Verbrauchsgüterkauf: Sachliche Reichweite der
Mängelvermutung in
Art. 5 Abs. 3 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, Erstreckung auf den
"Grundmangel"; Auswirkungen auf die Auslegung von § 476 BGB
EuGH v. 4.6.2015 - Rs C-497/13 (Faber)
Fundstelle:
NJW 2015, 2237
JuS 2016, 459 (Gutzeit)
Tenor:
1. Die
Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des
Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin
auszulegen, dass in einem Rechtsstreit über einen Vertrag, der
möglicherweise in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, das mit dem
Rechtsstreit befasste nationale Gericht, sofern es über die dafür nötigen
rechtlichen und tatsächlichen Anhaltspunkte verfügt oder darüber auf ein
einfaches Auskunftsersuchen hin verfügen kann, die Frage zu prüfen hat, ob
der Käufer als Verbraucher eingestuft werden kann, selbst wenn er sich nicht
ausdrücklich auf diese Eigenschaft berufen hat.
2. Art. 5 Abs. 3 der
Richtlinie
1999/44 ist dahin auszulegen, dass er als
eine Norm anzusehen ist, die einer nationalen Bestimmung, die im
innerstaatlichen Recht zwingend ist, gleichwertig ist, und dass das
nationale Gericht von Amts wegen jede Bestimmung seines innerstaatlichen
Rechts anwenden muss, die seine Umsetzung in innerstaatliches Recht
sicherstellt.
3. Art. 5 Abs. 2 der
Richtlinie
1999/44 ist dahin auszulegen, dass er nicht
einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der der Verbraucher für die
Inanspruchnahme seiner Rechte aus dieser Richtlinie den Verkäufer
rechtzeitig über die Vertragswidrigkeit unterrichten muss, vorausgesetzt,
dass der Verbraucher für diese Unterrichtung über eine Frist von nicht
weniger als zwei Monaten ab dem Zeitpunkt seiner Feststellung der
Vertragswidrigkeit verfügt, dass sich diese Unterrichtung nur auf das
Vorliegen dieser Vertragswidrigkeit erstrecken muss und dass sie nicht
Beweisregeln unterliegt, die dem Verbraucher die Ausübung seiner Rechte
unmöglich machen oder diese übermäßig erschweren.
4. Art. 5 Abs. 3 der
Richtlinie
1999/44 ist dahin auszulegen, dass die
Regel, wonach vermutet wird, dass die Vertragswidrigkeit bereits zum
Zeitpunkt der Lieferung des Gutes bestand,
– zur Anwendung gelangt, wenn der Verbraucher
den Beweis erbringt, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist und dass
die fragliche Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des
Gutes offenbar geworden ist, d. h., sich ihr Vorliegen tatsächlich
herausgestellt hat. Der Verbraucher muss weder den Grund der
Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass deren Ursprung dem
Verkäufer zuzurechnen ist;
– von der Anwendung nur dadurch ausgeschlossen werden kann, dass der
Verkäufer rechtlich hinreichend nachweist, dass der Grund oder Ursprung der
Vertragswidrigkeit in einem Umstand liegt, der nach der Lieferung des Gutes
eingetreten ist.
Zentrale Probleme:
Eine wichtige, wenn nicht gar sensationelle Entscheidung des EuGH mit
großer Bedeutung für das deutsche Verbrauchsgüterkaufrecht. Aufgrund einer
Vorlage eines niederländischen Gerichts hatte der EuGH über mehrere Fragen
zur Auslegung der
Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) zu entscheiden.
Dabei ist für das deutsche Recht die im Tenor unter 4. festgehaltene Aussage
von großer Bedeutung (die anderen Fragen der Entscheidung sind hingegen für
das deutsche Recht unproblematisch).
Es geht um die sachliche Reichweite der Vermutung der Vertragswidrigkeit,
wenn innerhalb der ersten sechs Monate nach Lieferung der Kaufsache ein
Sachmangel auftritt (Art. 5 Abs. 3 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie). Diese
Regelung wurde im deutschen Recht in § 476 BGB umgesetzt. Dabei hat der BGH
in ständiger Rechtsprechung eine äußerst enge Sichtweise dieser Regelung.
Nach Auffassung des BGH, die in der Literatur zu recht seit langen
kritisiert wird, wirkt diese Vermutung nämlich nur in zeitlicher Hinsicht.
Das bedeutet, dass wenn ein Sachmangel nachweislich erst nach Gefahrübergang
auftritt, gerade nicht vermutet wird, dass dieser auf einem sog.
„Grundmangel“ beruht, der bereits bei Gefahrübergang vorhanden war (s. dazu
die Anm. zu
BGH NJW 2005, 283,
BGH NJW 2006, 2250,
BGH NJW 2007, 2621,
BGH NJW 2009, 580,
BGH
v. 15.1.2014 - VIII ZR 70/13).
Im vorliegenden Fall hat die Käuferin ein Fahrzeug gekauft, welches
innerhalb der Sechsmonatsfrist durch einen Brand zerstört wurde. Nun ging es
darum, ob nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch in einem solchen Fall
vermutet wird, dass das Ausbrennen des Fahrzeugs auf einem zum Zeitpunkt des
Gefahrübergangs vorliegenden Sachmangel ("Grundmangel") beruht. Nach der
Rechtsprechung des BGH wäre diese Frage zu verneinen. Der EuGH bejaht sie
hingegen (s. dazu bei den Rn. 66 ff). Aufgrund dieser
Entscheidung hat der BGH seine Rechtsprechung zu § 476 BGB geändert, s.
BGH v. 12.10.2016 - VIII ZR 103/15.
©sl 2015
Urteil:
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1
Abs. 2 Buchst. a und Art. 5 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des
Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. L 171,
S. 12).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau
Faber und der Autobedrijf Hazet Ochten BV (im Folgenden: Autohaus Hazet)
wegen einer Klage auf Ersatz des Schadens, der durch eine behauptete
Vertragswidrigkeit eines von Frau Faber beim Autohaus Hazet gekauften
Gebrauchtfahrzeugs verursacht worden sein soll.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/44 definiert
den Begriff „Verbraucher“ als „jede natürliche Person, die im Rahmen der
unter diese Richtlinie fallenden Verträge zu einem Zweck handelt, der nicht
ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“.
4 Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Verbraucher
dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern.
(2) Es wird vermutet, dass Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind, wenn sie
a) mit der vom Verkäufer gegebenen Beschreibung übereinstimmen und die
Eigenschaften des Gutes besitzen, das der Verkäufer dem Verbraucher als
Probe oder Muster vorgelegt hat;
b) sich für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck eignen,
den der Verbraucher dem Verkäufer bei Vertragsschluss zur Kenntnis gebracht
hat und dem der Verkäufer zugestimmt hat;
c) sich für die Zwecke eignen, für die Güter der gleichen Art
gewöhnlich gebraucht werden;
d) eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen
Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann,
wenn die Beschaffenheit des Gutes und gegebenenfalls die insbesondere in der
Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen des
Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten
Eigenschaften des Gutes in Betracht gezogen werden.“
5 Art. 3 („Rechte des Verbrauchers“) der Richtlinie 1999/44 sieht in
Abs. 1 vor, dass „[d]er Verkäufer … dem Verbraucher für jede
Vertragswidrigkeit [haftet], die zum Zeitpunkt der Lieferung des
Verbrauchsgutes besteht“.
6 In Art. 5 dieser Richtlinie, der die Fristen betrifft, heißt es:
„(1) Der Verkäufer haftet nach Artikel 3, wenn die
Vertragswidrigkeit binnen zwei Jahren nach der Lieferung des Verbrauchsgutes
offenbar wird. …
(2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Verbraucher den
Verkäufer zur Inanspruchnahme seiner Rechte über die Vertragswidrigkeit
binnen zwei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem er die Vertragswidrigkeit
festgestellt hat, unterrichten muss.
…
(3) Bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, dass
Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes
offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, es sei denn,
diese Vermutung ist mit der Art des Gutes oder der Art der
Vertragswidrigkeit unvereinbar.“
7 Art. 7 der Richtlinie 1999/44 stellt klar, dass deren
Bestimmungen bindend sind und insbesondere Vertragsklauseln, durch welche
die mit der Richtlinie gewährten Rechte unmittelbar oder mittelbar
eingeschränkt werden, für den Verbraucher gemäß dem innerstaatlichen Recht
nicht bindend sind.
Niederländisches Recht
Materielles Recht
8 Art. 7:5 Abs. 1 des Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches
Gesetzbuch, im Folgenden: BW) definiert den Verbrauchsgüterkauf als „Vertrag
über den Kauf einer beweglichen Sache …, den ein Verkäufer, der in Ausübung
einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt, mit einem Käufer, der
eine natürliche Person ist, die nicht in Ausübung einer beruflichen oder
gewerblichen Tätigkeit handelt, abschließt“.
9 Art. 7:17 Abs. 1 BW bestimmt, dass die gelieferte Sache
vertragsgemäß sein muss.
10 Art. 7:18 Abs. 2 BW, durch den Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44
in niederländisches Recht umgesetzt wird, sieht vor:
„Bei einem Verbrauchsgüterkauf wird vermutet, dass die Sache bei Lieferung
nicht vertragsgemäß gewesen ist, wenn die Abweichung von dem Vereinbarten
innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Lieferung offenbar wird,
sofern sich aus der Art der Sache oder der Art der Abweichung nicht etwas
anderes ergibt.“
11 Aus der Begründung des Gesetzesentwurfs für den Erlass dieser
Bestimmung geht hervor, dass der Käufer darlegen und im Bestreitensfall
beweisen muss, dass die Sache von dem Vereinbarten abweicht und diese
Abweichung innerhalb von sechs Monaten nach der Lieferung offenbar geworden
ist. Dann ist es Sache des Verkäufers, darzulegen und zu beweisen, dass die
Sache bei der Lieferung doch dem Vereinbarten entsprach.
12 In Art. 7:23 Abs. 1 BW heißt es:
„Der Käufer kann sich nicht mehr darauf berufen, dass das, was geliefert
worden ist, nicht vertragsgemäß ist, wenn er dies dem Verkäufer nicht
innerhalb einer angemessenen Frist angezeigt hat, nachdem er dies
festgestellt hat oder vernünftigerweise hätte feststellen müssen. Stellt
sich jedoch heraus, dass der Sache eine Eigenschaft fehlt, die der Verkäufer
zugesichert hat, oder bezieht sich die Abweichung auf Tatsachen, die der
Verkäufer kannte oder kennen musste, aber nicht mitgeteilt hat, muss die
Anzeige innerhalb einer angemessenen Frist nach der Feststellung erfolgen.
Bei einem Verbrauchsgüterkauf muss die Anzeige innerhalb einer angemessenen
Frist nach der Feststellung erfolgen, wobei eine Anzeige innerhalb einer
Frist von zwei Monaten nach der Feststellung rechtzeitig ist.“
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Hoge Raad hat, wenn der Verkäufer
geltend macht, dass die Anzeige nicht fristgemäß erfolgt ist, der Käufer
darzulegen und bei substantiiertem Bestreiten zu beweisen, dass er diese
Anzeige rechtzeitig und auf eine für den Verkäufer erkennbare Weise
vorgenommen hat. Im Fall eines Verbrauchsgüterkaufs hängt die Frage, ob eine
mehr als zwei Monate nach der Feststellung der Vertragswidrigkeit
vorgenommene Anzeige als rechtzeitig angesehen werden kann, von den
Umständen des Einzelfalls ab.
Verfahrensrecht
14 Nach den Art. 23 und 24 des Wetboek van Burgerlijke
Rechtsvordering (Zivilprozessordnung, im Folgenden: Rv) darf der Richter nur
über die Anträge der Parteien entscheiden und muss sich dabei an die
rechtlichen Umstände halten, auf die der Antrag, die Klage oder die
Verteidigung gestützt sind.
15 Das mit einem Rechtsmittel befasste Gericht darf nur über die Rügen
entscheiden, die die Parteien in ihrem ersten Schriftsatz im
Rechtsmittelverfahren geltend gemacht haben. Das Rechtsmittelgericht muss
jedoch die einschlägigen Bestimmungen zwingenden Rechts anwenden, auch wenn
sich die Parteien nicht darauf berufen haben.
16 Nach Art. 22 Rv allerdings „[kann] der Richter … in allen Fällen und
bei jedem Verfahrensstand eine oder beide Parteien auffordern, bestimmte
Behauptungen zu präzisieren oder bestimmte Unterlagen zu dem Rechtsstreit
vorzulegen“.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen
17 Am 27. Mai 2008 erwarb Frau Faber beim Autohaus Hazet einen
Gebrauchtwagen. Für den zwischen den Parteien geschlossenen
Kaufvertrag wurde ein vorgedrucktes Formular mit dem Briefkopf des
Autohauses und der Überschrift „Kaufvertrag Privatpersonen“ verwendet.
18 Am 26. September 2008 fing das Fahrzeug während einer Fahrt Feuer
und brannte vollständig aus. Frau Faber, die das Fahrzeug führte, war auf
dem Weg zu einem geschäftlichen Termin in Begleitung ihrer Tochter.
19 Das Fahrzeug wurde von einem Abschleppwagen zum Autohaus Hazet und
dann auf dessen Bitte zu einem Verschrottungsunternehmen gebracht, um dort
gemäß den geltenden umweltrechtlichen Vorschriften gelagert zu werden. Frau
Faber behauptet, aber das Autohaus Hazet bestreitet, dass sich die Parteien
bei dieser Gelegenheit über den Brand und die etwaige Haftung des Autohauses
unterhalten hätten.
20 Anfang 2009 meldete sich das Autohaus Hazet telefonisch bei Frau
Faber, die ihm erklärte, dass sie auf den Bericht der Polizei über den Brand
warte. Auf Anfrage von Frau Faber teilte ihr die Polizei jedoch mit, dass
kein technischer Bericht erstellt worden sei.
21 Am 8. Mai 2009 wurde das betreffende Fahrzeug verschrottet, nachdem
das Autohaus Hazet zuvor darüber informiert worden war.
22 Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 teilte Frau Faber dem Autohaus Hazet
mit, dass sie es für den Schaden haftbar mache, der ihr aus der Zerstörung
ihres Fahrzeugs durch den Brand entstanden sei. Diesen Schaden in Höhe des
Kaufpreises des Fahrzeugs und des Wertes verschiedener darin befindlicher
Gegenstände bezifferte Frau Faber auf 10 828,55 Euro.
23 Anfang Juli 2009 beauftragte Frau Faber einen Gutachter mit einer
technischen Untersuchung zur Ermittlung der Ursache des Fahrzeugbrands. Da
das Fahrzeug inzwischen zerstört worden war, konnte das Gutachten nicht
erstellt werden.
24 Am 26. Oktober 2010 verklagte Frau Faber das Autohaus Hazet bei der
Rechtbank Arnhem (Niederlande).
25 Zur Begründung ihrer Klage machte Frau Faber geltend, dass das
Fahrzeug nicht dem Vereinbarten entsprochen habe und daher nicht
vertragsgemäß im Sinne von Art. 7:17 BW gewesen sei. Allerdings trug sie
nicht vor, dass sie ihren Kauf als Verbraucherin getätigt habe.
26 Das Autohaus Hazet hielt dem entgegen, es liege kein Fall von
Vertragswidrigkeit vor und zudem habe Frau Faber ihre Beanstandung verspätet
vorgebracht, so dass sie nach Art. 7:23 Abs. 1 BW alle ihre Ansprüche
verloren habe.
27 Mit Urteil vom 27. April 2011 wies die Rechtbank Arnhem die Anträge
von Frau Faber zurück. Dieses Gericht war der Auffassung, dass sich das
Autohaus Hazet zu Recht auf Art. 7:23 Abs. 1 BW berufen habe, da die erste
Kontaktaufnahme zwischen den Parteien erst Anfang 2009 per Telefon
stattgefunden habe, also mehr als drei Monate nach dem Fahrzeugbrand. Ob
Frau Faber als Verbraucherin gehandelt habe, brauche nicht geprüft zu
werden.
28 Am 26. Juli 2011 legte Frau Faber gegen das Urteil der Rechtbank
Arnhem Rechtsmittel zum Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden (Niederlande) ein.
29 Im Rahmen ihres Rechtsmittels machte Frau Faber zwei Rügen geltend:
Mit der ersten wendete sie sich gegen die Beurteilung des erstinstanzlichen
Gerichts, wonach sie nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen gehandelt
habe. Mit der zweiten machte sie geltend, die am Unfallort eingesetzten
Feuerwehr- und Polizeikräfte hätten von einem technischen Mangel des
Fahrzeugs gesprochen.
30 Hingegen erhob Frau Faber keine Rüge gegen die Feststellung der
Rechtbank Arnhem, es sei nicht zu ermitteln, ob der zwischen den Parteien
abgeschlossene Vertrag ein Verbrauchsgut betroffen habe. Sie äußerte sich
auch nicht dazu, ob sie das Fahrzeug als Verbraucherin erworben habe.
31 Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist das nationale Gericht – sei es aufgrund des Grundsatzes der
Effektivität, aufgrund des mit der Richtlinie 1999/44 angestrebten hohen
Verbraucherschutzniveaus innerhalb der Europäischen Union oder aufgrund
anderer Bestimmungen oder Normen des Unionsrechts – verpflichtet, von Amts
wegen zu prüfen, ob der Käufer bei einem Vertrag ein Verbraucher im Sinne
von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/44 ist?
2. Sofern die erste Frage bejaht wird: Gilt dies auch, wenn die
Verfahrensakte keine (oder nicht genügend oder widersprüchliche)
tatsächlichen Informationen enthält, um die Eigenschaft des Käufers
feststellen zu können?
3. Sofern die erste Frage bejaht wird: Gilt dies auch für ein
Rechtsmittelverfahren, in dem der Käufer das Urteil des erstinstanzlichen
Gerichts nicht beanstandet hat, soweit darin diese Prüfung (von Amts wegen)
nicht vorgenommen worden ist und die Frage, ob der Käufer als Verbraucher
anzusehen ist, ausdrücklich offengelassen worden ist?
4. Ist die Richtlinie 1999/44 (bzw. deren Art. 5) als eine Norm zu
betrachten, die den im nationalen Recht zwingenden innerstaatlichen
Bestimmungen gleichwertig ist?
5. Stehen der Grundsatz der Effektivität, das mit der Richtlinie
1999/44 angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau innerhalb der Union oder
andere Bestimmungen oder Normen des Unionsrechts dem niederländischen Recht
in Bezug auf eine Darlegungs- und Beweislast des Verbrauchers/Käufers
hinsichtlich der Pflicht, dem Verkäufer den vermeintlichen Mangel eines
gelieferten Gutes (rechtzeitig) anzuzeigen, entgegen?
6. Stehen der Grundsatz der Effektivität, das mit der Richtlinie
1999/44 angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau innerhalb der Union oder
andere Bestimmungen oder Normen des Unionsrechts dem niederländischen Recht
in Bezug auf eine Darlegungs- und Beweislast des Verbrauchers/Käufers dafür,
dass das Gut vertragswidrig ist und diese Vertragswidrigkeit binnen sechs
Monaten nach der Lieferung offenbar geworden ist, entgegen? Was bedeuten die
Worte „Vertragswidrigkeiten, die … offenbar werden“ in Art. 5 Abs. 3 der
Richtlinie 1999/44, und insbesondere: In welchem Maße muss der
Verbraucher/Käufer Tatsachen und Umstände darlegen, die die
Vertragswidrigkeit (bzw. deren Ursache) betreffen? Reicht es dafür aus, dass
der Verbraucher/Käufer darlegt und bei substantiiertem Bestreiten beweist,
dass der erworbene Gegenstand nicht (einwandfrei) funktioniert, oder hat er
auch darzulegen und bei substantiiertem Bestreiten zu beweisen, welcher
Mangel des verkauften Gegenstands dieses Nichtfunktionieren (bzw. nicht
einwandfreie Funktionieren) verursacht (hat)?
7. Spielt es bei der Beantwortung der vorstehenden Fragen eine Rolle,
dass sich Frau Faber im vorliegenden Verfahren in beiden Rechtszügen von
einem Rechtsanwalt hat vertreten lassen?
Zu den Vorlagefragen
Zu den Fragen 1, 2, 3 und 7
32 Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das
vorlegende Gericht wissen, ob das nationale Gericht, das mit einem
Rechtsstreit über die Gewährleistung befasst ist, die der Verkäufer dem
Käufer im Rahmen eines Kaufvertrags über eine körperliche bewegliche Sache
schuldet, nach dem Grundsatz der Effektivität verpflichtet ist, von Amts
wegen zu prüfen, ob der Käufer als Verbraucher im Sinne der Richtlinie
1999/44 anzusehen ist, obwohl sich diese Partei nicht auf diese Eigenschaft
berufen hat.
33 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich im Ausgangsrechtsstreit zwei
Privatpersonen gegenüberstehen. Zwar kann sich in einem solchen Rechtsstreit
keine der Parteien auf die unmittelbare Wirkung der Richtlinie 1999/44
berufen, aber nach ständiger Rechtsprechung muss das nationale Gericht, bei
dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist,
bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts das gesamte
nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand von
Wortlaut und Zweck der einschlägigen Richtlinie auslegen, um zu einem
Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel
vereinbar ist (vgl. insbesondere Urteil LCL Le Crédit Lyonnais, C‑565/12,
EU:C:2014:190, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Nach den dem Gerichtshof mitgeteilten Informationen wurde die
Umsetzung der Richtlinie 1999/44 in die niederländische Rechtsordnung
dadurch vorgenommen, dass in das Siebte Buch („Besondere Verträge“) des BW
zusätzlich zu den Gewährleistungsregeln, die unterschiedslos für alle
Verträge gelten, besondere Vorschriften für Kaufverträge über
Verbrauchsgüter eingefügt wurden.
35 Zu dem hier fraglichen Kaufvertrag führt das vorlegende Gericht
jedoch aus, dass hinsichtlich der anwendbaren Bestimmungen Zweifel
bestünden, da nicht sicher sei, ob dieser Kaufvertrag mit einem Verbraucher
abgeschlossen worden sei.
36 Der Vorlageentscheidung ist nämlich zu entnehmen, dass Frau Faber
zwar zur Begründung ihres Gewährleistungsverlangens gegen das Autohaus Hazet
ein Vertragsdokument mit der Überschrift „Kaufvertrag Privatpersonen“
vorgelegt, aber nicht angegeben hat, ob dieser Vertrag im Rahmen ihrer
geschäftlichen Tätigkeit oder außerhalb dieser geschlossen wurde, obwohl das
mit dem Rechtsstreit befasste Gericht anhand dieses Gesichtspunkts
feststellen könnte, ob sie als Verbraucherin im Sinne des anwendbaren
nationalen Rechts und von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/44
angesehen werden kann. Außerdem wurde im ersten Rechtszug die Klage von Frau
Faber wegen der im nationalen Recht vorgesehenen Fristen als verspätet
abgewiesen, ohne dass ermittelt wurde, in welcher Eigenschaft sie den
Vertrag abgeschlossen hatte. Schließlich hat Frau Faber im Rahmen der von
ihr vorgetragenen Rechtsmittelgründe, die den Gegenstand des vor dem
Rechtsmittelgericht anhängigen Rechtsstreits begrenzen, gleichfalls nicht
geltend gemacht, dass sie als Verbraucherin gehandelt habe.
37 Hinsichtlich der Frage, ob das nationale Gericht in einem solchen
Zusammenhang von Amts wegen prüfen muss, ob der Käufer als Verbraucher
anzusehen ist, ist hervorzuheben, dass bei einer fehlenden Harmonisierung
des Verfahrensrechts die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz
der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten
sollen, nicht weniger günstig als die für entsprechende innerstaatliche
Klagen ausgestaltet sein dürfen (Grundsatz der Äquivalenz) und sie die
Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht
praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Grundsatz der
Effektivität).
38 Dabei ist es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, zur
Ermittlung der Rechtsvorschriften, die in einem bei ihm anhängigen
Rechtsstreit anwendbar sind, die Tatsachen und Handlungen rechtlich
einzuordnen, die die Parteien zur Stützung ihrer Anträge geltend gemacht
haben. Diese rechtliche Einordnung ist in einem Fall wie dem des
Ausgangsverfahrens, in dem die vom Kläger geltend gemachte
Gewährleistungshaftung für den Kaufgegenstand nach Maßgabe einer Eigenschaft
des Käufers unterschiedlich geregelt sein kann, vorab durchzuführen. Eine
solche Einordnung setzt als solche nicht voraus, dass der Richter eine
Beurteilungsbefugnis von Amts wegen ausübt, sondern nur, dass er das
Vorliegen einer gesetzlichen Voraussetzung feststellt und überprüft, von der
die anwendbare Rechtsnorm abhängt.
39 Ebenso wie es dem nationalen Richter im Rahmen der
Verfahrensmodalitäten seiner innerstaatlichen Rechtsordnung obliegt, zur
Ermittlung der anwendbaren nationalen Rechtsnorm die ihm von den Parteien
unterbreiteten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte einzuordnen,
wobei er die Parteien gegebenenfalls zu allen sachdienlichen ergänzenden
Angaben auffordern kann, ist er nach dem Grundsatz der Äquivalenz zu dem
gleichen Tätigwerden verpflichtet, um zu klären, ob eine Norm des
Unionsrechts anwendbar ist.
40 So könnte es sich im Ausgangsverfahren verhalten, in dem das
nationale Gericht, wie es in der Vorlageentscheidung selbst festgestellt
hat, über ein „Indiz“ verfügt, nämlich ein von Frau Faber vorgelegtes
Dokument mit der Überschrift „Kaufvertrag Privatpersonen“, und es nach
Art. 22 Rv die von der niederländischen Regierung hervorgehobene Möglichkeit
besitzt, den Parteien aufzugeben, bestimmte Behauptungen zu präzisieren oder
bestimmte Unterlagen vorzulegen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu
diesem Zweck Ermittlungen vorzunehmen.
41 Nur falls die Verfahrensmodalitäten der innerstaatlichen
Rechtsordnung dem nationalen Gericht keine Möglichkeit geben, eine genaue
rechtliche Einordnung der streitigen Tatsachen und Handlungen vorzunehmen,
wenn eine solche nicht von den Parteien selbst für ihr Vorbringen
ausdrücklich geltend gemacht wurde, würde sich somit die Frage stellen, ob
der Grundsatz der Effektivität dieses Gericht dazu ermächtigen kann, eine
Partei als Verbraucher einzustufen, die sich nicht auf diese Eigenschaft
berufen hat.
42 Der Gerichtshof hat nämlich auf der Grundlage des Grundsatzes der
Effektivität ungeachtet entgegenstehender innerstaatlicher
Rechtsvorschriften die Anforderung gestellt, dass das nationale Gericht von
Amts wegen bestimmte Vorschriften anwendet, die in Richtlinien der Union auf
dem Gebiet des Verbraucherschutzes enthalten sind. Diese Anforderung wurde
mit der Erwägung gerechtfertigt, dass das durch diese Richtlinien
geschaffene Schutzsystem davon ausgeht, dass sich der Verbraucher gegenüber
dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und
einen geringeren Informationsstand besitzt und dass eine nicht zu
unterschätzende Gefahr besteht, dass sich der Verbraucher vor allem aus
Unkenntnis nicht auf eine seinem Schutz dienende Rechtsnorm beruft (vgl. in
diesem Sinne zur Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über
missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen [ABl. L 95, S. 29] Urteil
Mostaza Claro, C‑168/05, EU:C:2006:675, Rn. 28 und die dort angeführte
Rechtsprechung, sowie zur Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember
1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit [ABl. 1987, L 42, S. 48] Urteil
Rampion und Godard, C‑429/05, EU:C:2007:575, Rn. 65).
43 Der Gerichtshof hat klargestellt, dass jeder Fall, in dem sich die
Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des
Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter
Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des
Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den
verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist (vgl. insbesondere Urteil
Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 52 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
44 Jedoch hätten Verfahrensmodalitäten, durch die es – wie dies im
Ausgangsverfahren der Fall sein könnte – sowohl dem erstinstanzlichen
Gericht als auch dem Rechtsmittelgericht, die mit einer Gewährleistungsklage
im Rahmen eines Kaufvertrags befasst sind, untersagt würde, auf der
Grundlage der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, über die sie
verfügen oder über die sie auf ein einfaches Auskunftsersuchen hin verfügen
können, das fragliche Vertragsverhältnis als Verkauf an einen Verbraucher
einzustufen, wenn sich dieser nicht ausdrücklich auf diese Eigenschaft
berufen hat, zur Folge, dass dem Verbraucher die Pflicht auferlegt würde,
selbst eine vollständige rechtliche Einordnung seiner Lage vorzunehmen, um
nicht die Rechte zu verlieren, die ihm der Unionsgesetzgeber mit der
Richtlinie 1999/44 verleihen wollte. In einem Bereich, in dem sich
Privatpersonen nach dem Verfahrensrecht etlicher Mitgliedstaaten vor Gericht
selbst vertreten dürfen, bestünde eine nicht zu unterschätzende Gefahr, dass
der Verbraucher vor allem aus Unkenntnis derartigen Anforderungen nicht
genügen könnte.
45 Daraus folgt, dass Verfahrensmodalitäten wie die in der vorstehenden
Randnummer beschriebenen nicht mit dem Grundsatz der Effektivität in
Einklang stünden, da sie geeignet wären, für auf Vertragswidrigkeiten
gestützte Gewährleistungsklagen, an denen Verbraucher beteiligt sind, die
Anwendung des Schutzes, den die Richtlinie 1999/44 diesen einräumen soll,
übermäßig zu erschweren.
46 Der Grundsatz der Effektivität verlangt vielmehr, dass in einem
Rechtsstreit über einen Vertrag, der möglicherweise in den Geltungsbereich
dieser Richtlinie fällt, das mit dem Rechtsstreit befasste nationale
Gericht, sofern es über die dafür nötigen rechtlichen und tatsächlichen
Anhaltspunkte verfügt oder darüber auf ein einfaches Auskunftsersuchen hin
verfügen kann, die Frage prüft, ob der Käufer als Verbraucher eingestuft
werden kann, selbst wenn er sich nicht ausdrücklich auf diese Eigenschaft
berufen hat.
47 Es ist hinzuzufügen, dass die Frage, ob der Verbraucher anwaltlich
vertreten wird oder nicht, an dieser Schlussfolgerung nichts zu ändern
vermag, da die Auslegung des Unionsrechts sowie die Tragweite der Grundsätze
der Effektivität und der Äquivalenz von den konkreten Umständen jedes
Einzelfalls unabhängig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Rampion und Godard,
C‑429/05, EU:C:2007:575, Rn. 65).
48 Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist auf die Fragen 1, 2, 3 und
7 zu antworten, dass die Richtlinie 1999/44 dahin auszulegen ist, dass in
einem Rechtsstreit über einen Vertrag, der möglicherweise in den
Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, das mit dem Rechtsstreit befasste
nationale Gericht, sofern es über die dafür nötigen rechtlichen und
tatsächlichen Anhaltspunkte verfügt oder darüber auf ein einfaches
Auskunftsersuchen hin verfügen kann, die Frage zu prüfen hat, ob der Käufer
als Verbraucher eingestuft werden kann, selbst wenn er sich nicht
ausdrücklich auf diese Eigenschaft berufen hat.
Zur vierten Frage
49 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 der
Richtlinie 1999/44 als eine Norm betrachtet werden kann, die einer
Bestimmung zwingenden Rechts im Sinne seines innerstaatlichen Rechts
gleichwertig ist, d. h. als eine Norm, die das nationale Gericht im Rahmen
eines Rechtsmittelverfahrens von Amts wegen prüfen kann.
50 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass diese Frage konkret
auf Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie abzielt, wonach bis zum Beweis des
Gegenteils grundsätzlich vermutet wird, dass Vertragswidrigkeiten, die
binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, bereits
zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden.
51 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Frage des vorlegenden Gerichts
nur erheblich sein kann, wenn das nationale Gericht festgestellt hat, dass
der betreffende Vertrag in den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie
1999/44 fällt, was insbesondere voraussetzt, dass dieser Vertrag mit einem
Verbraucher geschlossen wurde.
52 In dem Haftungssystem, dass durch die Richtlinie 1999/44 geschaffen
wurde, begründet deren Art. 2 Abs. 2 eine widerlegbare Vermutung der
Vertragsmäßigkeit, während ihr Art. 3 Abs. 1 klarstellt, dass der Verkäufer
für jede Vertragswidrigkeit haftet, die zum Zeitpunkt der Lieferung des
Verbrauchsguts besteht. Aus der kombinierten Anwendung dieser Bestimmungen
folgt, dass es grundsätzlich dem Verbraucher obliegt, den Beweis zu
erbringen, dass eine Vertragswidrigkeit vorliegt und dass diese bereits zum
Zeitpunkt der Lieferung des Gutes bestand.
53 Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44 normiert eine Abweichung von
diesem Grundsatz für den Fall, dass die Vertragswidrigkeit binnen sechs
Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar wird. In diesem Fall wird
vermutet, dass die Vertragswidrigkeit schon zum Zeitpunkt der Lieferung
bestand.
54 Diese Beweislasterleichterung zugunsten des Verbrauchers beruht auf
der Feststellung, dass sich in Fällen, in denen die Vertragswidrigkeit erst
nach dem Zeitpunkt der Lieferung des Gutes offenbar wird, die Erbringung des
Beweises, dass diese Vertragswidrigkeit bereits zu diesem Zeitpunkt bestand,
als „eine für den Verbraucher unüberwindbare Schwierigkeit“ erweisen kann,
während es in der Regel für den Gewerbetreibenden viel leichter ist, zu
beweisen, dass die Vertragswidrigkeit nicht zum Zeitpunkt der Lieferung
bestand und dass sie beispielsweise auf unsachgemäßen Gebrauch durch den
Verbraucher zurückzuführen ist (vgl. die Begründung des Vorschlags für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den
Verbrauchsgüterkauf und ‑garantien, KOM[95] 520 endg., S. 14).
55 Die Verteilung der Beweislast, die Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie
1999/44 vornimmt, ist gemäß Art. 7 dieser Richtlinie sowohl für die
Parteien, die davon nicht durch eine Vereinbarung abweichen dürfen, als auch
für die Mitgliedstaaten, die auf ihre Einhaltung achten müssen, unabdingbar.
Daraus ergibt sich, dass diese Beweislastregel auch dann anzuwenden ist,
wenn sich der Verbraucher, dem sie zugutekommen kann, nicht ausdrücklich auf
sie berufen hat.
56 In Anbetracht von Natur und Bedeutung des öffentlichen Interesses,
auf dem der Schutz beruht, den Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44 für den
Verbraucher sicherstellt, ist diese Bestimmung als eine Norm zu betrachten,
die den nationalen Bestimmungen, die im innerstaatlichen Recht zwingend
sind, gleichwertig ist. Daraus folgt, dass das nationale Gericht, sofern es
im Rahmen seines nationalen Rechtspflegesystems über die Möglichkeit
verfügt, eine solche Norm von Amts wegen anzuwenden, von Amts wegen jede
Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts anwenden muss, die diesen Art. 5
Abs. 3 umsetzt (vgl. in diesem Sinne Urteil Asturcom Telecomunicaciones,
C‑40/08, EU:C:2009:615, Rn. 52 bis 54 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
57 Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der
Richtlinie 1999/44 dahin auszulegen ist, dass er als eine Norm anzusehen
ist, die einer nationalen Bestimmung, die im innerstaatlichen Recht zwingend
ist, gleichwertig ist, und dass das nationale Gericht von Amts wegen jede
Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts anwenden muss, die seine Umsetzung
in innerstaatliches Recht sicherstellt.
Zur fünften Frage
58 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der
Grundsatz der Effektivität einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach
der der Verbraucher nachzuweisen hat, dass er den Verkäufer rechtzeitig über
die Vertragswidrigkeit unterrichtet hat.
59 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der niederländische
Gesetzgeber eine solche Pflicht in Art. 7:23 BW vorsieht und es nach der
Rechtsprechung des Hoge Raad dem Käufer bei Bestreiten des Verkäufers
obliegt, den Beweis zu erbringen, dass er diesen über die Vertragswidrigkeit
des gelieferten Gutes unterrichtet hat. Ferner lässt sich den Angaben des
vorlegenden Gerichts entnehmen, dass nach der vom niederländischen
Gesetzgeber erlassenen Regelung diese Unterrichtung als rechtzeitig erfolgt
gilt, wenn sie binnen zwei Monaten nach der Feststellung der
Vertragswidrigkeit erfolgt ist. Außerdem ist nach der Rechtsprechung des
Hoge Raad die Beantwortung der Frage, ob eine nach dem Ablauf dieser Frist
erfolgte Unterrichtung noch als rechtzeitig angesehen werden kann, von den
Umständen jedes Einzelfalls abhängig.
60 Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44 dürfen die
Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Verbraucher zur Inanspruchnahme seiner
Rechte den Verkäufer über die Vertragswidrigkeit binnen zwei Monaten nach
dem Zeitpunkt, zu dem er die Vertragswidrigkeit festgestellt hat,
unterrichten muss.
61 Nach den Vorarbeiten für die Richtlinie trägt diese Möglichkeit dem
Anliegen Rechnung, die Rechtssicherheit zu stärken, indem der Käufer zu
einer „gewissen Sorgfalt unter Berücksichtigung der Interessen des
Verkäufers“ gezwungen wird, „ohne dass damit dem Verbraucher eine zwingende
Verpflichtung auferlegt würde, die betreffende Sache genauestens zu prüfen“
(vgl. die Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie, KOM[95] 520 endg.,
S. 16).
62 Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44
im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie und aus dem mit dieser
Bestimmung verfolgten Zweck ergibt, kann die dem Verbraucher damit
auferlegte Pflicht nicht über die Obliegenheit hinausgehen, den Verkäufer
über das Vorliegen einer Vertragswidrigkeit zu unterrichten.
63 Was den Inhalt dieser Mitteilung anbelangt, kann der Verbraucher in
diesem Stadium nicht verpflichtet sein, den Beweis zu erbringen, dass eine
Vertragswidrigkeit das von ihm erworbene Gut tatsächlich beeinträchtigt.
Unter Berücksichtigung der Unterlegenheit, in der er sich hinsichtlich des
Kenntnisstands über die Eigenschaften dieses Gutes und dessen Zustand im
Zeitpunkt des Verkaufs gegenüber dem Verkäufer befindet, kann der
Verbraucher auch nicht verpflichtet sein, den genauen Grund für diese
Vertragswidrigkeit anzugeben. Damit die Mitteilung für den Verkäufer von
Nutzen sein kann, muss sie hingegen eine Reihe von Angaben enthalten, deren
Genauigkeitsgrad zwangsläufig je nach den Umständen des Einzelfalls, die
sich auf die Art des fraglichen Gutes, den Inhalt des Kaufvertrags und das
konkrete Auftreten der behaupteten Vertragswidrigkeit beziehen,
unterschiedlich sein wird.
64 Was den Nachweis angeht, dass die Unterrichtung des Verkäufers
tatsächlich erfolgt ist, so unterliegt er grundsätzlich den nationalen
Bestimmungen in diesem Bereich, die jedoch den Grundsatz der Effektivität
beachten müssen. Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat keine Anforderungen
vorsehen darf, die geeignet wären, die Ausübung der Rechte aus der
Richtlinie 1999/44 durch den Verbraucher unmöglich zu machen oder übermäßig
zu erschweren.
65 Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 der
Richtlinie 1999/44 dahin auszulegen ist, dass er nicht einer nationalen
Bestimmung entgegensteht, nach der der Verbraucher für die Inanspruchnahme
seiner Rechte aus dieser Richtlinie den Verkäufer rechtzeitig über die
Vertragswidrigkeit unterrichten muss, vorausgesetzt, dass der Verbraucher
für diese Unterrichtung über eine Frist von nicht weniger als zwei Monaten
ab dem Zeitpunkt seiner Feststellung der Vertragswidrigkeit verfügt, dass
sich diese Unterrichtung nur auf das Vorliegen dieser Vertragswidrigkeit
erstrecken muss und dass sie nicht Beweisregeln unterliegt, die dem
Verbraucher die Ausübung seiner Rechte unmöglich machen oder diese übermäßig
erschweren.
Zur sechsten Frage
66 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, wie die in
Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44 vorgenommene Beweislastverteilung
funktioniert, und insbesondere, welches die Umstände sind, die der
Verbraucher beweisen muss.
67 Wie in Rn. 53 dieses Urteils festgestellt worden ist, normiert diese
Bestimmung eine Abweichung von dem Grundsatz, wonach es dem Verbraucher
obliegt, die in Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie festgelegte Vermutung der
Vertragsmäßigkeit des verkauften Gutes zu widerlegen und den Beweis der von
ihm behaupteten Vertragswidrigkeit zu erbringen.
68 Falls die Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung
des Gutes offenbar wird, erleichtert Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44
die dem Verbraucher obliegende Beweislast, indem er für diesen Fall die
Vermutung aufstellt, dass die Vertragswidrigkeit bereits zum Zeitpunkt der
Lieferung bestand.
69 Um diese Beweiserleichterung in Anspruch nehmen zu können, muss der
Verbraucher jedoch das Vorliegen bestimmter Tatsachen nachweisen.
70 Erstens muss der Verbraucher vortragen und den Beweis erbringen,
dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist, da es z. B. nicht die im
Kaufvertrag vereinbarten Eigenschaften aufweist oder sich nicht für den
Gebrauch eignet, der von einem derartigen Gut gewöhnlich erwartet wird.
Der
Verbraucher muss nur das Vorliegen der Vertragswidrigkeit beweisen. Er muss
weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass
sie dem Verkäufer zuzurechnen ist.
71 Zweitens muss der Verbraucher beweisen, dass die in Rede stehende
Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes
offenbar geworden ist, also sich ihr Vorliegen tatsächlich herausgestellt
hat.
72 Wenn diese Tatsachen nachgewiesen sind, ist der Verbraucher vom
Nachweis befreit, dass die Vertragswidrigkeit bereits zum Zeitpunkt der
Lieferung des Gutes bestand. Das Auftreten dieser Vertragswidrigkeit in dem
kurzen Zeitraum von sechs Monaten erlaubt die Vermutung, dass sie zum
Zeitpunkt der Lieferung „zumindest im Ansatz“ bereits vorlag, auch wenn sie
sich erst nach der Lieferung des Gutes herausgestellt hat (vgl. die
Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie, KOM[95] 520 endg., S. 14).
73 Es ist dann also Sache des Gewerbetreibenden, gegebenenfalls den
Beweis zu erbringen, dass die Vertragswidrigkeit zum Zeitpunkt der Lieferung
des Gutes noch nicht vorlag, indem er dartut, dass sie ihren Grund oder
Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach dieser Lieferung hat.
74 Falls es dem Verkäufer nicht gelingt, rechtlich hinreichend
nachzuweisen, dass der Grund oder Ursprung der Vertragswidrigkeit in einem
Umstand liegt, der erst nach der Lieferung des Gutes eingetreten ist,
erlaubt die in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44 aufgestellte Vermutung
dem Verbraucher, seine Rechte aus der Richtlinie geltend zu machen.
75 Daher ist auf die sechste Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der
Richtlinie 1999/44 dahin auszulegen ist, dass die Regel, wonach vermutet
wird, dass die Vertragswidrigkeit bereits zum Zeitpunkt der Lieferung des
Gutes bestand,
– zur Anwendung gelangt, wenn der Verbraucher den Beweis erbringt,
dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist und dass die fragliche
Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes
offenbar geworden ist, d. h., sich ihr Vorliegen tatsächlich herausgestellt
hat. Der Verbraucher muss weder den Grund der Vertragswidrigkeit noch den
Umstand beweisen, dass deren Ursprung dem Verkäufer zuzurechnen ist;
– von der Anwendung nur dadurch ausgeschlossen werden kann, dass der
Verkäufer rechtlich hinreichend nachweist, dass der Grund oder Ursprung der
Vertragswidrigkeit in einem Umstand liegt, der nach der Lieferung des Gutes
eingetreten ist.
Kosten
76 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
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