Formularmäßige Erstreckung des Sicherungszwecks einer Grundschuld auf zukünftige Forderungen (Abgrenzung zur "Anlaß"-Rechtsprechung bei Bürgschaften)  

BGH, Urteil v. 24.06.1997 - XI ZR 288/96 

Amtlicher Leitsatz:

Die formularmäßige Erstreckung des Sicherungszwecks einer Grundschuld auf alle künftigen Forderungen der kreditgebenden Bank gegen den mit dem Sicherungsgeber nicht identischen Kreditschuldner verstößt im Gegensatz zur unbeschränkten Bürgschaft und zum Schuldbeitritt nicht gegen § 9 AGBG.  



Fundstellen:

NJW 1997, 2677
WM 1997, 1615
BB 1997, 1810
ZIP 1997, 1538
DB 1997, 1867
MDR 1997, 960
MittRhNotK 1997, 346



Zentrales Problem:

Vgl. auch die Anm. zu BGH NJW 1998, 3708 ff, zu BGHZ 130, 19 sowie zu BGH NJW 2000, 2675.



Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob die bekl. Bank wegen Kontokorrentforderungen gegen den Ehemann der Kl. aus einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde vollstrecken darf. Im April 1988 schlossen die Kl. und ihr Ehemann mit der Bekl. einen Darlehensvertrag über 50000 DM zur Finanzierung eines Hauskaufs. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unterhielt der Ehemann der Kl. bei der Bekl. ein Kontokorrentkonto für seine Anwaltspraxis. Am 19. 5. 1988 bestellte die Kl. an ihrem Grundstück in notarieller Form eine Grundschuld in Höhe des ausgereichten Darlehens. Zuvor hatte sie zusammen mit ihrem Ehemann am 18. 4. 1988 eine von der Bekl. vorformulierte Zweckerklärung unterzeichnet. Danach dient die Grundschuld als Sicherheit für alle gegenwärtigen und künftig entstehenden Ansprüche und Forderungen der Bekl. gegen die Kl. und ihren Ehemann. Die Bekl. hat das Darlehen gekündigt und die Kl. zur Rückzahlung von 44893,92 DM aufgefordert. Zudem will sie wegen der ihr gegen den Ehemann der Kl. zustehenden Kontokorrentforderungen von rd. 270000 DM aus der Grundschuld vorgehen. Die Kl. ist der Ansicht, die formularmäßige Zweckerklärung sei wegen Verstoßes gegen §§ 3 und 9 AGBG unwirksam, die Grundschuld sichere ausschließlich das für den Hauskauf aufgenommene Darlehen. Sie beantragte festzustellen, daß die Bekl. gegen sie keine die Darlehensforderung von 44893,92 DM übersteigende Forderungen hat. Die Bekl. behauptet, die Kl. sei vor der Unterschriftsleistung durch den Geschäftsstellenleiter C auf die Bedeutung und die Tragweite der weiten Sicherungszweckerklärung hingewiesen worden, so daß diese ihren Überraschungscharakter i.S. des § 3 AGBG verloren habe. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hat das BerGer. zurückgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgte die Kl. ihren Antrag weiter, der keinen Erfolg hatte.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat im wesentlichen folgendes ausgeführt: Die Formularabrede habe ihr überraschendes Moment durch einen individuellen Hinweis der Bekl. auf den Umfang der Sicherungszweckerklärung verloren. Auch unter dem Gesichtspunkt des § 9 AGBG sei die Klausel nicht zu beanstanden. Allerdings habe der BGH in seiner neuesten Rechtsprechung angenommen, daß eine formularmäßige Ausdehnung der Bürgenhaftung auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus bankmäßiger Geschäftsverbindung gegen das in § 767 I 3 BGB normierte Verbot der Fremddisposition verstoße und deshalb nach § 9 II Nrn. 1 und 2 AGBG unwirksam sei. Dieselben Grundsätze seien wenig später auf den Schuldbeitritt angewendet worden. Die hierfür maßgebenden Erwägungen beträfen aber nicht die in früheren Entscheidungen des BGH vertretene Auffassung, nach der Art und Umfang der schuldrechtlichen Zweckbindung einer Grundschuld nicht gesetzlich geregelt seien, sondern freier Vereinbarung unterlägen. Dieser Regelungsmöglichkeit entspreche die streitige Zweckerklärung.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Prüfung in allen Punkten stand.
1. Der Revision kann nicht gefolgt werden, soweit sie meint, daß die Klausel ihren Überraschungscharakter behalten habe. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die formularmäßige Ausdehnung der dinglichen Haftung des Sicherungsgebers für alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten eines Dritten grundsätzlich überraschend (§ 3 AGBG). Das gilt selbst dann, wenn der Dritte der Ehegatte des Sicherungsgebers ist (BGHZ 106, 19 (24) = NJW 1989, 831 = LM § 1191 BGB Nr. 29; BGHZ 126, 174 (177); Senat, NJW 1992, 1822 = LM H. 9/1992 § 1191 BGB Nr. 51 = WM 1992, 563f. u. NJW 1997, 2320 = LM H. 10/1997 § 256 ZPO Nr. 196). § 3 AGBG ist aber nicht mehr anwendbar, wenn der Sicherungsgeber im Rahmen der Verhandlungen auf die Erweiterung der dinglichen Haftung individuell hingewiesen worden ist (BGHZ 109, 197 (203) = NJW 1990, 576 = LM § 3 AGBG Nr. 29; BGHZ 131, 55 (59) = NJW 1996, 1191 = LM H. 3/1996 HWiG Nr. 21; Senat, NJW 1992, 1822 = LM H. 9/1992 § 1191 BGB Nr. 51 = WM 1992, 563f.). Nach diesen strengen Maßstäben hat das BerGer. in tatsächlich und rechtlich nicht zu beanstandender Weise eine wirksame Einbeziehung der Klausel in den Sicherungsvertrag der Parteien angenommen. Wenn das BerGer. feststellt, das Überraschungsmoment der Formularabrede sei restlos ausgeräumt, so läßt dies einen in der Revisionsinstanz allein beachtlichen Rechtsfehler nicht erkennen. Zwar stützt es seine Auffassung ausschließlich auf die Beweiswürdigung des LG. Daraus kann die Revision aber nichts für sich herleiten. Das LG hat den Geschäftsstellenleiter C und den Ehemann der Kl. zum Gang und Inhalt der Vertragsverhandlungen vom 18. 4. 1988 als Zeugen vernommen und ist zu der Überzeugung gelangt, daß die Kl. ausreichend informiert worden sei. Daß bei dieser tatrichterlichen Beurteilung wesentlicher Tatsachenstoff außer acht gelassen oder rechtlich unzulässige Erwägungen angestellt worden sind, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
2. Ebensowenig sind die Ausführungen des BerGer. zur Frage der Anwendbarkeit des § 9 II Nrn. 1 und 2 AGBG zu beanstanden. Nach feststehender Rechtsprechung des erkennenden Senats scheidet bei der formularmäßigen Ausdehnung der dinglichen Haftung des Sicherungsgebers für alle bestehenden und zukünftigen Verbindlichkeiten eines Dritten ein Verstoß gegen § 9 II Nr. 1 und 2 AGBG aus, weil Inhalt und Umfang der schuldrechtlichen Zweckbindung einer Grundschuld nicht gesetzlich festgelegt sind, sondern - in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB - freier Vereinbarung unterliegen (Senat, NJW 1995, 1674 = LM H. 9/1995 § 1191 BGB Nr. 55 = WM 1995, 790 (791f.); NJW-RR 1996, 673 = WM 1996, 2233 (2234); NJW 1997, 2320 = LM H. 10/1997 § 256 ZPO Nr. 196). An dieser Auffassung hält der Senat fest. Soweit der IX. Zivilsenat des BGH neuerdings für unbeschränkte Bürgschaften aus § 767 I 3 BGB eine Unwirksamkeit derartiger oder vergleichbarer Klauseln hergeleitet (BGHZ 132, 6 (9) = NJW 1996, 924 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 105; vgl. auch BGHZ 130, 19 (31) = NJW 1995, 2553 = LM H. 11/1995 § 765 BGB Nr. 99-101) und der erkennende Senat sich dieser Betrachtungsweise in seinem Urteil vom 7. 11. 1995 (NJW 1996, 249 = LM H. 3/1996 § 607 BGB Nr. 156 = ZIP 1995, 1976) für den Schuldbeitritt angeschlossen hat, ist daraus, wie das BerGer. zutreffend bemerkt, für die Sicherungszweckerklärungen bei Grundschulden nichts herzuleiten. Nach der Vorschrift des § 767 I 3 BGB kann die Verpflichtung des Bürgen durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach Übernahme der Bürgschaft vornimmt, nicht erweitert werden. Darin liegt das Verbot einer Fremddisposition über die Haftung und das Vermögen des Bürgen durch spätere Vereinbarungen zwischen Hauptschuldner und Gläubiger. Zwar fehlt für den Schuldbeitritt eine § 767 I 3 BGB entsprechende Regelung; der Schuldbeitritt ist von der Rechtsprechung und der Lehre entwikelt worden. Der Schuldbeitritt steht insbesondere der selbstschuldnerischen Bürgschaft aber so nahe, daß sich in bezug auf die Haftungsrisiken keine nennenswerten Unterschiede ergeben. Insbesondere die Rechtstatsache, daß der Bestimmtheitsgrundsatz sowohl für die Bürgschaft als auch für den Schuldbeitritt gilt (s. dazu Senat, NJW 1996, 249 = LM H. 3/1996 § 607 BGB Nr. 156 m.w. Nachw.), läßt keinen Zweifel an der Zulässigkeit der analogen Anwendung des § 767 I 3 BGB auf den Schuldbeitritt aufkommen. Dabei kann offenbleiben, ob das gesetzliche Verbot der Fremdisposition lediglich eine besondere Ausprägung des Bestimmtheitsgrundsatzes in seiner den Bürgen schützenden Funktion darstellt (s. dazu Horn, ZIP 1997, 525 (528)). Dagegen ist der Grundschuldbesteller nicht im gleichen Umfang schutzbedürftig, so daß für eine entsprechende Anwendung des § 767 I 3 BGB die notwendige Wertungsbasis fehlt. Dies hat nicht nur etwas damit zu tun, daß das als Sicherheit für fremde Verbindlichkeiten dienende Grundstück häufig nur einen Bruchteil des Vermögens des Sicherungsgebers ausmacht. Vielmehr kommt hinzu, daß der dingliche Sicherungsgeber niemals sein künftiges Vermögen verlieren kann. Insofern ergibt sich ein wichtiger Unterschied zum gegenständlich unbeschränkt haftenden Bürgen. Diesem droht unter Umständen sogar der Verlust des erst nach Vertragsschluß erworbenen Vermögens. In Anbetracht dieses unkalkulierbaren Risikos war es notwendig, die Vorschrift des § 767 I 3 BGB zu schaffen. Damit ist die Situation des Sicherungsgebers bei der Grundschuld nicht zu vergleichen. Vielmehr besteht eine gewisse Parallele zur Höchstbetragsbürgschaft, bei der der Bürge nur beschränkt haftet und daher auf den Schutz des § 767 I 3 BGB nicht angewiesen ist (s. dazu BGH, NJW 1996, 1470 (1472) = LM H. 8/1996 § 767 BGB Nr. 31/32). Es ist somit unrichtig, wenn ein Teil der Literatur (s. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl., Anh. §§ 9-11 Rdnr. 663; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl., § 9 Rdnr. S 96) den Grundschuldbesteller im Ergebnis für genauso schutzbedürftig hält wie einen Bürgen. Eine solche Gleichstellung kann auch nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung vorgenommen werden. Dafür sind Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Normzweck der Ausnahmevorschrift des § 767 I 3 BGB zu eindeutig.  



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