Rechtsnatur
der Mahnung, Zugangserfordernis, kein Zugang eines Einschreibebriefs durch
Benachrichtigungsschein
OLG
Brandenburg, Beschluß vom 3. 11. 2004 - 9 UF 177/04
Fundstelle:
NJW 2005, 1585
s. auch BGHZ 137, 205 = NJW 1998, 976
f sowie
BGH v. 21.1.2004 - XII ZR 214/00
Leitsatz:
Der Einwurf eines
Benachrichtigungsscheins mit der Bitte, die Sendung innerhalb einer
bestimmten Frist bei der Post abzuholen, führt regelmäßig nicht zum Zugang
des mit dem Einschreiben übersandten Schreibens.
Zentrale Probleme:
Die Mahnung ist zwar keine Willenserklärung bzw.
Rechtsgeschäft, sondern eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Die regeln
über die Willenserklärung finden darauf entsprechende Anwendung. Die Mahnung
wird damit analog § 130 I BGB mit Zugang wirksam. Eine Willenserklärung gilt als zugegangen, sobald sie
derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß bei Annahme
gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne
von ihr Kenntnis erlangen (BGHZ 67, 271 [275] = NJW 1977, 194 = LM §
132 BGB Nr. 3). Besonders streitig ist in Rspr. und Literatur die Frage,
ob und wann bei einem Einschreibebrief, den der Postzusteller unter Benachrichtigung
des Adressaten im Postamt zur Abholung bereit legt, der Zugang erfolgt.
Entgegen einer verbreiteten Literaturansicht liegt
nach Ansicht des BGH in der bloßen Benachrichtigung von der Hinterlegung
des Einschreibebriefes im Postamt kein Zugang, weil die Erklärung
noch nicht in den Machtbereich des Empfängers geraten ist (BGHZ
137, 205). Dem schließt
sich das OLG hier an. Damit kann
auch kein Zugang in dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem dem Adressaten
die Abholung des Einschreibebriefs zumutbar ist (anders etwa bei einem Postfach,
s.
BGH NJW 2003, 3270). Es kommen dann
nur die unter § 242 BGB zu subsumierenden Grundsätze der Zugangsvereitelung in
Betracht, die hier aber nicht vorlagen.
©sl 2005
Zum
Sachverhalt:
Die am 24. 10. 1987 geborene minderjährige Kl. ist die Tochter des Bekl. Die
Ehe des Bekl. mit der Mutter der Kl., welche diese gesetzlich vertritt, ist
seit Februar 2004 rechtskräftig geschieden. Mit per Einschreiben übersandtem
Schreiben vom 23. 11. 2001, über dessen Zugang die Parteien streiten, hat
die Kl. den Bekl. zur Zahlung eines Kindesunterhalts in Höhe von 523 DM ab
November 2001 aufgefordert; insoweit ist zwischen den Parteien unstreitig,
dass der Bekl. das für ihn bei der Poststelle hinterlegte Schreiben nicht
abgeholt und dieses daraufhin an die Kl. zurückgesandt worden ist. Die Kl.
hat behauptet, das Schreiben vom 23. 11. 2001 sowohl per einfachen Brief als
auch per Einschreiben dem Bekl. übersandt zu haben. Sie vertritt die
Auffassung, dadurch sei ein Zugang dieses Schreibens beim Bekl. erfolgt,
weshalb sich der Bekl. seit dieser Zeit in Verzug mit den
Unterhaltsansprüchen befunden habe.
Das AG - FamG - hat die Unterhaltsklage für den Zeitraum von November 2001
bis Mai 2002 wegen fehlenden Verzugs abgewiesen. Die Kl. will insoweit
Berufung einlegen. Der Senat hat den Prozesskostenhilfeantrag der Kl.
zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
II. Die begehrte Prozesskostenhilfe war zu versagen, da die Voraussetzungen
der §§ 114, 119 I ZPO nicht vorliegen. Es fehlt an den Erfolgsaussichten für
die Durchführung der Berufung.
Da die Kl. insoweit rückständigen Unterhalt geltend macht, kommt es allein
noch auf die Frage an, inwieweit sich der Bekl. mit der Zahlung der
Unterhaltsrückstände in Verzug befand. Dabei hat das AG im Ergebnis
zutreffend eine ausreichende Darlegung des Verzugseintritts durch die Kl.
verneint.
1. Gemäß § 1613 I 1 BGB kann Unterhalt für die Vergangenheit nur dann
gefordert werden, sofern der Verpflichtete zum Zwecke der Geltendmachung des
Unterhaltsanspruchs zur Auskunftserteilung aufgefordert worden ist, sofern
er in Verzug gekommen oder sofern der Unterhaltsanspruch rechtshängig
geworden ist. In Betracht kommt für die Zeit ab November 2001 allein die
Möglichkeit der Inverzugsetzung des Bekl. auf Grund des klägerischen
Schreibens vom 23. 11. 2001, welches bei einem Zugang beim Bekl. in November
2001 gem. § 1613 I 2 BGB Rückwirkung auf den 1. 11. 2001 entfalten würde.
Nach § 284 I BGB a.F. (wie auch gem. § 286 I 1 BGB n.F.) setzt Verzug die
schuldhafte Nichtleistung des Schuldners trotz Fälligkeit der Forderung und
Mahnung des Gläubigers voraus. Die Mahnung ist eine geschäftsähnliche
Handlung, die den allgemeinen Regelungen über die Willenserklärung
unterfällt (BGHZ 47, 352 [357] = NJW 1967, 1800 = LM § 131 BGB Nr. 1). Die
Mahnung, bei der es sich um die ernstliche und endgültige Aufforderung an
den Schuldner zur Zahlung der Leistung handelt (Palandt/Heinrichs, BGB, 63.
Aufl. [2004], § 286 Rdnr. 16), benötigt zum Wirksamwerden daher den Zugang
beim Empfänger (§ 130 I 1 BGB). Zugegangen ist eine Willenserklärung dann,
wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass bei
Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr
Kenntnis erlangen (BGHZ 67, 271 [275] = NJW 1977, 194 = LM § 132 BGB Nr. 3).
Willenserklärungen, die per Brief übermittelt werden, gehen dem Empfänger
mit der Aushändigung des Briefs zu, wobei der Einwurf in den eigenen
Briefkasten regelmäßig genügt.
2. Diesen Grundsätzen folgend ist dem Bekl. ein Schreiben vom 23. 11. 2001
nicht zugegangen.
a) Soweit die Kl. erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 25. 6. 2004
behauptet hat, das Schreiben vom 23. 11. 2001 (auch) per einfachem Brief dem
Bekl. übersandt zu haben, mag dahinstehen, ob Bedenken an der Schlüssigkeit
des klägerischen Vortrags nicht bereits daraus herrühren, dass ein solcher
Vortrag, der erkennbar von wesentlicher Bedeutung für den Rechtsstreit war,
von der Kl. bereits zuvor hätte vorgebracht werden müssen. Zu Lasten der
insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kl. kann jedenfalls auf Grund des
Bestreitens des Bekl. nicht von einem Zugang dieses Schreibens ausgegangen
werden. Die Beweislast für den ordnungsgemäßen Zugang trägt derjenige, der
sich auf den Zugang beruft. Unabhängig von der mangelnden Substanziierung
ihres Vorbringens hat die Kl. für ihre Zugangsbehauptung aber keinen Beweis
angeboten.
b) Aber auch hinsichtlich des per Einschreiben übersandten Schreibens vom
23. 11. 2001 kann zu Lasten der Kl. ein Zugang nicht festgestellt werden. Da
dem Bekl. dieses Schreiben nicht ausgehändigt oder in seinen Briefkasten
eingeworfen worden ist und er den für ihn hinterlegten Brief nicht bei der
Post abgeholt hat, ist das Schreiben nicht in seinen Machtbereich gelangt.
Der Zugang ist insbesondere nicht dadurch erfüllt, dass dem Bekl. - was
dieser wohl im Übrigen bestreiten will - ein Benachrichtigungsschein in
seinen Briefkasten durch den Postzusteller eingeworfen worden ist. Nach §
130 BGB trägt der Erklärende grundsätzlich das Risiko des Eintreffens der
Erklärung beim Adressaten, weshalb es zu seinen Lasten geht, wenn die
Erklärung den Adressaten nicht oder nicht rechtzeitig erreicht. Das
Transportrisiko und damit auch die Auswahl der Transportmittel trägt allein
der Erklärende (vgl. auch Franzen, JuS 1999, 429 [431]). Der Empfänger eines
eingeschriebenen Briefs hat erst dann die abstrakte Möglichkeit der
Kenntnisnahme vom Inhalt des Briefs, wenn er oder ein von ihm Beauftragter
sich tatsächlich zu dem Ort der Niederlegung begibt und den Brief
ausgehändigt bekommt. Bei dem hier auch durch die Kl. gewählten postalischen
Verfahren eines Übergabeeinschreibens mit Rückschein erfolgt der Zugang
grundsätzlich durch die Bestätigung des Empfängers auf dem Rückschein. Wird
keine empfangsberechtigte und empfangsbereite Person angetroffen,
hinterlässt der Briefboten einen Benachrichtigungsschein mit der Bitte, die
Sendung innerhalb einer bestimmten Frist bei der Post abzuholen. Dieser
Benachrichtigungsschein selbst führt aber nicht zum Zugang des mit dem
Einschreiben übersandten Schreibens, da dieses nicht in den Machtbereich des
Empfängers gelangt ist und von ihm auch nicht zur Kenntnis genommen werden
kann, bevor er es nicht selbst abholt (BGHZ 137, 205 [208] = NJW 1998, 986 =
LM § 130 BGB Nr. 27; BGHZ 67, 271 [275] = NJW 1977, 194 = LM § 132 BGB Nr.
3; Wendtland, in: Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 130 Rdnr. 13). Aus diesen
Gründen kann daher dahinstehen, ob dem Bekl. tatsächlich ein
Benachrichtigungsschein über das Einschreiben zugegangen ist.
Ist hiernach aber mangels des Abholens des Einschreibebriefs durch den Bekl.
kein (tatsächlicher) Zugang erfolgt, so käme lediglich die Fiktion eines
Zugangs auf Grund einer treuwidrigen Vereitelung desselben durch den Bekl.
in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür liegen aber nicht vor. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass der Bekl. durch das Nichtabholen des Briefs jedenfalls
nicht gegen eine ihn in allgemeiner Hinsicht treffende Obliegenheit
verstoßen hat. Eine allgemeine Obliegenheit dahin gehend, Willenserklärungen
zu empfangen und deshalb auf Benachrichtigung hin Briefe von der jeweils
zuständigen Poststelle abzuholen, existiert nicht (Soergel/Hefermehl, BGB,
13. Aufl. [2000], § 130 Rdnrn. 10, 25). Etwas anderes gilt nur dann, wenn
der Adressat mit einem Zugang rechnen musste. Weiß der Adressat, dass der
Absender ihm eine Erklärung zusenden will, oder muss er insbesondere auf
Grund bestehender vertraglicher Beziehungen mit dem Eingang eines solchen
Schreibens rechnen, so muss er sich für den Fall des Nichtabholens trotz
Abholbenachrichtigung so behandeln lassen, wie wenn ihm das Schreiben zur
Zeit des frühestmöglichen Abholtermins zugegangen wäre (BGHZ
137, 205 [209ff.] = NJW 1998, 976 = LM § 130 BGB Nr. 27; BAG, NJW 1963,
554 [555]). Erforderlich ist dabei regelmäßig eine an den Empfänger
gerichtete vorausgehende Ankündigung des Erklärenden, ein solches Schreiben
übersenden zu wollen (Wendtland, in: Bamberger/Roth, § 130 Rdnrn. 13, 25).
Hierzu fehlt es aber an jeglichem eingehenden Vortrag der Kl. Es ist nicht
erkennbar, auf Grund welcher besonderen Umstände der Bekl. im November 2001
mit einer Unterhaltsforderung durch die Kl. und dem damit in Zusammenhang
stehenden Zugang einer schriftlichen Aufforderung rechnen musste oder
konnte. Zudem fehlt es hier an jeglicher Darlegung der Kl. überhaupt, ob zu
dieser Zeit bereits die Trennung ihrer Eltern eingesetzt hatte und wie die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Übrigen ausgestaltet
waren.
3. Die Darlegungs- und Beweisproblematiken hinsichtlich des Zugangs hätte
die Kl. möglicherweise vermeiden können, indem sie für die Übermittlung die
Form eines so genannten Einwurf-Einschreibens gewählt hätte (vgl. auch
Palandt/Heinrichs, § 130 Rdnr. 6). Dies kann aber letztendlich dahinstehen,
da die Kl. hier eine andere Form der Übermittlung (einfacher Brief sowie
Übergabeeinschreiben mit Rückschein) gewählt hat.
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