stationären
Behandlungsbedürftigkeit anders verhalten hätte. Dieser war nämlich der
Auffassung, bei der Bekl. sei weiterhin eine stationäre Behandlung notwendig
und eine Verlegung in ein Pflegeheim dürfe deshalb nicht erfolgen. Anzeichen
dafür, dass er sich bei früherer Information um eine anderweitige
Unterbringung der Bekl. bemüht hätte, sind nicht erkennbar und werden auch
nicht geltend gemacht.
III. Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Da keine weiteren
Feststellungen zu erwarten sind, macht der Senat von der Möglichkeit
Gebrauch, durch Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils unter
Zurückweisung der Berufung der Bekl. in der Sache selbst abschließend zu
entscheiden (§ 565 III ZPO).
Anm. d. Schriftltg.:
S. hierzu auch die Besprechung von Stolleis/Urban, LM H. 11-12/2000 § 27 SGB
V Nr. 1. Vgl. zu dieser Thematik auch BSGE 82, 158 = NZS 1999, 242, und
BVerwG, NJW 1994, 811.
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