Formularmäßige Haftungserstreckung bei der Grundschuld

BGH, Urteil vom 23. Mai 2000 - XI ZR 214/99 - OLG Köln, LG Aachen


Fundstelle:

NJW 2000, 2675


Amtl. Leitsätze:

Bei der Grundschuld ist die formularmäßige Erstreckung der dinglichen Haftung sowie einer zusätzlichen persönlichen Haftungsübernahme auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des jeweiligen Sicherungsgebers nicht überraschend im Sinne des § 3 AGBG.


Zentrales Problem:

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die "Anlaßrechtsprechung" des BGH bei der Übernahme persönlicher Sicherheiten, insbesondere der Bürgschaft. Danach ist die formularmäßige Erstreckung von Bürgschaften auf Forderungen, die nicht Anlaß der Bürgschaftsübernahme waren (also etwa "alle zukünftigen Forderungen aus einer Geschäftsverbindung" u.U. überraschend i.S.v. § 3 AGBG und wird damit nicht Vertragsbestandteil. Selbst wenn sie aber nicht an § 3 AGBG scheitert, verstößt sie nach der Rspr. des BGH wegen des auch im Geschäftsverkehr gegen § 9 II Nr. 1 AGBG, sofern nicht ausnahmsweise der Bürge das Entstehen dieser (zukünftigen) Forderungen beeinflussen kann (weil etwa Hauptschuldner eine GmbH ist, deren Alleingeschäftsführer der Bürge ist). Die neueste Rechtsprechung sieht in einer solchen Globalbürgschaft trotz der Tatsache, daß § 765 II die Bürgschaft für zukünftige Forderungen ausdrücklich zuläßt, einen Verstoß gegen die Leitbildfunktion von § 767 I S. 3, selbst wenn die Verpflichtung des Bürgen insgesamt auf einen Höchstbetrag beschränkt ist (vgl. hierzu die Anmerkungen zu BGH NJW 1998, 3708 ff sowie zu BGHZ 130, 19 und BGH NJW 2002, 3167.
Diese Grundsätze sind aber auf die Sicherung durch eine Grundschuld nicht ohne weiteres übertragbar, da hier § 767 I 3 BGB nicht gilt und daher kein gesetzliches Leitbild vorhanden ist, gegen welches durch die Erstreckung der Sicherung verstoßen werden könnte (BGH NJW 1997, 2678). Wohl aus diesem Grund behandelt der BGH hier das Problem ausschließlich unter dem Gesichtspunkt von § 3 AGBG, obwohl seine Argumentation mehr in Bezug auf eine Inhaltskontrolle erfolgt.

Zum Klausuraufbau: Die Einwendung des Eigentümers, daß die Grundschuld nicht die Forderungen, für die sie jetzt geltend gemacht wird, sichert, ist eine Einrede aus dem Sicherungsvertrag. Die Grundschuld besteht zwar, weil sie nichtakzessorisch ist (vgl. § 1192 I BGB), darf aber nicht geltend gemacht werden.


Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung der beklagten Sparkasse aus einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Zur Finanzierung der Gründung, der Erweiterung und des Betriebs eines Handels mit Autozubehör und Ersatzteilen gewährte die Kreissparkasse A., deren Rechtsnachfolgerin die beklagte Sparkasse ist, der Klägerin und deren Ehemann seit 1983 zahlreiche Kredite. Mit notarieller Urkunde vom 25. Februar 1986 bestellte der Ehemann der Klägerin zugunsten der Kreissparkasse A. an dem ihm gehörenden Betriebsgrundstück eine Grundschuld über 400.000 DM zuzüglich Zinsen. In dieser Urkunde übernahmen die Klägerin und ihr Ehemann die persönliche Haftung für die Zahlung des Grundschuldbetrags nebst Zinsen und unterwarfen sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in das gesamte Vermögen. Unter Ziffer 6 der vorformulierten Urkunde ist bestimmt, daß die Grundschuld "der Sicherung aller bestehenden und künftigen ... Forderungen der Sparkasse gegen uns, die Eheleute B. M., aus der Geschäftsverbindung" dient. Der nachfolgende Satz über die Haftung der Grundschuld auch für Forderungen gegen jeden einzelnen von mehreren Darlehensnehmern ist gestrichen. Am 2. Juni 1986 unterzeichneten die Klägerin und ihr Ehemann ein als "Zweckerklärung für Grundschulden" bezeichnetes Formular der Kreissparkasse A., in dem unter anderem auf die hier interessierende Grundschuld Bezug genommen und bestimmt ist, daß sie zur Sicherung für alle bestehenden und künftigen Forderungen der Sparkasse gegen die Klägerin und ihren Ehemann oder gegen einen von ihnen dient.

Die Kredite, die Anlaß für die Grundschuldbestellung vom 25. Februar 1986 waren, sind inzwischen getilgt. Später aufgenommene Darlehen, die die Kreissparkasse A. ebenfalls jeweils der Klägerin und ihrem Ehemann gemeinsam gewährte, sind in erheblichem Umfang noch offen.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie könne aus der Urkunde vom 25. Februar 1986 nicht in Anspruch genommen werden, weil die Übernahme der persönlichen Mithaftung angesichts ihrer Vermögens- und Einkommenslosigkeit wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei und weil auch die Erstreckung der persönlichen Haftung aus der Grundschuldbestellung auf später begründete Verbindlichkeiten unwirksam sei.

Das Landgericht hat die Klage, die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 25. Februar 1986 für unzulässig zu erklären, abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
 

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Die in der notariellen Urkunde vom 25. Februar 1986 enthaltene Mithaftungserklärung der Klägerin sei in Verbindung mit der Zweckerklärung vom 2. Juni 1986 wegen Verstoßes gegen § 3 AGBG unwirksam, soweit sie sich auf solche Forderungen der Beklagten beziehe, die nicht Gegenstand und Anlaß der Grundschuldbestellung gewesen seien. Die Kreditverbindlichkeiten, zu deren Sicherung die Grundschuld bestellt worden sei, seien aber unstreitig getilgt.

Das AGB-Gesetz sei auf das Vertragswerk vom 25. Februar 1986 ungeachtet der notariellen Beurkundung anwendbar, weil dabei ein von der Beklagten eingebrachter banküblicher Vordruck benutzt worden sei. Die Streichung des Satzes über die Haftung der Grundschuld auch für Forderungen gegen jeden einzelnen von mehreren Darlehensnehmern habe nicht dazu geführt, daß die übrigen Regelungen des Vertragswerks den Charakter einer Individualvereinbarung im Sinne des § 4 AGBG angenommen hätten.

Eine im Sinne des § 3 AGBG überraschende Regelung liege vor, weil die Grundschuldbestellungsurkunde vom 25. Februar 1986 und die Zweckerklärung vom 2. Juni 1986 hinsichtlich der Reichweite der von der Klägerin übernommenen Haftung von deren Erwartungen deutlich abgewichen seien. Die Klägerin habe die genannten Urkunden ersichtlich aus Anlaß des Bemühens der Eheleute um die Erlangung bestimmter Geschäftskredite unterschrieben. Ihre Haftung aus den Urkunden gehe aber viel weiter und umfasse auch Forderungen der Beklagten, die der Ehemann der Klägerin allein begründet habe oder in Zukunft begründen werde.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen es nicht, die noch offenen Kreditforderungen der Beklagten als von der Haftungsübernahme der Klägerin nicht mit umfaßt anzusehen.

1. Bei der Prüfung formularvertraglicher Vereinbarungen über den Umfang der durch eine Grundschuld gesicherten Forderungen des Sicherungsnehmers am Maßstab des § 3 AGBG muß zwischen Forderungen gegen den Sicherungsgeber und solchen gegen Dritte unterschieden werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die formularmäßige Ausdehnung der dinglichen Haftung des Sicherungsgebers auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten eines Dritten in der Regel überraschend im Sinne des § 3 AGBG. Das gilt auch dann, wenn der Dritte der Ehegatte des Sicherungsgebers ist. Dagegen verstößt die Erstreckung der dinglichen Haftung auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Sicherungsgebers nicht gegen § 3 AGBG, weil das damit verbundene Risiko für ihn hinsichtlich der Gegenwart überschaubar und im Hinblick auf die Zukunft vermeidbar ist. Dasselbe gilt für Verbindlichkeiten, die den Sicherungsgeber als einen von mehreren Gesamtschuldnern treffen (Senatsurteil vom 3. Juni 1997 - XI ZR 133/96, WM 1997, 1280, 1282 m.w.Nachw.).

Die an dieser Entscheidung von einem Teil der Literatur (Volmer WM 1998, 914, 915 f.; Weber ZfIR 1999, 2, 4 f.; Joswig EWiR 1997, 673, 674) geübte Kritik gibt dem Senat zu einer Änderung seiner Rechtsprechung keinen Anlaß. Die Erstreckung der dinglichen Haftung des Grundschuldbestellers auf alle bestehenden und künftigen eigenen Verbindlichkeiten ist insbesondere bei Geschäftskrediten so üblich, daß der Sicherungsgeber damit rechnen muß (§ 3 AGBG). Deshalb und mit Rücksicht auf die Möglichkeit, die Hauptverbindlichkeiten entscheidend zu beeinflussen, wohnt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht einmal der formularmäßigen Ausdehnung der Bürgenhaftung des Geschäftsführers, des Allein- oder des Mehrheitsgesellschafters für alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten der GmbH, also fremde Schulden, ein Überrumpelungseffekt inne (BGHZ 130, 19, 30; BGH, Urteile vom 11. Dezember 1997 - IX ZR 274/96, WM 1998, 235, insoweit nicht in BGHZ 137, 292 abgedruckt, vom 10. November 1998 - XI ZR 347/97, ZIP 1998, 2145 und vom 16. Dezember 1999 - IX ZR 36/98, WM 2000, 514, 517). Nichts spricht dafür, dies bei einem Sicherungsgeber, der für eigene Verbindlichkeiten eine dingliche Haftung übernimmt, anders zu beurteilen.

Dies gilt entsprechend für einen Sicherungsgeber, der eine Grundschuld durch die Übernahme der persönlichen Haftung verstärkt, ohne selbst Eigentümer oder Miteigentümer des belasteten Grundstücks zu sein. Auch ihm gegenüber verstoßen formularvertragliche Abreden über den Umfang der durch die Grundschuld gesicherten Forderungen insoweit nicht gegen § 3 AGBG, als sie Forderungen einbeziehen, die sich gegen ihn - sei es als Alleinschuldner, sei es als Gesamtschuldner - richten.

2. Im vorliegenden Fall stammen alle Kreditforderungen, deretwegen die Beklagte die persönliche Haftung der Klägerin aus der vollstreckbaren Urkunde vom 25. Februar 1986 in Anspruch nimmt, aus Darlehen, die die Beklagte der Klägerin und deren Ehemann gemeinsam für die Erweiterung und den Betrieb eines Handels mit Autozubehör und Ersatzteilen gewährt hat. Für die Rückzahlung dieser Darlehen haftet die Klägerin nach § 421 BGB als Gesamtschuldnerin neben ihrem Ehemann, sofern ihre Mitverpflichtung nicht nach den Grundsätzen über die Sittenwidrigkeit der Mithaftung einkommens- und vermögensloser Ehegatten gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Da das Berufungsgericht zu den tatsächlichen Voraussetzungen dieses Nichtigkeitsgrundes, zu denen die Parteien unter jeweiligem Beweisantritt kontrovers vorgetragen haben, keine Feststellungen getroffen hat, ist für die Revisionsinstanz zugunsten der Beklagten davon auszugehen, daß ihre noch offenen Rückzahlungsansprüche sich auch gegen die Klägerin richten.

Da sowohl die in der Urkunde vom 25. Februar 1986 enthaltene Zweckerklärung als auch die gesonderte Zweckerklärung vom 2. Juni 1986 jedenfalls insoweit gegenüber der Klägerin wirksam sind, als sie deren eigene - auch künftige - Verbindlichkeiten einbeziehen, kann die Berechtigung der Beklagten zur Vollstreckung aus der Urkunde auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstands nicht verneint werden. Daran würde es nichts ändern, wenn andere Teile der genannten Zweckerklärungen nach § 3 AGBG unwirksam wären. Es kann daher offenbleiben, ob die Annahme des Berufungsgerichts, bereits die in der Urkunde vom 25. Februar 1986 enthaltene Zweckerklärung beziehe auch künftige Verbindlichkeiten nur des Ehemannes der Klägerin mit ein und diese Einbeziehung sei ungeachtet der notariellen Beurkundung überraschend im Sinne des § 3 AGBG, den Angriffen der Revision stand hält.

III.

Das Berufungsurteil mußte daher aufgehoben werden. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil die vom Berufungsgericht nicht geprüfte Frage, ob die Mithaftung der Klägerin für die Kreditforderungen der Beklagten und möglicherweise auch die Übernahme der persönlichen Haftung für die Grundschuld nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, noch der Klärung bedarf. Diese Klärung ist nicht ohne tatsächliche Feststellungen zu den von der Beklagten bestrittenen Behauptungen der Klägerin über ihre Situation sowie Art und Ausmaß ihrer Mitwirkung in dem Handelsbetrieb und bei dem Abschluß der Darlehensverträge möglich. Deshalb war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.